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Gesundheit: Der Unbescheidene

Zum Tode von Francis Crick, Entdecker der DNS-Doppelhelix

„Ich habe Francis Crick nie bescheiden gesehen.“ Mit diesem Satz beginnt James Watson sein Buch „Die Doppelhelix“ – den Bericht darüber, wie es zur größten Entdeckung der Biologie des letzten Jahrhunderts kam: Er, Watson, und sein kongenialer Kollege Crick hatten den Faden des Lebens, die DNS, in einem weltweiten Wettrennen als erste dingfest gemacht.

In der Nacht zum Donnerstag starb Francis Crick im Alter von 88 Jahren. „Mit großer Traurigkeit informiere ich Sie darüber, dass Francis Crick heute Abend an seinem Krebsleiden gestorben ist“, heißt es in einer EMail von Richard Murphy, dem Präsidenten des Salk Institute im kalifornischen San Diego, wo Crick zuletzt tätig war. Immer seltener hatte man Crick – ganz anders als Watson – in der Öffentlichkeit gesehen, was aber nicht nur an seinem Gesundheitszustand lag.

Denn Crick, der Unbescheidene, war, nachdem er vor 50 Jahren dem Leben sein innerstes Geheimnis abgerungen hatte, einem neuen Mysterium auf der Spur: dem Geheimnis des Gehirns. Was ist Bewusstsein? Das war das Rätsel, das er als nächstes knacken wollte – und zwar mit wissenschaftlichen Mitteln. Davon, wie das Gehirn Träume, Gefühle und Gedanken hervorbringt, handelt auch sein letztes, überaus verständliches Buch „Was die Seele wirklich ist“ (Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1997).

Am 25. April 1953 schreibt Crick Geschichte. An diesem Tag veröffentlicht die Fachzeitschrift „Nature“ einen Bericht der beiden ebenso jungen wie unbekannten Physiker Francis Crick, 36, und James Watson, 25, vom Cavendish-Laboratorium in Cambridge, England. Er ist kaum länger als eine Seite und beginnt mit einem Understatement, wie es in der Wissenschaft selten geworden ist: „Wir möchten eine Struktur für das Salz der Desoxyribonukleinsäure (DNS) vorschlagen. Diese Struktur hat neuartige Eigenschaften, die von bemerkenswertem biologischen Interesse sind.“ Die Abbildung dieser „Struktur“ enthüllt, worin das „bemerkenswerte biologische Interesse“ liegen könnte: Sie zeigt eine elegante Doppelhelix – ein Molekül wie eine in sich verdrillte Strickleiter. Ein Geniestreich der Natur.

Heute ist die DNS als Symbol des Lebens so allgegenwärtig wie alltäglich geworden. Und doch, es bedurfte erheblicher Anstrengungen, bis Francis Crick am 28. Februar 1953 in seinem Lieblingspub „Adler“ in Cambridge hinausposaunen konnte, er und James Watson hätten „das Geheimnis des Lebens“ gefunden. Mit diesen Worten jedenfalls beschreibt Watson die Szene. Lautstark, ja unverschämt waren beide. So sehr, dass sie ein eigenes Arbeitszimmer bekamen, damit sie ihren Kollegen mit ihrem ewigen Spekulieren über die DNS nicht weiter auf die Nerven gingen. Legendär waren auch ihre Modelle aus billigem Eisendraht und Metallblech, mit denen sie ihre Gedanken eine Gestalt gaben.

Watson und Crick waren Besessene. Besessen davon, das Rätsel der DNS zu lösen. 1951 hatte die Zusammenarbeit der beiden Quereinsteiger von der Physik zur Biologie begonnen. Sie schweißt zusammen, was Crick später „eine gewisse jugendliche Arroganz, Rücksichtslosigkeit und Ungeduld mit schlampigem Denken“ nennen wird. Beide waren fasziniert von dem Buch des Physikers Erwin Schrödinger: „Was ist Leben?“ (1944). Schrödinger stellt darin prophetisch die Behauptung auf, dass Leben die Fähigkeit besitzen muss, Information zu speichern und zu übertragen. Zwei Eigenschaften, die im Erbmolekül DNS perfekt zusammengeführt werden.

In den Jahren von 1951 bis 1953 kreisten Watson und Crick das Molekül immer weiter ein. Lieferten sich ein Wettrennen mit dem Übervater der Chemie, dem Nobelpreisträger Linus Pauling. Doch Pauling versagte.

Alles kulminierte in wenigen Wochen Anfang des Jahres 1953. Für Watson und Crick waren sie erfüllt von ekstatischer Inspiration. Dann, schlagartig, ist die Lösung da. Alle Teile des Puzzles fügen sich zusammen, alles scheint plötzlich einleuchtend und selbstverständlich. So selbstverständlich wie der Nobelpreis neun Jahre später, 1962.

In späteren Jahren wurde Crick noch einmal zum Quereinsteiger, kehrte der Molekularbiologie und DNS den Rücken und wandte sich dem Gehirn zu. Eins aber war er dabei immer: ein konsequenter Materialist.

Sowohl das Leben wie auch die Seele versuchte er auf die materiellen Bausteine zurückzuführen. „Die Hypothese namens Gott ist eher in Misskredit geraten“, sagte er einst in einem Interview. Sowohl die Frage nach dem Unterschied zwischen Leben und Nicht-Leben wie auch die nach der Seele wollte er von der Religion ins Reich der Wissenschaft führen – und beantworten.

Bei der ersten Frage ist er weit gekommen. Bei der zweiten reichte die Zeit nicht. „Er hat noch ein paar Stunden vor seinem Tod an unserem letzten Manuskript gearbeitet“, sagte sein enger Mitarbeiter Cristof Koch vom California Institute of Technology dem Tagesspiegel. „Ein Wissenschaftler bis zum bitteren Ende.“ bas/wez

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