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In der Videoperformance „Trenzación“ von Verena Melgarejo Weinandt und Maque Pereyra sind lange Haare und Zöpfe Ausgangspunkt, um sich mit Prozessen der Identitätskonstruktion auseinanderzusetzen.

© Verena Melgarejo Weinandt und Maque Pereyra

Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“: Aufhören und zurückschauen

Das Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“ beendet nach neun Jahren kollektiver Forschung seine Arbeit. Fünf Mitglieder ziehen Bilanz.

Das DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“ wird nach Erreichen der maximalen Förderzeit durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft in diesem Jahr seine Arbeit einstellen. In neun Jahren sind Tagungen, Ringvorlesungen und Workshops, eine eigene Buchreihe und zahlreiche Allianzen entstanden. Nicht zuletzt konnten siebenunddreißig Promotions- und Postdoc-Projekte gefördert werden. Dabei waren zehn Fachdisziplinen beteiligt, die Kunst-, Kultur- und Medienwissenschaften, die Theater-, Musik- und Filmwissenschaften, die Musik- und die Theaterpädagogik, die Ingenieurswissenschaften und die Philosophie. Interdisziplinäres Arbeiten stellt auch wissenschaftliche Forschung vor große Herausforderungen, weil es darum geht, das Interesse am Gegenstand jeweils für eine andere Disziplin vermitteln zu können.

BARBARA GRONAU: Die Künste haben ganz entscheidenden Anteil daran, wie Wissen in der Gesellschaft ankommt, also wie es dargestellt, wie es legitimiert, wie es verbreitet wird. Aber sie haben auch entscheidenden Anteil an der Frage, was überhaupt als Wissen gilt. Im Kolleg haben wir untersucht, welche Erkenntnisformen die Künste im 20. und 21. Jahrhundert herausbilden, auf welche Weise sie Erkenntnisse vermitteln und erzeugen, die von den Natur-, Geistes- und Kulturwissenschaften gar nicht alleine gefasst werden können. Diese Verknüpfung hat uns interessiert. Welches Potenzial besitzt die Frage nach einem Wissen der Künste? Inwiefern ist die Frage größer, als was wir in den letzten neun Jahren überhaupt erforschen konnten?
KATHRIN BUSCH: Vielleicht könnte man drei Genealogien für ein Wissen der Künste nennen. Erstens gibt es innerhalb der Künste selbst die Tendenz, immer stärker Wissen einzubeziehen und sich auf Theorien zu stützen. Die postkonzeptuelle Kunst thematisiert nicht nur innerkünstlerische Fragen, sondern arbeitet mit Theorien und produziert ein Wissen über Dinge von gesellschaftlichem Belang. Die zweite Genealogie ist eine Rationalitätskritik, die ausgehend von Nietzsche im 20. Jahrhundert etwa in der Kritischen Theorie oder französischen Philosophie eine dem Wissen selbst innewohnende Gewalt problematisiert und nach neuen Poetiken des Wissens gefragt hat. Als dritten Faktor würde ich den Zuwachs an Wissen in der heutigen Gesellschaft ansprechen: Im „kognitiven Kapitalismus“ hat Wissen einen ökonomischen Wert und die Künste sind in diese Wissensproduktionen involviert.

BARBARA GRONAU: Welche methodischen Herausforderungen birgt die Frage nach einem Wissen der Künste für uns als Wissenschaftler*innen?
DENNIS POHL: Methodisch wird das Schreiben über die Künste insbesondere durch den Einbezug von Medien, Techniken, Apparaten und auch Normen verändert, die künstlerische Praktiken umgeben. Darin stehen nicht mehr Intentionen oder Ideen der Künstler*innen im Zentrum der Betrachtung, sondern das Wissen, welches in die Produktion der Werke einfließt oder aus ihnen resultiert. Für die Architektur bedeutet das zum Beispiel, einen Perspektivwechsel vorzunehmen, von einer Ideengeschichte hin zu einer Wissensgeschichte, die die Architektur in einem Macht-Wissens-Komplex situiert. Das erlaubt, ein kritisches Potenzial in den Künsten neu zu elaborieren, in denen Grundannahmen über die Bedeutungszusammenhänge von Wissen enttarnt werden können.

VERENA MELGAREJO WEINANDT: Ich möchte das „Neue“ hinterfragen. Es geht auch um einen Blick zurück: Wo und wann existierten bereits Praktiken oder Wissensformen zum Verhältnis von Kunst und Theorie?
KATHRIN PETERS: Auch in den Wissenschaften hat längst ein Selbstreflexionsprozess eingesetzt. Zum Beispiel mit der Frage, wie sich das Schreiben zu dem, was Wissen oder Erkenntnis heißen könnte, verhält. Die Wissenschaftsforschung hat beispielsweise klargestellt, dass man es im Labor nicht nur mit menschlichen Akteur*innen zu tun hat, sondern auch mit Medien und Materialitäten, außerdem mit Irrtümern, mit Herumprobieren. Gerade in Wissensformen, deren Evidenz als unhinterfragbar gilt, schreiben materielle und ästhetische Aspekte mit. Es gibt ja nicht nur die Wissenschaft, sondern Wissenschaften, und auch die Künste sind in sich sehr different. Insofern ist es wichtig, die Querverbindung zwischen kritischen Wissenschaften und kritischen Künsten herzustellen.

BARBARA GRONAU: Wir hatten sehr viele Forschungsprojekte, die transdisziplinär gearbeitet haben, sich also selbst zur Aufgabe machten, die Methoden des eigenen Faches zu befragen oder zu erweitern und die künstlerische Praxis in die eigene wissenschaftliche Methodik hereinzuholen.

VERENA MELGAREJO WEINANDT: Es könnte helfen, den Begriff der epistemischen Gewalt hineinzubringen, weil es ja immer um die Verfahren von Wissensproduktion geht: Wie wird Wissen hergestellt? Für unser Kolleg war zum Beispiel eine feministische Kritik wichtig: Hinter einer normalisierten, hegemonialen Form von Wissensproduktion kann sich eine patriarchale Struktur verstecken und erhalten, indem sie universelle Annahmen postuliert, dabei aber den eigenen Standpunkt unsichtbar lässt. Eine Gewaltebene, mit der ich mich viel auseinandersetze, betrifft das Wissen von indigenen Communitys, das kolonial angeeignet wird, ohne die Urheber*innenschaft sichtbar zu machen. Wissen von indigenen Menschen fließt zwar in akademische Kontexte ein, gleichzeitig verbessern sich deren Realitäten überhaupt nicht. Wissenschaft hatte einen Anteil daran, das Wissen von indigenen Menschen kategorisch zu delegitimieren, wie zum Beispiel spirituelles oder körperliches Wissen, das rationalen Wissenskonzepten untergeordnet wird. Es ist essenziell, die Pluralität von Wissen hervorzuheben.

KATHRIN PETERS: Bei Donna Haraway, auf deren Konzept der situated knowledges wir uns viel bezogen haben, gibt es eine Passage, in der sie schreibt: Wir sollten nicht meinen, dass, sobald wir als Wissenschaftler*innen eine Perspektive ‚von unten‘ einnehmen, bereits auf der ‚richtigen‘ Seite stehen würden. Sind die Künste immer schon mit einer Position der Kritik verbunden oder gibt es nicht vielmehr auch künstlerische und ästhetische Praktiken, die Machtzusammenhänge herstellen?
BARBARA GRONAU: Natürlich gibt es auch im 21. Jahrhundert immer noch hegemoniale Formen von Ästhetik. Auch die jüngeren Diskussionen um Machtmissbrauch in den Stadttheatern zeigt ja, dass auch sechzig Jahre nach der Reformierung der Institutionen gewaltsame Praktiken existieren, die sich fortschreiben und diesen Strukturen inhärent sind.

KATHRIN BUSCH: Zu fragen ist auch: Wie werde ich durch Ansprüche anderer situiert und wie antworte ich auf diese Ansprüche? Dies betrifft den epistemischen Stellenwert von Verletzlichkeit. Künstlerische Wissensproduktion steht immer in ethischen und politischen Kontexten, sodass entscheidend ist, welches Wissen wir bilden und in welcher Form.

BARBARA GRONAU: Ich könnte nicht sagen, dass das Ende des Graduiertenkollegs bedeutet, dass hier Dinge zur Ruhe oder zur Abklärung gekommen sind. Ich würde eher sagen, die Unruhe ist so groß geworden, dass sie noch für die nächsten Jahre reicht. Es sind eher mehr Fragen im Raum als Antworten, die etwas erledigt haben. Im Zurückblicken stecken schon Fragen der Zukunft und für die Zukunft.

KATHRIN PETERS: Ja, es ist etwas entstanden und etwas verloren gegangen. Das „das“ aus „das Wissen der Künste“ haben wir verloren und wir verlieren letztlich auch den Begriff des Wissens …

BARBARA GRONAU: … ja, vielleicht ersetzen wir den …

KATHRIN PETERS: … jedenfalls können wir ihn nicht mehr aussprechen, ohne Wissenskritik, Rationalitätskritik im selben Atemzug zu nennen, ohne über das Nicht-Wissen, das Unwissen, die Ignoranz zu sprechen. Ich würde das als Forschungsertrag beschreiben wollen.

BARBARA GRONAU: Das klingt gut!

Zu den Personen:

Kathrin Busch ist Professorin an der Fakultät Gestaltung der UdK Berlin. Seit 2015 Teil des Leitungsteams des Graduiertenkollegs.
Barbara Gronau ist Professorin für Theorie und Geschichte des Theaters an UdK Berlin. Sie leitet seit 2014 das Graduiertenkolleg als Sprecherin.
Kathrin Peters ist Professorin für Geschichte und Theorie der visuellen Kultur an der UdK Berlin. Seit 2015 stellvertretende Sprecherin des Graduiertenkollegs.
Dennis Pohl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Delft. Zwischen 2015 und 2018 forschte er am Graduiertenkolleg zum Thema „Architektur im europäischen Regieren“.
Verena Melgarejo Weinandt ist Künstlerin, Kuratorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Graduiertenkolleg, wo sie zu dekolonialen Praktiken bei Gloria Anzaldúa promoviert.

Die Langfassung des Gesprächs ist online zu hören und lesen unter https://wissenderkuenste.de/texte/10-2/

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