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Skat spielen mit der ganzen Familie.

© picture alliance / dpa

„Da kamen mir die Tränen“: Wenn die erwachsenen Kinder wegen Corona wieder zu Hause sind

Sonst sieht man sich nur noch wenig, aber nun erlebte unsere Leserin unverhoffte Familienzeit, 24/7. Die Corona-Geschichten der Leserinnen und Leser.

Leserin Kerstin Tyler:

Meine Kinder sind heute 22 und 19 Jahre alt. Meine Tochter studiert in einer anderen Stadt und mein Sohn jobbt in seinem Gap-Year nach dem Abi. Wenn alle in Berlin sind, ist Weggehen und Freunde treffen angesagt, wenn wir als Eltern arbeiten, schlafen die Kinder noch und umgekehrt.

Die Quarantäne hat das geändert. Es waren Semesterferien, wir als Eltern haben im Homeoffice gearbeitet, die Familie war 24/7 zusammen. Wir haben jeden Tag zusammen das Essen geplant, gekocht und gegessen, Skat gespielt oder gepuzzelt, uns abends gemeinsam vor der Tagesschau auf dem Sofa versammelt und die erlaubten Radtouren an der frischen Luft verbracht.

Corona hat mir neben allen Einschränkungen und Ängsten eine Wiederholung von Familienzeit geschenkt, die ich so weder erwartet noch gefordert hätte. Als meine Tochter heute an ihren Studienort zurückfuhr, kamen mir die Tränen.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Liebe Leserinnen und Leser,

Geschichten über eine beginnende Liebe, Existenzängste, Sorgen um die Eltern im Heim, über digitale Vorlesestunden und außergewöhnliche Geburtstagsfeiern: In den vergangenen Wochen haben Sie Ihre persönlichen Erlebnisse aus dem neuen Alltag mit uns geteilt. Vielen Dank dafür!

Die Zeit, in der ein Großteil der Menschen zu Hause bleiben musste, ist mit den Lockerungen der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus vorbei. Doch vieles bleibt neu und anders.

Sollten Sie also weiterhin Erfahrungen machen, die Sie teilen möchten, schreiben Sie an anna.thewalt@extern.tagesspiegel.de. In unregelmäßigen Abständen werden wir auch weiterhin Geschichten veröffentlichen.

Lesen Sie hier weitere Corona-Geschichten der Leserinnen und Leser:

Dietrich Tuchelt über Zaunbesuche und fehlende Umarmungen:

Ein Schild mit der Aufschrift «Besuchsverbot» hängt vor einem Seniorenheim in Köln.
Ein Schild mit der Aufschrift «Besuchsverbot» hängt vor einem Seniorenheim in Köln.

© dpa

Bisher konnte ich meine Frau, die an Demenz leidet, jeden Tag im Heim besuchen und dieser direkte Kontakt zwischen uns hatte etwas Fröhliches für beide. Mit der Coronakrise ist das vorbei und ich erlebe fast am Ende meines Lebens diese nicht fassbare Trennung, den geliebten Menschen nur noch auf Entfernung zu sprechen.

Die Begegnungen finden im Heim-Garten voneinander getrennt durch einen Zaun statt, zweimal die Woche für jeweils 15 Minuten. Daher ist das zurzeit schöne Wetter ein Segen, lässt es doch Treffen im Grünen zu, tröstet aber nicht hinweg, den geliebten Menschen nicht mehr umarmen zu können.

Da sind kleine Kartengrüße, die ich mitgebe, mir ein kleiner Ausgleich. Und da ist der Gedanke als Begleiter, der einem sagt, dass dieses Geschehen noch über Monate hinweg dauert und ein Ende nicht abzusehen ist.

Manuela Weitkamp-Smith über die Wiederentdeckung des Briefeschreibens:

Briefe schreiben an Unbekannte.
Briefe schreiben an Unbekannte.

© picture alliance / dpa

Ich bin das frischeste Mitglied des Ensembles der „Spätzünder“, eine von drei Hauptgruppen des „Theater der Erfahrungen“. Auch wir wurden durch das bissige Coronavirus komplett ausgebremst. Keine Proben mehr, keine Aufführungen, alles von einem Tag auf den anderen vorbei!

So entstand die Idee, dass sich alle 35 Ensemble-Mitglieder des Theaters untereinander Briefe schreiben sollten, damit der Kontakt erhalten bleibt und sich auch einige Menschen aus unserer kreativen Runde nicht so einsam fühlen.

Einer von uns entwarf einen passenden Algorithmus, und wir bekamen die Adressenlisten mit den entsprechenden Anweisungen, wem wir zu schreiben haben, zugeschickt. Zunächst blickte ich etwas fassungslos auf meine Liste, bis auf vier Ausnahmen kannte ich niemanden von den dreizehn Menschen, denen ich bis zum Juli schreiben sollte!

Schwarze Löcher – dann Licht!

Ich blickte in verschiedene schwarze Löcher, aber dann kam Licht ins Dunkel! Schließlich hatten wir eine gemeinsame Leidenschaft – das Theaterspielen! Außerdem gibt es so viele Fragen zu stellen, wenn man jemanden kennenlernen möchte, der Kugelschreiber huschte nur so über das Papier!

Es ist immer wieder schön, Post zu bekommen, es ist immer wieder spannend! Man bekommt Einblicke in diese Leben, Träume, Schicksale und Gedanken. Da muss doch wirklich so ein blöder Virus daherkommen, um uns zu zeigen, wie schön es ist, wenn man einem anderen Menschen Zeit schenkt.

Zeit, sich hinzusetzen, den Stift zu nehmen und ihm die nächste halbe Stunde einen Einblick in die eigene Welt zu gewähren - diese Verbundenheit und Nachhaltigkeit haben die neuen Medien nicht.

Gisela Vendovszky über Tauschhandel: 

Viele schneidern ihre Masken selber.
Viele schneidern ihre Masken selber.

© dpa

Mitte März war klar, dass über kurz oder lang eine Alltagsmaske notwendig sein würde! Stoff, Nähgarn, Draht, Band und Gummi waren vorhanden, also frisch an die Arbeit! Für die ersten beiden Masken brauchte ich lange, aber dann hatte ich den Bogen raus.

Schnell baten Familie und Freunde um eine Maske und so wurde gemessen, zugeschnitten, gefältelt, gesteckt, genäht, gebügelt! Aber Haushaltsband und Gummilitze waren bald aufgebraucht und die für dieses Zubehör systemrelevanten Geschäfte waren geschlossen.

In den entsprechenden Miniabteilungen der Supermärkte waren diese Dinge genauso schnell ausverkauft wie Klopapier, Nudeln und Haferflocken. Phantasie für Alternativen war gefragt. Im Angebot waren bunte, karierte, neutrale, geblümte, gestreifte Masken, mit Bindebändern oder Gummi.

Die meisten Masken habe ich verschenkt, etliche getauscht gegen Eier, Äpfel, Hefe, Mehl, Marmelade und einige gegen einen Materialbeitrag abgegeben.

Leser Wolfgang Werres über die Freude, die das Zeitunglesen mit sich bring:

Freude am Morgen: die Zeitungslektüre.
Freude am Morgen: die Zeitungslektüre.

© picture alliance / Sven Hoppe/dp

Bleibt zu Hause! Gut gesagt, schwer getan, doch Gott sei Dank gibt es die Tageszeitung. Liegt sie morgens im Briefkasten, ist der Tag gerettet. Sie ist leichter als sonst, weil auf Beilagen verzichtet wird. Ein Zustand, der mir durchaus gefällt. Noch nie war mir die Zeitung so wichtig.

Sie gestaltet auf angenehme Weise einen Teil des Tages. Die Zeit zu strukturieren macht alles etwas erträglicher und somit gehört Zeitunglesen zum festen Bestandteil meines Tagesablaufes. Jetzt, da ich Zeit genug habe, lese ich Seite für Seite, sogar den Sportteil, den ich sonst überschlage.

Auch die längeren Beiträge und Kommentare, die ich früher des Öfteren aus Zeitmangel überflogen habe, zeigen, was mir so alles entgangen ist. Die vielen Denkanstöße, die für eine gewisse Zeit die prekäre Situation, in der wir uns befinden, vergessen lassen. Da verspreche ich in Zukunft Besserung.

Aufmerksamer als sonst lese ich den Lokalteil. Hier erhalte ich Informationen und Ratschläge, die mit den normalen Nachrichtensendungen nicht abgedeckt werden können. Welche Aktionen sind in meiner Umgebung geplant, um Menschen in Not zu helfen? Wie kann ich selbst mein Verhalten verändern, verbessern? Wohin kann ich mich wenden, wenn ich Probleme bekomme?

[Berlin steht still - genug Ideen, was man machen kann, gibt es trotzdem. Im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint finden Sie jeden Morgen Tipps für die Zuhause-Bleib-Zeit. Jetzt kostenlos abonnieren: checkpoint.tagesspiegel.de]

Gewöhnlich auf der letzten Zeitungsseite wartet ein neuer Höhepunkt auf mich: Sudoku. So kann ich mich noch für eine Weile beschäftigen und freue mich jedes Mal, wenn mir die Lösung schnell gelingt. Gut für Körper und Geist ist im Treppenhaus mein morgendlicher Gang zum Briefkasten und zum Schluss mein Gehirntraining mit Sudoku. Apropos Briefkasten: Zu dem Kreis derjenigen, denen wir dankbar sein sollten, gehören auch die Zeitungszusteller.

Leser Torsten Schmeling über das zum Erliegen gekommene Taxigeschäft und sein Biervergnügen am Nachmittag:

Bier gegen den Laferkoller.
Bier gegen den Laferkoller.

© picture alliance / dpa

Jeden Winter jammern alle: Es gibt keinen Schnee und wieder keine weiße Weihnachten. Ich sagte im Januar zu meiner Frau: „Ich wünsche mir mal einen Meter Neuschnee in Berlin und dass er richtig anfriert über Nacht! So ein richtiger Zusammenbruch. Dann würde ich gerne wissen, wie unsere Stadt damit umgeht.“

Jetzt haben wir Shutdown, aber nicht wegen des Wetters. Ich bin Taxifahrer und habe am 20.3. meine vorläufig letzte Schicht gefahren (drei Touren in sieben Stunden, hurra). Unser Gewerbe ist eh schon arg gebeutelt, die Zeiten des großen Geldverdienens sind lange vorbei. Wir haben zu viele Taxen in der Region und harte Konkurrenz durch die Mietwagen.

Mein Chef hat acht Wagen bis auf einen vorläufig stillgelegt. Nur für den Fall, dass ein Stammkunde anruft. Aber die Angestellten sind auf Kurzarbeit. Ich habe mir den Shutdown anders vorgestellt. Meine Frau sagt: Ist doch schön, genieße die Zeit zu Hause!

Der Hund freut sich

Sie neidet mir die „freie Zeit“, weil sie weiter arbeiten muss in der Poststelle. Ich stehe trotzdem mit ihr auf und mache Kaffee und gehe Gassi mit unserem Hund; der freut sich, weil Herrchen immer da ist! Manchmal fahre ich Frauchen auf Arbeit, damit ich das Autofahren nicht verlerne.

Habe auch x Läden nach Klopapier abgesucht und mir fünf verschiedene Kästen Bier gekauft. Ab 14 Uhr wird das erste aufgemacht, nur muss ich aufpassen, dass ich nicht zum Alki werde und den Start verpasse in die Nach-Corona-Zeit. Möchte mich wenigstens vom Flughafen Tegel verabschieden!

Leserin Christel Körnig über die "C"-Gedanken:

Ich werde wach, wohliges Recken, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, ein Bilderbuch-Frühling. Und dann Wumm: Corona. Erst mal die Sonntagszeitung raufholen, Martenstein begrüßt mich freundlich, alles wie immer und doch anders.

Virus in Zahlen statt Flughafenpleite. Diese Situation hat eine ganz eigene Qualität. Balkonfrühstück mit dem Tagesspiegel ist immer mein Highlight und ist nun auch anders mit dem „C“-Gedanken im Hinterkopf. In achtzig Jahren habe ich schon einiges erlebt, alles ging vorbei, Gutes und Schlechtes, auch dies hier wird vorbei gehen.

Zum Glück hat der Buchladen auf!

Nie wusste man wie lange Krieg, Mauer und andere Katastrophen dauern, da heißt es sich gedulden. Die Kinder kümmern sich rührend und fragen täglich wie es mir geht, ob ich was brauche, ob ich den Mundschutz benutze und was ich heute mache. Ich laufe durch stille Straßen ins „ Dorf“, kaufe mir ein Eis, gehe rüber zum Friedhof und verputze es dort auf der Bank...hier wohne ich mal.

Selbst im gemütlichen Schmargendorf sind lange Schlangen vor den Geschäften. Der Buchladen hat auf, welch ein Glück, denn die öffentlichen Bibliotheken sind geschlossen. Mit zwei Büchern nach Hause, sechs Kilometer gelaufen zeigt mein Handy, gut. Gleich auf den Balkon mit einem Kaffee und einem Buch oder (neuer Trend) mit einem Puzzle. Haben mir auch die Kinder verordnet. Bin ich jetzt das Kind?

Jens Bülskämper über Corona-Couture:

Vergnügen in der Corona-Zeit: Eis essen.
Vergnügen in der Corona-Zeit: Eis essen.

© dpa

Die Kontrolle über sein Leben habe verloren, wer sich dem Lotterleben in Jogginghose hingebe, bekundete einst Karl Lagerfeld. Dieses Bonmot gehört zu den wenigen Einsichten des Couturiers, die ich nicht unterschreiben mag.

Vielmehr möchte ich der unscheinbaren Heldin des Alltags unter den Vorzeichen von Ausgangsbeschränkung und Homeoffice meinen Tribut zollen, auch wenn sich nach wochenlangem Pfahlsitzen in ihrem speckigen Abglanz bereits die kommentierenden Virologen, sowie die über den Ereignissen wachende Kanzlerin spiegeln.

Waschen kann ich das gute Stück leider nicht, es ist ja täglich im Einsatz und ein anderes Modell nicht zur Hand. Ihre flankierenden goldenen Streifen geben mir dieser Tage etwas Majestätisches, wenn ich zum Kühlschrank schreite.

Das elastische Band verzeiht viel

Komme ich fürs Flanieren zum Supermarkt in die Verlegenheit, eine Jeans überzustreifen, muss ich erkennen, dass die Bundweite durch den Lockdown schon fast verloren scheint. Darin offenbart sich die größte Schwäche des sportlichen Beinkleids: Dank ihres elastischen Bundes verzeiht sie viel, vielleicht zu viel.

Die Ursprünge des beliebten Klassikers liegen vermutlich in den 1970ern. Dass das Coronavirus nun imstande ist, die Frisurentrends dieser Jahre gleich mit aufleben zu lassen, ist leider Wasser auf den Mühlen hanebüchener Verschwörungstheorien.

Mein goldgestreifter Schatz ist nicht irgendeine Trainingshose: Das Modell „Beckenbauer“ kündet von kaiserlichem Krisenmanagement. Nicht nur, dass die bayrische Sentenz „Dahoam is dahoam“ die Verhältnisse selten so treffend beschrieb; es ist unser Fußballweiser höchstselbst, der es dieser Tage mit den Analysen der öffentlichen Intelligenz locker aufnehmen kann: Schaun mer mal, dann sehn mer scho.

Leserin Margit Tauer über iPad-Bedienung und Rätselfreuden:

Beliebtes Kleidungsstück: die Jogginghose.
Beliebtes Kleidungsstück: die Jogginghose.

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Seit vielen Jahrzehnten lese ich den Tagesspiegel. Jeden Tag versuche ich das Kreuzworträtsel zu lösen. Vor der Corona-Krise musste ich es in der Zeitung suchen, weil es immer zwischen den Kino- oder Theateranzeigen gedruckt wurde und die änderten sich.

Das Rätsel war sehr klein, manchmal brauchte ich eine Lupe, um die Schrift zu lesen. Viele Fragen konnte ich nicht beantworten. Mühsam musste ich in einem Kreuzworträtsel-Lexikon die Antworten suchen. Vor einigen Jahren, ich war schon über 80 Jahre alt, kaufte ich mir ein iPad.

Das war damals sehr schwierig für mich, ich begriff die Bedienung nicht. Unterdessen wurden die Kreuzworträtselfragen immer schwieriger. Mein Lexikon konnte viele Fragen nicht mehr beantworten. Meine Tochter redete mir gut zu, es doch einmal mit dem iPad zu versuchen.

Neue Erfolge

Mühsam fand ich die Seiten mit der Kreuzworträtsel-Hilfe. Zu meiner Überraschung merkte ich, dass das Rätsel anscheinend auf der Basis dieser Fragen erstellt wurde. Dies war für mich die Motivation, die Bedienung meines iPads zu lernen.

Plötzlich im März änderte sich alles. Der Tagesspiegel hatte durch die Corona-Krise nur noch wenige Anzeigen und das Kreuzworträtsel erschien jetzt immer auf der „Weltspiegelseite“ an derselben Stelle und war auch etwas größer und leserlicher gedruckt. Die Fragen waren nicht mehr so kompliziert, meistens wusste ich sie und brauchte keine Hilfe. Welch ein Erfolg für einen alten Menschen, der jetzt meistens zu Hause bleiben muss.

Leserin Athena Möller über einen hastigen Abschied:

Kann auch beim Kreuzworträtsel lösen behilflich sein: das iPad.
Kann auch beim Kreuzworträtsel lösen behilflich sein: das iPad.

© picture alliance/dpa

Ich sollte gerade keinen Wollpulli tragen, sondern ein verschwitztes T-Shirt. Statt meiner Lieblings-CD nur Kindergeschrei hören und nicht mit dem W-Lan verbunden sein, sondern in einem Funkloch feststecken.

Ohne mich von allen Hausmüttern, Sozialarbeiter*innen und Kindern verabschieden zu können, musste ich meinen Freiwilligendienst in der philippinischen Kinderrechtsorganisation verlassen.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat die Entscheidung getroffen, dass alle Freiwilligen des Programms „weltwärts“ wegen der Pandemie schnellstmöglich zurück nach Deutschland kommen sollen.

In unserer abgeschieden gelegenen Einsatzstelle haben wir nur wenig von dem Chaos auf der Welt mitbekommen. Trotzdem mussten wir innerhalb von drei Stunden unsere Koffer packen und auf Wiedersehen sagen. Wir hatten gerade alle Hürden überwunden und konnten unseren Aufgaben ohne Komplikationen nachgehen: auf den zum Projekt gehörenden Reisfeldern arbeiten, die Kinder zur Schule begleiten, mit ihnen essen und spielen.

Seit Kurzem hatten wir sogar die Kapazitäten, auch größere Projekte zu planen, wie etwa einen Solarofen zu bauen oder einen Workshop zu sexueller Selbstbestimmung zu halten.

Zum Glück nicht nutzlos

Das Wissen über die schrecklichen kinderrechtlichen Umstände auf den Philippinen haben mich sehr geprägt. Jedes einzelne Kind ist mir in der Zeit ans Herz gewachsen.

Der Vertrag meines Freiwilligendienstes läuft zum Glück wie geplant bis August, ab jetzt darf ich die Organisation so gut wie möglich von zu Hause aus unterstützen.

Dabei ist Kreativität gefragt, wir hatten die Idee, Arbeitsblätter für die Kinder zu gestalten oder Präsentationen vorzubereiten. Ich sitze also zum Glück nicht nutzlos zu Hause und bin dafür sehr dankbar!

Leserin  Stefanie Hanssen über Krisen als Katalysatoren des Fortschritts:

Zum Freiweilligendienst gehörte auch die Arbeit auf einem Reisfeld. Hier zu sehen sind zwei Reissorten auf einem Reisfeld südlich von Manila, Philippinen.
Zum Freiweilligendienst gehörte auch die Arbeit auf einem Reisfeld. Hier zu sehen sind zwei Reissorten auf einem Reisfeld südlich von Manila, Philippinen.

© REUTERS

Es gibt Tage, da kann der Kopf die Krise kaum erfassen. Shutdown. Stille. Stillstand. Zehn Jahre ist mein Unternehmen alt, wir wollten in diesem Frühjahr expandieren, haben einen Umbau unserer Duft-Manufaktur geplant, weiteres Personal eingestellt. Dann kam der März und mit ihm die Krise, die all die guten Pläne zum Erliegen gebracht hat.

Dann plötzlich gab es in meinem Kopf tausend neue Ideen. Durchhalten. Netzwerken. Gutes tun. Mein Online-Shop ist zum Glück stark, darauf lässt sich aufbauen.

Mein „geschrumpftes“ Team wunderbarer Mitarbeiter arbeitet konzentriert von zu Haus, ruft #supportyourlocals ins Leben und empfiehlt Berliner Brands, die es in der Krise nicht leicht haben. Und beschafft für #carepaket tausende kleine Geschenke von Kooperationspartnern, die wir an Berliner Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern verteilen werden (auch der Tagesspiegel ist mit dabei!).

[Behalten Sie den Überblick über die Corona-Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

Und dann kommt Hilfe von der Berliner Landesbank, die uns durch die kommenden Wochen bringen wird. Schnell, unkompliziert, fair. Was für ein Glück, in einem Staat zu leben, der uns in dieser Ausnahmesituation kompromisslos unterstützt. Dafür will ich Danke sagen!

Vielleicht sind Krisen Katalysatoren des Fortschritts. Heute will und muss ich das glauben. Vielleicht ist heute die Zeit, Dinge neu zu denken. Ich fange gerade damit an.

Leserin Simone Schneider über die ehemals glänzende Haarpracht:

Stefanie Hanssen, Geschäftsführerin der Manufaktur Frau Tonis Parfum, Berlin
Stefanie Hanssen, Geschäftsführerin der Manufaktur Frau Tonis Parfum, Berlin

© Mike Wolff

April 2020, der Coronavirus macht uns allen zu schaffen. Auch mir - ich habe graue Haare! Nicht vor Kummer und Sorge. Grau, weil auch meine Friseurin schließen musste und mich nicht länger vor dem offensichtlichen Anblick meiner körperlichen Unzulänglichkeiten bewahren kann.

Und ich rede nicht von ein paar grauen Haaren hier und da. Vielmehr erinnert der Anblick an eine Busspur, an eine Schneise aus grauem Gestrüpp, an das Verblassen einst glänzender Haarpracht früherer Jugend, an … na gut, ich glaube, die Brisanz der Lage ist deutlich geworden.

Aber bitte. Corona fordert nun mal Opfer und da ich ein optimistischer Mensch bin, sehe ich auch die guten Seiten. Besinnen auf das, was im Leben von Bedeutung ist. Also renne ich nicht zum Drogeriemarkt und kaufe mir Haarfarbe zum Selbsttönen.

Erspart meiner Kopfhaut viel Chemie und meinem Körper die Giftstoffe, die über die Haarwurzeln doch hinein gelangen. Außerdem bin ich noch Umweltschützerin, ich spare Plastikmüll und verunreinige nicht das Abwasser. Prima!

Und mal ehrlich, wenn nicht jetzt wann dann? Dank „Wir bleiben zu Hause“ komm ich ohnehin kaum vor die Tür und wenn mir mal jemand beim Einkaufen begegnet – Kopf schön hochhalten, „social distancing“ wahren, da sieht doch kein Mensch aus zwei Metern Entfernung, was auf meinem Scheitel so los ist.

Also weiter mit dem Natürliche-Schönheit-Experiment! Und wenn Corona vorbei ist und es zu natürlich aussieht mit dem Grau in der einst vollen Mähne, dann unterstütze ich meine Friseurin nach besten Kräften für die Wirtschaftsbilanz und färbe wieder – aus reiner Nächstenliebe selbstverständlich! Bis dahin: stay at home, Kopf hoch und behaltet den Humor.

Leser Marion Welsch über ein Ehrenamts-Projekt, das warten muss:

Graue Haare.
Graue Haare.

© Photocase

Corona hat mein Projekt „Alphabetisierungs-Kurse für Frauen mit Babys“ jäh gestoppt. Seit drei Jahren geben wir in einem Übergangswohnheim in Teltow Alphabetisierungs-Kurse für geflüchtete Frauen mit Babys und Kleinkindern.

Die Frauen mit ihren kleinen Kindern sind diejenigen, die ohne Kontakte nach außen und ohne ihre Großfamilie im Heim oder in Wohnungen bleiben müssen und vereinsamen. Sie sind glücklich, dass sie Deutsch lernen dürfen, während ihre Kinder nebenan betreut werden.

Neben den wachsenden Kenntnissen in der deutschen Sprache bauen die Frauen auch Beziehungen über nationale und familiäre Grenzen hinaus auf, unterstützen sich gegenseitig. Es gibt immer viel zu lachen.

Der Deutschkurs an vier Tagen in der Woche ist eine kleine Insel im Meer der Sorgen, die sie umtreiben. Den Unterricht finanziert der Landkreis-Potsdam-Mittelmark, aber die Gelder für die Kinderbetreuung mussten wir bisher mühsam über Spenden an unseren Verein IntegrationsConcept e.V. einsammeln.

2020 sollte die Kinderbetreuung endlich über die neue Integrationspauschale finanziert werden. Der neue Kurs hätte am 15. März beginnen können. Das muss jetzt warten. Einen neuen Kurs können wir auch nicht einfach digital geben. Viele der Frauen hatten zu Hause kaum Zugang zur Bildung.

Nach ein paar Monaten wäre ein Umstellen auf Internet-Unterricht mit dem Smartphone vielleicht möglich, aber nicht zu Beginn. So müssen wir die Frauen weiter allein lassen. Das ist deprimierend.

Jetzt nähen Geflüchtete Masken für die Aufnahmegesellschaft in dem Projekt „Füreinander-Miteinander“ des Integrationsbüros im Land Brandenburg. Wir geben sie an alle weiter, die sie brauchen und selbst nicht nähen können - solange der Vorrat reicht.

Leser Hanfried Wiegel-Herlan über den neuen Alltag in der ambulanten Pflege:

Viele nähen Mundschutz jetzt selber.
Viele nähen Mundschutz jetzt selber.

© Ottmar Winter, PNN

Ambulante Pflegedienste gehören zu denen, die in diesen Zeiten immer noch arbeiten. Meine Kolleg*innen gehen zu den Angehörigen einer Hochrisikogruppe, den Alten und Multimorbiden.

Es gibt kaum eine Tätigkeit, bei der meine Kolleg*innen die notwendige Distanz einhalten können, das heißt sie arbeiten permanent in der Gefahrenzone. Aber was wäre die Alternative? Kein Insulin spritzen, keine Wunden versorgen, kein Inkontinenzmaterial wechseln, keine Mahlzeiten zubereiten und anreichen?

Dann würden unsere Patient*innen zwar mit geringerer Wahrscheinlichkeit infiziert werden und an Corona sterben, stattdessen aber an entgleistem Diabetes, Blutvergiftung, anderen Infektionen oder würden verdursten: Keine Alternative!

Unsere Leute müssen also raus und riskieren, dass sie angesteckt werden oder andere anstecken. Ich neige mein Haupt in tiefer Achtung vor dem Mut und der Selbstlosigkeit meiner Leute!

Das Risiko auf das Minimum senken

Für mich als Arbeitgeber fühlt sich das nicht gut an. Ich bin verpflichtet, durch alle denkbaren Maßnahmen das Risiko, dass meine Mitarbeiter*innen bei der Arbeit zu Schaden kommen, auf das Minimum zu senken. Wir haben deshalb einige Maßnahmen getroffen.

Diese Regelungen widersprechen zum Teil diametral unserem Berufsethos und unseren sonstigen Verfahrensweisen, die auf kollegialen Austausch und soziale Annäherung an unsere Klientel ausgerichtet sind. Wir haben alle betriebsinternen Gruppenversammlungen abgesagt.

Pflegeübergaben finden nicht mehr im persönlichen Gespräch sondern nur noch telefonisch oder schriftlich statt. Dienst-PKWs werden von den Kolleg*innen nach ihrer Tour mit nach Hause genommen (was ansonsten grundsätzlich verboten ist!), um ihnen Wege ins Büro zu ersparen.

Und der kollegiale Plausch im Büro – eigentlich unerlässlich für die Psychohygiene – entfällt seit Wochen. Meinen Job als Geschäftsführer erledige ich im Homeoffice und zwei bis dreimal wöchentlich nach der Öffnungszeit, zum Teil nachts, im Büro.

Ein Gefühl in der Magengrube

Kürzlich hatten wir den ersten „Verdachtsfall“ in unseren Reihen, alle hielten den Atem an: Wem ist die Kollegin begegnet? Wenn sie positiv getestet wird und ausfällt: Welcher „Dominoeffekt“ beim Rest der Pflegekräfte ist zu erwarten? Wie sollen wir dann unsere Patient*innen versorgen? Zwei Tage später Entwarnung: Der Test war negativ. Aber in der Magengrube bleibt das Gefühl: Wenn wir umfallen, passieren ganz schreckliche Dinge.

Leserin Petra Hoffmann über Herzklopfen und Kennenlernen in diesen Zeiten:

Eine Seniorin bekommt den Blutdruck gemessen.
Eine Seniorin bekommt den Blutdruck gemessen.

© dpa

Vor einigen Wochen nahm ich all meinen Mut zusammen und gab eine Kontaktanzeige in der Zeitung auf, old woman − old school. Auf Dating-Plattformen mochte ich mich nicht umschauen.

Mein Leben ist ausgefüllt; trotzdem wünsche ich mir einen Partner, die männliche Sicht auf das Leben, Diskussion, „Wahrheit gibt es nur zu zweien“ (Hannah Arendt) und ja, natürlich auch jemanden zum Berühren.

Ich bekam zwei Zuschriften. Mit dem einen war der Kontakt kurz, unsere Interessen waren zu verschieden. Mit dem anderen verabredete ich mich.

Wir kamen leicht ins Gespräch, mir gefiel, wie begeistert er von seinem Beruf erzählte, seine Augen dabei strahlten. Mir gefiel sein Humor. Wir trafen uns wieder zum Spaziergang in „unserem“ heiß geliebten Berliner Kiez.

Dann kam das Kontaktverbot. Keine gemeinsamen Spaziergänge mehr, Sitzen auf einer Bank, sich buchstäblich näherkommen, keine erste scheue Umarmung.

Wir sind uns sympathisch, können gut miteinander reden, haben uns viel zu erzählen und sind neugierig aufeinander. Wir waren uns schnell einig, wir bleiben zu Hause − und seitdem telefonieren wir beinahe täglich.

Wir lernen uns kennen und inzwischen begleitet mich ein leises Herzklopfen, wenn wir miteinander telefonieren. Wie es ihm wohl dabei geht? Das zu fragen traue ich mich vielleicht nach dem 19. April.

Leserin Ingrid Lang über eine ungewöhnliche Geburtstagsfeier:

Für Schwäne gilt kein Kontaktverbot. Hier flirten zwei auf dem Nieder Neuendorfer See (Brandenburg).
Für Schwäne gilt kein Kontaktverbot. Hier flirten zwei auf dem Nieder Neuendorfer See (Brandenburg).

© dpa

Wir halten uns strikt an die angeordneten Corona-Kontaktbeschränkungen, auch wenn es schwer fällt. Aber besonders doof ist das, wenn ein Familienmitglied einen besonderen Geburtstag. Unser Fabi wurde 30.

Dieser besondere Geburtstag sollte nun trotz Corona gefeiert werden und ein genialer Einfall der Verlobten brachte die Lösung. Die beiden leben in einer Vierer-WG, die die stattliche Anzahl von etwa zwölf elektronischen zur digitalen Kommunikation geeigneten Endgeräten aufweisen kann.

Also wurde beizeiten heimlich eine Verabredung mit allen Gratulant*innen getroffen, zu einer bestimmten Zeit mittels des heimischen Computers erreichbar zu sein.

Das Geburtstagskind wurde dann für kurze Zeit in die Küche gesperrt, bis alle Teilnehmer solo oder zu mehreren auf verschiedenen Bildschirmen anwesend waren, jeweils mit Kerze, Kuchen, Sektgläsern oder Geburtstagshütchen und Tröte.

Wieder ins Zimmer geführt, sah sich die Hauptperson umrundet von vielen Menschen auf großen und kleinen Bildschirmen, die im Zimmer aufgebaut waren und bereit waren zum Feiern! Eine gelungene Überraschung und viel Spaß für die ganze Geburtstagsgesellschaft.

Susanne Wülfing über Sport mit den Nachbarn:

Auch während Corona kann man Geburtstag feiern - auf ungewöhnliche Weise.
Auch während Corona kann man Geburtstag feiern - auf ungewöhnliche Weise.

© picture alliance / dpa

Habe ich etwa Geburtstag heute? So oft, wie das Telefon geklingelt hat! Alle rufen an. Meine Geschwister, Schwägerinnen, Nichten, alte Schulfreunde.

Der schönste Anruf kam von einem Freund, der sagte, er sitze mit aufgeschlagenem Adressbuch da und wolle jetzt mal alle anrufen, von denen er lange nichts gehört habe. Vorsichtig erkundigte er sich nach diesem und jenem gemeinsamen Freund, um bei seinen Anrufen keine Peinlichkeiten auszulösen.

Man weiß ja nie, ist jemand gestorben oder hat sich jemand getrennt? Während ich noch mit ihm spreche, kommt eine E-Mail von der Nachbarin: Sie gehe zur Drogerie, ob sie mir etwas mitbringen solle?

Ich habe einen Hochrisikopatienten mit Lungenfibrose zu versorgen und darf mich keiner Virusschleuder aussetzen. Die Nachbarn wissen das. Einer legt selbstgebackenes Brot vor die Tür, andere gehen für mich einkaufen.

Auf den Markt wollte ich ich aber selbst gehen, um Luft zu schnappen. Der Gemüseverkäufer sagte, er komme sich vor, als ob er Klopapier zu verkaufen habe. Seine Kisten waren leer, bis auf Rhabarber und Schwarzwurzeln. Das gibt's also bei uns.

Dann gehe ich auf den Balkon, mit den Nachbarn Gymnastik machen – jeder macht auf seinem eigenen Balkon mit.

Leser Otto Bammel über Fluflärmferien:

Wer dieser Tage einen Balkon hat, kann sich glücklich schätzen.
Wer dieser Tage einen Balkon hat, kann sich glücklich schätzen.

© dpa

Dass ich das noch erlebe mit meinen über 80 Jahren! Ursprünglich waren wir ja wegen des Ruhestands in das grüne Pankow gezogen, damals 2006. Wir hatten erst spät realisiert, dass das zu kaufende Häuschen direkt in der Einflugschneise zu Tegel lag, was bedeutete, dass insbesondere morgens und nachmittags alle drei bis vier Minuten ein Tiefflieger über unser Dach donnerte.

Aber rechtzeitig erfuhren wir, dass 2012 der BER fertig gestellt und Tegel geschlossen würde; der Ruhestand müsste also noch ein bisschen warten. So unterschrieben wir den Kaufvertrag. Dass der tägliche Flugzeuglärm in seiner unerbittlichen Regelmäßigkeit allerdings so störend und schädlich sein würde, hatten wir uns nicht vorgestellt¸ da half auch eine gewisse Gewöhnung nicht.

Einziger Trost blieb, dass  2012 in Tegel die staatsvertraglich festgesetzte Ruhe eintreten würde. Wir zählten die Jahre, zuletzt noch die Monate. Und dann – 2012 – die große Enttäuschung:  Es geht weiter! Unser mit den Nachbarn vorbereitetes „Tegel-zu!“ -Fest fand trotzdem statt. Seither warten wir Ruheständler in Pankow und können nicht einmal sicher sein, dass wir “Tegel-zu“ überhaupt  noch erleben werden.

Dachten wir! Und nun das! Keiner konnte ahnen, dass ein solcher Winzling von Virus mit seinem unbändigen Vermehrungsdrang die ganze Welt, nahezu allen Flugverkehr und alle Tegel-Planungen in Berlin auf den Kopf stellen würde. Die Folge für Pankow: Binnen zwei Wochen ist fast kein Flugzeug mehr über uns am Himmel! Meine Frau ist bei der Ruhe im Liegestuhl auf der Terrasse richtig eingeschlafen! Zum ersten Mal seit wir hier wohnen.

Saubere Luft wie auf Usedom

Corona kümmert sich weder um brandsichere Hallentüren im BER, noch um dessen automatische Sprinkleranlage, weder um Staatsverträge noch Umweltauflagen. Corona ist einfach da – und das reicht, um verzweifelnden Senioren in Pankow endlich ihren wohlverdienten Ruhestand zu bescheren.

[Behalten Sie den Überblick: Corona in Ihrem Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihren Bezirk. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de]

Endlich erschrecken Gartengäste nicht mehr bei jedem Überflug, endlich können wir beim sonntäglichen Nachmittagskaffee auf der Terrasse wieder normale Gespräche führen, ohne alle paar Minuten eine 20-Sekunden-Pause wegen Fluglärms einlegen zu müssen, endlich ist die Luft (fast) wieder so sauber wie auf Usedom. Allerdings – der Nachbar stellte das  bedauernd fest –  muss die arbeitende Bevölkerung in unserem Kiez sich Wecker kaufen, denn die morgendlichen 6-Uhr Maschinen fallen jetzt weg.

Endlich ist Ruhe eingekehrt! Allerdings:  Eine Bitte habe ich an das so wirksame kleine Virus-Scheusal: Mach Dich bitte baldmöglichst wieder aus dem Staube. Wir möchten ja schließlich unseren ruhigen, sonntägliche Nachmittagskaffee auch wieder – ohne 1,5 m-Abstand – zusammen mit unseren Nachbarn genießen. Und beim echten „Tegel-zu!“-Fest – hoffentlich im Oktober! – uns wieder in die Arme nehmen dürfen.

Kristine Hardieck über ihre privaten Lesungen:

Flugzeugfreier Himmel über dem "Otto Lilienthal" Flughafen in Tegel.
Flugzeugfreier Himmel über dem "Otto Lilienthal" Flughafen in Tegel.

© dpa

Ich (76 Jahre!) lese jeden Abend vom 31.03. bis Ostermontag  eine Geschichte vor - mein Mann filmt mich dabei und anschließend schicke ich das Video an die Enkel, aber auch an interessierte „Große“ - das sind ungefähr 40 Adressen, die ich sehr gerne bediene!

Was ich vorlese? Zum Beispiel „Oh, wie schön ist Panama“ oder aber auch das Gedicht von Guggenmos: „Was denkt die Maus am Donnerstag“ oder von Janosch aus dem Buch, wo er Grimms Märchen neu erzählt. Was ich mir wünsche? Dass dieser Zusammenhalt auch „danach“ anhält!

Christian Ditte über seine Wut auf manche Menschen:

Lesen in Krisenzeiten
Lesen in Krisenzeiten

© Manfred Thomas, Tsp

Ich bin wegen einer schweren Autoimmunerkrankung besonders betroffen und durch das Coronavirus gefährdet. Es macht fassungslos, wie ignorant und eben nicht solidarisch noch immer viele Menschen sich benehmen. Ja, es gibt sie, die vielen, die an andere denken. Aber es ist überfällig darüber zu reden, wie gefährlich und unverantwortlich sich einige unter uns verhalten.

Ob schlicht der Mindestabstand, der, wenn man diesen einfordert, mit dummen und zum Teil aggressiven Verhalten beantwortet wird, bis hin zu geselligen Beisammen sein, draußen oder drinnen. Auf dem Weg zum Büro bin ich am Gelände des Flughafen Tempelhof vorbeigekommen.

Mit einer Mischung aus Wut und Entsetzen habe ich Hunderte von Menschen gesehen, die sich dort zum Teil in Gruppen, sitzend oder liegend, oder ohne Abstand gemütlich schlenderten. Besonders sauer macht mich die Tatsache, dass es sich hauptsächlich um die Generation zwischen 20 und Ende 30 handelte.

Ich frage: „Wo ist eure Menschlichkeit und Solidarität?“ Wer sich in der aktuellen Situation so verhält, ist kein Dummkopf, nein, weil diese Bezeichnung dieses verantwortungslose und egoistische Verhalten verharmlost!

Leser Roland K. über sorglose Pinguine:

Zahlreiche Menschen genießen am 5. April 2020 das sonnige Wetter auf dem Tempelhofer Feld.
Zahlreiche Menschen genießen am 5. April 2020 das sonnige Wetter auf dem Tempelhofer Feld.

© dpa

Meine Frau und ich waren Anfang bis Mitte März mit einem Hurtigruten-Schiff in der Antarktis unterwegs. Dank des Satelliten-Internets konnten wir auch jenseits des südlichen Polarkreises im Tagesspiegel die Corona-Nachrichten aus der übrigen Welt verfolgen.

Nicht nur wir, sondern auch andere Mitfahrer aus Europa und Amerika empfanden die Situation zunehmend als absurd: Die ferne Heimat verwandelte sich zunehmend in eine gefährliche Region, während die lebensfeindliche Antarktis plötzlich zu einem Ort der Sicherheit wurde. Beim Landgang galten Abstandsregeln nur für Tiere: Fünf Meter, die aber von den neugierigen Pinguinen nicht eingehalten wurden.

Die Gedanken bleiben frei

In einer chilenischen Station wurden die Besucher herzlich mit Kaffee und Kuchen empfangen, ohne dass sich ein Coronavirus dazwischen drängte. Entsprechend gedämpft war die Stimmung, als es an die Rückreise – begleitet von etlichen Buckelwalen – ging: Wie sieht es mit den Flügen aus? Was erwartet uns zu Hause?

Fast wehmütig ließen wir die letzten antarktischen Gletscher und Bergspitzen zurück, und, tatsächlich: Im Hafen von Ushuaia/Feuerland wurden die Passagiere von der Realität eingeholt: Verlassen des Schiffs nur mit Schutzmaske.

In Buenos Aires gab es dann noch einen Quarantäne-Tag im vom Militär bewachten Hotel, bevor es mit dem letzten regulären Flug via Frankfurt nach Berlin zurück ging. Aber wenigstens die Gedanken bleiben frei und gehen immer wieder zurück zu dem Kontinent, in dem es keinen Coronavirus, dafür aber umso mehr sorglose Robben, Pinguine und Wale gibt!

Leser Klaus-Dieter Colmsee über besondere Vorlesestunden:

Kaiserpinguine in der Antarktis.
Kaiserpinguine in der Antarktis.

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Mitte März veränderte sich das soziale Umfeld, Bekannte waren positiv auf das Virus getestet worden. Anruf beim Gesundheitsamt, Beginn der Quarantäne. Keine Spaziergänge mehr in der Marienfelder Feldmark oder dem Britzer Garten.

Der Kontakt zu Kindern und Enkeln eingeschränkt. Die jüngste Tochter war noch in Kuba, konnte sie noch zurück nach Hause? Es klappte mit 24 Stunden Verspätung. Die Eltern waren erleichtert. Alle Kinder boten sich an einzukaufen, die Erziehung war also nicht umsonst gewesen.

Die Geschichte vom Fliewatüüt

Kommunikation über WhatsApp oder Telefon. „Na ja wir machen uns keine Sorgen, ihr werdet es schon miteinander aushalten, seid ja bald 40 Jahre verheiratet.“ Zum Glück haben wir einen schönen Balkon, auf dem auch bei Kälte gelesen wurde, mit Mütze und Decken oder im Hemd als es warm war.

Der Tagesablauf: Ich machte Gymnastik, meine Frau wusch alle Gardinen. Dann wurde gekocht und gegessen. Plötzlich rief der Enkel an und wollte die Geschichte vom Fliewatüüt weiterhören. „Du kannst es mir doch am Telefon vorlesen!“

Also jetzt jeden Tag ein Anruf, Lautsprecher an, hingelegt und vorgelesen. Klappt alles bestens. Der Enkel dann großzügig: „Opa, es sind jetzt schon 29 Minuten, du kannst Pause machen, ich melde mich nachher wieder.“

Wie beim Elfmeterschießen

Das Einzige was mir nicht gefällt, ist das stetige Gewinnen meiner Frau beim Rummikub; es ist wie beim Elfmeterschießen gegen die Engländer, am Ende gewinnt immer die Gaby. Zum Glück sind wir gesund geblieben und Sonntag ist die Quarantäne beendet. Egal, wie dann das Wetter ist, wir gehen raus.

Natürlich werden wir danach auch Enkel und Kinder wenig sehen, wir wollen ja noch einige Zeit miteinander verbringen, deshalb unser Apell „Bleibt zu Hause!“

Die Schülerin Maya Rauschenberger berichtet, wie ihr Alltag ohne Schule aussieht:

In Zeiten von Corona ist Nähe oft nur über Telefon- oder Videoanrufe möglich.
In Zeiten von Corona ist Nähe oft nur über Telefon- oder Videoanrufe möglich.

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Hallo, ich heiße Maya. Ich bin 7 Jahre alt und wohne in Heidelberg. Die Coronazeit verbringe ich zusammen mit meiner Mama und meinen anderthalbjährigen Zwillingsschwestern und mein Papa muss arbeiten. Es ist zwar keine Schule, aber ich muss trotzdem an meinen Heften arbeiten.

Meine Mama hat einen Tagesplan gemacht. Morgens um 8 Uhr gibt es Frühstück. Davor muss ich mich fertigmachen für den Tag und meinen Schreibtisch aufräumen. Um 9 Uhr habe ich eine Stunde Arbeitszeit. Danach machen wir ungefähr eine halbe Stunde Sport mit Youtube-Videos. Dann spiele oder lese ich und dann kommt meine zweite Stunde Arbeitszeit.

Manchmal gibt es Streit mit Mama

Zwei Stunden Arbeitszeit sind viel weniger als in der Schule, das finde ich gut. Aber mit Mama streite ich mich manchmal, weil sie mir immer alles erklären will und ja nicht meine Lehrerin ist! Ich vermisse meine Freunde und meine Lehrer schon ein bisschen, aber mit Mama und meinen Schwestern ist es auch schön.

Einmal am Tag gehen wir raus und fahren Fahrrad, gehen spazieren oder sammeln schöne Dinge aus der Natur. Ich darf auch jeden Tag 30 Minuten Fernsehschauen oder eine App auf Mamas Handy spielen. Ich habe eigentlich keine Angst vor dem Coronavirus, nur dass meine Oma krank werden könnte.

Leserin Susanne Trampe hat einen Text aus der Sicht ihres Dackels geschrieben:

Ein Kind sitzt in seinem Kinderzimmer.
Ein Kind sitzt in seinem Kinderzimmer.

© picture alliance / Peter Steffen

Hallo zusammen, ich bin Alfred von der Teckelponderosa, letztes Jahr im April geboren. Ich hatte es von Anfang an gut, auch mit meinem Menschen hatte ich Glück. Viele Spaziergänge, Spaß und Spielen, jederzeit gutes Fressen und viel Liebe. Gelegentlich gab es allerdings Einschränkungen.

Immer wieder hat mein Frauchen mich abends allein gelassen, um in die Oper oder auf Konzerte zu gehen. Wer macht denn so was? Also ich liebe sie sehr, aber das ist doch unvernünftig, total sinnlos. Und dann auch noch selbst singen und jede Woche Chorprobe!

Jeden Abend Streicheleinheiten

Nun, seit einigen Wochen, ist sie jeden Abend zu Hause. Jeden! Abend! Das ist genial! Wir sitzen gemütlich auf der Couch, ich werde gestreichelt. Wunderbar. Aber sie neigt immer noch zu Sinnlosigkeiten.

Sie übt Klavier! Täglich! Leute, ich sage euch, das ist hart. Aber in dem Punkt versteht sie keinen Spaß, sie übt und erzählt mir was von Bach und Mozart. Wer soll das sein? So genau muss ich es gar nicht wissen, ich halte es einfach aus. Eine gute Beziehung lebt von der Toleranz.

Also, mein Leben ist schwer in Ordnung, und jetzt muss ich Schluss machen, wir wollen in den Wald. Das ist der Höhepunkt des Tages, da kann ich toben. Anschließend geht es uns beiden gut, dann ist Ruhe und das Couchprogramm beginnt. Das Leben ist schön.

Leserin Helen Raab über ihre Schwierigkeiten, in Corona-Zeiten an ein Rezept füt ihre Medikamente zu kommen:

Dackel im Glück.
Dackel im Glück.

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Ich bin 28 und mit 17 wurde bei mir die Schilddrüsenerkrankung Hashimoto diagnostiziert. Da sich die Tabletten dem Ende neigen, brauche ich ein neues Rezept. Das Problem: Dafür muss ich stundenlang mit den Öffentlichen durch Berlin fahren.

Ein vermeidbarer Weg, denke ich. Mein Hausarzt kennt mich, die können mir das Rezept per Post schicken. Also rufe ich Ende März in der Praxis an. Aber so einfach, wie ich mir das vorgestellt habe, ist es nicht: Dieses Quartal, so heißt es, dürfen sie mir kein Rezept mehr ausstellen.

Nur kurz reinhuschen?

Das geht erst im April. Dieses Rezept können sie aber nicht mit der Post schicken, denn da das neue Quartal beginnt, müssen sie meine Krankenkassenkarte einlesen. Ich frage, ob ich die Karte nachreichen kann. Nein, kann ich nicht.

Ich will der Arzthelferin gerade sagen, dass der Altersdurchschnitt der Patienten in ihrer Praxis sehr hoch ist, da hat sie eine Idee: Sie kann alles vorbereiten, dann muss ich nur kurz in die Praxis reinhuschen. Dass ich dafür ewig durch Berlin tingeln muss – ich habe kein Auto – lässt sich wohl nicht vermeiden.

Mein Glück, euer Glück

Ich brauche die Tabletten. Wenn ich sie nicht einnehme, begünstigt dies Depressionen und Schlafstörungen. Ich denke nach.

Kann mein Hausarzt nicht einen Kollegen in meiner Nähe informieren – dann könnte ich dort das Rezept abholen? „Versuchen Sie Ihr Glück!“ sagt die Arzthelferin und beendet das Gespräch. Und lässt mich sprachlos zurück: Wieso eigentlich mein Glück? Mir könnte es egal sein.

Ich bin jung, trotz Hashimoto ist ein symptomfreier Verlauf des Coronavirus nicht ausgeschlossen. Ich bin enttäuscht, aber um eine Erfahrung reicher. So schlimm kann keine Pandemie sein: Die deutsche Bürokratie funktioniert weiter.

Leserin Anke Pehlmann aus Mariendorf berichtet über ihr ungewöhnliches Wiedersehen mit ihren Eltern:

Um in der Apotheke ein Medikament zu bekommen, braucht es in den meisten Fällen ein Rezept.
Um in der Apotheke ein Medikament zu bekommen, braucht es in den meisten Fällen ein Rezept.

© dpa-tmn

Es ist viertel zwölf, ich greife zum Hörer und rufe an. „Hallo, wie geht es Dir?“, frage ich wie üblich. „Den Umständen entsprechend“, so kommt zögerlich die Antwort. „Ich komme nachher vorbei. Schau aus dem Fenster, okay? Denk dran.“

Gegen dreiviertel zwölf fahre ich mit dem Rad los. Wie üblich in letzter Zeit. Nicht jeden Tag , aber recht häufig. Frisch ist es heute, fast kalt. An diesem Tag Ende März habe ich Handschuhe an und meinen Schal habe ich bis über die Nase hochgezogen, ist besser so.

Draußen vor dem Fenster

Über Schleichwege fahre ich zum Heim in Mariendorf. Kurze Zeit später bin ich da, stelle das Rad ab und trete dicht vor eine dicke Hecke. Ich kann gut in den Speiseraum blicken. Dort sitzen sie, wie üblich. Lauter grauhaarige Köpfe kann ich erkennen, ich winke. Ich winke weiter.

Jetzt hat jemand sie angesprochen, meine Mutter dreht sich zum Fenster, erblickt mich und winkt zurück. So geht es tagelang. Mehr Kontakt ist nicht möglich. Heute kommt eine Mitarbeiterin in den Raum, sieht mich, lacht mich durch das Fenster an, macht Gesten.

Dank an eine engagierte Heim-Mitarbeiterin

Ach, Telefon, heißt die Geste. Ich winke nochmal zum Abschied meiner Mutter zu. Gerade, als ich auf das Rad steige, klingelt mein Handy. „Hallo, ich habe Ihre Nummer rausgesucht. Dann können Sie mal Ihren Vater sehen, so per Chat.“

Ich bin so gerührt. Meinen Vater, den habe ich seit Wochen nicht gesehen. Er kann zurzeit das Zimmer nicht verlassen und das geht zum Innenhof. Zügig fahre ich nach Hause und bin gespannt. Erstmal erreicht mich eine WhatsApp-Nachricht, dann klingelt das Telefon. Ich sehe meinen Vater. Und die Mitarbeiterin auch. Danke.

Leserin Miriam Eva Kebe aus Steglitz-Zehlendorf fühlt sich wieder wie am Anfang ihrer Selbstständigkeit:

Eine Pflegekraft geht in einem Pflegeheim mit einer älteren Dame über einen Korridor.
Eine Pflegekraft geht in einem Pflegeheim mit einer älteren Dame über einen Korridor.

© dpa

Ich bin selbständig, habe 2004 meine Lebensmittelmanufaktur "Kebe Living" gegründet, die ich zusammen mit meinem Mann aufgebaut habe. Wir haben einen langen Weg hinter uns, mit hunderten von Wochenmärkten, noch viel mehr Kochkursen und Veranstaltungen, allerlei Jobs und etlichen schlaflosen Nächten, wenn es mal wieder eng wurde.

Wir sind in kleinen Schritten gewachsen, erfolgreich und stolz auf das, was wir geschafft haben, aber immer in dem Bewusstsein, wie "zart das Pflänzchen" ist. Inzwischen beliefern wir deutschlandweit 100 Einzelhändler, betreiben selbst einen Kaufladen, ein Café und seit letzem Jahr einen Eisladen. Jetzt steht fast alles still.

Wir haben gute Jahre hinter uns, in denen sich langsam aber stetig alles stabilisiert und entwickelt hat. Wir haben - inzwischen muss ich sagen "hatten" - ein tolles, großes, sehr familiäres Team, das einen wesentlichen Teil unseres Wachsens und Veränderns mit uns gegangen ist.

Schwierige Entscheidungen

Dieses Team gibt es so nicht mehr. Der verbleibende kleine Kern, ist jetzt in Kurzarbeit, bereit weiterzumachen, sobald es geht, der andere Teil des Teams ist aufgelöst. Wir haben schwierige Entscheidungen hinter uns und noch schwierigere Wochen vor uns.

Halten wir durch? Können wir die verbleibenden Arbeitsplätze halten? Kommen überhaupt noch Bestellungen rein? Können wir die Miete zahlen? Halten unsere Einzelhändler durch? Steht unsere Existenz auf dem Spiel? Da sind sie wieder, die schlaflosen Nächte.

Reicht, was wir anbieten können und dürfen?

Wir machen uns Sorgen, um unseren Betrieb, um uns, unsere Familie, Mitarbeiter, Nachbarn, Kunden. Wir sind hier im Kiez ein fester Anlaufpunkt für viele, die uns ans Herz gewachsen sind und für die wir ein wichtiger Ort für Genuß, Begegnung, Entspannung und Alltag sind.

Wir bieten an, was wir können und noch dürfen, to go! Reicht das? Unsere Kunden kommen bewusst, um uns zu unterstützen, kaufen Gutscheine und Lebensmittel und wissen, dass jetzt jeder Euro zählt! Zusammenhalt!

Zwischen Verzweiflung und Hoffnung

Unsere Tage schwanken zwischen Schockzustand, Rührung über die Hilfen aus unserem Umfeld, Zuversicht, Angst um Gesundheit und Wirtschaftlichkeit, Hoffnung auf die Zeit "danach", Mut, das durchzustehen, Vertrauen darauf, dass es einen Weg gibt, Verzweiflung und Erschöpfung, weil der Berg "Arbeit" und "Aufbau" ein großer ist und weiter sein wird. Wie in den Anfangsjahren.

Und dann, in einigen, sehr kleinen Momenten, in denen wir vorsichtig optimistisch gestimmt sind, wissen wir, dass wir die neue Herausforderung annehmen und bewerkstelligen werden. Hinfallen, Lösungen suchen, anpassen, "Corona" richten und weitermachen.

Leserin Annette Schulte-Döinghaus freut sich trotz Corona - aus einem ganz bestimmten Grund:

Seit ein paar Tagen sitze ich vormittags auf meinem Balkon – strahlend blauer Himmel, die Sonne wärmt angenehm und bräunt leicht mein Gesicht. Ich bin glücklich in dieser Stunde.

Ich häkele ein Quadrat in Helltürkis, das sich am Ende mit vielen anderen Quadraten in bunten Farben zu einer Babydecke für unser Enkelkind einfügen soll. Die Vorfreude auf das kleine Wesen macht mich glücklich und hoffnungsfroh, so dass ich diese seltsame, Angst machende Zeit gesund und unbeschadet überstehe.

Im Bauch beschützt

Gott sei Dank ist dieses kleine Wesen noch einige Wochen an einem sehr sicheren Platz: im Bauch seiner Mutter, die gut auf sich Acht gibt und liebevoll umhegt wird von unserem Sohn! Ich habe es gut und bin mir dessen dankbar bewusst: Ich bin nicht alleine, wir vertragen uns gut zu zweit.

Ein Lokal bietet Speisen zum Mitnehmen an, hier in Frankfurt am Main.
Ein Lokal bietet Speisen zum Mitnehmen an, hier in Frankfurt am Main.

© Frank Rumpenhorst/dpa

Wir haben viele Möglichkeiten, die modernen Medien zu nutzen. Ich habe bereits in der Digital Concert Hall, ein kostenloses Angebot der Philharmonie Berlin bis Ende April,  Mahlers Dritte „Das Lied von der Erde“ gesehen und gehört, ein Ohren- und Augenschmaus, der mich sehr bewegt hat! Danke, lieber Tagesspiegel, für den Tipp.

Plauderei vom Balkon

Ich koche und backe „die Ecken leer“. Ein bisschen Sport müsste ich in meinen Alltag einbauen, damit ich nicht am Ende dieser Krise als dicker fetter Pfannkuchen aus dem Haus rolle. Unsere Kinder klingeln ab und an vorbei, wir haben einen Balkon zur Straße, von dem sich trefflich plaudern lässt.

Das Quadrat in Helltürkis ist fertig, die Sonne ist gleich um die Ecke verschwunden – ich geh mal rein und zähle, wie viele Rollen Klopapier wir noch haben... und dann häkele ich noch ein Quadrat in Vanillegelb, wie die Sonne am blauen Himmel.

Leserin Marie Münch über die Schwierigkeiten einer Physiotherapeutin in Corona-Zeiten:

Stricken zur Ablenkung.
Stricken zur Ablenkung.

© Mike Wolff, Tagesspiegel

Da unser Beruf als „systemrelevant“ gilt, müssen alle Praxen geöffnet bleiben. Darüber sind wir sehr froh, weil wir Physiotherapeuten lange für Anerkennung gekämpft haben. Wir lieben unseren Job.

Aber auch unsere Patienten, und wir wollen, dass diese gesund bleiben. Auch wenn wir eine enorme Hygieneroutine eingeführt haben, können wir niemandem die Sicherheit garantieren. Viele Patienten sagen ihre Behandlungen ab. Viele Ärzte stellen im Moment keine neuen Verordnungen aus.

Selbstgenähter Mundschutz

Viele Praxen bangen um ihre Existenz. Da wir weisungsgebunden sind und ausschließlich auf Verordnung arbeiten dürfen, also nur Geld verdienen, wenn Patienten mit gültigen Verordnungen kommen, fehlen vielen Praxen nun die Einnahmen, um ihre Mieten und Gehälter bezahlen zu können.

Bisher gibt es keinen Rettungsschirm für uns. Wir bekommen keine Mundschutze/Desinfektionsmittel, bzw. nur das, was in den Apotheken vorrätig ist, also faktisch nichts.

Wir nähen unsere Mundschutze nun selbst, um die Gefahr wenigstens ein bisschen einzudämmen. Covid-Tests im Verdachtsfall sind fast unmöglich zu bekommen oder nur mit großem Engagement der Hausärzte.

Freiwillige Hilfe im Krankenhaus

Ich persönlich habe mich mit einem Berliner Krankenhaus in Verbindung gesetzt, um dort mit meinem medizinischen Wissen eventuell die Pflegekräfte unterstützen zu können – neben meinem Job, nach Feierabend oder am Wochenende. Wir haben die Praxis noch geöffnet, solang es geht.

Ich arbeite in einem Familienunternehmen mit meinen Eltern und noch zwei Angestellten. Ich möchte jedoch in keinem Fall zu Hause sitzen, wenn ich doch Menschen mit meinem Fachwissen helfen und Klinikpersonal etwas entlasten könnte. Viele Physios wären bereit, dasselbe zu tun.

Tagesspiegel-Leserin Susanne Lopez aus Schöneberg über eine engagierte Drogeriemarkt-Verkäuferin:

Bei Rossmann. Ich: „Gibt’s denn tatsächlich immer noch kein Klopapier?“ Verkäuferin mustert mich streng, schaut mir in die Augen und fragt: „Sind Sie berufstätig?“ − „Wie bitte?“

Ein Raum für Physiotherapie.
Ein Raum für Physiotherapie.

© Stefan Weger

Und dann bricht es aus ihr heraus: „Ich kann es nicht mehr ertragen. Wir bekommen jeden Morgen Ware und unsere Regale sind voll mit Klopapier. Aber dann kommen alle, die jetzt den ganzen Tag frei haben und kaufen alles leer.

Und nachmittags kommen die Berufstätigen, und denen muss ich dann erklären, dass wir nichts mehr haben.“ Und dann geht sie an mir vorbei, öffnet die Tür zum Lager und überreicht mir eine riesige Familienpackung Klopapier.

„Ich halte jetzt immer was für Berufstätige zurück!“ Ich nehme diese Riesenpackung dankbar und demütig und gehe nach Hause mit meinem Klopapier. Wir brauchen mehr davon − mehr von so großartig motivieren, engagierten Menschen im Krisen-Alltag.

Leser Torsten Boesler ist schon länger psychisch erkrankt und erzählt, wie es ihm in Zeiten des Coronavirus geht:

Ich bin 43 Jahre alt und leide seit gut 20 Jahren an einer Angst- und Panikstörung. Ich gehöre also nicht zu den systemkritischen Leuten, da ich Erwerbsunfähigkeitsrente und ergänzend Grundsicherung beziehe.

Die Angst wird von Tag zu Tag größer, hinzu kommen auch existenzielle Ängste. Die Grundsicherung läuft im März ab, trotz Antrag stelle ich mir die Frage: Wird sie bewilligt? Kann ich die Miete zahlen?

Wie soll ich das Essen bezahlen, wenn das günstige immer gleich weggekauft ist? Wann kann ich meine Freunde Wiedersehen? Habe ich mich vielleicht letzte Woche angesteckt? Kann ich vielleicht irgendwie helfen?

Anders als auf diesem Bild hatte unsere Leserin Glück: Sie ergatterte mehr als nur eine Klopapier-Rolle.
Anders als auf diesem Bild hatte unsere Leserin Glück: Sie ergatterte mehr als nur eine Klopapier-Rolle.

© dpa

Leser Norbert Michaelis nutzt die gewonnene Zeit für eine Solo-Fahrradtour durch ein verändertes Berlin, das ihn an Brandenburg erinnert.

Einziger Trost in diesen Tagen: Wenn man nach Brandenburg fährt, ändert sich für einen Ausflügler nichts, da war schon immer alles zu.

Ich nutze meine aufgezeichneten ADFC-Touren der Vorjahre und fahre sie nach. Alleine. Ich will mich ja nicht schuldig an der Ausrottung der Menschheit machen. Wir leben in einer Zeit, da werden Stubenhocker zu Stars.

Die Angst steckt mir bei den ganzen Horrormeldungen in den Knochen, ich bewege mich weniger, ich esse mehr. Ich habe zugenommen. Nie war ein Spaziergang oder eine Spazierfahrt wertvoller wie heute.

Viele sind in diesen Tagen allein und machen sich Sorgen. Hier ruht sich ein Mann auf seinem Balkon aus.
Viele sind in diesen Tagen allein und machen sich Sorgen. Hier ruht sich ein Mann auf seinem Balkon aus.

© dpa

Eiskalt und einsam

Bei der windigen Kühle hätte ich unter normalen Umständen niemals eine Radtour gemacht. Es ist eiskalt und einsam. Am Spreeufer erste Menschen in Sichtweite – näher lasse ich sie selbstverständlich nicht an mich ran. Es sind mehr Jogger als normal Gehende unterwegs.

Die Natur kennt keine Krise, sie blüht auf. Obwohl ich mich wirklich dick eingemurmelt habe, hält sich der Fahrspaß in Grenzen.

Der Tiergarten präsentiert sich touristenfrei, starker Gegenwind auf dem Potsdamer Platz. Da wo sonst gedrängelt wird, herrscht heute gähnende Leere. Der freche Gegenwind holt tief Luft, schafft es aber nicht, mich vom Fahrrad zu pusten.

Berliner Meckerei

Ein Drängelgitter später erreiche ich den Landwehrkanal in Kreuzberg. „Da war imma wat los, jetzt is et och zu.“ Im Meckern erreichen Berliner selbst in der Krise Spitzenwerte. Der Gegenwind legt an Gemeinheit und Dreistigkeit zu.

Da so gut wie überhaupt keine Autos unterwegs sind, ist es, dem Virus sei Dank, noch nie so ungefährlich gewesen, rote Ampeln zu überfahren. Ich fahre über die Oberbaumbrücke in den Osten. Hier bietet sich ein ähnliches Bild.

So langsam spüre ich meine großen Zehen kaum noch, die Kälte frisst sich fies durchs Schuhwerk. Nach gut 20 Kilometern erreiche ich den Landschaftspark Herzberge, wo ich auf einer sonnigen Parkbank mein Reporterbesteck auspacke: Kladde, Kugelschreiber, Thermoskanne mit heißem Thymiantee.

Dicke Luft

Ich mampfe eine Banane, genieße die friedliche Stimmung und schaue auf Familien, bei der sich das mit der friedlichen Stimmung schon lange erledigt hat. Ziemlich dicke Luft.

Die schönste Etappe der Tour durch Hohenschönhausen folgt.

Danach geht’s schleichwegstark durch das riesige Areal vom Sportforum. Die haben hier sogar eine Trainingsstrecke Radsport. 

"Icke spür so ein Kratzen im Hals"

Höhepunkte ist dann der dreifache Seawatch in kurzer Abfolge. Den Anfang macht der Orankesee. Viele Fußgänger zwingen zur konzentrierten Uferfahrt entlang des Obersees, den ich noch schöner finde. Weiter in den Wald hinein. Im Wald da sind die Bürger.

Ich schaue dem Volk aufs Maul. „Icke spür so ein Kratzen im Hals. Hab gleich einen Corona-Test gemacht. Leider negativ. Nu muss ick morgen wieder arbeiten gehen.“ Das sind Schicksale.

Ich pausiere und picknicke am letzten See, dem Malchower See. Entlang des Märchenwegs durch Malchow. Der Weg ist steinig. Da nutzt die ganze Schönheit nix. Nun biege ich auf den bewährten Pankeradweg. Ganz schön was los hier.

Insbesondere in den Grünanlagen und Parks ist eine gewisse Menschenansammlung auffällig. Wenig später werde ich Zeuge, wie die Polizei die Kinder im Bürgerpark in Angst und Schrecken versetzt.

„Hier spricht die Polizei. Ich fordere Sie auf, verlassen Sie umgehend den Spielplatz.“ Plötzlich überall weinende Kinder, die die Nahdistanz der Mütter und Trost suchen. Ich lasse es vom Wedding nach Charlottenburg gemütlich angehen und falle zu Hause ins Bett.

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