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Für Frauen war der Eintritt in die Bäder ein wenig teurer, warum, ist nicht überliefert.

© Abbildung: Alamy

Wasserversorgung in der Antike: Wie die alten Römer im Wasserüberfluss schwelgten

Vor 2000 Jahren veranlasste ein Mann, dass eine Million Römer aus dem Vollen schöpfen konnten: Frontinus’ Wasserleitungen sind heute noch vorbildlich.

Von Andreas Austilat

Sextus Julius Frontinus wusste, wie sehr sie bestaunt wurden, die Pyramiden der Ägypter und die großen Tempel der Griechen. Er selbst freilich hielt sie für nicht ganz so großartig. Im Gegenteil. „Nutzlos“, nannte er die einen, „überflüssig“ die anderen. Und er ließ keinen Zweifel daran, was er wirklich bewundernswert fand: all die Leitungen, die seine Heimatstadt Rom mit Wasser versorgten.

Ganz objektiv war er in diesem Urteil nicht. Man schrieb das Jahr 97 und der Kaiser persönlich hatte Frontinus gerade zum Chef der römischen Wasserversorgung befördert. Die Aufgabe war kompliziert, wie er schnell erkannte, und Fachwissen vor allem auf der Ebene jener, die das Sagen hatten, eher selten. Aber solche Fälle waren seine Spezialität.

Frontinus war mittlerweile 62 Jahre alt. Wahrscheinlich stammte er ursprünglich aus Südfrankreich, doch über sein Privatleben weiß man wenig. Sicher ist, er war verheiratet und hatte eine Tochter. Hinter ihm lag eine lange Karriere. Der Kaiser hatte ihm einst das Kommando über 75000 Legionäre in Britannien anvertraut, ein Fünftel der gesamten römischen Militärmacht, um die Waliser zu unterwerfen. Frontinus diente als Kommandeur in der heutigen Türkei und im renitenten Germanien. Er hatte die höchsten Staatsämter innegehabt, nun sollte er sich also um die Wasserleitungen kümmern.

Das erste Handbuch für Wasserbauingenieure

Frontinus ging sofort an die Arbeit, studierte die Materie akribisch und schrieb alles in ein Buch, von dem er hoffte, es würde seinen Nachfolgern nützlich sein. Tatsächlich verfasste er vor 2000 Jahren mit „De aquaeductu urbis Romae“ so etwas wie das erste Handbuch für Wasserbauingenieure.

Zumindest in Mitteleuropa gilt die Versorgung mit sauberem Trinkwasser heutzutage als selbstverständlich. Dürreperioden, wie sie Brandenburg seit Jahren heimsuchen, gelten allenfalls als Problem für Landwirte und Feuerwehren. Damit, dass irgendwann der heimische Hahn trocken bleibt, rechnet niemand. Dabei drohte genau dieser Zustand der Stadt Rom im Sommer des Jahres 2017, in einigen Vierteln musste das Wasser für acht Stunden abgestellt werden. Schuld war neben der Trockenheit der Zustand der maroden Leitungen.

Frontinus’ Ausgangslage vor 2000 Jahren war im Prinzip gut. Roms etwa eine Million Einwohner konnten aus dem Vollen schöpfen. Sechs Überlandleitungen versorgten die Stadt am Tiber, zumeist verliefen sie unterirdisch. Weil die Römer aber in der Regel wegen der höheren Belastung auf reparaturanfälligere Druckleitungen verzichteten, mussten sie ein gleichbleibendes Gefälle haben.

Plinius der Ältere schwärmte vom Wasserüberfluss

Deshalb überwanden die Leitungen mit der immer gleichen Neigung Täler und Berge. Noch heute sind die Brückenbauten als Aquädukte weithin sichtbar. Historiker schätzen, dass jeder Römer mit 500 Litern täglich versorgt werden konnte. Eine enorme Menge, die heutigen Ansprüchen mehr als genügen würde. Durchschnittlich verbraucht der Bundesbürger am Tag etwa 122 Liter. Tatsächlich gibt es Berechnungen, nach denen das Volumen der antiken Wasserversorgung erst wieder im Rom der 1960er Jahre erreicht wurde.

Die antiken Zeitgenossen wussten das zu schätzen. Plinius der Ältere, Offizier und Naturforscher, geriet im ersten nachchristlichen Jahrhundert gar ins Schwärmen über die Zustände im Imperium. „Wenn man den Überfluss an Wasser in der Öffentlichkeit“, Plinius meinte all die Schwimmbäder, Fischteiche und öffentlichen Brunnen, aber auch die Bewässerung der Felder und Gärten, wenn man also „die errichteten Bogen, die durchgrabenen Berge und eingeebneten Täler sich genau vergegenwärtigt, wird man gestehen müssen, dass es auf der ganzen Erde nie etwas Bewundernswerteres gegeben hat.“

Dabei waren die Römer keineswegs die ersten, die sich über die Wasserversorgung ihrer Städte Gedanken machten. In den Ländern der Mittelmeerregion sind die Niederschlagsmengen jahreszeitlich sehr ungleich verteilt, die Grundwasservorkommen sind gering und schwer zugänglich. Das Bewusstsein für die Bedeutung des Wassers war entsprechend groß. Für die Griechen sah Thales von Milet darin den Ursprung allen Seins. Die Wassertechnik war in Mesopotamien ebenso wie in Nordafrika und Griechenland hoch entwickelt. Doch keine dieser Kulturen ging das Problem so pragmatisch an wie die Römer.

Das Leitungsnetz bestand aus Blei und Beton

Vor 2300 Jahren bauten sie die erste Leitung zur Versorgung Roms. Und sie erwarben rasch hohes technisches Können. Aufwendige Tunnelarbeiten waren nur möglich, wenn mehrere Abschnitte gleichzeitig begonnen wurden. Damit die sich hinterher alle an der richtigen Stelle treffen, bedarf es exakter Berechnungen. Ebenso wichtig waren geeignete Baustoffe. Die Römer favorisierten Blei für ihre Leitungen, obwohl sie wussten, dass der Stoff der Gesundheit abträglich ist. Vitruv warnte vor 2000 Jahren in seinem Werk über Architektur vor den Gefahren einer Vergiftung.

Blei ist jedoch leicht zu verarbeiten. Die Römer löteten die Rohre aus vorgefertigten Blechen zusammen, die Durchmesser waren genormt. Für größere Querschnitte gab es ebenfalls genormte Tonleitungen und Opus Caementitium, ein mehr als 2000 Jahre alter Beton, der auch unter Wasser aushärtet. Am Ziel stand die öffentliche Versorgung mit ihrem dichten Brunnennetz an erster Stelle, gefolgt vom Zufluss für die öffentlichen Bäder. Privatanschlüsse galten offiziell als drittrangig.

Ideal war das stetig fließende Wasser, Absperrventile gab es, wurden aber selten eingesetzt. Denn das abfließende Nass erfüllte eine weitere wichtige Funktion. Es spülte die Kanalisation, an die auch die öffentlichen Latrinen angeschlossen waren, frei von Unrat.

Der Kult ums Wasser unterschied die Römer von den Barbaren

Der Pont du Gard bei Nîmes gehört zu den spektakulärsten Aquädukten.
Der Pont du Gard bei Nîmes gehört zu den spektakulärsten Aquädukten.

© Andreas Austilat

Die Römer sahen ihre Wasserleitungen als zivilisatorische Leistung an, die auch den unterworfenen Provinzen zugute kam. Im Gegenzug dürfte dort die gesicherte Wasserversorgung dazu beigetragen haben, sich mit den neuen Machthabern zu arrangieren.

Entsprechend vielfältig sind die Beispiele römischer Ingenieurskunst rund um das Mittelmeer. Der größte erhaltene Aquädukt überspannt mit beinahe 50 Metern Höhe bis heute den französischen Fluss Gard und versorgte in der Antike die Stadt Nîmes. In Nordafrika sicherte eine 132 Kilometer lange Pipeline dem besiegten Karthago steten Zufluss. Den längsten antiken Tunnel ließen römische Ingenieure in Jordanien 106 Kilometer weit durch härtestes Gestein treiben.

Auf deutschem Boden kam Colonia Claudia Ara Agrippinensium, das heutige Köln, in den Genuss der Eifelleitung, der mit knapp 100 Kilometern längsten Wasserleitung nördlich der Alpen. 20 000 Kubikmeter wurden durch sie täglich in die Stadt geleitet. Da das antike Köln etwa 40 000 Einwohner hatte, durfte jeder mit 500 Litern täglich rechnen. Heute verbraucht ein Kölner täglich 158 Liter.

Zu Agrippas Zeit gab es in Rom 170 Badeanstalten

Die Leitung musste regelmäßig gepflegt werden, dazu legten die Römer in bestimmten Abständen Revisionsschächte an, die den Zugang erleichterten. Wahrscheinlich hatte Frontinus hier erstmals mit dem Thema zu tun, denn der Bau fiel im Jahre 80 in seine Amtszeit als Statthalter Niedergermaniens, Amtssitz war Köln. Die Eifelwasserleitung hielt 180 Jahre, bis die angreifenden Franken sie zerstörten. Erst im 19. Jahrhundert erreichte die Versorgung wieder das antike Niveau.

Der Kult ums Wasser unterschied die Römer nach eigenem Selbstverständnis von den Barbaren. Und das drückte sich keineswegs nur im praktischen Nutzen aus. Agrippa, in den letzten Jahrzehnten vor unserer Zeitrechnung der engste Vertraute von Augustus, dem ersten römischen Kaiser, betrieb diesen Kult im großen Stil. Er ließ nicht nur Hunderte neuer Brunnen und Wasserbecken errichten, sie wurden auch aufwendig geschmückt, mit Statuen, Säulen und reichlich Bronze. Endgültig zum Erlebnis wurde das Element in den überall vorhandenen Thermen.

In Rom selbst gab es zu Agrippas Zeit bereits 170 Badeanstalten. Der Eintritt war für alle Schichten erschwinglich, die Besucher durften nicht nur mit beheiztem Wassser rechnen, in vielen Anstalten gehörten Imbiss und Bibliothek zur Ausstattung. Was nicht bedeutet, dass es dort immer gesittet zuging. Zeitgenössische Chronisten berichten von angetrunkenen Gästen an der Weinbar, von Trickdieben in der Umkleidekabine und nervigen Möchtegernathleten, die mit lautem Klatschen ins Becken springen.

700 Männer arbeiteten in der Wasserbehörde

Frontinus freilich war weniger der Freizeitgestaltung verpflichtet, sondern der Funktionsfähigkeit der Wasserversorgung. Seine Bestandsaufnahme ergab, dass nicht alle Leitungen die klare Quellwasserqualität lieferten. Zwei taugten nicht fürs Trinkwasser, sondern nur für gewerbliche Zwecke. Außerdem bemerkte Frontinus, dass am Ende weniger ankam, als bei den Quellen eingespeist wurde.

Die Ursache war selten so dramatisch wie in dem im Jahr 79 vom Ausbruch des Vesuvs heimgesuchten Pompeji. Dort entdeckten Archäologen, dass die vorangegangenen Erdbeben einigen Schaden angerichtet haben mussten. Sie fanden mehrere antike Baugruben, in denen offenbar an den unterbrochenen Rohren gearbeitet wurde.

In Rom hatte es Frontinus mit dem normalen Verschleiß zu tun, mit Witterungseinflüssen und Pfusch am Bau, wie er kritisch anmerkte. Insgesamt 700 Mann standen ihm in der Wasserbehörde der Stadt zur Verfügung. Dazu zählten Streckenläufer, die ständig die langen Leitungen überprüfen, Pflasterer, Handwerker, bis hin zu den Rohrnetzmeistern, die für die Anschlüsse zuständig waren.

Frontinus berief sich in seiner Schrift auf die Gesetze, nach denen ein Schutzstreifen entlang der Überlandleitungen von Bebauung und Vegetation freizuhalten war. Keine dieser Leitungen dürfe direkt angebohrt werden, solche Sabotage könne mit Strafen von bis zu 100 000 Sesterzen geahndet werden, was dem Hundertfachen des Jahreslohns eines gewöhnlichen Arbeiters entsprach. Für die Verteilung waren ausschließlich die dafür vorgesehenen, überall in der Stadt verteilten Wassertürme zu nutzen. Von hier erfolgte die Zuleitung an Brunnen, Bäder und Privathäuser. Die Anschlussleitungen wurden beschriftet, schon um kontrollieren zu können, wer hier Wasser zapfte und ob er dazu autorisiert war.

Frontinus’ Leitungen reichten bald nicht mehr aus

Die wenigsten der römischen Mietskasernen waren an diese Versorgung angeschlossen, der nächste Brunnen aber im Idealfall nicht mehr als 80 Meter entfernt. Private Anschlüsse waren demzufolge begehrt, aber schwer zu kriegen. Starb der Besitzer, konnte sein Nachfolger diesen Anschluss weder erben noch kaufen. Er konnte sich nur um eine neue Konzession bewerben, andernfalls wurde seine Leitung nach 30 Tagen stillgelegt.

Im letzten Kapitel gab sich Frontinus versöhnlich, schrieb, er hoffe, „dass eine Anwendung der Strafen dieses Gesetzes nicht nötig ist“. Falls doch, riet er allen seinen Nachfolgern, nicht zu zögern, „selbst wenn man sich Feinde macht“. Anlässe gab es genug, Frontinus deutete an, dass gerade die Rohrnetzmeister für Korruption anfällig waren, ein Teil des Schwundes wohl auf illegalen Bohrungen und nicht autorisierten Abzweigen basierte.

Es darf als sicher gelten, dass Frontinus in seinem Amt erfolgreich war. Trotzdem reichten die vorhandenen Überlandleitungen schon bald nicht mehr aus, fünf neue wurden errichtet, die elfte und letzte im Jahr 226.

Frontinus starb im Jahr 103. Seinen Erben empfahl er testamentarisch, vom Bau eines aufwendigen Grabmals Abstand zu nehmen. Er selbst sei der Überzeugung, „die Erinnerung an uns wird bestehen, wenn wir es durch unser Leben verdient haben“.

Tatsächlich wurde ein Grab nie gefunden. Sein Wasserbuch hingegen blieb erhalten.

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