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Ein Mann vor der Skyline von San Francisco: Glücklich machen keine eindrucksvollen Hochhausfassaden, sondern kleinteilige, fußgängerfreundliche Viertel.

© REUTERS/Robert Galbraith

Wann Städte glücklich machen: Happy City

Charles Montgomery ist ein gefragter Experte für das Thema: Wie müssen Großstädte gestaltet werden, um ihre Bewohner glücklich zu machen? Hier verrät er seine Ideen.

Es gibt ja jede Menge Anleitungen zum Glücklichsein, Selbsthilfebücher, die den Leuten raten, nach innen zu gucken, um glücklich zu werden, oder Gott zu fragen. Dabei spricht einiges dafür, dass nicht wir selbst es sind, die am dringendsten Hilfe brauchen, sondern die Städte. Denn die beeinflussen, wie wir uns fühlen und einander behandeln, und zwar in einer Weise, die den meisten gar nicht bewusst ist.

Seit dem Erscheinen meines Buches „Happy City: Transforming Our Lives Through Urban Design“ vor zwei Jahren bekomme ich so viele Anfragen für Vorträge, Workshops und Beratungsjobs, oft von Politikern, dass ich inzwischen ein ganzes Team angeheuert habe. In Mexico City haben wir gerade eine Anhörung in einem Armenviertel durchgeführt, dessen Einwohner nie gefragt worden waren, was sie sich von der Gestaltung wünschten. Sie wollten, was wir alle wollen: mehr Freiheit und Sicherheit, die Möglichkeit, sich zu bewegen, ohne überfahren zu werden.

Wie in den meisten modernen Städten wurde in Mexico City ein Großteil des öffentlichen Raums einfach den Autos überlassen. Vor 50 Jahren wurde die mexikanische Hauptstadt durch ein Netzwerk von Super-Avenues in Stücke zerrissen. Trotzdem, und das ist das Spannende, gibt es eine unglaublich dynamische soziale Energie dort. Mexikaner sind es gewohnt, Regeln zu brechen. Stadtplaner versuchen ja, unser Handeln zu kontrollieren, eine durchgestaltete Umgebung zu schaffen, aber bei den Mexikanern kommen sie damit nicht durch. Selbst dort, wo man diese unmenschlichen Hochstraßen hat oder Stadtautobahnkreuze, haben die Menschen den Raum darunter einfach kolonialisiert für ihre kleinen Geschäfte. Die besten Tacos von Mexico City zum Beispiel findet man unter so einer Straße, auf einer abgeschnittenen Verkehrsinsel. Das gefällt mir, dieses Chaos, das Leben, die Komplexität. Das ist es, was Städte blühen lässt. Für mich, der ich aus einer so kontrollierten Stadt wie Vancouver komme, hat das was sehr Erfrischendes.

Worauf es ankommt: soziales Vertrauen

Ich lebe in Vancouver und Mexico City. Zeitschriften wie der „Economist“ und „Forbes“ haben Vancouver zu einer der Städte mit der höchsten Lebensqualität in Nordamerika erklärt. Ich halte solche Einstufungen für gefährlich. Sicher, im Vergleich mit vielen US-amerikanischen Städten ist es ein Paradies: nicht zu groß, viel Grün, die Innenstadt sehr fußgängerfreundlich. Aber wenn die Bewohner in Umfragen erklären sollen, für wie glücklich sie sich selber halten, liegt die Zufriedenheit unter der von Einwohnern kleinerer Orte.

Denn was Städter glücklich macht, ist nicht der internationale Ruf ihres Wohnorts, sondern etwas so Einfaches wie soziale Beziehungen, soziales Vertrauen. In Hochhäusern in Vancouver sieht es damit besonders schlecht aus. Deren Bewohner gaben an, sich isoliert und einsam zu fühlen, taten ihren Nachbarn nur halb so häufig einen Gefallen wie Bewohner niedrigerer Häuser.

Menschen in Kleinstädten scheinen die Zeit und den Raum für Kontakte zu haben, der Großstadtbewohnern fehlt. Entweder weil wir zu viel arbeiten, um uns das Leben dort leisten zu können, oder weil wir im Verkehr feststecken.

Das heißt natürlich nicht, dass wir jetzt alle wieder in Kleinstädte zurückziehen sollen. Die Frage ist: Wie können wir etwas von der dörflichen Geselligkeit und Lebendigkeit in unsere Großstädte bringen? Erstens, indem wir dafür sorgen, dass die Viertel kleinteilig sind, fußgängerfreundlich und in der Nutzung gut durchmischt. Zweitens, indem wir diese Viertel miteinander verbinden, und zwar mit öffentlichen Nahverkehrssystemen, die ein hohes Ansehen genießen, schnell sind und effizient. Das bedeutet: Der öffentliche Nahverkehr hat immer Priorität vor dem privaten Auto. Und man muss dafür sorgen, dass Menschen, die laufen oder radeln wollen, das auch auf sichere Weise tun können. Haben Sie mal versucht, in New York Fahrrad zu fahren?! Furchterregend!

In New York kann man besonders deutlich beobachten, dass die Dinge, die uns anziehen – eine solide Ökonomie, Chancenvielfalt, das Aufregende, Neue –, eine Stadt auch schwierig machen: eben weil sie zu viele Menschen anziehen. Fußgängerfreundlichkeit und urbane Gestaltung allein können nicht alle Probleme lösen. Auch wenn New York sich in den vergangenen Jahren Mühe gegeben hat, seine Fußgänger und Fahrradfahrer zu respektieren, hat es noch einen langen Weg vor sich. Nach wie vor gehört ein Großteil des öffentlichen Raums dem Auto, und das öffentliche Verkehrssystem ist völlig heruntergekommen. Der Bahnhof Penn Station ist die Hölle, da muss man sich in einem völlig beengten Wirrwarr bewegen. Er wurde in den Untergrund gequetscht, damit über der Erde ein Sport- und Bürokomplex gebaut werden konnte. Die New Yorker U-Bahn ist uralt und überfüllt, der Schweiß der Stadt tropft die Wände runter. Für Ältere, Behinderte und Leute mit Kinderwagen ist sie praktisch unerreichbar, weil es kaum Aufzüge oder Rolltreppen gibt.

Wir leben ja in der permanenten Spannung zwischen dem Bedürfnis, mit anderen Kontakt zu haben, und dem nach Privatsphäre. Wenn man in einer überfüllten, beengten Wohnung lebt, können öffentliche Rückzugsmöglichkeiten einen Ausgleich schaffen – Parks, Plätze, Orte der Erholung. Umgekehrt gilt das Gleiche: Wenn man in einer sehr vollen öffentlichen Umgebung lebt, hilft es, zu Hause einen Raum zu haben, in den man sich zurückziehen kann. Aber das können sich die wenigsten in New York leisten, weswegen jetzt so viele junge Leute rausziehen. Was bedeutet, dass sie pendeln müssen. Und das ist ein echter Glückskiller. Eine schwedische Studie fand heraus, dass sogar das Scheidungsrisiko markant steigt; Pendler werden misstrauischer, engagieren sich kaum.

Veränderungen können auch durch Grassroots-Bewegungen angestoßen werden

Ein Mann vor der Skyline von San Francisco: Glücklich machen keine eindrucksvollen Hochhausfassaden, sondern kleinteilige, fußgängerfreundliche Viertel.
Ein Mann vor der Skyline von San Francisco: Glücklich machen keine eindrucksvollen Hochhausfassaden, sondern kleinteilige, fußgängerfreundliche Viertel.

© REUTERS/Robert Galbraith

Wenn man das Geld, das für den Unterhalt der Infrastruktur für private Autos nötig ist, umleiten würde, könnte man die fantastischsten öffentlichen Infrastrukturen finanzieren. Bogotás Bürgermeister Enrique Penalosa hat das demonstriert. Als er sein Amt antrat in der kolumbianischen Hauptstadt, die extrem gefährlich und dreckig war, hat er das ehrgeizige Stadtautobahnprogramm gestoppt, stattdessen Schulen, Kindergärten, Fahrradwege und Bibliotheken, richtig schöne Bibliotheken, in den ärmsten Vierteln der Stadt gebaut, moderne Busse angeschafft. Das war sein erklärtes Ziel: mit der Stadtplanung Menschen glücklich zu machen, und möglichst viele an diesem Glück teilhaben zu lassen. Er hat die Stadt umgedreht.

Aber Veränderungen können auch durch Grassroots-Bewegung angestoßen werden. Die enormen Verbesserungen der Lebensqualität in New York werden meist Bürgermeister Bloomberg zugeschrieben. Tatsächlich aber waren es Aktivisten, die den Samen gesät haben, die Quartiers-Netzwerke bildeten, dafür reiche Sponsoren fanden und eine Online-Kampagne entwickelten, um den Chef der Verkehrsabteilung abzusetzen. Mit Erfolg! Sie haben es sogar geschafft, dass ein Mitglied ihrer eigenen Bewegung, des „Livable streets movements“, zu seiner Nachfolgerin ernannt wurde. Das kann überall geschehen. Frustrierte Bürger müssen nicht darauf warten, dass die Politiker aktiv werden.

Die Natur muss ein Teil des Alltags sein

Schon kleine Veränderungen in einer Straße oder einem Viertel haben eine Wirkung. Auf Manhattans Lower East Side habe ich zusammen mit einem Neurowissenschaftler ein Experiment durchgeführt, bei dem wir mithilfe eines Haut-Monitors kleinste Reaktionen auf die Umgebung gemessen haben. Dabei fanden wir heraus, dass selbst kleine Stückchen Natur zu einem größeren Glücksgefühl führen. Das heißt: Große, zentrale Parks reichen nicht, die Natur muss Teil des Alltags sein – Nachbarschaftsgärten, ein Beet, ein Grünstreifen, ein paar Blumentöpfe, vertikale Gärten. Das weiß man auch aus Krankenhäusern: Patienten, die auf Bäume, in einen Park gucken, werden schneller gesund als jene mit Blick auf Mauern und Beton.

Die Testpersonen fühlten sich besonders glücklich in Straßen, an denen viele kleine Läden, Lokale und Dienstleister lagen – und unglücklich, wenn sie an eintönigen Fassaden wie einem riesigen ausdruckslosen Supermarkt vorbeikamen. An denen gehen sie schneller vorbei, sodass die Straßen leerer, auch gefährlicher werden.

In Seattle setzten wir das Experiment fort. Das Ergebnis: In den kleinteiligen Straßen waren die Fußgänger freundlicher als vor monofunktionalen Fassaden. Freiwillige hatten sich dort als Touristen ausgegeben, die sich verlaufen hatten. In der abwechslungsreicheren Umgebung hielten fünfmal so viele Passanten und boten ihre Hilfe an. Wir glauben, dass das etwas mit dem Tempo zu tun hat. Je langsamer die Menschen sich bewegen, desto sozialer ist ihr Handeln.

Die alten europäischen Städte waren darauf angelegt, dass man sich dauernd über den Weg lief. Aber im 20. Jahrhundert fand ein Kampf der Ideen statt. Unglücklicherweise dominierten jahrzehntelang die Vertreter der Hochmoderne, die fanden, dass Städte wie Fabriken gestaltet sein sollten. Die verschiedenen Funktionen wurden zum Teil meilenweit voneinander getrennt, ohne menschliches Maß gebaut. Da nimmt ein einziger Laden schon mal einen ganzen Block ein, was extrem fußgängerfeindlich und entfremdend ist. Einige Städte reagieren endlich darauf. In Melbourne, in Kopenhagen und einigen Vierteln von Manhattan ist es Banken zum Beispiel inzwischen verboten, zu viel Raum einzunehmen. Zum Teil dürfen sie sich nicht an Ecken niederlassen, weil die zu wertvoll sind als Ort der Begegnung. Sie würden die Straße killen.

Gerade beiläufige Begegnungen sind extrem wichtig für unser Wohlbefinden. Eine Psychologin der University of British Columbia hat eine Studie durchgeführt, bei der sie die Zahl der intimen und der oberflächlichen Kontakte zählte, die Menschen im Laufe eines Tages hatten. Sie fand heraus, dass jene, die mehr oberflächliche Begegnungen hatten – Blickkontakt, Kopfnicken, das Öffnen einer Tür, ein Kommentar zum Wetter – am Abend von viel höheren Glücksgefühlen berichteten. Diese oberflächlichen Begegnungen schienen die Leute sogar froher zu machen als jene mit Freunden und Familie. Weil sie einfacher sind, so die Vermutung, aber auch, weil wir dazu neigen, uns dabei von unserer besten Seite zu zeigen. Wir geben uns mehr Mühe, nett zu sein.

Vertrauen zu den Nachbarn, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu einer Gemeinschaft, anderen zu helfen, wirken sich sehr positiv auf unser Glücksgefühl aus. Und was schafft Vertrauen unter Nachbarn? Positive, zwanglose Begegnungen. Darauf müssen wir bei der Stadtplanung achten! Wir wissen, wann diese nicht geschehen: wenn wir isoliert im Auto sitzen. Autofahrer erleben ein viel höheres Ausmaß an Unzivilisiertheit und Grobheit als Fußgänger. Wir sind fieser hinterm Steuerrad, dort haben wir weniger Möglichkeit zu kommunizieren.

Soziologen, Psychologen, Gesundheitsexperten, Stadtplaner, sie alle wissen inzwischen, dass die amerikanische Form des Vororts schlecht ist für Gesundheit und Glücksgefühl: Wenn wir vom Haus direkt in die Garage gehen, ohne einen Nachbarn zu sehen, für jede Milch meilenweit fahren, zur Arbeit unter Umständen Stunden brauchen. Eine unglaubliche Energieverschwendung und ineffiziente Art der Fortbewegung. Heutzutage leben, essen, bewegen sich mehr Menschen denn je alleine. Umso wichtiger ist es, Möglichkeiten der Begegnung zu schaffen, auch mit Hilfe halb öffentlicher Orte.

Das heißt jetzt allerdings nicht, überall Fußgängerzonen einzurichten. So wie es ein Fehler war, Städte um eine Art der Fortbewegung, das Auto, herumzubauen, ist es ein Fehler zu glauben, dass eine große Idee ein Viertel retten kann. Fußgängerzonen haben auf der ganzen Welt versagt. Nicht, weil sie eine schlechte Idee sind – sondern weil so viele verschiedene Faktoren über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Oft sind die Bewohner schon rausgezogen in die Vororte, und die Zonen sind schwer zu erreichen. Oder sie sind nicht nah genug an dicht bebauten Wohnvierteln, sodass Fußgänger nicht automatisch vorbeikommen. Wir müssen uns diesen Problemen von verschiedenen Seiten nähern, viele Wege einschlagen. Einfach eine Straße in eine Fußgängerzone zu verwandeln, ist nicht die Antwort.

Dazu kommt das Glücksparadox: die Kluft zwischen dem, was gut für uns wäre, und dem, für das wir uns tatsächlich entscheiden. Zum Beispiel wollen viele vielleicht, dass der Nahverkehr verbessert wird – aber haben keine Lust, dafür mehr Steuern zu zahlen. Wir sind oft katastrophal, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen, die zu unserem zukünftigen Glück führen.

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