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Kerzen zum Gedenken an Julen in der Nähe des Hauses seiner Familie in Malaga vor einem Jahr.

© Jon Nazca/REUTERS

Zweijähriger fiel 71 Meter in die Tief: Wer ist schuld an Julens Tod?

Julen stürzte vor einem Jahr in einen Brunnenschacht. Am Dienstag beginnt der Prozess gegen den Mann, der für die illegale Bohrung verantwortlich sein soll.

Weiße Luftballons steigen in den Himmel. Kerzen brennen. „Es kommt uns immer noch wie ein Albtraum vor“, sagen Nachbarn, Angehörige und Freunde, die auf dieser Gedenkfeier für Julen eine gemeinsame Botschaft verlesen. Rund 50 Menschen haben sich auf einem kleinen Platz im Viertel El Palo versammelt. Nicht weit von jenem Haus entfernt, in dem der zweijährige Julen in der südspanischen Stadt Málaga gewohnt hatte.

Auch Julens Eltern, Vicky und José R., stehen in der Runde. Sie kämpfen mit den Tränen. „Der Schmerz ist noch genauso groß, als ob es gestern passiert wäre“, sagt dann der Vater. Gut ein Jahr ist es nun her, dass der kleine Julen beim Spielen in einen rund 70 Meter tiefen und sehr engen Brunnenschacht fiel. Ein Unglück, das sich am 13. Januar 2019 ereignete. Und das die größte und schwierigste Rettungsaktion der spanischen Geschichte in Gang setzte.

Fast zwei Wochen lang versuchten mehrere hundert Retter den Zweijährigen aus dem Brunnenloch auf einer ländlichen Finca in der Nähe von Málaga zu bergen. Der Schacht war mit rund 25 Zentimeter so eng, dass kein Helfer zu dem Kind hinuntergelassen werden konnte. Deswegen mussten die Bergungsmannschaften erst einen parallelen Brunnen bohren. Von diesem Parallelbrunnen gruben und sprengten Minenarbeiter dann einen Stollen zu jener Stelle, an der Julen vermutet wurde.

Der Eigentümer des Brunnens hatte die Familie zum Paella-Essen eingeladen

Weltweit wurde diese komplizierte Rettungsaktion verfolgt. Millionen Menschen beteten für Julen. Doch die Hoffnung auf ein Wunder erfüllte sich nicht. Der Junge, der unter einer Erdschicht verschüttet worden war, wurde am 26. Januar – nach 13 Tagen – tot geborgen. Nach der Autopsie der sterblichen Überreste erklärten die Gerichtsmediziner, dass Julen, der 71 Meter tief gefallen war, keine Überlebenschance hatte. Er sei bereits beim Sturz in die Tiefe an einem Schädeltrauma gestorben.

Am kommenden Dienstag beginnt in Málaga der Strafprozess gegen den Eigentümer des Brunnens. Dem Angeklagten David S. drohen eine Gefängnisstrafe wegen fahrlässiger Tötung und die Verurteilung zu Schadenersatz. Er hatte am Unglückstag, einem Sonntag, Julens Familie zum Paella-Essen auf seine Landfinca im Dorf Totalán in der Provinz Málaga eingeladen. Es war ein sonniger Tag, Julen tobte auf dem ländlichen Grundstück mit anderen Kindern herum – bis er plötzlich in einem Loch im Erdboden verschwand.

Der aufwändige Einsatz vor einem Jahr.
Der aufwändige Einsatz vor einem Jahr.

© Marcelo del Pozo/REUTERS

Das Erdloch entpuppt sich als ein Brunnenschacht, den der Eigentümer kurz vor dem Unglück gebohrt hatte. Ein kreisförmiges Loch, um in 100 Meter Tiefe nach Wasser zu suchen. Die polizeilichen Ermittlungen ergeben, dass der Brunnen ohne behördliche Erlaubnis angelegt worden war. Der Staatsanwalt geht in seiner Anklageschrift sogar noch weiter und beschuldigt den Grundstücksbesitzer, das gefährliche Bohrloch nicht ausreichend abgesichert zu haben. Auch seien Julens Eltern nicht auf die Existenz des Erdschachtes hingewiesen worden.

Der Beschuldigte, für den der Staatsanwalt drei Jahre Gefängnis fordert, weist die Verantwortung zurück. Kurz nach dem Unglück begann er, zusammen mit einem Anwalt, die Schuld anderen zuzuschreiben: Zuerst behauptete er, der Brunnenschachtbauer sei verantwortlich. Danach erklärte er, Julen sei nicht an den Folgen des Brunnensturzes gestorben, sondern weil dem Jungen ein Rettungswerkzeug auf den Kopf gefallen sei. Nachdem dies von den Gerichtsmedizinern ausgeschlossen wurde, machte er schließlich Julens Eltern verantwortlich: Sie hätten ihren Sohn nicht ausreichend beaufsichtigt.

Die Amtsrichterin in Málaga wird in ihrem Urteil nicht nur über die Schuldfrage entscheiden müssen. Sondern sie muss auch darüber befinden, wer die aufwendige Rettungsaktion bezahlt. Die Staatsanwaltschaft fordert von dem Grundstückseigentümer David S. annähernd 900.000 Euro für den zweiwöchigen Einsatz von 300 Rettern. Auch Julens Eltern hoffen auf eine finanzielle Entschädigung für den Tod ihres Sohnes.

Der Vater von Julen weint.
Der Vater von Julen weint.

© Jorge Guerrero/AFP

Der Brunnenbesitzer hat sich derweil für zahlungsunfähig erklärt. Ob der Staat oder Julens Eltern im Falle einer Verurteilung Geld sehen werden, steht somit in den Sternen. Doch auch mit Geld wird sich der Verlust Julens nicht mehr gut machen lassen. Der sehnlichste Wunsch von Julens Eltern, Vicky und José, ist daher auch nicht die Entschädigung. Sondern sie wollen endlich das Trauma der Tragödie überwinden.

Das wird vorerst nicht so einfach sein. In dem Prozess, der kommende Woche anläuft, werden die Bilder des Brunnenunglücks wieder hochkommen. Immerhin haben die beiden den Trost, dass sie mit ihrer Trauer nicht alleine sind. Noch immer kommen Solidaritätsbotschaften an, in denen ihnen völlig fremde Menschen versichern: „Julen, wir vergessen dich nicht!"

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