zum Hauptinhalt
Prostituierte in Berlin.

© Ullstein Bild

Zwangsprostitution: Auf den Straßen von Berlin

Sie kommen aus armen Ländern wie Bulgarien oder Nigeria, sie werden mit der Hoffnung auf Jobs nach Berlin gelockt –  und müssen hier auf den Strich gehen. Wie viel Zwangsprostitution gibt es, was geschieht in dieser Grauzone?

Von Barbara Nolte

Wochenlang hat unsere Reporterin recherchiert und Prozesse besucht. Dies ist der Fall einer 20-Jährigen.

Sveta M.:

"Ich bin 20 Jahre alt und stamme aus einem Dorf in Bulgarien. Dort habe ich bei meinen Eltern gewohnt. Ich hatte schon einen Verlobten. In der fünften Klasse bekam ich Schwierigkeiten mit dem Lernen. Dagegen habe ich Tabletten bekommen. Die Schule in unserem Dorf endet mit der achten Klasse. Um einen Beruf zu erlernen, hätte ich in die Stadt gehen müssen. Meine Eltern besaßen dafür kein Geld. Sie sind Landarbeiter. Bevor ich nach Berlin kam, war ich noch nie von Zuhause weg. Ich kannte keine Städte.

Es war im Winter vor zwei Jahren, als mir meine Freundin Ioana erzählte, dass sie zwei Männer kennengelernt habe, die uns Arbeit besorgen könnten: in Berlin. Damals half ich zusammen mit meinen Eltern auf den Feldern aus. Im Winter gibt es keine Arbeit in unserem Dorf. Ich kannte Ioana erst wenige Monate. Mein Vater und mein Verlobter sagten, sie sei kein guter Umgang. Doch ich mochte Ioana.

Ioana und ich trafen die beiden Männer in einem Café im Nachbarort. Der eine war um die 30, der andere um die 40 Jahre alt. Sie boten uns an, dass wir in Berlin in einer Bar arbeiten könnten. Der Ältere, Bogdan, sagte, dass seine Frau dort auch arbeite: Sie würde Teller spülen, Tische abwischen. Ich habe nicht alles verstanden, weil die Männer manchmal in Roma miteinander sprachen. Meine Freundin kann Roma, ich nicht. Die Männer drängten uns, gleich in der übernächsten Nacht loszufahren. Wir sollten nichts mitnehmen, damit unsere Eltern keinen Verdacht schöpfen. Die Männer sagten, sie würden uns in Berlin neue Kleider kaufen. Ioana redete mir zu: „Los, lass es uns machen!“

Nachts wurden wir zu Hause abgeholt. Eine Freundin der Männer sammelte unsere Pässe ein, angeblich, damit wir sie nicht verlieren. Wir sind mit dem Auto durchgefahren bis Berlin. Zur Mittagszeit des übernächsten Tages kamen wir in einer Siedlung an. Ich weiß nicht, wo genau in der Stadt. Dort hatten die Männer eine Wohnung. Sie schliefen mit uns im selben Zimmer. In einem zweiten Zimmer lebten weitere Männer und Frauen. Anfangs waren die Männer nett. Sie ließen uns zu Hause anrufen. Wir sollten sagen, dass wir in einem Restaurant in Sofia arbeiten, damit unsere Eltern uns nicht vermisst melden würden.

Nach ein paar Tagen besuchte der Jüngere, Simeon, mit uns eine Bar. Auf der Straße davor sah ich Mädchen stehen. Das war der Zeitpunkt, als er mir sagte, dass ich auch dort würde arbeiten müssen. Bogdan ging mit mir einkaufen. Er war für mich zuständig. Ich bekam Leggins und Stiefel. Der Rest der Kleidung stammte von anderen Mädchen. Ich habe gemacht, was die Männer mir sagten, denn ich hatte Angst, dass sie mir sonst etwas antun würden. Bogdan konnte schnell aggressiv werden. Einmal ist er auf mich losgegangen, nur weil er fand, ich hätte ihn böse angeguckt.

In der ersten Nacht hatte ich sehr viele Kunden. Ich weiß, dass ich sie gezählt habe, aber ich habe die Zahl vergessen.“

Leonie Freifrau von Braun, Staatsanwältin:

"Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung – so heißt unter Juristen, was in der Öffentlichkeit unter dem Schlagwort Zwangsprostitution läuft – ist in Deutschland kein Verbrechen, sondern ein Vergehen. Das finde ich verharmlosend. Nur wenn Frauen unter falschen Vorzeichen nach Deutschland gelockt oder wenn sie beispielsweise mit Schlägen zur Prostitution gezwungen werden, wird das Delikt zum schweren Menschenhandel und damit zum Verbrechenstatbestand. Dazu muss nachgewiesen werden, dass die Täter Gewalt, Drohungen oder List angewendet haben.

Seit zwei Jahren bearbeite ich bei der Berliner Staatsanwaltschaft die Verfahren, die Zwangsprostitution betreffen. Seit einem Jahr heißt meine Stelle offiziell „Schwerpunktstaatsanwältin für Menschenhandel“. Anfang diesen Monats habe ich einen Staatsanwalt zur Seite gestellt bekommen. Wir gehören zur Abteilung Allgemeine Organisierte Kriminalität. Dennoch nehmen wir auch Fälle an, die Einzeltäter begangen haben, wenn es sich um schweren Menschenhandel handelt.

Beim Verfahren mit Sveta M. als Hauptzeugin haben wir es mit einer grenzüberschreitend agierenden Gruppierung zu tun: Männer und Frauen, die gute Kontakte zum Berliner Straßenstrichmilieu rund um die Bülowstraße aufgebaut hatten und sich darauf spezialisierten, in ihrer osteuropäischen Heimatstadt Frauen zu rekrutieren, um sie auf den Berliner Straßenstrich zu bringen. Das ist Organisierte Kriminalität.“

Sveta M.:

"Jeden Nachmittag wurden wir mit dem Auto zu unserer Arbeitsstelle gebracht. Gegen vier, fünf, sechs, sieben Uhr morgens wurden wir wieder zurück in die Wohnung gefahren. Selbst als ich einmal Fieber hatte, musste ich arbeiten. Im Schnitt hatte ich pro Schicht fünf bis sieben Kunden. Die halbe Stunde kostete 30 Euro. Ich musste auch ohne Kondom mit Männern schlafen, weil man dann mehr nehmen konnte. Zehn, 20 Euro betrug der Unterschied. Ich durfte von meinem Verdienst nichts behalten.

Ich bin zu den Kunden ins Auto eingestiegen. Es gab auch Zimmer in einem Hotel. Manche Kunden waren betrunken, andere nahmen Drogen. Die meisten waren aber brav. Sie haben sich nicht schlecht benommen. Es waren deutsche Männer dabei, aber auch andere Nationalitäten. Ich konnte nicht mit ihnen reden, weil ich kein Deutsch oder Englisch spreche. Ich hatte aber den Eindruck, dass keiner wissen wollte, ob ich die Arbeit freiwillig mache oder dazu gezwungen werde. Oft musste ich weinen. Da ist es vorgekommen, dass mir Männer einfach so Geld gegeben haben, ohne dass ich etwas dafür machen musste. Auch dieses Geld habe ich abgegeben.

Bogdan und Simeon saßen die ganze Zeit in der Bar in der Nähe und kontrollierten uns. Neben mir auf dem Straßenstrich stand die Freundin der Männer, die uns in Bulgarien die Pässe abgenommen hatte. Sie vermittelte mir Kunden. Anschließend fragte sie die Männer, wie sie mich fanden.

Anfangs lobte Bogdan mich. Später hat er mich mit der Faust und mit seinem Gürtel geschlagen: sogar ins Gesicht. Das tat richtig weh. Ich würde nicht genug Geld verdienen, warf er mir vor. Die Männer haben mich und meine Familie oft mit Schimpfwörtern überzogen. Die waren schlimm und will ich nicht wiederholen. Meiner Freundin konnte ich mich nicht anvertrauen. Sie hätte ja alles Simeon und Bogdan weitergesagt.“

Was der Zuhälter sagt

Prostituierte in Berlin.
Prostituierte in Berlin.

© Ullstein Bild

Bogdan F., Zuhälter:

"Hiermit erkläre ich, dass die gegen mich erhobenen Tatvorwürfe nach Maßgabe der nachfolgenden Einschränkungen zutreffen.

Unrichtig ist, dass ich der Zeugin M. vorgetäuscht habe, ich könnte ihr Arbeit in einer Bar verschaffen. Richtig ist, dass ich der Zeugin eindeutig und unmissverständlich mitgeteilt habe, dass ich ihr in Berlin die Aufnahme der Prostitution ermöglichen werde. Ich bedaure meine Taten, ich beabsichtige, die Zeugin M. finanziell zu entschädigen, soweit das meine Möglichkeiten zulassen.“

(Schriftliche Erklärung, verlesen von Bogdan F.’s Anwalt im Berliner Landgericht. Anschließend übergibt F.’s Anwalt Sveta M.’s Anwältin Änne Ollmann fünf 200-Euro-Scheine. Er sagt, dass sein Mandant, sollte er nicht ins Gefängnis müssen, nach Bulgarien zurückkehren wolle, wo er fünf minderjährige Kinder habe. F. hatte dort als Bauhelfer gearbeitet. Nach einer Bandscheibenoperation hätte ihm seine Ärztin diese Tätigkeit aber verboten.)

Änne Ollmann, Anwältin von Sveta M.:

"Wenn ein Angeklagter sein Opfer entschädigt, zeigt er sich einsichtig, Schaden verursacht zu haben, was sich auf das Strafmaß auswirken kann.

In den fast 20 Jahren, in denen ich Frauen vor Gericht vertrete, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, hatte ich zwei Arten von Fällen: Entweder, die Frauen wussten, dass sie in Deutschland als Prostituierte arbeiten sollten, waren dann aber über die Umstände entsetzt. Oder sie wurden mit falschen Versprechungen hergelockt. Ihnen wurden beispielsweise Stellen als Au-pair-Mädchen oder als Bedienung versprochen.

Ich habe es noch nie erlebt, dass Frauen wirklich eingesperrt waren. Der Zwang, dass sie gegen ihren Willen die Prostitution ausüben, wird anders aufgebaut. Zum Beispiel machen die Zuhälter Filme von den Frauen mit einem Freier und drohen, die Filme auf Facebook zu stellen. Oder die Frauen fürchten, dass sich in ihrer Heimat die Familien der Täter an ihren Familien rächen. Vor Gericht ist es in diesen Fällen schwer nachzuweisen, dass die Frauen nicht doch freiwillig der Prostitution nachgingen. Häufig steht Aussage gegen Aussage.

Die Wahrheitsfindung wird weiter dadurch erschwert, dass Zeugen bei Prozessbeginn häufig bereits in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind. Es ist langwierig, manchmal unmöglich, sie in den Zeugenstand zu laden, wie es das Unmittelbarkeitsprinzip der Strafprozessordnung eigentlich verlangt. Stattdessen behelfen sich die Gerichte mitunter mit Aussagen, die die Zeugen bei den Strafverfolgungsbehörden in ihren Heimatländern gemacht haben. Ich finde es fragwürdig, Aussagen im Prozess Gewicht beizumessen, von denen unklar ist, unter welchen Umständen sie zustande gekommen sind.“

Ioana R., Freundin:

"Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen. Meine Eltern haben mich mit zwei Jahren verlassen. 2011 habe ich die Schule abgebrochen. Wegen der Armut habe ich mich auf Prostitution eingelassen. Über einen Freund habe ich Simeon F. kennengelernt. Wir beschlossen, gemeinsam nach Deutschland zu fahren, wo ich der Prostitution nachgehen sollte. Simeon tauchte in der Weihnachtszeit wieder auf und sagte, dass er ein weiteres Mädchen finden sollte: für seinen Schwager. Ich schlug Sveta vor, von der ich wusste, dass sie arm ist und gelegentlich mit Jungs verkehrt. Zu viert trafen wir uns in einer Bar, wo wir verabredeten, dass wir Mädchen der Prostitution nachgehen sollten. Wir würden halbe-halbe machen. 20 Euro kostete der Normalsex. Weil Sveta nicht genügend Geld verdiente, schlug ihr Bogdan einmal mit der flachen Hand ins Gesicht. Simeon ging dazwischen. Da ich Angst vor Simeon hatte, sagte ich, dass er mein Freund wäre. Als wir im Sommer zurück in meinem Heimatort waren und ich meiner Großmutter Geld geben wollte, hat mir Simeon von den 30 000 Euro, die ich in Berlin verdient hatte, nur 1000 gegeben.“

(Gekürztes Protokoll einer Vernehmung bei der bulgarischen Polizei, verlesen vor dem Berliner Landgericht.)

Simeon F., Zuhälter:

"Ich habe im November 2011 Ioana kennengelernt. Wir hatten eine Beziehung. Sie verdiente ihr Geld in der Prostitution. Wir beschlossen, nach Berlin zu gehen, weil mein Schwager Bogdan eine Wohnung in Deutschland hatte. Wir trafen uns mit Sveta M. in einem Café, wo es zwischen mir und Ioana um Prostitution ging. Sveta muss es mitbekommen haben. In Berlin angekommen, wollte Ioana unbedingt anfangen. Sveta hat nicht gesagt, dass sie das nicht machen wollte. Im Streit zwischen ihr und Bogdan hat Bogdan sie einmal geschlagen. Ich bin dazwischengegangen. Sollte ich nicht in Haft müssen, würde ich nach Bulgarien zurückgehen. Ich könnte bei meinem Onkel arbeiten, der einen Gebrauchtwagenhandel hat. Dort wuchs ich von meinem 7. Lebensjahr an auf, als meine Eltern gestorben sind.“

(Erklärung von Simeon F., die dessen Anwalt vor dem Landgericht verliest, protokolliert und gekürzt. Nach Rücksprache mit F. korrigiert der Anwalt: „Es ist nicht richtig, dass ich gesehen habe, dass Bogdan Sveta M. geschlagen hat.“)

Leonie Freifrau von Braun, Staatsanwältin:

"Beim Menschenhandel beobachten wir zwei Trends: Immer mehr Frauen werden aus Rumänien und Bulgarien hergebracht. Und: Die Frauen sind sehr jung, in der Regel unter 21 Jahren. Das Problem resultiert aus dem Armutsgefälle in Europa. Als Strafrechtlerin kann ich es nicht lösen. Da müssen wir uns als Gesellschaft fragen: Was definieren wir als Ausbeutung? Ich persönlich finde, auf dem Straßenstrich werden Ramschpreise genommen. Doch der Straßenstrich an sich ist völlig legal: Jeder darf sich dort hinstellen und seinen Körper verkaufen, für was er will. Und sei es für einen Apfel. Erst wenn eine Frau zum Beispiel mehr als die Hälfte ihrer in der Prostitution erwirtschafteten Einkünfte abgeben muss, besteht ein Anfangsverdacht auf ausbeuterische Zuhälterei.“

Alle sieben Verfahren endeten mit einer Verurteilung

Margarete Muresan, Sozialarbeiterin beim Hilfsverein InVia:

"Wir kooperieren eng mit dem Rotlichtkommissariat der Polizei. Wenn ein Kommissar den Eindruck hat, eine Frau wird zur Prostitution gezwungen, sie braucht Hilfe, stellt er den Kontakt zu uns her. Doch es fällt den Frauen schwer, sich zu öffnen. Meistens sagen sie, alles sei okay. Wenn wir nachfragen, wer denn das Geld bekomme, das sie verdienen, antworten sie: „Ich arbeite für uns.“ Einmal meinte eine: „Er hat mir das Geld nicht abgenommen, wir haben ein gemeinsames Portemonnaie.“

Viele der jungen Frauen befinden sich in psychischer Abhängigkeit von ihren Zuhältern: Die Männer spielen ihnen vor, in sie verliebt zu sein, und manipulieren sie so. Das passiert häufig bei jungen deutschen Frauen, die in der Opferstatistik des LKA mittlerweile die größte Gruppe ausmachen. Wir hatten im vergangenen Jahr Nigerianerinnen, die wurden durch Voodoo gefügig gemacht. Bei einer Zeremonie in ihrer Heimat wurden Haare von ihnen, Fingernägel und persönliche Dinge in ein Päckchen gepackt, das in einem Tempel verwahrt wird. Die Frauen glauben, dass man mithilfe des Päckchens Macht über sie erlangt. Wenn sie ungehorsam sind, beispielsweise gegen die sogenannten Madams – in dem Fall waren die Zuhälterinnen Frauen – aussagen, werden sie selbst oder ihre Familien mit Krankheit und Wahnsinn bestraft. Selbst als die Zuhälterinnen im Gefängnis saßen, beruhigte sie das nicht. Sie sagten: Sie haben ja noch mein Päckchen.“

Leonie Freifrau von Braun, Staatsanwältin:

"Sieben Verfahren habe ich als Schwerpunktstaatsanwältin bisher zur Anklage gebracht, alle endeten mit Verurteilungen der Angeklagten. Die Nigerianerinnen, die die jungen Afrikanerinnen an Bordelle im ganzen Bundesgebiet verschickt hatten, bekamen eine Haftstrafe von drei Jahren und acht Monaten beziehungsweise drei Jahren und neun Monaten. Sie sind nicht die einzigen Täterinnen: In einem anderen Fall setzte eine Deutsche junge Rumäninnen in ihrem Escortservice „Geile Modelle“ ein, von denen sie wusste, dass sie sich nicht freiwillig prostituierten.

Zurzeit bearbeite ich ungefähr 20 offene Verfahren. Das ist meines Erachtens nur die Spitze eines Eisberges. Einer EU-Studie zufolge gibt es in Deutschland ungefähr 25 000 Opfer von Menschenhandel. Eine reine Schätzung. Dass es unter den zigtausenden Prostituierten viele geben wird, die dazu gezwungen werden, ist wahrscheinlich.

Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ist ein Kontrolldelikt. Erst wenn man genau hinschaut, entdeckt man die Fälle. Das Prostitutionsgesetz aus dem Jahr 2002, wonach Prostitution nicht mehr als sittenwidrig eingestuft wird, hat dazu geführt, dass der Rotlichtbereich sich selbst überlassen wurde, was die Arbeitsbedingungen der Prostituierten verschlechterte. Hinzu kommt, dass keine ausreichenden staatlichen Kontrollbefugnisse für Bordellbetriebe bestehen. Ich finde es offen gesagt unmöglich: Wenn jemand einen Bäckerladen aufmachen will, muss er sich minutiösen Hygienevorschriften und Gesundheitskontrollen unterwerfen. Für Betriebe im Rotlichtgewerbe gilt das überhaupt nicht – es sei denn, es ist ein Restaurant drin. Wir setzen in Berlin auf die verstärkte Vernetzung zwischen Polizei, Steuerfahndung und Hauptzollamt.

Bislang fußen fast alle unserer Verfahren auf Aussagen von Frauen, die es geschafft haben, sich von selbst aus ihrer Zwangslage zu lösen und sich der Polizei anzuvertrauen.“

Sveta M.:

"Nach etwa sechs Wochen bekam ich meinen Pass zurück, damit ich bei einer Polizeikontrolle nicht auffallen würde. Da wagte ich es, abzuhauen. Ein Kunde hat mir dabei geholfen. Ich signalisierte ihm, dass er mich an einer U-Bahnstation und nicht am Straßenstrich herauslassen sollte. Da sah ich uniformierte Männer. Ich hielt sie für Polizisten, aber sie waren vom Sicherheitspersonal. Ich habe angefangen zu weinen. Daran merkten sie, dass etwas mit mir nicht in Ordnung war. Sie brachten mich zur Polizei, ein Dolmetscher wurde hinzugerufen, und ich machte meine Aussage. Seitdem lebe ich in einer Schutzwohnung. Ich träume noch häufig von den Schlägen.“

Margarete Muresan, Sozialarbeiterin beim Hilfsverein InVia:

"Meine Kolleginnen und ich versuchen, die Frauen in der für sie extrem schwierigen Situation zu unterstützen. Ich erlebe sie oft als sehr einsam. Wenn die Frauen vor Gericht aussagen, bekommen sie bis zum Ende des Strafverfahrens zwar einen Aufenthaltstitel. Einen Anspruch darauf, die Schule weiterzumachen oder einen Deutschkurs, haben sie aber nicht. Mit dem befristeten Aufenthaltstitel ist es fast unmöglich, Arbeit zu finden. Wer von uns kann schon schlimme Sachen vergessen, wenn er nur rumhockt? Außerdem haben die Frauen Zukunftsangst. Sobald das Urteil rechtskräftig wird, können sie abgeschoben werden. Bislang haben wir das bei unseren Klientinnen verhindern können. Die Frauen müssten meiner Ansicht nach eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, auch wenn sie sich nicht trauen, auszusagen. Dem Staat darf es doch nicht nur um die Strafverfolgung gehen, sondern auch um die Opfer.“

Änne Ollmann, Anwältin:

"Was vor Gericht von den Frauen verlangt wird, ist unglaublich: Sie sind schwer traumatisiert, haben noch immer große Angst vor ihren ehemaligen Zuhältern und deren Clans, und ihre Aussagen werden von den Anwälten der Täter zerpflückt.“

"Leonie Freifrau von Braun, Staatsanwältin:

Leider ist das ein Kriminalitätsfeld, auf dem man an einer Aussage des Opfers nicht vorbeikommt. Kein Richter wird jemanden wegen Menschenhandels verurteilen, ohne das Opfer gehört zu haben.

Es gibt die Möglichkeit, in manchen Fällen Videovernehmungen zu beantragen, aber das ist kein Automatismus. Dann sitzen die Frauen in einem Nachbarraum und werden über eine Videoleitung reingebeamt in die Verhandlung. Doch die meisten Richter wollen ungern auf den persönlichen Eindruck verzichten. Wenn eine Frau kein medizinisches Attest beibringt, dass sie dem Druck der Verhandlung nicht standhalten kann, ist der Weg zur Videovernehmung bis auf Ausnahmen verschlossen. Ich fände es gut, wenn man es den Opfern freistellen könnte, ob sie im Gerichtssaal oder im Nebenraum aussagen wollen.

In Vorbereitung jeder Gerichtsverhandlung zeige ich den Frauen den Gerichtssaal und erkläre ihnen die Rollen der Prozessbeteiligten und den Ablauf der Verhandlung. Dabei lernen wir uns kennen. Wir reden aber nie über das Verfahren. Beim persönlichen Treffen verschaffe ich mir einen Eindruck, wie es der Frau geht, ob sie beispielsweise große Angst hat.

Sveta M. meisterte ihre Zeugenaussage souverän. Sie war besonders glaubwürdig. Auch in den acht Vernehmungen bei der Polizei, die dem Prozess vorangingen, hat sie sich in den wesentlichen Punkten nie widersprochen. Dennoch wurden Bogdan F. und Simeon F. nur wegen einfachen Menschenhandels verurteilt. Doch die Strafen fielen hoch aus. Bogdan bekam drei Jahre und sechs Monate, Simeon F. zwei Jahre Haft.

Vor zehn Tagen sagte Sveta M. erneut vor Gericht aus. Diesmal war eine junge Frau vor einer Jugendkammer des Landgerichtes angeklagt, Jelena N., die ihre Cousine für den Straßenstrich rekrutiert hatte, in dem sie vorgab, dass sie in Deutschland Arbeit für sie als Pflegerin einer alten Dame habe. Die Angeklagte war mit einem Verwandten von Bogdan F. und Simeon F. liiert, er war zugleich ihr Zuhälter. Jelena N. selbst arbeitete auch auf dem Straßenstrich. Sie ist Täterin und zugleich Opfer.

Richterin: „Kennen Sie die Frau N.?“

Sveta M.: „Ich habe sie auf der Straße gesehen, ich kenne sie von dort. Einmal hat sie mit einem Kunden von mir gesprochen. Das war alles.“

Richterin: „Könnten Sie erklären, was ein Zuhälter ist, was der macht?“

Sveta M.: „Meiner Erfahrung nach ist das ein Mann, der dich zwingt, dich zu prostituieren, der nimmt dir das Geld weg, schlägt dich.“

Richterin: „Wie erklärte Herr F. Ihnen, dass er alles Geld nahm?“

Sveta M.: „Er hat gesagt, er braucht das ganze Geld, weil er in Bulgarien Schulden habe.“

Richterin: „Sie haben andere Frauen kennengelernt, haben einige von ihnen eigenverantwortlich arbeiten dürfen, ihr Geld behalten dürfen?“

Sveta M.: „Ich durfte ja nicht mit anderen Frauen sprechen, Bogdan hatte das verboten.“

Richterin: „Haben Sie sich nicht mit anderen Frauen unterhalten?“

Sveta M.: „Nein.“

Änne Ollmann, Anwältin:

"Wenn es sich um eine Tätergruppe handelt, die Zwangsprostituierte für sich arbeiten lässt, kann es passieren, dass eine Frau sogar mehrmals aussagen muss. Wann immer ein flüchtiges Mitglied der Gruppe gefasst wird, gibt es einen neuen Prozess. Für die Frau bedeutet das: Das Erlebte kommt immer wieder hoch.

Und eine Traumatherapie, die viele der Frauen dringend bräuchten, kann sinnvollerweise erst nach ihren Zeugenaussagen begonnen werden. In einer Traumatherapie sollen die Frauen angeleitet werden, das Erlebte, vereinfacht gesagt, wegzupacken, um es nicht immer präsent zu haben. Vor Gericht wird dagegen von ihnen das volle Gedächtnis erwartet, auch emotionale Reaktionen sind wichtig.“

Eva Högl, Bundestagsabgeordnete der SPD:

"Ich habe das Thema Menschenhandel für den Koalitionsvertrag mitverhandelt. Zurzeit wird im Justiz-, Familien- und Innenministerium an einer Gesetzesvorlage gearbeitet. Wir, die rot-schwarze Bundesregierung, planen, die Frauen zu entlasten und die Täter wirksamer zu bestrafen. Wir wollen beispielsweise eine Erlaubnispflicht für Bordellbetriebe einführen, was umgekehrt bedeutet: Besucht ein Freier ein illegales Bordell, macht er sich möglicherweise strafbar. Für den Straßenstrich kann es natürlich keine Erlaubnis geben. Da setzen wir auf eine bessere Beratung der Frauen.“

Sveta M.:

"Ich habe Angst, dass die Männer oder ihre Verwandten mich entdecken, aber nicht mehr so wie zu Anfang. Ich habe meinen Eltern erzählt, was mir passiert ist. Sie sagten, dass ich gut auf mich aufpassen solle. Ich habe in Berlin einen Freund und eine Freundin gefunden. Auch mein Freund kennt meine Geschichte. Ich will hier bleiben. Ich gehe wieder zur Schule und hoffe, eine Arbeitsstelle zu finden. Anständige Arbeit. Als Putzfrau zum Beispiel. Ich schäme mich so.“

Um den Schutz des Opfers zu gewährleisten, haben wir seine und die Identität der Täter anonymisiert.

Zur Startseite