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A schöne Leich. Im "Josephinum", einem ehemaligen Militärkrankenhaus, präsentiert diese blonde Venus aus Wachs ihre prächtigen Lungenflügel und eine unbeschädigte Leber.

© David Ensikat

Wien und der Tod: A schöne Leich’

Keine Hofburg, kein Dreivierteltakt, dafür eine Venus mit offenem Bauch, habsburger Eingeweide und die Gräber Namenloser. „Der Tod, das muss ein Wiener sein“, heißt es. Warum eigentlich?

Von David Ensikat

König von Deutschland als Berufswunsch? Warum denn nicht. Kaiser von Österreich? Auf gar keinen Fall! Und da muss man noch nicht mal was gegen die Österreicher haben.

Was nämlich die Wiener mit ihren Kaisern getan haben, wenn sie erst tot waren, das ist so geschmacklos, das kann keiner wollen. Die haben sie vollständig ausgenommen, das Herz raus, die Eingeweide raus, und dabei ging es ihnen nie um Organspende zum Wohle der Nachwelt, sondern einzig um das, was sie „a schöne Leich“ nennen, womit sie nicht die kosmetische Aufhübschung des Kadavers meinen, sondern eine pompöse Beerdigung.

Denn sie laufen sehr gern hinter Särgen her oder säumen den Weg großer Trauerzüge, die Wiener, das war bei den ganzen Habsburgern so, auch bei Falco und bei Udo Jürgens (nur dass Letztere, weil sie keine Kaiser waren, nicht vorher ausgenommen wurden; Geschmacklosigkeiten post mortem mussten aber auch sie erleiden, dazu dann später).

Der Grund für die Stückelung kaiserlicher Leichen? Ganz einfach: um mehr davon zu haben. Zunächst lässt sich ein Körper, dem man die Eingeweide entnommen hat, länger aufbahren, denn auch Adlige verwesen von innen nach außen. Zum anderen ergibt sich aus der Dreiteilung des teuren Toten in Herz, Eingeweide und Hülle die Möglichkeit der Verdreifachung des Bestattungszeremoniells, und das, wie gesagt, liegt den Wienern am Herzen.

Der Wiener geht generell vom Schlimmsten aus

Es heißt, die Wiener, diese Kaiserleichenfledderer, hätten eine Affinität für alles, was mit Tod und Vergehen zusammenhängt. Gut möglich, dass das schrammelnde Folklore ist oder wie der Wiener mit hartem „L“ sagen würde, ein Bleedsinn. Nur weil Georg Kreisler einen Hang zum Morbiden hatte, das Taubenvergiften besang und eines seiner schwächeren Lieder „Der Tod, das muss ein Wiener sein“ nannte? Den Kreisler haben sie aus Wien vertrieben, weil er ein Jude war. Als er nach dem Krieg noch mal kurz in seiner Geburtsstadt lebte, fühlte er sich nicht verstanden. Womöglich, weil man dort mit seinem schwarzen Humor überfordert war und die heitere Muse bevorzugt.

Sie haben nicht einmal besonders viele Friedhöfe in Wien, im Gegenteil, die meisten haben sie plattgemacht. Man kann auch nicht sagen, dass sich dem Erstbesucher Wiens ein morbider Charme sofort erschlösse. Die Bausubstanz ist prächtig in Schuss, es wirkt alles ein bisschen zu groß für so ein kleines Land. Helle Ockertöne beherrschen das Stadtbild. Nicht einmal Balkons haben sie an ihren Häusern – aus Angst, die könnten runterfallen und jemanden erschlagen. Von einem architektonisch sublimierten Todestrieb kann also keine Rede sein.

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Man könnte sich der Theorie von der Wiener Todesnähe aber auch wohlwollend nähern und theoretisieren. Etwa dass eine Stadt, die ihre Pracht einer Zeit verdankt, die vor 100 Jahren untergegangen ist, ein libidinöses Verhältnis zum Untergehen entwickeln musste. Außerdem gibt es Anzeichen dafür, dass der Wiener generell vom Schlimmsten ausgeht, letztlich also immer auch vom Tod. Dabei ist die Wendung „eh net“ von zentraler Bedeutung. Beim Schlachter sagt er, wenn er gerne Kalbsfleisch hätte: „Ahn Kalbsfleisch ho’ms eh net, gö?“ Will er sich für den Folgetag verabreden, lautet die Formel: „Mor’ng kannst eh net?“ Da ist es zum „Lang le’m tu’ ma eh net“ nicht weit.

Joseph II hat den Sparsarg eingeführt

Und schließlich kann man noch hinfahren und ausschließlich jene Stellen aufsuchen, die etwas Morbides haben. Keine Hofburg, kein Prater, kein Kaiserschmarrn, dafür Grüfte, Friedhöfe und grenzwertige Sammlungen.

Etwa die des Pathologisch-anatomischen Bundesmuseums im Narrenturm. Den hat der aufgeklärteste unter den österreichischen Kaisern, Joseph II., für die Geisteskranken bauen lassen. Die werden da schon lange nicht mehr untergebracht, dafür inzwischen missgebildete Embryos, rachitische Skelette und kunterbunte Nachbildungen schlimmer Haut- und Geschlechtskrankheiten.

Demselben Joseph verdankt Wien eine Ausstellung, die den umstrittenen Leichenschauen Gunther von Hagens kaum nachsteht, aber viel älter und geschmackvoller ist. Sie befindet sich im „Josephinum“, einem ehemaligen Militärhospital, und zeigt hunderte Modelle menschlicher Körper und Organe, allesamt aus Wachs gefertigt und in Form und Farbgebung viel echter wirkend als die echten von-Hagenschen Plastinate. Besonders hinreißend: die blonde Venus mit der Perlenkette, die wie hingegossen in ihrer Vitrine aus Rosenholz liegt mit sehnsüchtigem Blick und offenem Bauch. Prächtige Lungenflügel, Eins-a-Zwerchfell, eine Leber, die nie einen Tropfen Alkohol verkraften musste. Sehr empfehlenswert das Ganze, auch wegen der knarrenden Dielen und der schönen Sammlung chirurgischer Zangen und Amputationssägen.

Da die Habsburger so viele waren, dumm, schlau, magersüchtig, verfressen, und man schon rammdösig wird, wenn ein stolzer Wiener anfängt, nur die aus dem 19. Jahrhundert aufzuzählen, bleiben wir bei Joseph II. Zu unserem Thema hat er nämlich noch den Sparsarg beigesteuert, genauer, den „Josephinischen Gemeindesarg“. Einen solchen stellen sie im Bestattungsmuseum auf dem Zentralfriedhof aus. Sein Vorteil leuchtet jedem ein: Man hält ihn über das Grab, betätigt die Klappe, die Leiche plumpst raus, man kann das Ding wiederverwenden. Sinnvoll, oder? So sinnvoll, dass die Wiener es für gottlos hielten und protestierten, bis der Kaiser die Bestattung im verschwenderischen Einwegsarg wieder erlaubte.

Mozarts Grab ist schwer verkitscht

Keine schöne Leich. Auf dem „Friedhof der Namenlosen“ liegen viele anonyme Unfallopfer.
Keine schöne Leich. Auf dem „Friedhof der Namenlosen“ liegen viele anonyme Unfallopfer.

© David Ensikat

Das geschah zwar fünf Jahre vor Mozarts Tod, aber ihren berühmtesten Wiener haben sie noch per anonymer Klappsargbestattung entsorgt – womöglich weil er eigentlich ein Salzburger war. Dennoch beziehungsweise deshalb gibt es heuer nicht ein Mozartgrab in der Stadt, sondern zwei, und in beiden, so viel ist sicher, liegt er nicht.

Das eine liegt auf dem St. Marxer Friedhof, immerhin in der Nähe der Stelle, an der sich möglicherweise die Grube befand, in die sie den Mozart gekippt haben. „So genah waaß man des eh net.“ Der Besuch dieses Friedhofs im dritten Bezirk lohnt sich, weil hier, seit es den Zentralfriedhof gibt, niemand mehr vergraben wird. So sind neuzeitliche Entgleisungen in der Grabsteingestaltung ausgeschlossen, und das Areal befindet sich in einem leicht verwilderten Zustand, dass man sich als schlamperter Berliner gleich ganz wohlfühlt. Allein das Mozartgrab mit dem dicken Engel an der abgebrochenen Säule sieht schlimm verkitscht aus, schon weil es mit Hingabe gepflegt wird.

Ähnlich Mozarts „Ehrengrab“ auf dem Zentralfriedhof. Hier gibt es ein Areal für die größten Komponisten, Beethoven liegt da, der Schubert und der Strauss natürlich. Dass das Wolferl hier nicht fehlen darf, auch wenn die Überreste fehlen, ist verständlich und gefiel auch „Clara Su from China“, die am 5. Oktober 2016 ein Kärtchen vors Grab gelegt hat: „Dear Mozart. Ich liebe Dich¤ Thank U For Giving us so many beautiful things!“

"In Wien musst’ erst sterben, damit sie dich hochleben lassen"

Beeindruckende Schaudergräber finden sich auf dem properen und natürlich sehr, sehr großen Zentralfriedhof etliche, hervorzuheben seien das plexigläserne von Falco sowie das recht frische von Udo Jürgens. Jürgens hätte natürlich beim Blick in sein Publikum ahnen können, wie die Sache ausgeht. Verfügt hat er nur, dass er bescheiden in der Urne vergraben werden sollte. Was oben- drauf kam – das hat sich dann halt so ergeben. Ein merkwürdig gedrungener Konzertflügel, verdeckt von einem dick wallenden Tuch, das alles aus schlohweißem Marmor gefertigt, davor ein Naturstein im Boden, auf den die Fans diverses Herz- und Puttenmaterial abgestellt haben. Das hat er nun von seiner Freundlichkeit.

Sehr schön übrigens der bronzene Qualtingerkopf auf dem Grab vom deutlich unfreundlicheren Kabarettisten Helmut Qualtinger. Der hat zur Sache wie folgt Stellung bezogen: „In Wien musst’ erst sterben, damit sie dich hochleben lassen. Aber dann lebst lang.“

Exakt das erleben nun die Habsburger besonders gnadenlos. Ihre Herzen liegen in Töpfen in einem Anbau der Augustinerkirche, die restlichen Eingeweide in der Gruft unterm Stephansdom. Letztere sollte man aufsuchen in der Hoffnung, vom Studenten der Theologie, Florian Bauchinger, geführt zu werden, der das seit sechs Jahren macht, an manchen Tagen zehn Mal.

Das hört man. Sein Vortrag über Knochen, Eingeweide und Pesttote klingt wie von einer leiernden Schellackplatte abgespielt, nur ohne Kratzer, dafür mit Hall. Auf die Frage, was sich tatsächlich noch in den Habsburger-Töpfen befindet, spricht er recht abgeklärt von einer zähen, dunklen Masse. Dagegen beteuert ein anderer Wien-Kenner, der sich als weit glaubwürdiger erweisen wird, dass sowohl in den Herz- als auch in den Gedärmtöpfen „goa nix“ mehr drin sei, „ois verdampft“.

Wasserleichen, Selbstmörder, Unfallopfer - trostloser geht’s nicht

Mit eben jenem Fremdenführer an der Seite gerät selbst der Besuch der viel zu großen Kapuzinergruft mit den viel zu großen Kaisersärgen zum lustigen Ereignis. Er trägt den schönen Namen Gerhard Straßgschwandtner, betreibt neben der Fremdenführerei ein Museum, das sich allein dem Film „Der dritte Mann“ widmet, und erzählt so liebevoll gehässig von den Herrschaften, die hier die Särge füllen, dass sie einem vor allem leidtun. Die Gebärmaschinen zum Wohl der Dynastie, die Epileptiker, Inzuchtopfer allesamt, etwa Ferdinand der Gütige mit dem Wasserkopf und dem Spitznamen Gütinand der Fertige, dann natürlich die magersüchtige Sisi mit den Hungerödemen an den Beinen, der arme Joseph II., der die Frau, die er heiraten musste, tatsächlich liebte, obgleich jene seine Schwester vergötterte und ihn kein bisschen, außerdem seine Mutter Maria Theresia, die sich bei Josephs ungeliebter zweiter Frau mit den Pocken infizierte und nach dem Tod ihres Mannes so schlimm der Fresserei anheimfiel, dass man sich nicht wundert, dass ihr Sarg so gigantisch geraten ist. Da liegt sie zwar mit ihrem Gemahl drin, aber Platz wäre in dem Ding für zehn.

Als Gegenprogramm zur Kaisergruft und letzte Station führt Herr Straßgschwandtner noch über einen dritten Friedhof , allerdings einen, der mit Walzerseligkeit und k.u.k.-Chichi so viel zu tun hat wie die Romy-Schneider-Sissi (mit doppeltem „S“) mit der echten Sisi. Er befindet sich im öden, aber hübsch benannten Ortsteil „Albern“. Hier gab es nie „a schöne Leich“, weder im wienerischen noch deutschen Sinne. Die Bestattungen waren anonym, die Leichen zumeist grausam entstellt. Wasserleichen, von der Donau angespült, Selbstmörder, Ermordete, Unfallopfer. „Friedhof der Namenlosen“ heißt der Ort, eine kleine Ansammlung gusseiserner Kruzifixe, silberner Herrjesus am schwarzen Kreuz, Mauer drumherum, inmitten einer deprimierenden Industrie- und Hafenbrache. Trostloser geht’s nicht, kein Ort zum Flanieren, kein Dreivierteltakt, nur dumpfe Stille.

Für jeden, der’s mit Georg Kreisler hält, „Wie schön wäre Wien ohne Wiener“, genau richtig. Nur erklingen sollte das Lied hier auf keinen Fall, denn sein Takt ist viel zu heiter: Schrummtata – Schrummtata – Schrummtata – Schrummtata.

Der Autor betreut unsere Rubrik „Nachrufe“.

Tipps für das morbide Wien

FRIEDHÖFE

Zentralfriedhof, nach dem Hamburg-Ohlsdorfer Friedhof ist das Europas größter: Simmeringer Hauptstraße 234, 7 - 19 Uhr geöffnet, donnerstags 7 - 20 Uhr, Tram 6, 71

Friedhof der Namenlosen: Alberner Hafenzufahrtsstraße, am besten mit dem Auto zu erreichen, geöffnet 10 - 22 Uhr

Der St. Marxer Friedhof, eine öffentliche Parkanlage im 3. Bezirk, Leberstraße 6-8, geöffnet 6.30 - 20 Uhr, Tram 71

NOCH MEHR TOTE  

Wachsmodellsammlung im Josephinum: Währinger Str. 25, Mi 16 - 20 Uhr, Fr/Sa 10-18 Uhr. josephinum.ac.at/

Pathologisch-anatomische Sammlung im Narrenturm: Spitalgasse 2, Mi 10 - 18 Uhr, Do und Sa 10 - 13 Uhr

Gruft unterm Stephansdom: Katakombenabgang im Dom. Führungen 10 - 11.30 Uhr und 13.30 - 16.30 Uhr, halbstündlich

Wien-Führungen: Gerhard Straßgschwandtner, special-vienna.com, oder telefonisch unter +43-6764757818

VIRTUELL

Wer lieber von zu Hause aus Verreisen möchte, findet im Archiv des Videomagazins "Vienna Now" die Sendung "Coffins, graveyards and broken skulls".

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