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 Das Völkerschlachtdenkmal ist bis heute das größte Monument Deutschlands.

© picture alliance / dpa

Völkerschlachtdenkmal: Der Klotz der Nation

100 Jahre nach der Völkerschlacht weiht 1913 Kaiser Wilhelm II. ein Denkmal ein – irre 91 Meter hoch. Die Zeichen stehen auf Krieg.

Am 18. Oktober 1913 wurde das Leipziger Völkerschlachtdenkmal eingeweiht. Es war der Höhepunkt und zugleich das Ende eines langen wilhelminischen Feierjahres.

Begonnen hatte dieses am 27. Januar mit Kaisers Geburtstag. Es folgten unter anderem die von der Friedrich-Wilhelms-Universität, der heutigen HU, ausgerichtete Feier zur Erinnerung an die Befreiungskriege hundert Jahre zuvor. Eine ähnliche Veranstaltung fand in der über dem Donautal und der Stadt Kelheim thronenden Befreiungshalle statt. Bei all diesen Anlässen wurde gerne Ernst Moritz Arndts „Vaterlandslied“ von 1812 zu Gehör gebracht, dessen fünfte Strophe lautet: „Wir wollen heute Mann für Mann / Mit Blut das Eisen röten, / Mit Henkerblut, Franzosenblut – / O süßer Tag der Rache! / Das klinget allen Deutschen gut, / Das ist die große Sache.“

Dass die Deutschen, die 1870/71 gegen die Franzosen gesiegt hatten, im Feierjahr 1913 von Rache sangen, war erstaunlich und dem von Wilhelm II. gern gepflegten Image als Friedenskaiser nicht förderlich. Aber der erste große Krieg, in dem sich das 1871 gegründete Deutsche Reich zu bewähren hatte, war nicht mehr fern, und das kommende Ereignis warf seine Schatten voraus. Nicht mal ein Jahr sollte es dauern, bis die deutschen Armeen gegen Frankreich zogen – und der Erste Weltkrieg begann.

1813 hatte es noch kein Deutsches Reich und auch keine deutsche Armee gegeben. Napoleon hatte 1806 den Rheinbund gebildet, der zwei Jahre später mehr als 30 deutsche Länder umfasste, die nun mehr oder weniger freiwillig mit Napoleon verbündet waren. Bei der Leipziger Völkerschlacht kämpften Deutsche auf beiden Seiten.

Napoleons Ansehen hatte durch die Niederlage vor Moskau im Jahr 1812 erheblich gelitten. Erstmals hatten sich alle europäischen Großmächte gegen ihn verbündet, so dass er einer Phalanx von Russen, Preußen, Schweden und Briten gegenüberstand, der sich zuletzt auch die Österreicher anschlossen.

Leipzig hatte damals nur 38 000 Einwohner, aber auf dem Schlachtfeld südlich und westlich der Stadt kämpften weit über 500 000 Soldaten miteinander, gab es mehr als 90 000 Tote und Verwundete. Die Völkerschlacht war eine der größten und blutigsten Schlachten der europäischen Geschichte.

Der russische Zar, der preußische König und der österreichische Kaiser waren angetreten, um den französischen Emporkömmling Napoleon in seine Schranken zu weisen. Österreichs Außenminister Metternich kam eine Schlüsselrolle bei der Bildung dieser Allianz zu. Ihm ging es nicht um revolutionäre Freiheit und nationale Einheit, sondern im Gegenteil darum, die großen Monarchien wieder in altem Glanz erstrahlen zu lassen, um eine Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen den Mächten in den Grenzen von 1805. Metternich war die dominierende Figur auf dem Wiener Kongress, bei dem die europäischen Großmächte nach dem Sturz Napoleons eine Nachkriegsordnung zu etablieren suchten, die eher eine Vorkriegsordnung war.

Die militärische Bedeutung der Völkerschlacht bei Leipzig hielt sich letztendlich in Grenzen, die Niederlage war nur eine von vielen, die Napoleon in den Befreiungskriegen erlitt, bevor er 1815 bei Waterloo endgültig scheiterte. Umso größer war ihre symbolische Bedeutung. Die Völkerschlacht wurde bald zu einem höchst bedeutsamen „Erinnerungsort“, sie ging ein in das kulturelle Gedächtnis und gewann eine identitätsstiftende Funktion für die Deutschen.

„Der 16te Oktober war der erste mörderische Schlachttag“ schrieb Ernst Moritz Arndt, der große Dichter der Befreiungskriege, in seiner Schrift „Ein Wort über die Feier der Leipziger Schlacht“. Dem ersten Schlachttag folgte ein „Rasttag“, doch dann kam der Tag der Entscheidung: „Der 18te Oktober war der blutigste und entscheidendste Tag, und es ward eine Schlacht gehalten, worüber Wittwen und Waisen noch lange Jahre wehklagen und wovon die spätesten Enkel noch die Mähr erzählen werden.“ Am Morgen des 19. Oktober 1813 war klar: Napoleon hatte verloren.

Ernst Moritz Arndts Schrift erschien 1814. Der Dichter machte sich Gedanken darüber, wie künftige Generationen die Erinnerung an das Ereignis bewahren könnten. Arndt war der Meinung, „alle vier Schlachttage verdienten wohl die laute und gemeinsame Feier“, aber eine Folge von vier Feiertagen sei nicht praktikabel. Er empfahl deshalb die Konzentration auf den 18. und den 19. Oktober.

Sobald es dunkelte, sollten am 18. Oktober auf allen Bergen, Hügeln und sonstigen Erhebungen Feuer entzündet werden „als Liebes- und Freudenzeichen, und verkünden allen Nachbarn ringsum, daß jetzt bei allen teutschen Menschen nur Ein Gefühl und Ein Gedanke ist.“ Am folgenden Tag sollten die eigentlichen Feierlichkeiten und Aufzüge stattfinden. Doch diese Überlegungen blieben Theorie.

Aus Arndts Worten sprach der Enthusiasmus der Befreiungskriege, durch den die nationale Publizistik einen gewaltigen Aufschwung genommen hatte. Nicht nur Arndt besang das deutsche Vaterland. Doch der nationale Überschwang wich dem Klima der Restauration, das der Wiener Kongress geschaffen hatte.

Intensive Gedanken hatte sich Ernst Moritz Arndt auch über ein würdiges Denkmal gemacht: „Daß auf den Feldern bei Leipzig ein Ehrendenkmal errichtet werden muß, das dem spätesten Enkel noch sage, was daselbst im Oktober 1813 geschehen, darüber ist in ganz Deutschland, ja wohl fast in der ganzen Welt nur Eine Stimme.“ Arndt wünschte sich am historischen Ort ein „ächt germanisches Denkmal“, groß sollte es sein „wie ein Koloß, eine Pyramide, ein Dom in Köln“.

Heute kann man das Völkerschlachtdenkmal besuchen, einen hoch aufragenden steinernen Koloss, der mit seinen 91 Metern das größte deutsche Denkmal und auch eines der größten in Europa ist. Bis zu seiner Errichtung sollten allerdings hundert Jahre ins Land gehen. Die deutschen Fürsten hatten andere Prioritäten, als dauerhaft an den ersten deutschen Volkskrieg und die Niederlage des Kaisers Napoleon zu erinnern, und so geriet die Denkmalsidee mehr und mehr in den Hintergrund.

In der Stadt Leipzig mochte man sich ohnehin nicht so recht für sie zu erwärmen, hatten die Sachsen doch in der Schlacht als Verbündete Napoleons gekämpft und zu den Verlierern gehört. So geschah lange erst einmal gar nichts.

Die erste Bewegung entstand dann in Bayern, das kurz vor der Völkerschlacht in das Lager der Gegner Napoleons gewechselt war. 1862 wurde in Donaustauf am Jahrestag der Schlacht die Ruhmeshalle Walhalla eingeweiht, auf Veranlassung des bayerischen Königs Ludwig I. Auf einem Stein davor sind seine Worte zu lesen: „Möchte Walhalla förderlich sein der Erstarkung und der Vermehrung deutschen Sinnes! Möchten alle Deutschen, welchen Stammes sie auch seien, immer fühlen, dass sie ein gemeinsames Vaterland haben, ein Vaterland auf das sie stolz sein können, und jeder trage bei, soviel er vermag, zu dessen Verherrlichung. Möchten die Teutschen nie vergessen, was den Befreiungskampf notwendig gemacht, und wodurch sie gesiegt!“

Ein Jahr später, zum 50. Jahrestag der Schlacht, kam es dann auch bei Leipzig zu einer ersten Grundsteinlegung für ein Denkmal, aber danach geschah wieder lange Zeit nichts mehr.

Erst am 26. April 1894 wurde auf Initiative des Architekten Clemens Thieme der „Deutsche Patriotenbund zur Errichtung eines Völkerschlachtdenkmales bei Leipzig“ gegründet, und nun kam Bewegung in die Angelegenheit. Der Vorstand dieser höchst vaterländischen Vereinigung versammelte Vertreter von Turn-, Militär-, Sänger, Schützen- und Radfahrervereinen. Die Unterstützung der national gesinnten Presse trug das ihre dazu bei, dass der Bund nach einem Jahr bereits 45 000 Mitglieder hatte und so viele Spenden zusammenkamen, dass am 18. Oktober 1898 der erste Spatenstich für den Bau erfolgen konnte.

Schon während der 15-jährigen Bauzeit besuchten 600 000 Menschen die Stätte. Zur Einweihung kamen dann 43 000 Turner aus allen Teilen des Reiches in „Eilbotenläufen“, bei denen nach je 200 Metern das Staffelholz an den nächsten Läufer zu übergeben war, nach einer exakt geplanten Choreografie. Sie sollten dem Kaiser den „Gruß des Volkes in Gestalt eines Eichenzweiges überbringen, der an einem geschichtlich bedeutsamen Ort geschnitten und von Mann zu Mann im Schnelllauf durch Deutschlands Gaue bis an die Stufen des Denkmals getragen wird“, wie es in einer zeitgenössischen Darstellung hieß. Die aufwändige Inszenierung sollte die inzwischen errungene nationale Einheit symbolisieren.

Das Denkmal stand dabei im Schnittpunkt dreier konkurrierender historischer Narrative. Zum einen war es das Denkmal einer Völkerschlacht, denn es war eine internationale Koalition gewesen, die Napoleon besiegt hatte. Zugleich aber sollte es ein nationales Denkmal sein, ein „Denkmal der Befreiung und der nationalen Wiedergeburt Deutschlands“, denn, so die „Weiheschrift“ des Deutschen Patriotenbundes, entscheidend sei, „dass die siegreiche deutsche Heldenkraft ihren Löwenanteil bei der Überwindung der französischen Übermacht unter dem höheren Antrieb des erwachenden deutschen Bewußtseins erstritt und den unsterblichen Willen zur Entfaltung unserer nationalen Einheit gebar.“

Schließlich sollte das steinerne Monument, obwohl es mitten in Sachsen stand, noch eine weitere Botschaft transportieren. Es war nicht nur „ein Sinnbild des kettensprengenden, zum Lichte drängenden deutschen Gedankens“. Sondern 1813 hatte, jedenfalls nach Überzeugung des Deutschen Patriotenbundes, auch „die frei nach eigner Art sich vollziehende Entwicklung Deutschlands unter Preußens Führung“ begonnen.

Der Leipziger Steinkoloss war einerseits eine symbolische Grabstätte für die Zehntausende vor den Toren Leipzigs gefallenen Soldaten, andererseits war es ein weithin aufragendes Symbol der kleindeutschen Lösung, also eines Deutschen Reiches ohne die Österreicher, das von Preußen dominiert war. Bismarck hatte zielstrebig auf diese Lösung hingearbeitet und sie mit der Gründung des Norddeutschen Bundes 1867 und dessen Erweiterung zum Deutschen Reich 1871 durchgesetzt. Der trutzige Leipziger Koloss war ein steinernes Symbol des „unheiligen Deutschen Reiches preußischer Nation“, wie Thomas Mann den 1871 in Versailles proklamierten Nachfolgestaat des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation einmal genannt hat.

Bei den Einweihungsfeierlichkeiten im Jahr 1913 stand ganz die deutsche Nation im Vordergrund. Vertreter der anderen siegreichen Nationen, Österreicher, Russen oder Briten, hatte man gar nicht erst eingeladen. Die patriotische Begeisterung, die sich in Theaterstücken, Bildbänden, einem Jubiläumssekt, Taschentüchern mit eingewebtem Denkmal und anderen Devotionalien niederschlug, nahm ungeahnte Ausmaße an. Dabei blickte man nicht nur zurück auf die Völkerschlacht von 1813, sondern auch voraus. Das Gefühl war verbreitet, dass man „am Vorabend eines Weltkrieges wie vor 100 Jahren“ stehe, wie es in einem Festbeitrag des Verbandes der Turnerschaft der deutschen Hochschulen hieß.

Doch der Krieg, der im August 1914 begann, unterschied sich so fundamental von früheren Kriegen, dass die Völkerschlacht, derer man nur ein Jahr zuvor so pompös gedacht hatte, als historischer Referenzpunkt bald verblasste. Der industrialisierte Krieg nahm ganz andere, weit radikalere Dimensionen an, die die Erinnerung an die Völkerschlacht verstellten. Allein bei den Schlachten vor Verdun und an der Somme gab es 1916 Verluste, die in die Millionen gingen. Für den Meldegänger Adolf Hitler standen die Erfahrungen, die er im Ersten Weltkrieg gemacht hatte, bei seinen weiteren Kriegs- und Welteroberungsplänen im Vordergrund. Er bezog sich auf seinen Einsatz in Flandern und auf die Schlachten von Tannenberg oder Verdun, aber kaum auf die Leipziger Völkerschlacht.

Nach 1945 lag das Denkmal in der DDR und gewann dort eine ganz neue Bedeutung. Jetzt erinnerte man sich daran, dass damals auch Russen an der Seite der Preußen und Österreichern gekämpft hatten, und das Völkerschlachtdenkmal mutierte unversehens zu einem Monument der deutsch-sowjetischen Freundschaft. Die Befreiungskriege wurden ein Teil des „nationalen Kulturerbes“ und in der Nationalen Volksarmee gab es sogar ein Ernst-Moritz-Arndt-Regiment.

Heute dient der Leipziger Koloss als Anziehungspunkt für den Tourismus. Zum Glück gibt es wohl kaum noch Besucher, die davon träumt, ihr Schwert mit Franzosenblut zu röten.

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