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Gesundheit: Evas Perlen

In Südafrika haben Archäologen den bislang ältesten Schmuck der Menschheitsgeschichte gefunden

Richard Klein ist sich seiner Sache sicher. „In unserem Verhalten wurden wir Menschen erst sehr spät modern“, sagt der Anthropologe von der Stanford Universität in Kalifornien. Zwar entstand der anatomisch moderne Mensch schon vor etwa 130000 Jahren in Afrika. Aber erst mit der Besiedlung Europas vor 40000 Jahren begann er Schmuck und prächtige Höhlenmalereien zu fertigen – eine kulturelle Revolution.

So wie Klein dachte lange Zeit die Mehrzahl der Anthropologen. Doch dies wird nun durch neue Funde in Frage gestellt. Schmuck, als Zeichen für ein „modernes Verhalten“, gab es demnach schon viel früher. Schauplatz ist die Blombos-Höhle, die sich an Südafrikas Kap zum Indischen Ozean öffnet. Vor etwa 75000 Jahren bohrten unsere Vorfahren hier Löcher in die orange-schwarz schimmernden Schalen von Meeresschnecken, fädelten sie auf und schmückten sich damit. Das berichtet ein Team um Christopher Henshilwood von der Universität im norwegischen Bergen in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Science“.

75000 Jahre alt

41 Schneckenhäuser fanden die Forscher. Sie zeigen eine Abnutzung, wie sie sich durch Reibung gegen einen Faden, Kleidung und andere Schalen ergeben würde. Die erbsengroßen Gehäuse lagerten im Sediment in Gruppen, so als hätten sie zu mehreren Ketten gehört. Henshilwoods Fazit: Es handelt sich um von Menschenhand gefertigte Perlen. Es sind die ältesten, die Archäologen bislang gefunden und zugleich zuverlässig datiert haben. Henshilwood hat das Alter mit einem optischen Verfahren anhand der Sandkörner in der Fundschicht bestimmt.

Der älteste bis zu diesem Fund bekannte Schmuck – 13 Perlen aus Straußeneierschalen – stammt aus Kenia und wird auf ein Alter von nur 40000 Jahren geschätzt. Wirklich zahlreiche Funde hat man jedoch nur im Europa der letzten 35000 Jahre gemacht. Deshalb gilt vielen Forschern Europa als die Wiege der Kultur. Aber stimmt das wirklich? „Die Perlen aus der Blombos-Höhle zeigen jetzt, dass sich die Menschen schon in der Mittleren Steinzeit Afrikas, also vor 250000 bis 50000 Jahren, schmückten", sagt Curtis Marean von der Universität in Arizona.

Der Anthropologe hat kürzlich seine eigenen Funde auf der Tagung der Gesellschaft für Paläoanthropologie im kanadischen Montreal vorgestellt. In Tansania hat auch Marean zwei Perlen aus Straußeneierschalen gefunden. Genau datiert sind sie noch nicht, doch vermutlich sind sie einige Zehntausend Jahre alt, denn sie lagen zwischen Werkzeugen aus der Mittleren Steinzeit. Auch diese Perlen wurden offenbar von Menschen geschliffen. Das Volk der Khoi-San in Botswana verwendet die damalige Technik noch heute und nutzt die Perlen für den Handel. „Vielleicht haben auch die Steinzeitmenschen damit bezahlt“, spekuliert Marean.

Warum aber all die Aufregung um ein paar Perlen? „In menschlichen Gesellschaften haben Perlen viele symbolische Funktionen“, schreibt Henshilwood in „Science“. Und symbolisches Denken, da sind sich Forscher einig, ist das, was uns zu modernen Menschen macht. Es ist die Fähigkeit, unsere Erfahrung zu abstrakten geistigen Bildern zu verarbeiten und diese mit einer Bedeutung zu verbinden. Schneckengehäuse etwa werden zu Schmuck oder gar Zahlungsmitteln. Sie haben also Funktionen, die ihnen natürlicherweise nicht zukommen: Sie werden zu Symbolen. Erst dies ermöglicht uns geistige Flexibilität und Sprache.

Die Menschen in der Blombos-Höhle vor 75000 Jahren müssen deshalb wohl auch schon gesprochen haben, um die Bedeutung ihrer Perlen zu vermitteln, lautet Henshilwoods gewagte Folgerung in „Science“. Dies steht ganz im Gegensatz zur traditionellen Auffassung. Klein vermutet, dass sich Sprache erst vor 50000 Jahren in Afrika entwickelt hat. „Vermutlich war eine genetische Veränderung die Ursache, welche die Struktur unseres Hirns beeinflusste“, so Klein. Erst das symbolische Denken ermöglichte den Menschen dann nach Zehntausenden von Jahren in Afrika die Eroberung Asiens und Europas.

Ein Sprung in der Evolution?

Andere Forscher nehmen an, dass unser Gehirn schon viel früher so weit war. Das „moderne Verhalten“ hat sich demnach allmählich in Afrika vor 250000 bis vor 50000 Jahren entwickelt. „Es gibt keine Hinweise darauf, dass es einen Sprung in der Evolution unseres Verhaltens gegeben hat“, sagt die Anthropologin Alison Brooks von der Universität in Washington. Die Entstehung neuer Fähigkeiten in der Steinzeit sei die Folge einer kulturellen und nicht einer genetischen Evolution.

Die Genetik kann den Streit bislang nicht schlichten. Forscher haben zwar vor zwei Jahren ein Gen gefunden, das bei unserer Sprechfähigkeit eine Rolle spielen soll. Da es aber irgendwann in den letzten 200000 Jahren entstanden ist, steht dieser Befund mit beiden Theorien in Einklang.

So können zunächst nur die archäologischen Funde weiterhelfen. Und die seien durchaus vorhanden, meint Brooks. Neben der Entdeckung der Perlen in der Blombos-Höhle haben Forscher schon längst zahlreiche entwickelte Waffen und Knochenwerkzeuge aus der Mittleren Steinzeit in Afrika gefunden. Außerdem haben Menschen schon vor 100000 Jahren Materialien über mehrere hundert Kilometer transportiert und Handel betrieben.

Vor zwei Jahren hatte Henshilwood in der Blombos-Höhle immerhin auch zwei 77000 Jahre alte Ockerstücke mit abstrakten Einkerbungen gefunden. Doch Klein bleibt dabei: „Selbst wenn es sich bei den Blombos-Funden wirklich um Schmuck oder Kunst handelt, verblassen sie doch im Vergleich mit den fantastischen Höhlenmalereien der Jungsteinzeit in Europa.“

Elke Binder

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