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Gartenbauingenieur Olaf Schnelle baut im mecklenburgischen Dorf Dorow seltene Kräuterarten und Gemüsesorten an.

© Bernd Matthies

Gourmetgärtner Olaf Schnelle: Der Mann fürs Eingemachte

Gartenbauingenieur Olaf Schnelle machte vor 20 Jahren ungewöhnliche Wildkräuter populär. Nach dem Scheitern eines Investorenprojekts begann er 2014 von vorn – und leistet nun mit frischen und fermentierten Gemüsen wieder Pionierarbeit.

Wir müssen uns Olaf Schnelle als einen glücklichen Menschen vorstellen. Er hat allerhand hinter sich, hat eine Firma und deren populären Namen verloren, was nicht ohne seelische Belastungen blieb. Aber wenn der gebürtige Thüringer jetzt braungebrannt vor seinem Haus sitzt, weit draußen, irgendwo dort, wo sich Mecklenburg und Vorpommern gute Nacht sagen, dann erweckt er den Eindruck, angekommen zu sein.

Praktisch alle neugierigen deutschen Köche kennen Schnelle aus der Zeit, als er mit seinem Geschäftspartner, dem Koch Ralf Hiener, ein wild bewuchertes Areal in Boltenhagen bewirtschaftete und die dort geernteten Pflanzen durch die ganze Republik schickte. „Essbare Landschaften“ hieß das Projekt, und es brachte den Begriff „Wildkräutersalat“ rasch auf jede bessere Speisekarte. Es lief mal so und mal so, der Einstieg auf den „Landwerthof Stahlbrode“ funktionierte nicht, und die hoffnungsfroh begonnene Zusammenarbeit mit einem erfolgreichen Investor brachte schließlich das Ende: „Wir haben da wie die Karnickel vor der großen Unternehmerschlange gestanden und zugesehen, wie die Dinge aus dem Ruder liefen.“ Dabei ging schließlich die Firma mitsamt Namen verloren, „Essbare Landschaften“ ist seitdem vorwiegend ein Internet-Fleischhandel.

Schnelle brachte den Wildkräutersalat auf jede bessere Speisekarte

Doch Schnelle rappelte sich auf und fand für das, was er fortan tun wollte, einen genauso plakativen Namen: „Schnelles Grünzeug“. Der Doppelsinn ist gewollt. Natürlich geht es den Spitzenköchen, die seine Kunden sind, um Frische, die sich nur mit schnellem Handeln von der Ernte bis zum Gast halten lässt. Aber fast noch wichtiger ist für diese Köche, dass sie einen Erzeuger haben, der persönlich für seine Produkte einsteht, der Sorten und Erntezeitpunkt nach ihren Wünschen steuert und fachlich in der Lage ist, selbst neue Produkte zu finden. Ein Vorbild ist in Dänemark zu finden: Dort, hundert Kilometer östlich von Kopenhagen lebt der Landwirt Søren Wiuff, dessen Produkte und Ideen das dänische Küchenwunder maßgeblich vorangetrieben haben.

Von den Überschüssen der Ernte wird fast alles eingemacht. Dabei experimentiert Olaf Schnelle mit verschiedenen Methoden der Fermentation.
Von den Überschüssen der Ernte wird fast alles eingemacht. Dabei experimentiert Olaf Schnelle mit verschiedenen Methoden der Fermentation.

© Bernd Matthies

Schnelle, Jahrgang 1965, ist zum Thema, wie er selbst sagt, schon als Kind gekommen, und zwar aus Angst. Die Konfrontation der Supermächte eskaliert in der Raketendebatte der Achtziger, und er fand es richtig, sich notfalls autark ernähren zu können. Dann sah er im West-Fernsehen den Abenteurer Rüdiger Nehberg, der die Alpen überquerte und nur aß, was rechts und links am Wegesrand wuchs – und die Sache war klar. Schnelle wanderte in Erfurt los, brach im Harz hungrig ab, fuhr mit der Bahn in Richtung Ostsee und beschloss, das Thema noch mal in aller Ruhe anzupacken. Er lernte Gärtner, ging dann nach Berlin zur Humboldt-Uni, wo ihm die Wende ein neues Literatur-Universum eröffnete. „Ich habe damals die komplette mitteleuropäische Flora analysiert“, sagt er, „um herauszufinden, wofür man die Pflanzen gebrauchen kann“.

Auch Berliner Spitzenköche gehören zu seinen Kunden

Als fertiger Diplomingenieur für Gartenbau versuchte er sich mangels Arbeitgeber mit Pflanzenkläranlagen, kam damit aber ein halbes Jahrzehnt zu früh, und grub schließlich – 20 Jahre ist es her – die Sache mit den Wildkräutern wieder aus, die dann später in der Partnerschaft mit Ralf Hiener ab 2000 Fahrt aufnahm. Wilde Rauke, Giersch und Gundermann traten aus der Unkraut-Ecke heraus und zeigten ihre kulinarischen Qualitäten in Profiküchen von Rügen bis Basel.

Das war damals. „Schnelles Grünzeug“ heute liefert aber vor allem Gemüse, und auch die Kräuter stammen aus regulärem Anbau auf einem recht kleinen Feld. Die neue Regionalküche funktioniert nur über höchste Produktqualität, und so ist es selbstverständlich, dass Köche wie Micha Schäfer vom „Nobelhart & Schmutzig“ nur mit Erzeugern zusammenarbeiten, die sie persönlich kennen, und die sie auf der Menükarte auch namentlich nennen. Die Stammkunden, die treu geblieben waren, machten die Wende zum Gemüse erfreut mit, und so gelang es Schnelle, auch die Kundenbeziehung umzukrempeln: Mehr als 20, durchweg Profis, braucht er nicht, die hat er, und damit kommt er über die Runden.

Das Feld, das Olaf Schnelle beackert, ist klein. Dafür sind seine Gemüse und Kräuter von höchster Qualität. Das wissen seine Kunden, darunter auch Berliner Spitzenköche, zu schätzen.
Das Feld, das Olaf Schnelle beackert, ist klein. Dafür sind seine Gemüse und Kräuter von höchster Qualität. Das wissen seine Kunden, darunter auch Berliner Spitzenköche, zu schätzen.

© Bernd Matthies

Olaf Schnelle ist weit entfernt vom Klischee des Bio-Gärtners. Eine Bio-Zertifizierung strebt er nicht an, zumal seine Kunden nicht auf Etiketten, sondern auf schmeckbare Qualität achten. Und er hat Spaß an ungewöhnlichen Geräten, die aus ganz anderen Sphären kommen: Aus den USA hat er einen Präzisions-Aussaatroller einfliegen lassen, den er nun mit sichtbarer Freude über den Boden schiebt. Maschineneinsatz ist in dieser Größenordnung nur ab und zu nötig, das drückt die Kosten. Aber es kommt ihm vor allem auf die ungewöhnlichen Gemüsesorten an; Hybride, die auf maximalen Ertrag getrimmt sind, braucht er nicht. So gibt es bei ihm beispielsweise roten Rosenkohl, Zucchini der alten Sorte „Costata romanesco“, Beten in allen möglichen Farben, Erbsen, dicke Bohnen, Franzosenkraut, Wiesenkerbel...

Für die Fermentation hat er eine eigene Manufaktur eingerichtet

In dieser Art Anbau gibt es immer Reste, die auf dem Acker bleiben. Deshalb wagte Schnelle den nächsten Sprung zur Verwertung und befasste sich mit der Fermentation, der milchsauren Vergärung, die vermutlich die älteste Methode der Haltbarmachung ist, beim Sauerkraut allgemein bekannt. Viele neo-regionale Köche experimentieren selbst damit, aber Schnelle packte die Sache richtig an und begann 2015 damit, praktisch alle Überschüsse einzumachen. Seit 2017 hat er dafür ein eigenes Manufaktur-Gebäude; vor einigen Monaten wurde er mit dem Bundespreis „Zu gut für die Tonne“ ausgezeichnet. Und, vor allem: Diese Produkte kann er über seinen Webshop (shop.schnelles-gruenzeug.de) auch Endverbrauchern anbieten. Gegenwärtig gibt es zum Beispiel Weißkraut mit Küstentanne, Purpurbete mit Johannisbeerholz oder Karotte mit Holunderblüten, je nach Jahreszeiten und Ernteüberschüssen. Im Moment experimentiert er beispielsweise mit grünen Walnüssen, die nicht wie sonst üblich schwarz und süß werden – eine ganz neue Geschichte. Es sieht so aus, als werde Schnelles eigentliche Erfolgsgeschichte erst in den kommenden 20 Jahren geschrieben.

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