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Harald Martenstein.

© Harald C. Bertelsmann

Martensteins Kolumne: Wir Eltern sind moderne Heilige, oder?

Kinder großzuziehen, das ist kein Tauschgeschäft. Man bekommt dafür kein Dankeschön. Man tut es, und fertig

Wenn ein Kind kommt, müssen die Eltern schon Heilige sein oder gute Verdränger, um nicht manchmal mit Wehmut an ihr verflossenes Leben zu denken. All die schönen Abende im Kino oder im Theater, die Restaurants, Partys, die Sexualität - wie unkompliziert und abwechslungsreich das Leben doch einmal gewesen ist. Gewiss, das Kind ist schon süß. Meistens schläft es ja, außer vielleicht, wenn man zufällig selber schlafen möchte. Es schläft, es will Nahrung, und es macht die Windeln voll. Kann es etwas Erfüllenderes geben? Ich fürchte, ja. Den Schlaf eines Babys zu bewachen ist fesselnd wie ein Kriminalroman, den Hunger eines Babys wieder und wieder zu stillen ist abwechslungsreicher als ein WM-Finale, das bezaubernde Popöchen mit einem feuchten Tuch abzuwischen ist pure Lebensfreude. Oder? Doch, ja, etwas noch Erfüllenderes wäre theoretisch durchaus denkbar.

Lohnt sich das? Ist es die Mühe wert? Eines Tages wird das Kind groß sein, es wird viel Geld und Mühe gekostet haben bis dahin, es wird prächtig dastehen, das groß gewordene Kind, und es wird den Eltern womöglich Vorwürfe machen, zu Recht sehr wahrscheinlich. Irgendeinen Fehler wird man schon gemacht haben bei der Erziehung, zu hart, zu weich, overprotecting oder desinteressiert - offen ist nur, welcher Fehler es im Einzelnen gewesen sein wird.

Vielleicht läuft auch alles harmonisch. Das heißt: Das Kind liebt die Eltern, aber es interessiert sich nicht sonderlich für sie. Es macht sein eigenes Ding, das ist sein gutes Recht. Manchmal wird das Kind anrufen. Das wird es ganz sicher tun. Pro 100 Mal Windeln wechseln und für jeweils 50 schlaflose Nächte oder 30 Filme, die man gerne im Kino gesehen hätte, wird das Kind später je ein Mal anrufen, zum Beispiel an Weihnachten.

So darf man nicht denken. Es ist kein Tauschgeschäft. Es ist auch nicht gerecht. Eltern zu werden, ist anders als alles andere, was in der Gesellschaft sonst so läuft. Es gibt kein bisschen Verteilungsgerechtigkeit, keinen Lastenausgleich, keinen Solidaritätsbeitrag und kein Dankeschön-Pickerl. Man tut es, und fertig. Es ist oft schön, aber nicht immer.

Manchmal schauen die jungen Eltern in den Spiegel, ein bisschen müde und verhärmt sehen sie aus, das Babyphon piept, und denken womöglich: »Irgendwie sind wir moderne Heilige, oder?« Aber das darfst du natürlich nicht laut sagen.

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