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Gesundheit: „Gene sind ungerecht“

Heute vor 50 Jahren veröffentlichten James Watson und Francis Crick ihre revolutionäre Entdeckung: die Struktur unseres Erbguts

Noch nie hat die Öffentlichkeit den Jahrestag einer wissenschaftlichen Entdeckung so gefeiert wie die Entdeckung der Doppelhelix. Wie erklären Sie sich das?

Diese Entdeckung hat eine fundamentale Revolution in Gang gesetzt – wie zuletzt nur Darwins Evolutionstheorie. Sicher, Niels Bohrs Atommodell hat auch die Welt verändert. Aber die Doppelhelix hat die Art und Weise verändert, wie Menschen sich selbst sehen. Es betrifft die Fundamente unseres Lebens. Die DNSStruktur liegt uns näher als ein Elementarteilchen.

Glauben Sie, dass die Entdeckung ebenso zur Legende geworden wäre, wenn Sie nicht daran beteiligt gewesen wären? Schließlich haben Sie in dem Bestseller „Die Doppelhelix“ die Geschichte zum Mythos veredelt.

Das glaube ich nicht. Der Versuch, das Leben in seinen Grundbausteinen zu verstehen, wäre in jedem Falle ein epochales Ereignis gewesen – mit oder ohne Watson. Francis Crick und ich hatten außerdem auch viel Glück. Wären es nicht wir gewesen, hätte jemand anderer die Lösung innerhalb eines Jahres gefunden. Wir hatten Zugriff auf die röntgenkristallographischen Aufnahmen der DNS, die wir mit unseren Modellen richtig deuteten. Jemand anderer hätte sie sehen können und mit der richtigen Einsicht – und peng! – wäre die Sensation da gewesen.

Es gab eine große Debatte um die 1958 verstorbene Biophysikerin Rosalind Franklin, die Sie in ihrem Entdeckungsbericht wenig schmeichelhaft beschreiben. Ohne ihre Aufnahmen des Erbguts hätten Sie Ihr Spiralmodell gar nicht bauen können.

Franklins Bilder waren immens wichtig für unsere Entdeckung. Aber es ging darum, die Daten mit Hilfe von Modellen richtig zu interpretieren. Die vorherrschende Ansicht war damals, man sollte die Antwort vornehmlich aus diesen Bildern gewinnen. Rosalind hat uns übrigens nie um Rat gefragt – sie war so intelligent, dass sie glaubte, es nicht nötig zu haben. Aber man hat Probleme, wenn man die klügste Person im Raum ist. Wir haben uns dagegen einige Mal an sie gewandt.

In ihrem neuen Buch „Gene, Girls und Gamow“ beschreiben sie die Zeit nach Ihrem Fund. Dabei geht es vor allem um ihre Suche nach einer Frau. Warum das?

Es ist ja ein sehr wichtiger Teil im Leben fast jedes Mannes – und ich brauchte fünfzehn Jahre, bis ich meine Frau gefunden habe. Außerdem denken Männer fast immer an Frauen. Es gibt zwei Sorten: Jene, die 90 Prozent ihrer Zeit an sie denken und jene, die das 99 Prozent tun.

Bleibt da genügend Zeit für Wissenschaft?

Sicher. Männer betreiben Wissenschaft ja auch, um Frauen zu beeindrucken. Doch es war recht komisch, dass ich schon mit 25 Jahren berühmt war, aber keine Frau hatte. Niemand hat mich zu Parties eingeladen. Eine langjährige Freundin hat mir damals vorgeworfen, ich sei zu anstrengend.

Sie provozieren ja bekanntlich auch sehr gern.

Das ist ein Missverständnis, die Leute scheuen nur die Wahrheit. Ständig wird erwartet, dass man nirgends aneckt. Man soll sagen: „alle Religionen sind gleich gut“, aber ich glaube eben, einige sind schlimmer als andere. Auch darf man nicht sagen, dass dicke Menschen mit ihrem Leben zufriedener sind – und ich deswegen dünne, unzufriedene Leute in meinem Labor anstelle.

Wie sehen Sie die Fortschritte, die seit Ihrer Entdeckung gemacht wurden?

Sie sind jetzt schon imposant, aber sie werden in Zukunft noch beeindruckender sein. Deswegen wäre es vielleicht besser gewesen, erst den 60. Geburtstag der Doppelhelix groß zu feiern, weil die Erfolge der Genetik dann noch deutlicher sein werden. Wir werden wissen, warum manche Menschen groß, manche klein sind. Und warum Ihre Nase so aussieht wie Ihre – und meine wie meine.

Aber der Kampf gegen den Krebs ist ja immer noch nicht gewonnen.

Ich habe auch noch nie geglaubt, dass das so schnell gehen würde. Anfang der 70er Jahre dachten viele Forscher, dass wäre innerhalb von zehn Jahren erledigt. 1972 hielt ich einen Vortrag, in dem ich sagte, dass es mindestens 30 Jahre dauert. Auch ich hatte da unrecht – jetzt braucht es eben 50 Jahre. Aber ganz bestimmt nicht 100. Ich setze große Hoffnung auf die Arbeit des Harvard-Krebsforschers Judah Folkman, der die Blutzufuhr der Tumore abschnüren will.

1989 wurden sie erster Direktor des Humangenom-Projekts, das die Blaupause des menschlichen Erbguts erstellen sollte. Damals haben Sie von Anfang an auch Geld für die ethische Reflexion der Genetik bereitgestellt.

Das war eine kluge Entscheidung, da es durch Hitler und die Eugenik in den Staaten große Ängste vor der neuen Technologie gibt. Aber nicht genetisches Wissen schafft Ungleichheit, sondern Gene selbst. Wer an Mukoviszidose oder der Huntington-Krankheit leidet, die beide durch genetische Defekte verursacht werden, der leidet fürchterlich. Es gibt genetische Ungerechtigkeit.

Aber genetische Informationen lassen sich doch auch misssbrauchen. Was soll eine schwangere Frau tun, wenn man ihr sagt, ihr künftiges Kind werde wahrscheinlich an Schizophrenie erkranken?

Jegliche Information lässt sich missbrauchen. Autos und Glühbirnen lassen sich missbrauchen. Tatsache ist doch, dass wir das Erbgut erforschen, um Schizophrenie bekämpfen zu können. Es ist doch legitim, dass der Mensch sich verbessern will. Die Leute sagen auch, es wäre schrecklich, wenn alle Frauen plötzlich gut aussehend wären. Ich fände das prima.

Ach ja?

Warum nicht? Wir wollen auch besser malen, schneller laufen... all das machen wir. Warum sollte es unseren Kindern eines Tages nicht besser gehen? Das eigentliche ethische Problem besteht darin, diese Daten nicht zu nützen. Mein 33-jähriger Sohn leidet an einer Form von Autismus – wenn ihm Genforschung helfen kann, so ist das eine gute Sache.

Aber besteht nicht die Gefahr, dass Wissenschaftler Gott spielen wollen?

Wenn wir nicht Gott spielen, wer soll es dann tun? Menschen haben Götter erfunden, weil sie wissen wollten, wer ihr Schicksal kontrolliert – und wie es sich ändern lässt. Gene werden heute als diese Schicksalsmacht gesehen. Und so gesehen sind Wissenschaftler wie Gott. Denn sie sind die einzigen, die Wunder wirken können. Lahme lernen nicht durch Handauflegen wieder gehen, sondern durch Fortschritte in Wissenschaft, Technik und Medizin.

An der Karte des Humangenoms haben Hunderte von Wissenschaftlern mitgearbeitet. Kann man heute jenseits großer Forschungsteams noch etwas erreichen?

Sicher, es gibt genügend zu entdecken, in der Genetik und anderenorts. Etwa in der Bewusstseinsforschung. Wir wissen beispielsweise, wie die Mechanik des Gehirns funktioniert – aber wir verstehen sein Betriebssystem nicht. Als junger Forscher muss man in der Lage sein, seine Professoren anzuzweifeln und etwas anderes ausprobieren. Man muss Pionier sein, das Grenzland aufsuchen. Meist scheitert man da. Aber, wer weiß, man kann dort auch Gold finden. Und das gelingt einem nicht, wenn man zu Hause bleibt.

Das Gespräch führte Hubertus Breuer.

Literatur. James Watson: „Gene, Girls und Gamow. Erinnerungen eines Genies“, Piper Verlag, München 2003, 420 Seiten, 23, 90 Euro. James Watson: „Die Doppelhelix“, Rowohlt Taschenbuch Verlag 1997, 224 Seiten, 7,50 Euro.

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