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Trinkt nur noch Wein und immer die doppelte Menge Wasser als Alkohol: Michael Marco Fitzthum.

© imago/Future Image

Wanda-Sänger Marco Fitzthum: „Ich bin professioneller Alkoholiker“

Die Band Wanda ist Österreichs größter Pop-Erfolg seit Falco. Sänger und Texter Michael Marco Fitzthum über Kitsch, die FPÖ und seine Zeit als Möbelpacker.

Michael Marco Fitzthum, 32, Künstlername Marco Michael Wanda, ist Frontsänger der Wiener Popband Wanda. Deren neues Album „Ciao!“ erschien am Freitag, es ist das vierte und wird vermutlich wie bereits die Vorgänger Platinstatus erhalten. In den Songs der Band, die eine Mischung aus Austro-Pop und Rock darstellen, geht es um Liebe, Leid und Sehnsucht. Zum Interview im Berliner Universal-Gebäude an der Spree kommt Fitzthum zu spät und fragt, ob er vorher rasch eine Zigarette rauchen könne. Er trägt ein weißes Unterhemd unter dunkler Jeansjacke, die er im Gespräch aber ablegt – ihm sei so heiß, sagt er.

Fitzthum spricht schnell und pointiert, wobei die Greze zwischen Mensch und Marke unscharf erscheint: Welche Antworten zu 100 Prozent der Wahrheit entsprechen, wird nicht immer klar. Als ihn der Fotograf bittet, die Taschen seiner Jeans zu leeren, kramt der Musiker einen einzelnen Weinkorken heraus. „Der muss von letzter Nacht sein“, sagt er.

Herr Fitzthum, auf der neuen Platte von Wanda tut ständig etwas weh. Wo schmerzt es am meisten?

Ich persönlich leide nur unter kaputten Knien, wegen derer ich nicht mehr wirklich Fußball spielen kann, das ist so das Schlimmste in meinem Leben. Wenn ich spiele, kotze ich 40 Zigaretten aus. Für mich ist Schmerz nicht etwas negativ Konnotiertes, sondern kann auch etwas Lustvolles sein.

Ohne Leid keine Liebe?

Wenn sich eine Liebe dadurch definiert, ist sie unreif, so kann sie nicht funktionieren.

Lieber wie im Hit „Bologna“: „Wenn jemand fragt, wofür du stehst, sag für Amore.“ Mögen Sie Kitsch?

Das soll Kitsch sein?

Finden Sie nicht?

Ich schreibe die besten Texte im deutschsprachigen Raum, und alles andere ist kitschig.

Also kein Kitsch. Dafür treibt Sie Sehnsucht an?

Das war mal wichtig. Jetzt habe ich ungefähr, was ich wollte. Das ermöglichen mir fremde Menschen. Ich war mal lauter, arroganter, unerträglicher – und bin demütig geworden. Ich kann mich nicht vernichten, das bin ich diesen Menschen schuldig.

Wegen des Erfolgs?

Der Erfolg ist ein trojanisches Pferd, in dem wir reisen dürfen. Er hat uns die Möglichkeit gegeben, das zu tun, was wir lieben. Unsere Konzerte sind für mich eine Offenbarung. Es ist überall die Rede von einer Spaltung, dass es Gräben gebe in unserer Gesellschaft, vor allem zwischen links und rechts. Das ist eine Lebensrealität, die ich dankbarerweise nicht erlebe. Ich sehe Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Denkweisen, die den Schweiß des anderen aufsaugen. Da lese ich in der Zeitung, wir seien gespalten, und dann liegen sich auf unseren Konzerten 40 000 Menschen in den Armen.

Sie machen quasi Volksmusik.

Es würde mich freuen. Das hieße ja, dass ich aus der Mitte des Volkes für das Volk Musik mache. Keine schlechte Vorstellung.

Sie haben die Gräben angesprochen, die in Österreich auch durch das Ibiza-Video von FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache sichtbar wurden. Wissen Sie noch, wie Sie davon erfahren haben?

Das klingt ja so, als wäre das gleichbedeutend mit dem 11. September. Also wie das Video rauskam, da will ich mich gar nicht erinnern, wo ich war.

Ein Vizekanzler bietet seine Macht dem Meistbietenden an. Verursacht solche Hybris bei Ihnen keine Schmerzen?

Wir leben schon lange mit der Hybris dieses Teils unseres Landes. Ich möchte aber nicht eine Partei mit ihren Wählern verwechseln. Man kann ja zu Recht wütend sein, sich auch als Österreicher gekränkt fühlen von so einem lächerlichen Umgang mit unserem Land, aber man darf auf keinen Fall deswegen auf die eigenen Leute böse sein. Kritik an der Partei, her damit, aber bitte nicht an den Wählern, an den Mitbürgern. Weil dann wird diese Spaltung irgendwann wahr. Das möchte ich nicht erleben.

Sind Sie Patriot?

Nein, ich habe mein Land nur ganz gern. Ich finde einfach, dass wir ein tapferer kleiner Staat sind, der wie alle in Europa seine problematische Geschichte hat – aber dessen Aufarbeitung auch passiert ist und weiterhin passieren wird.

Sie leiden nicht unter der österreichischen Politik?

Warum? Wir leben längst in einer Zeit, in der das nichts anderes ist als ein Zirkuszelt auf einem Gelände. Sie merken, bei mir schwingt Politikverdrossenheit mit, aber da bin ich bei Gott nicht der Einzige. Mich langweilt’s. Es trifft nicht die Lebensrealität der Menschen.

Alle reden doch gerade über Politik! Auch in Österreich gehen die Jugendlichen auf die Straßen.

Das ist eine Umweltbewegung, die sich politischer Mechanismen bedient, die ich aber per se nicht für politisch halte, sondern für humanistisch und hippiemäßig. Das finde ich großartig.

Heißt das, Sie gehen nicht wählen?

Doch, dass wir in einem demokratischen System leben, das begrüße ich. Von meinem Wahlrecht mache ich Gebrauch, meine persönlichen Analysen treffe ich, aber ich bin kein Künstler, der sie in die Welt schreit. Ich möchte mich nicht als ein weiterer unnützer Experte aufspielen. In dem Vakuum, das Wissenschafts- und Politikverdrossenheit hinterlassen, stehen speziell im Internet lauter Scheinexperten auf. Auf Youtube erklärt mir jemand, die Welt wird von drei mächtigen Juden regiert, was für ein Scheißdreck. Auf der anderen Seite erklärt mir ein Blogger, dass die Erde flach ist und hat dafür ganz fundierte Beweise.

Sie könnten sich dagegen positionieren. Hinter den von Ihnen angesprochenen Verschwörungstheorien steht ja oft rechtes Gedankengut.

Ich habe es doch gerade Scheißdreck genannt. Damit stelle ich mich doch automatisch dagegen.

„Wir haben nicht vom Erfolg geträumt, sondern von der Kunst“

Band Wanda: Lukas Hasitschka, Michael Marco Fitzthum, Manuel Christoph Poppe, Christian Hummer und Reinhold Weber (v.l.n.r.).
Band Wanda: Lukas Hasitschka, Michael Marco Fitzthum, Manuel Christoph Poppe, Christian Hummer und Reinhold Weber (v.l.n.r.).

© Fabian Nitschmann/dpa

Ihr Lieblingsschriftsteller Ernest Hemingway war hingegen ein politischer Autor.

Ein Visionär! Er hat immer gesagt: Der Spanische Bürgerkrieg ist nur der Testlauf für einen Zweiten Weltkrieg.

Trotzdem wäre diese Art der politischen Aneignung nichts für Sie?

Am Ende seines Lebens hat Hemingway auch gesagt: Ihm tun alle kommenden Künstlergenerationen leid, weil es nie wieder so leicht sein wird, sich politisch zu bekennen. Es gab immer ein klares Feindbild: die Faschisten.

Der Rechtsruck ist zurzeit ein großes Thema.

Für mich sind Menschen, die rechts wählen, keine Faschisten. Ich weigere mich, das anzuerkennen. Das nenne ich eine Verniedlichung des tatsächlichen Faschismus.

Haben Sie keine Angst, dass gewisse Flügel sich dorthin entwickeln könnten?

Angst ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Davon nehme ich Abstand, ich bin voller Hoffnung.

Was Sie mit Ihrem Helden Hemingway teilen, ist allerdings die Liebe zum Alkohol.

Wir Musiker kommen aus dieser gewissen künstlerisch angehauchten Selbstvernichtungsszene in Wien, voller Exzentriker, junge Maler, Schriftsteller, wir sind einfach mit diesen Menschen unterwegs gewesen, und die haben nun mal exzessiv gelebt, um sich selbst zu erleben.

Sie nicht?

Habe schon mitgemacht. Alles zum Zweck der Recherche. Ich bin ein professioneller Alkoholiker.

Was heißt das?

Immer die doppelte Menge Wasser als Alkohol trinken. Keinen Schnaps. Vor allem sollte man nicht der Lüge glauben, er sei gut zur Verdauung. Wer sich das einredet, muss sofort ins Krankenhaus. Ich trinke nur noch Wein. Guten Wein.

Ihre Lieblingssorte?

Principessa Gavi di Gavi. Der ist so leicht fruchtig. Da krieg ich gleich Lust!

Hat Ihnen Alkohol mehr gegeben als er Ihnen jemals nehmen kann?

Der Alkohol ist so etwas Normales, ich mache mir nicht mal Gedanken über meinen Konsum. Was er mir bringt? Er ist ein uraltes Gift, eine uralte schamanistische Kraft und aktiviert Teile in meinem Gehirn, an die man sonst nicht rankommt.

Wie ein Katalysator?

Eine geistige Nahrungsquelle. Wenn mir ein Lied kommt und ich habe mal nichts getrunken, dann schreibe ich es natürlich trotzdem.

Sie haben auch schon versucht, unter Einfluss von LSD zu schreiben.

Das war eine Katastrophe. Ich war damals noch auf der Universität und habe Sprachkunst auf der Angewandten in Wien studiert. Da hielt jemand von der Wiener Gruppe, so ein alter Dichter, einen Vortrag darüber, wie er in den 70er Jahren auf LSD ein Klavierkonzert gegeben hat. Er war dermaßen im Drogenrausch, dass er durch den Raum gegangen ist, mit dem Finger auf den Köpfen der Menschen gespielt hat, und die Wände haben sich dazu bewegt. So etwas wollte ich versuchen und habe ein heftiges, südamerikanisches Halluzinogen konsumiert. Ich habe so einen derartigen Scheiß zusammengeschrieben, das kann man sich nicht vorstellen. Belanglose Worte, vollkommen bezuglos.

Zur selben Zeit begannen Sie mit Wanda zu spielen.

In Wien haben jahrzehntelang keine Medien über heimische Musik berichtet, keine Radios haben österreichische Musik gespielt. Dadurch war es schwer, sich einen Namen zu machen. Der Segen daran war ohne Zweifel, dass man mehr zu den Leuten musste, man musste mehr spielen, getrieben sein. Wir waren alle aus einer Musikergeneration, die sich in Ermangelung der Erfolgsmöglichkeiten auf ihren Ausdruck konzentrierte.

Das können Bands heute nicht mehr?

Jetzt laufen in Wien lauter kleine Wandas herum und glauben: Morgen sind wir berühmt. Die verschleißen die besten Jahre ihres Lebens und sind mit 30 kokainabhängige Arbeitslose. Sie haben alle keine Songs, es gibt niemanden, der sich mit seinem Handwerk auseinandersetzt. Da werden einige auf die Schnauze fallen. Wir haben nicht vom Erfolg geträumt, sondern von der Kunst.

„Was man auf der Bühne macht, kann man nicht kontrollieren“

Marco Wanda live beim Radioeins Parkfest in Berlin.
Marco Wanda live beim Radioeins Parkfest in Berlin.

© imago/Pop-Eye

Sie haben behauptet, Sie hatten nie Talent für einen anderen Beruf. Welche Jobs haben Sie ausprobiert?

Ich war Möbelpacker, da habe ich das Rauchen gelernt, die rauchen ja alle Kette. Am Praterstern habe ich ein Jahr lang bei McDonald’s gearbeitet. Da habe ich einen philippinischen Philosophieprofessor getroffen, der bei uns Burger brät.

Das ist doch ausgedacht.

Nein, nein! Ein hoch intelligenter Mann, der durfte seinen Beruf in Wien nicht ausüben. Aber fürs Burgerumdrehen hat’s gereicht. Er konnte gebrochen Englisch, wir haben über das Leben gesprochen, er strahlte so etwas Kluges aus.

Hatten Sie damals Zukunftsangst?

Ständig. Unerträglich war das. Umso dankbarer bin ich dafür, dass das weit zurück liegt.

Wie haben Sie sich die Zukunft vorgestellt?

Ich habe gedacht, schade, dass an mir ein großartiger Musiker verloren geht.

Nicht gerade bescheiden. Woher kommt dieses Selbstbewusstsein?

Man kann das, was ich mache, doch nicht tun, wenn man kein Bewertungssystem seiner eigenen Arbeit hat. Ich wusste, was ein gutes oder schlechtes Lied ist, das ist ein Instinkt, gespeist durch jahrelange Beschäftigung. Wie durch einen Schleier habe ich gehört, was ich machen könnte. Mein Durchbruch war meine Beschäftigung mit dem Nino aus Wien …

… einem österreichischen Musiker.

Bis dahin hatte ich auf Englisch getextet. Und über Nino habe ich gemerkt, mein Gott, wir können nur in unserer Muttersprache etwas erzählen, was uns bewegt. Meine Gemütslage war damals auf Nirvana eingestellt, so stellte ich mir mein Verlierertum vor. Was so klang, wie kaputt ich mich gefühlt habe, das hat mir gefallen.

Das Suhlen im eigenen Schicksal.

Na, warum denn nicht? Wir reden von einem 18-Jährigen, natürlich tut er das. Manche machen das noch mit 60.

Sie sind nun erwachsener geworden. Wie schauen Sie auf sich vor zehn Jahren?

Cleverer Typ. Läuft der durch Wien und lacht sich kaputt, weil er weiß, ich hab da was. Ich habe die ersten Studioaufnahmen über Kopfhörer gehört und gedacht, ihr alle werdet das bald hören, ihr habt keine Ahnung, was da auf euch zukommt.

Auch wegen solcher Einschätzungen hat die Schriftstellerin Stefanie Sargnagel über Sie geschrieben: „Es ist diese Art von pathologischer Egomanie, die Großes hervorbringt.“

Das finde ich einen Satz, der hinterherhinkt. Für mich ist das, was ich mache, normal.

Auch die „Fickbewegungen“ auf der Bühne, die Sargnagel Ihnen attestierte?

Was man auf der Bühne macht, kann man nicht kontrollieren. Und solange man niemanden umbringt, ist doch alles im Rahmen.

Ein Teil der Musikbranche nennt Sie deshalb eine „Machoband“.

Das fand ich schon interessant, wie unser Auftreten prüde Teile der Kulturbranche offengelegt hat. Über uns wurde so übersteigert berichtet: als diese wilde, feiernde, fickende Arschlochband. Wanda ist, was Menschen zusammenführt, und das kann man nicht aufhalten.

Sie sitzen uns im Unterhemd gegenüber!

Ja, weil es heiß ist.

Das haben Sie öfter an. Sie wissen schon, dass man so ein Kleidungsstück auch „Wifebeater“ nennt.

Aus was für einer prüden Denkweise kommt das? Da wäre der nächste Schritt, Miniröcke zu sexualisieren. Das ist Schubladisierung von Mode. Das finde ich persönlich gefährlich.

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