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Arztbrief: Leistenbruch

Unser Experte Martin Susewind ist Chefarzt an der Klinik für MIC (minimalinvasive Chirurgie). Das Krankenhaus ist das von den niedergelassenen Ärzten Berlins für die Operation eines Leistenbruchs am häufigsten empfohlene Krankenhaus (Ärzteumfrage 2015 von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin).

ERKLÄRUNG Die menschliche Bauchdecke ist nicht überall gleichmäßig stark ausgebildet, sondern hat „Schwachstellen“, besonders in der Leistengegend. Beim Mann führen hier Blutgefäße und Samenstrang hinab zu den Hoden, bei der Frau das Mutterband zur Gebärmutter. Öffnet sich hier das stützende Bauchfell zu weit, können die Organe in die Öffnung hineinrutschen: ein Leistenbruch. Das geschieht besonders häufig bei Männern.

Bei dieser Erkrankung - Mediziner nennen sie auch Hernia inguinalis - bricht die Bauchdecke nahe dem Schambein und den Samenleitern. Durch die so entstandene Lücke drückt sich mit der Zeit eine aus dem Bauchfell geformte und oft mit nachrutschendem Gedärm gefüllte Tasche aus dem Körperinneren. Dann entsteht eine sicht- und tastbare Ausbeulung der Haut im Leistenbereich. Bei einem fortgeschrittenen Leistenbruch hat sich eine Schlinge des Dünndarms durch die geschwächte Bauchdecke nach unten gedrückt. Lebensbedrohliche Komplikationen wie Darmdurchbrüche oder Bauchfellentzündungen können eintreten, wenn Darmteile abgeklemmt werden und wegen mangelnder Durchblutung absterben.

Leistenbrüche treten oft auch bei Kindern auf. Jungen und Männer sind vier Mal häufiger betroffen als Mädchen und Frauen. In Deutschland werden jährlich rund 230 000 Leistenbrüche operiert, davon jede fünfte ambulant.

Bei einem Leistenbruch öffnet sich das Bauchfell (1) , sodass sogar Teile des Dünndarms (2) in die Lücke hinabrutschen können. Dann ist von außen eine Wölbung im Leistenbereich sichtbar. Dies kann auch schmerzen.
Bei einem Leistenbruch öffnet sich das Bauchfell (1) , sodass sogar Teile des Dünndarms (2) in die Lücke hinabrutschen können. Dann ist von außen eine Wölbung im Leistenbereich sichtbar. Dies kann auch schmerzen.

© Fabian Bartel

SYMPTOME Meist spürt der Betroffene nur ein leichtes Druckgefühl und einen ziehenden Schmerz im Bauch. Ein deutlicheres Symptom ist die Entstehung einer Beule im Leistenbereich. Sind Eingeweide eingeklemmt, kann es zum Erbrechen kommen.

URSACHEN So ein Leistenbruch sei selten ein plötzlicher Bruch, sagt Martin Susewind, Chefarzt an der Klinik für MIC (minimalinvasive Chirurgie) in Zehlendorf, sondern oft ein schleichender Prozess, lange ohne Symptome.

Es gibt zwei Arten von Leistenbrüchen, die erworbenen und die angeborenen. Letztere erklären sich durch einen Blick auf die embryonale Entwicklung. Bei weiblichen wie männlichen Embryos befinden sich die Keimdrüsen zunächst in der Bauchhöhle. Während die Eierstöcke, die sich aus diesen Drüsen entwickeln, sich bei Frauen lediglich bis in das kleine Becken bewegen, müssen die Hoden aus der Bauchhöhle heraus durch den Leistenkanal in den Hodensack. Die Hoden ziehen dabei eine Ausstülpung des Bauchfells mit, in der neben den beiden Samenleitern auch die Blutgefäße für den Hoden verlaufen.

Nach diesem sogenannten Hodenabstieg verschließt sich im Leistenkanal normalerweise die Bauchfelltasche innerhalb des ersten Lebensjahres. Zusätzlich schottet ein Ring den Leistenkanal von der Bauchhöhle ab.

Bei einigen Männern bleibt diese Entwicklung jedoch aus. Im Laufe des Lebens geben innerer Leistenring und Bauchfelltasche dem Druck des Körperinneren nach und Gewebe aus der Bauchhöhle rutscht in den Leistenkanal oder sogar bis in den Hoden hinein.

Der andere, der erworbene Leistenbruch, ist eine Alterserscheinung. Mit den Lebensjahren erschlafft das Bindegewebe der Bauchdecke - nach und nach gibt es dem Druck des Körperinneren nach, bis es reißt. Körperlich schwere Belastungen wie das Heben eines mit Büchern vollgestopften Umzugskartons können das gealterte Gewebe weiter belasten oder es gar vollends zerreißen.

DIAGNOSE Ärzte diagnostizieren Leistenbrüche durch das Abtasten des Bauchraumes. Ein Ultraschallbild hilft, den Leistenbruch zu lokalisieren und die Diagnose abzusichern.

THERAPIE Welche Art des Leistenbruchs den Patienten ereilt hat, sehen die Ärzte oft erst im OP. Die meisten Leistenbrüche sind nicht akut gefährlich - sollten jedoch trotzdem operiert werden. Denn wenn der Darm oder anderes ausgetretene Gewebe ungünstig liegen und von der Blutversorgung abgeschnitten werden, können sie absterben. Schwere Komplikationen wie ein Darmverschluss oder sogar ein Darmdurchbruch drohen.

Der Eingriff gilt in der Chirurgie als ein Standardeingriff, der minimalinvasiv - also ohne offene Operation - und immer öfter auch ambulant durchgeführt werden kann.

Auch Martin Susewind setzt seit vielen Jahren auf die minimalinvasive OP-Technik. Den ersten Stich setzt der Chirurg durch den Bauchnabel. „Das ist der einfachste Weg, um durch die recht feste Bauchdecke zu gelangen“, sagt Susewind. Und dieser Weg hat noch einen Vorteil: Die Wahrscheinlichkeit, ein Organ zu verletzen, ist hier sehr gering. Denn den ersten Stich muss der Arzt quasi blind setzen.

In das so geschaffene Loch führt Susewind eine Lampe und eine Kameralinse an der Spitze eines Stabes ein, die die Bilder für den Monitor liefert, an dem er sich während der Operation orientieren wird. Für den Eingriff benötigt Susewind weitere Zugänge in den Körper. An der linken und der rechten Seite des Bauches setzt er zwei fünf Millimeter große Löcher, durch die er langstielige Instrumente in den Bauch schiebt, an deren Spitze Greifer oder Messer sitzen.

Schnitt für Schnitt präpariert der Arzt sein Operationsgebiet. Bevor Susewind die Bruchstelle mit einem Netz aus Polypropylen repariert, zieht er zunächst vorsichtig und Millimeter für Millimeter die verrutschte Darmschlinge zurück in den Bauch. Fertig. Susewind streift ein sauberes zweites Paar Gummihandschuhe über, nimmt erst dann das weiße, neun mal 15 Zentimeter große und sauber gefaltete Polypropylen-Netz. Das gitterartige Gewebe soll in den Bauchraum eingepflanzt werden. Da muss die Gefahr, Keime mit einzuschleppen, so weit wie möglich minimiert werden.

Susewind schneidet das Netz freihändig zurecht, welches die Bauchdecke nach unten stabilisieren wird. Der Patient wird dieses Stück Kunststoff ein Leben lang in seinem Leib mit herumtragen. Im Laufe der Zeit wird Gewebe durch die Maschen wachsen, der Organismus die künstliche Ergänzung zu seinem Eigentum machen.

Der Chirurg rollt das Netz zusammen, schiebt es durch die größere Öffnung am Bauchnabel ins Körperinnere und platziert es mit den winzigen Greifzangen über dem Bruchtrichter.

Dann tackert er das Netz mit sechs spiralförmigen Klammern aus gewebefreundlichem Titan fest. „Zwei Wochen nach der OP sind die meisten Patienten wieder voll belastbar.“,

Der Vorteil der Netztechnik ist, dass keine Spannung auf der Naht liegt, im Gegensatz zur früher angewandten Methode, den Bruch zu schließen, indem man das körpereigene Gewebe wieder vernähte. Die Folge war: Der Bruch öffnete sich häufig erneut. Bei bis zu 15 Prozent der Patienten war das so. Dagegen liege diese Quote bei der Netzmethode bei bis zu einem Prozent, sagt Susewind.

Bei Kindern und Jugendlichen, die ebenfalls häufig einen Leistenbruch erleiden können, verbietet sich das Kunstnetz jedoch. Susewind: „Das Netz wächst ja nicht mit.“ Außerdem mangelt es derzeit noch an Langzeitergebnissen, wie sich das Netz verhält, wenn es 50 Jahre im Körper ist.

Deshalb wird ein Bruch bei Kindern auf herkömmliche Art und Weise „geflickt“. Die Wiederbruchrate ist entsprechend höher.

Und bei Erwachsenen wird durchaus nicht nur mit der von Susewind benutzten minimalinvasiven Methode operiert, sondern auch mit einem offenen Schnitt über den Bauch. Was nicht schlechter sein muss. Eine klare Überlegenheit der einen Methode gegenüber der anderen gebe es beim Leistenbruch nicht, meinen manche Chirurgen.

Die Redaktion des Magazins "Tagesspiegel Kliniken Berlin 2016" hat die Berliner Kliniken, die diese Erkrankung behandeln, verglichen. Dazu wurden die Behandlungszahlen, die Krankenhausempfehlungen der ambulanten Ärzte und die Patientenzufriedenheit in übersichtlichen Tabellen zusammengestellt, um den Patienten die Klinikwahl zu erleichtern. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel Shop.

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