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Gärten in luftiger Höhe. Das Parkroyal Hotel verbindet spektakuläre Architektur mit Nachhaltigkeit.

© Patrick Bingham-Hall

Wie Singapur ökologisch werden will: Grüner Daumen Singapur

Der Stadtstaat in Südostasien wächst und wächst. Trotz der begrenzten Fläche wird versucht, Natur zu bewahren und ganze Gebäude zu bepflanzen. Besuch in einem tropischen Zukunftslabor.

Schirin Taraz klettert in den Lichtschacht. Gläserne Tür auf, schon steht die deutsche Architektin auf dem drei Mal zwei Meter dichten Stahlseilteppich, der sie auffängt wie ein Sicherheitsnetz einen Trapezkünstler.

Sie befindet sich zwischen grünen Kletterpflanzen, im dritten Stock des Büros von Woha Architects, vom Dach in der fünften Etage tröpfelt Wasser von Blatt zu Blatt hinunter, und sie sagt stolz: „Das ist unser natürliches Kühlungs- und Belüftungssystem.“ Offensichtlich auch für die Toilette, die sich mit versetzen Schlitzöffnungen an den Schacht anschließt. Geräuschvoll rauscht gerade die Spülung.

Die Luft kühlen, die Wohnungen belüften, die Häuser begrünen – wo messen Menschen scheinbar kleinen Problemen dermaßen großen Wert bei? In Singapur, dem Zukunftslabor Asiens. Eine Metropole, die das subtropische Klima zähmen muss und es gleichzeitig nutzen will. Beinahe jeden Tag steigt das Thermometer auf über 30 Grad, Klimaanlagen pusten kühle Luft in die Apartmenthäuser, Shoppingmalls und Wolkenkratzer und verbrauchen kostbare Energie.

Grün ist die Insel, ökologisch möchte der Staat sein. CNN vermeldet: „Singapur ist die grünste Stadt Asiens.“ In kaum einem anderen Land des Kontinents werden so viele Anstrengungen unternommen, die Umwelt zu schützen. Seit 2005 sorgt das „Green Mark Scheme“ dafür, dass jeder Neubau ein Nachhaltigkeitssiegel erhält – das wiederum über Zuschüsse oder Steuervorteile entscheidet. Außerdem muss jeder vernichtete Quadratmeter Grünfläche als Garten auf dem Gebäude ersetzt werden.

Bloß nicht die Gebäude nach Osten ausrichten

Das Wichtigste ist die „Verschattung“, sagt Schirin Taraz. „Wenn mein Gebäude die falsche Ausrichtung hat, wird die Klimatisierung eine Katastrophe.“ Singapur liegt nahe dem Äquator, niemand will zu viel Sonne auf sein Gebäude lenken. „In Europa orientiert man sich nach Ost und West, weil wir die tiefstehende Sonne haben. Hier nach Norden und Süden, weil es im Norden kaum Sonne gibt und sie im Süden so hoch steht, dass sie nicht auf die Fassade trifft.“

Dazu kommen kleine Bauelemente mit schattenspendender Wirkung: austragende Streben aus Steckmetall, weit austragende Dächer wie im tropischen Hausbau. Oder Monsunfenster, die sich nach unten öffnen, sodass frische Luft in der Regenzeit hineinströmt, ohne dass der Niederschlag die Wohnungen überschwemmt.

Wer ein Auto will, braucht erst mal eine Berechtigung zum Kauf

Natur an wundersamen Orten - zum Beispiel als Dachgarten auf der 57.Etage des Marina Bay Sands Hotel.
Natur an wundersamen Orten - zum Beispiel als Dachgarten auf der 57.Etage des Marina Bay Sands Hotel.

© Ulf Lippitz

„Als ich vor zehn Jahren ankam, war die Insel knapp 700 Quadratkilometer groß und 3,4 Millionen Menschen lebten darauf“, sagt die 41-jährige Architektin. Heute ist die Insel ein bisschen größer durch die Landgewinnung, aber hat 5,6 Millionen Einwohner. Trotz dieses rasanten Wachstums ist die Stadt kein Moloch wie Manila, „das im Dreck ersäuft“, wie Schirin Taraz findet, oder wie Jakarta, das im Verkehr erstickt.

Wer vom Flughafen in das Zentrum möchte, kann die 20 Kilometer problemlos in 30 Minuten schaffen. Mehrspurige Autobahnen führen in die Stadt, und nie drängen sich zu viele Fahrzeuge darauf. Singapur reguliert seinen Verkehr. Wer ein Auto kaufen möchte, muss eine Berechtigung für zehn Jahre von der Land Transport Authority erwerben.

Die Gebühr schwankt je nach Größe und Marke. Ein Zertifikat für einen großen BMW kann 90 000 Singapore-Dollar kosten (etwa 60.000 Euro). Hinzu kommen der Anschaffungspreis und diverse Steuern. Dafür gibt es ein effizientes und günstiges U-Bahn-System. Etwa 1,50 Euro kostet eine Fahrt.

Ein Hotel wie eine Terrassenplantage

Schirin Taraz ist inzwischen zum Parkroyal Hotel gegangen, vorbei an den ERP-Sensoren, die von den Fahrzeugen im Zentrum eine elektronische Maut einkassieren. Sie sitzt in einem Korbsessel auf der Terrasse in der fünften Etage. Die Architekten von Woha haben das Hotel 2013 fertiggestellt, es ist einer der spektakulärsten Tourismusneubauten der Stadt.

Nicht weil es so hoch gebaut ist, mit seinen 16 Etagen verschwindet es zwischen den Wolkenkratzern, sondern weil das Gebäude wie eine Terrassenplantage entworfen ist, ein großes W auf dünnen Betonstelzen, und als Vorbild nachhaltigen Bauens gilt.

„Eine Brise“, nennt Taraz die angenehme Windböe, die gerade über den Swimmingpool fegt. Das kommt daher, weil die Freifläche zu beiden Seiten offen ist. „Das ist nicht typisch, das hat man sonst nur in höheren Etagen.“ Dafür braucht das Hotel keine Klimaanlage auf dieser Etage, die Winde kühlen zusätzlich die Fassade ab.

Ein paar Meter weiter hat der Chefkoch einen kleinen Gemüse- und Kräutergarten etwa 30 Meter über der Erde anlegen lassen. Außerdem haben die Architekten über verschiedene Ebenen verteilt hängende Gärten angelegt, auf dem Dach wachsen Bäume in die Höhe.

Singapur feiert dieses Jahr 50 Jahre Unabhängigkeit

„Wir haben zweieinhalb Mal so viel Grünfläche geschaffen, als wenn es sich um eine ebene Fläche gehandelt hätte“, sagt Schirin Taraz. Jeder Regentropfen fließt in ein Auffangbecken, das Wasser nutzt das Hotel, um Pflanzen zu bewässern oder Toiletten zu spülen.

50 Jahre alt wird der Stadtstaat Singapur am 9. August. Davor war er britische Kolonie und für kurze Zeit Teil des malaysischen Staates. Bis die Malayen nichts mehr mit den armen Nachbarn zu tun haben wollten, diesem Eiland, auf dem es keine Rohstoffe gab, wenige Wasserressourcen, nur dichten Urwald im Herzen und Krabben an den Ufern.

Ein halbes Jahrhundert später sind die Tiere verschwunden. Die Krabben für das Nationalgericht Chili Crab kommen aus Sri Lanka, das Wasser bezieht der Staat zu 50 Prozent von seinem Nachbarn. Und arm ist hier kaum jemand. Wenigstens offiziell. 5018 Euro verdient der durchschnittliche Singapurer, nur in fünf Ländern der Welt gibt es ein höheres Pro-Kopf-Einkommen.

Staatsgründer Lee Kuan Yew hat Singapur mit eiserner Disziplin regiert. Er war 31 Jahre Premierminister, ab 1990 gehörte er noch dem Kabinett an und verstarb in diesem Jahr. Lee setzte eine Mischung aus liberaler Wirtschaftspolitik und kommunistischer Sozialpolitik mit einem drakonischen Rechtssystem durch.

Er ließ im großen Stil kommunale Wohnungen bauen, die fast nur verheiratete Paare beziehen dürfen. Kaugummis sind verboten. Wer Graffiti sprüht, wie dieses Jahr zwei Leipziger Männer, wird zu neun Monaten Haft und drei Stockhieben verurteilt.

Eine Chance für Singapur: der Green Corridor

Verlassener Bahnhof am Green Corridor.
Verlassener Bahnhof am Green Corridor.

© Ulf Lippitz

„Als ich in den 80er Jahren nach Singapur kam, hielt ich es für eine kleine Insel mit einem Diktator“, sagt Paul Wonnacott, ein pensionierter Brite, der seit 30 Jahren im Stadtstaat lebt. Er arbeitete bis vor einigen Jahren als Ingenieur, heute hat er seine Meinung revidiert („Man lebt ziemlich gut hier.“) und engagiert sich in der Nature Society für den Green Corridor.

Bis zum 1. Juli 2011 fuhren auf dieser 25 Kilometer langen Schneise Züge von Malaysia durch den Westteil Singapurs bis hinunter zum Bahnhof Tanjong Pagar – gleich südlich von Chinatown gelegen. Als die Linie aufgegeben wurde, haben sich sofort Immobilienentwickler gemeldet, um Wohnraum zu schaffen, eines der kostbarsten Güter auf einer kleinen Insel wie Singapur.

Ein Wettbewerb zur Landschaftsgestaltung

Aber zum vielleicht ersten Mal hat sich eine breite Bürgerfront dagegen aufgestellt. Der Green Corridor soll zu einem Naturpark umgestaltet werden. Bereits heute sind viele der alten Gleise abgetragen, ein breiter Weg führt schnurgerade von der Grenze bis zum Zentrum.

Die zuständige Behörde hat zugesagt, dass die Strecke weiterhin als Naherholungsgebiet für Wanderer, Spaziergänger und Fahrradfahrer genutzt werden darf. Im Mai hat sie einen Wettbewerb ausgeschrieben, um den Korridor vorsichtig gestalten zu lassen.

An diesem Vormittag geht Paul Wannacott einen Seitenpfad an der nördlichen Bukit Timah Road entlang, der auf die ehemalige Trasse führt. Ein paar Kilometer weiter kontrollieren Grenzbeamte, dass die Fahrzeuge mit singapurischem Kennzeichen mit einem zu mindestens 75 Prozent vollen Tank ausreisen.

Damit soll ein grenznaher Tankstellentourismus, wie zwischen Tschechien und Sachsen lange üblich, verhindert werden. Paul Wonnacott kontrolliert, ob er genug Trinkwasser dabei hat.

Rüstiger Wanderer zwischen den Bäumen

Alles an ihm signalisiert Funktionalität. Der Brite trägt eine dunkle Cargohose, festes Schuhwerk und ein ausgewaschenes rotes Basecap. Er brummt Fakten unter dem grauen Bart hervor, „morgens finden wir an diesem Teilstück manchmal Affen, weiter rechts im Wald können Schuppentiere versteckt leben“.

Je weiter er nach Süden wandert, umso größer werden die Häuser hinter den Bäumen. Man sieht die Sozialbauten aufsteigen, Betonquader aus den 70er und 80er Jahren, einen Universitätscampus, der mit den Glasfassaden wie eine Hightech-Firma aussieht, und die Bürohochhäuser der Biopolis, wo biotechnische Firmen sitzen.

Zwei Stunden geht er unbeeindruckt von der stechenden Sonne hinunter bis zur ehemaligen Portsdown Kaserne, wo weiß getünchte Häuser auf einem versteckten Hügel stehen. Er rümpft die Nase, wenn er sieht, dass ein Anwohner hohes Gras an den Wegrändern beschnitten hat, weil es ihm die Sicht aus dem Garten heraus behindert. Und lächelt zufrieden, wenn Fahrradfahrer vorbeiradeln. Die Menschen, sagt dieses Lächeln, haben den Korridor längst für sich erobert.

Vertikale Gärtnern ist nun ein Riesentrend

Darren Neo hat eine Firma für Vertical Gardening gegründet.
Darren Neo hat eine Firma für Vertical Gardening gegründet.

© Ulf Lippitz

An die Umwelt zu denken, das ist in einem Hightech-Staat wie Singapur kein Widerspruch mehr. Staatsgründer Lee hat seiner Stadt schon in den 60er Jahren den Slogan „Garden City“ geschenkt, vor ein paar Jahren wurde der Spruch in „City in a Garden“ geändert. Ein kleines Wortspiel, eine wichtige Betonung. Der Garten ist der Bezugsrahmen, in dem sich die Stadt nun entwickeln darf.

Niemand verkörpert diesen Bedeutungswechsel so gut wie Darren Neo, ein 29-jähriger Unternehmer, der einmal einen sicheren Job im Bankwesen hatte – wie so viele seiner Landsleute. Heute ist er ein Selfmademan, er unterhält eine florierende Firma, die auf Vertical Gardening spezialisiert ist, auf das Anlegen vertikaler Gärten.

Projekte für Visa und Alibaba

In der sechsten Etage eines Lagerhauses öffnet der Chef selbst. Eine Glastür am Rande eines fußballplatzgroßen Parkdecks, flankiert von Werkstätten. Gegenüber stehen die Überreste eines weißen Autos, offensichtlich eine Art Ersatzteillager. Dieser Ort könnte ein verlassener Basar in Westafrika sein, nicht ein Platz, wo über die Zukunft nachgedacht wird.

Das tut Darren Neo. Vor acht Jahren begann es damit, dass er die Wand seines Elternhauses bepflanzte. Heute hat er ein Büro in Schanghai, einen Auftrag für ein amerikanisches Architekturbüro in den Philippinen und Dutzende Projekte in Singapur: für Wohnungen, Büros, Einkaufszentren. Er hat die Bürowände der Kreditkartenfirma Visa in Singapur begrünt und die des Onlinehändlers Alibaba im chinesischen Hangzhou. „Es ist ein bisschen überwältigend“, sagt Neo über den Erfolg.

„Singapur war einmal ein Sumpf“, erklärt er. „Die Menschen sahen jeden Tag Pflanzen, aber mit der rapiden Stadtentwicklung über 40 Jahre hinweg verschwand das Grün aus ihrem Leben.“ Er ist in der dritten Generation Singapurer, wild wuchernde Pflanzen kannte er höchstens aus dem Botanischen Garten. „Ich hatte den Kontakt zur Umwelt völlig verloren.“

Zwölf Grad Temperaturunterschied

So wie ihm ging es vielen Menschen. Sie wollten das Grün, das jahrelang verdrängt wurde, zurück in ihre Häuser holen. Weil sie erkannten, wie Pflanzen die Luft verbesserten und auf den Balkonen die Temperaturen abkühlten.

Darren Neo erzählt, wie die Regierung Untersuchungen durchführte, an normalen Betonwänden und an solchen mit vertikalen Gärten. „Der Temperaturunterschied betrug zwölf Grad.“ Seitdem fördert der Staat Projekte mit hängenden Gärten, die Fassaden Singapurs wie eine lockere Moosschicht bedecken.

Schirin Taraz sagt, das sei eine Mode – ein bisschen Kosmetik in einer riesigen Glas- und Betonwelt. Aber der Trend zeige trotzdem das veränderte Denken. Die Menschen machen sich Gedanken, wie sie ihr Leben grüner gestalten können. Und wie sie ihr Wissen zu einem Geschäftsmodell entwickeln können. Das haben sie in Singapur gelernt: Tue Gutes und verdiene Geld damit.

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