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Die blinde Gerechtigkeit - am Eingang des Kriminalgerichts Moabit.

© Fabian Sommer/dpa

Wer profitiert von Bußgeldern?: Justitias Rätsel

Berliner Gerichte verhängen im Jahr Bußgelder in Höhe von sieben Millionen Euro - ziemlich undurchsichtig ist das Vergabeverfahren an soziale Vereine

Es geht um hohe Beträge. In Berlin summieren sich die Bußgelder, die von Richtern und Staatsanwälten verhängt werden, seit 2010 jährlich auf rund sieben Millionen Euro. Im Corona-Jahr 2020 waren es 6,87 Millionen Euro, 2019 sogar 7,26 Millionen Euro. Viel Geld, das gemeinnützigen Organisationen und ehrenamtlichen Vereinen bei ihrer Arbeit helfen könnte. Denn die Richter und Anklagevertreter können bestimmen, ob Bußgelder einem gutem Zweck zukommen. Das tun Richter auch durchaus, es ist aber offenbar nicht die Regel. Tatsächlich nämlich gingen 2020 nur 2,38 Millionen Euro an gemeinnützige Organisationen. Hauptprofiteur der Bußgelder ist vielmehr mit 4,49 Millionen Euro die Justizkasse. So war es auch in den Vorjahren. Daneben aber offenbart die Auflistung der Zahlungsempfänger seit 2010 ein ziemlich undurchsichtiges Vergabeverfahren.

Die Bußgeld-Regelung gilt nur für Verfahren, die eingestellt werden. Geldstrafen am Ende eines Strafverfahrens gehen grundsätzlich an die Staatskasse, ebenso Bußgelder für Verkehrsverstöße. Für alle anderen Bußgelder können sich gemeinnützige Organisationen, Vereine und Stiftungen vom Amtsgericht Tiergarten in ein zentrales Verzeichnis aufnehmen lassen. Bedingung: Die Organisationen müssen ihren Sitz in Berlin haben oder konkrete Projekte in Berlin nachweisen. Strafkammern und Schöffengerichte können dann nach eigenem Ermessen auf dieses Verzeichnis zugreifen. Derzeit sind 342 Organisationen aufgelistet.

Mittelverwendung wird nicht überprüft

Erstaunlicherweise muss von den begünstigten Organisationen kein Nachweis über die Mittelverwendung erbracht werden; auch Prüfungen finden nicht statt, bestätigte die Justizverwaltung. Die Verwaltung äußert sich auch nicht dazu, ob es in der Vergangenheit Unregelmäßigkeiten bei der Geldverwendung bekannt wurden. Richter sind „an keine Vorgaben oder Vergabekriterien gebunden“, heißt es lediglich in einer parlamentarischen Anfrage. Werde aber eine gemeinnützige Organisation bedacht, „ist innerdienstlich angeordnet, jeden Anschein von Eigenbegünstigung, Eigeninteresse oder Bevorzugung zu vermeiden“, etwa wenn die Richter dort selbst Mitglied sind oder gar Funktionsträger. Überprüft werde das aber nicht.
Warum der größte Teil der Bußgelder an die Justizkasse geht, kann nur vermutet werden. Möglicherweise wollen Richter oder Staatsanwälte den Anschein einer Begünstigung vermeiden. Zudem ist der Verwaltungsaufwand offenbar geringer, um das Geld an die Justizkasse als an eine gemeinnützige Organisation zu überweisen. Geht aber Geld an Organisationen oder Stiftungen, handelt es sich zuweilen um durchaus große Summen – Spitzenreiter waren 2020 die Björn-Schulz-Stiftung für lebensverkürzend erkrankten Kindern (132.000 Euro), das evangelische Jugend- und Fürsorgewerk EJF (122.000 Euro) und die Kindernothilfe e.V. (112.000 Euro). Begünstigt werden daneben aber auch weitgehend unbekannte Gruppierungen, die fernab von Berlin operieren oder nichts mit Berlin zu tun haben.
In der Spitzengruppe der rund 300 bedachten Gruppierungen findet sich etwa jährlich die Alfred und Angelika Gutermuth-Stiftung, die seit 2010 rund 790.000 Euro für die Leukämie-Forschung erhalten hat – wobei für 2017 keine Zahlen vorliegen. „Seit 2009 engagiert sich die Stiftung in Baden-Württemberg und unterstützt am Standort Mannheim ein MDS-Zentrum“, heißt es auf der Webseite. Auch die in Berlin nicht aktive „Rettungsstiftung Jürgen Pegler“, die sich um sichere Schulwege in Baden-Württemberg und Bayern kümmert, findet sich regelmäßig auf der Liste und hat seit 2010 rund 180.000 Euro erhalten. Drittes Beispiel: Die 1984 in Karlsruhe gegründete NPH-Kinderhilfe, die Waisen in Südamerika unterstützt, hat in jährlichen Raten seit 2010 insgesamt 155.000 Euro erhalten. Auch wenn es nicht darum gehen soll, die Arbeit der Organisationen geringzuschätzen oder herabzusetzen, wundert doch, dass weitaus bekanntere und in Berlin überaus aktive und ehrenamtlich arbeitende Organisationen nur mit minimalen Beträgen unterstützt werden.

Neuer Sammelfonds arbeitet ganz anonym

Eine Erklärung für diese Auffälligkeiten gibt es nicht. Möglicherweise ist der Justizverwaltung das Vergabeverfahren aber selbst zu heikel geworden. Bekannt ist das nicht. Und auf die Frage, ob es vorher Zuwendungen an Organisationen gab, die Kritik ausgelöst hatten,  antwortet Sebastian Brux, Sprecher von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), mit einem knappen „Nein“. Seit 2010 aber gibt es jedenfalls einen eigenen Fonds, in dem die Bußgelder gesammelt und dann von einem Entscheidungsgremium aus Richtern, Staatsanwälten und Justizmitarbeitern an gemeinnützige Vereine und Organisationen verteilt werden sollen. Damit wolle man die „Gerichte bei der Schaffung von größtmöglicher Transparenz unterstützen“, heißt es.
Sonderlich erfolgreich ist der Sammelfonds aber nicht. Im Jahr 2020 sind aber immerhin 328.000 Euro an den Sammelfonds gegangen – bei insgesamt 6,87 Millionen Euro Bußgeldern. Davor war es noch weniger; vergleicht man die Zahlen seit 2010, gingen durchschnittlich jährlich nur 130.000 Euro an den Sammelfonds. Das verwundert, schließlich sehen nach Auskunft des Justizsenators bei der Staatsanwaltschaft „innerdienstliche Vorschriften vor“, dass „vorrangig der Sammelfonds bedacht werden soll“. Man habe deshalb zum Jahresbeginn 2020 „zahlreiche Maßnahmen getroffen“. Dazu gehört, dass in der Staatsanwaltschaft bei der Vergabe an Organisationen ab 1500 Euro eine „Vorlage bei der Vorgesetztenebene zur Kenntnisnahme und Billigung zu erfolgen hat“. Zudem bemühte man sich um eine „Sensibilisierung“ bei Richtern und Staatsanwälten, die man in einem Rundschreiben „um verstärkte Bedenkung des Sammelfonds bat“ , so die Antwort auf die parlamentarische Anfrage. Aus dem Sammelfonds, , „werden Einzelbeträge zu größeren Beträgen zusammengefasst und gemeinnützigen Einrichtungen“ in einem weiten Bereich von Opfer-, Kinder- und Bewährungshilfe sowie Demokratieförderung zugesprochen. Welche das sind, ist nicht bekannt. „Das Entscheidungsgremium des Sammelfonds legt hierüber keine Statistik vor“, sagt Justiz-Sprecher Sebastian Brux.

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