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5350 Patienten werden täglich in den neun Vivantes-Häusern in Berlin mit Essen versorgt.

© Thilo Rückeis

Klinikalltag: Warme Mahlzeit

Ab einer gewissen Menge ist das Essen der Patienten vor allem eine Frage der Logistik. Der Weg der Speisen von der Klinikküche bis zum Krankenbett.

Von Heike Gläser

Küchenchef Peter Lück freut sich, wenn es den 350 Patienten schmeckt. Der Koch ist verantwortlich für die Speiseversorgung im katholischen Alexianer Krankenhaus Hedwigshöhe. Täglich sorgt Lück dafür, dass rund 650 Mitarbeiter, Senioren und Patienten ein warmes Essen bekommen - wahlweise ein Vollwertgericht, leichte Kost oder ein vegetarisches Essen. Dafür wirbeln in der Küche im Keller des Krankenhauses 18 Mitarbeiter unter der Leitung des Chefs.

Die Gerichte werden in der Küche in große Gastronomiebehälter gefüllt, auf einen Wärmewagen gepackt und auf die Station gefahren. Dort geben sogenannte Verpflegungsassistenten, zuweilen auch Pflegekräfte, das Essen in individuellen Mengen an die Kranken aus. „Ich finde es persönlicher“, sagt Peter Lück, „wenn die Patienten selbst wählen können, ob sie eine Kartoffel mehr oder weniger möchten.“ Eine gute halbe Stunde bleibt das Essen auf dem „rollenden Buffet“ warm, bei normalem Stationsbetrieb und in dieser Größenordnung ausreichend Zeit, um alle gut zu versorgen.

„Wir versuchen, weitgehend auf Fertigprodukte zu verzichten“, sagt Lück. „Aber für 500 Leute selbst Kohlrouladen zu wickeln, das macht keinen Sinn.“ Er muss hart kalkulieren. Bei einem Wareneinsatz von 4,40 Euro pro Patient und Tag sind die Spielräume gering. „Wir benutzen keine Waren aus biologisch-dynamischem Landbau“, sagt Lück, das sei zu teuer. Doch er ist immer darum bemüht, dass es besser schmeckt: „Auch wenn man es nie allen recht machen kann.“ In ganz anderen Dimensionen denkt und plant Susanne Buchheim. Sie ist Chefin der Speiseversorgung und -logistik GmbH (SVL), einer hundertprozentigen Tochter des berlineigenen Klinikkonzerns Vivantes. Rund 8500 bis 9000 Patienten, Mitarbeiter und Senioren werden täglich von der SVL versorgt. Die Gerichte, darunter 5350 Patientenessen, werden in zwei Verteilzentren in Neukölln und Reinickendorf produziert. Von Kochen kann hier nicht die Rede sein. Am Standort Reinickendorf arbeiten 130 Mitarbeiter nach dem Verfahren „Cook & Chill“. Fertige Produkte, die zuvor in externen Großküchen vorgegart und in Groß-Paketen angeliefert wurden, werden hier kalt portioniert. Die Mitarbeiter stellen je nach Patientenwunsch die Tabletts zusammen und schichten sie in spezielle Verteilwagen. Dann wird das Essen transportiert und vor Ort „regeneriert“, also mit Heißluft erhitzt, um sie dann auf den Stationen an die Patienten zu verteilen. In den Kühlräumen der SVL stapeln sich diese sogenannten High-Convenience- Produkte in großen Paketen: geschälte, vorgekochte Kartoffeln in großen Plastiksäcken, in Plastik eingeschweißte fertige Linseneintöpfe, Brokkoli, Möhren, Bratenfleisch, Wurstwaren, Käse sowie stapelweise Paletten mit Joghurtbechern. Alles, was sich auf dem Speiseplan findet, wird gekühlt oder - wie Fisch - gefroren gelagert.

Eine Armada von Hilfskräften steht in großen, kalten Hallen an Fließbändern und bestückt die Tabletts mit den entsprechenden Speisen, die der Patient am Vortag mittels eines elektronischen Bestellsystems gewählt hat. Anschließend decken sie die fertig bestückten Tabletts zu und schieben sie in den Wagen, dessen Innenleben zweigeteilt ist: eine kalte und eine warme Seite, getrennt durch eine Wand. Das Tablett wird so platziert, dass die „regenerierende“ Heißluft das Dessert und Besteck auf der kalten Seite nicht erreicht, sondern lediglich die Seite mit dem Mittagessenteller.

Zunächst aber werden die Verteilwagen in einer separaten Halle angeschlossen, um auf weniger als zehn Grad gekühlt zu werden - entsprechend den Hygienevorschriften. Insgesamt sind 900 Wagen für 300 Stationen im Einsatz.

Kommen die Tabletttransporter im jeweiligen Krankenhaus an, wird der Wagen an die dortige Andockstation angeschlossen und die eine Hälfte mittels Computersteuerung 42 Minuten lang mit Heißluft auf eine Kerntemperatur von 68 Grad Celsius erhitzt, eben „regeneriert“. Die Patienten haben sich zuvor anhand eines Speiseplans und an drei der neun Vivantes-Standorten anhand einer „Komponentenkarte“ ihr gewünschtes Gericht zusammengestellt. Das Wort Komponentenkarte mag nicht appetitlich klingen, bietet aber durchaus eine Verbesserung gegenüber den herkömmlichen zentral zusammengestellten „Speisekarten“. 15 verschiedene Fleischsorten, Fisch, Ragouts, Süßspeisen wie etwa Milchreis, Germknödel und Vegetarisches sowie verschiedenes Gemüse und eine Anzahl von Beilagen können die Patienten nach individuellem Wunsch aus den Komponenten zusammenstellen. Ziel ist dabei, die Zufriedenheit bei den Patienten zu steigern. In den übrigen sechs Häusern wählen die Patienten am Vortag eines von drei vorgegebenen Gerichten aus.

Der Wareneinsatz liegt bei Vivantes mit 4 Euro leicht unter dem des Alexianer Krankenhauses Hedwigshöhe. Das liegt daran, dass die SVL aufgrund der großen Mengen im Einkauf ganz andere Preise erzielen kann als Küchenchef Peter Lück. Die SVL kauft alle Produkte über mehrere Firmen ein.

Eine ähnliche Größenordnung hat die Speiseversorgung in der Charité, und auch hier wird nach dem „Cook & Chill“ Verfahren gearbeitet. Am Standort Campus Benjamin-Franklin wird in großen Dimensionen für die drei Charité-Standorte Benjamin Franklin, Mitte und Virchow-Klinikum gekocht. Anschließend wird das Essen heruntergekühlt und am nächsten Morgen kalt portioniert. Durch das „Cook & Chill“-Verfahren dürfen die Mahlzeiten mit der richtigen Kühlung bis zu 72 Stunden gelagert werden.

Verantwortlich für die Patientenversorgung ist die Charité Facility Management GmbH (CFM), ein gemeinsames Tochterunternehmen der Charité und privater Partner.

In der Großküche im Untergeschoss des Benjamin Franklin Klinikums werden täglich gut 3000 Mittagessen für die Patienten und 800 Essen für die Mensen und Cafeterien zubereitet. Um fünf Uhr morgens werden die Ragouts und Eintöpfe angesetzt, in riesigen 300-Liter-Kesseln. Auch alles ist überdimensioniert: Der Pürierstab hat die Größe eines Presslufthammers. Die Kartoffeln werden dampfgegart, damit die Nährstoffe erhalten bleiben. Ab sechs Uhr laufen in der Großküche die Fließbänder, um die drei zur Auswahl stehenden Gerichte (Vollwertkost, Leichte Kost und vegetarisches Gericht) auf den Tabletts zu portionieren, fachsprachlich Tablettierung genannt. Dann werden die Gerichte in den Verteilwagen für 60 Minuten erhitzt, damit das Essen warm auf den Stationen ankommt. Auch hier verfügen die Verteilwagen über Kontaktwärme-Bereiche und aktive Kühlung, damit zu erhitzenden Gerichte jeweils auf der einen über 68 Grad warm bleiben und auf der anderen die Desserts und Salate unter zehn Grad bleiben, wie es die Hygienevorschriften verlangen - dank der thermischen Wand, die den Wagen in zwei Bereiche teilt.

Der Anteil an Schon- und Diätkost ist bei der Charité mit 25 bis 30 Prozent vergleichsweise hoch. Entsprechend umfangreich ist das Angebot an flüssiger, keimarmer, eiweißdefinierter oder natriumarmer Kost. In den Häusern der Universitätsklinik wird mit einem Wareneinsatz von 4 Euro pro Patient pro Tag kalkuliert. Was die einzelnen Gerichte konkret kosten, hüten die Verantwortlichen jedoch wie ein Staatsgeheimnis - wie bei den anderen Kliniken auch. Die Konkurrenz soll nicht erfahren, welche Einzelpreise man aushandeln konnte.

„Im Juni 2010 haben wir die normale Patientenversorgung auf ein neues Charité-Menü umgestellt“, sagt Matthias Klingenstein, Leiter des Teilbereichs Infrastrukturelles Facility Management (IFM). „Das Charité-Menü wird allen Patientinnen und Patienten empfohlen, die sich nicht aus medizinischen Gründen an bestimmte Ernährungsvorschriften halten müssen.“ Das Vollwertgericht orientiere sich an der klassischen Hausmannskost. Da gibt es dann Deftiges wie Schweinenackensteak oder Szegediner Gulasch.

Die Charité als Universitätsklinikum nutzt darüber hinaus ihre Kompetenz in Bezug auf die ernährungsmedizinische Forschung. Dazu wurde ein Ernährungsnetzwerk ins Leben gerufen, bestehend aus Diätassistentinnen und Ernährungswissenschaftlern.

Zwischen den Riesenlogistik-Betrieben Vivantes und Charité und den überschaubareren „Kiezkrankenhäusern“ wie dem Krankenhaus Hedwigshöhe ordnen sich die drei Standorte der DRK Klinken Berlin ein. Hier werden am Tag rund 1100 Mittagessen produziert. Seit achteinhalb Jahren ist die Procuratio GmbH für die Patientenversorgung der DRK Kliniken zuständig.

In der Küche in den DRK Kliniken Berlin-Westend startet um 6.15 Uhr die Arbeit. Durch diese werden neben den rund 500 Patienten am Standort Westend auch die rund 220 Patienten in Mitte versorgt. Hier arbeitet man vor allem mit Speisen von externen Lieferanten, die nach dem „Sous-Vide“ Verfahren produziert werden. „Sous-Vide“ kommt aus dem französischen und bedeutet „im Vakuum“, das heißt die Produkte werden in Beutel gefüllt, vakuumiert und anschließend gegart. Nach einem „Sous-Vide“-Verfahren müssen die Speisen innerhalb von 90 Minuten auf etwa zwei Grad runtergekühlt werden und können vakuumverpackt und gekühlt bis zu 14 Tage gelagert werden. Darüber hinaus arbeitet die Küche im Westend zusätzlich mit dem „Cook & Chill“-Verfahren, bei dem die Mahlzeiten selbst gekocht und anschließend heruntergekühlt werden. Zum Beispiel Soßen und Dressings sowie Eintöpfe und Pasta werden in der Regel selbst zubereitet, „vor allem um in diesen Bereichen die Qualität zu gewährleisten“, sagt Frank Lehmann, Betriebsleiter der Procuratio GmbH.

Den durchschnittlichen Wareneinsatz pro Patient pro Tag möchten die Verantwortlichen der DRK Klinken Berlin nicht preisgeben. Aufgrund einer aktuellen Ausschreibung sei es wettbewerbsrechtlich nicht zulässig, eine solche Zahl zu veröffentlichen.

Die fertigen Speisen werden in den Verteilwagen bei rund zwei Grad Celsius gekühlt. Jede Station kann über diesen Wagen definieren, wann hier gegessen wird. Die automatisierten Wagen beginnen dann 75 Minuten vor der gewünschten Essenszeit mit der Regenerierung der Mahlzeiten. Währenddessen werden auch die noch leeren Teller in einem zusätzlichen Wagen erwärmt, damit sich die Speisen beim Auffüllen nicht sofort abkühlen. Denn in Westend und Mitte gibt es ein „Schöpfsystem“, das heißt die Tabletts werden erst vor den Augen des Patienten portioniert. „Das hat auch den Vorteil, dass jeder aussuchen kann, was und wie viel er isst“, sagt Lehmann. Zwar wählen die Patienten bis 8:30 Uhr am Vortag ihr Gericht, jedoch sei durch die Schöpfsysteme eine individuelle Wahl möglich. Der Patient dürfe bestimmen, wie viel er isst und fast immer Beilagen tauschen oder sich sogar kurzfristig ganz umentscheiden.

Ein bisschen anders läuft es für Mütter und werdende Mütter. Die Patientinnen der Frauenklinik in Berlin-Westend speisen nicht in ihren Zimmern. In einem kleinen Raum mit Tischen und Stühlen herrscht morgens und abends Selbstbedienung. Auf Wunsch können auch die Angehörigen mitessen, der Preis liegt bei etwa sechs Euro.

In den DRK Kliniken Berlin-Köpenick wird für die rund 380 Patienten frisch gekocht. Mit Hilfe eines Bandsystems erstellen die Mitarbeiter die Tabletts nach Wunsch der Patienten. Anschließend werden sie mithilfe eines Kontaktsystems warm gehalten und auf den Stationen ausgeteilt.

Krankheiten und Behandlungen

Die Redaktion des Magazins "Tagesspiegel Kliniken Berlin 2016" hat die Berliner Kliniken verglichen. Dazu wurden die Behandlungszahlen, die Krankenhausempfehlungen der ambulanten Ärzte und die Patientenzufriedenheit in übersichtlichen Tabellen zusammengestellt, um den Patienten die Klinikwahl zu erleichtern. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel Shop.

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