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Fenster zur Welt. Trotz der elektronischen Konkurrenz existieren heute wieder 11 000 Reisebüros.

© pa/Andrea Warnecke

Urlaub buchen: Warum Reisebüros trotz des Internets wieder boomen

Reisebüros machen mehr Umsatz als je zuvor. Anders als Seiten wie Booking oder Opodo sichern sie die richtige Schiffskabine und den Meerblick im Hotel.

Von Andreas Austilat

Marlies Koch hat Tausende um die Welt geschickt. Wenn nicht Zehntausende. Die 62-Jährige verkauft Reisen, seit 1979 schon, damals noch bei Hertie. Das Kaufhaus gibt es längst nicht mehr. Die Kunden, sie stehen auch nicht mehr bis zur Tür, schon gar nicht bis draußen. Sie zeigt ein Lächeln. Ein Lächeln, dass sie in den nächsten fünf Stunden nur sehr selten ablegen wird. Marlies Koch, blondes Haar, geblümtes Kleid, passend zu dem Palmenbild im Hintergrund, wird in der ganzen Zeit nie die Geduld verlieren. Und nur ein einziges Mal wird sie etwas schmallippig werden.

1979 wusste der Kunde noch wenig über sein Ziel, erst die Expertise des Reisebüros öffnete ihm das Fenster zur Welt in bunten Bildern und hinter kryptischen Abkürzungen, die nur hier entschlüsselt werden konnten. Hier wurde der Meerblick gewährt oder die wahre Entfernung zum Strand offenbart. Und es gab X-Angebote oder den Neck-Jok. Dahinter verbargen sich die Leistungen wie Flug, Transfer oder drei Sterne inklusive, wohin auch immer. Sogar halbe Zimmer waren im Angebot, der preisbewusste Kunde teilte es sich mit einem ihm Unbekannten. Eine lukrative Zeit, die ungefähr bis zum Jahr 2000 anhielt, in Deutschland boten damals etwa 14 000 Reisebüros ihre Dienste an.

13 Jahre später kam der Tiefpunkt, jedes Dritte war verschwunden. Das Ende des Reisebüros, es schien unabwendbar. Immer neue Internetplattformen versprachen, jeder könne sich seinen Reisewunsch allein erfüllen.

Und dann geschah etwas Merkwürdiges: Trotz der elektronischen Konkurrenz existieren heute wieder 11 000 Büros, und die machen mehr Umsatz als je zuvor, wie der Deutsche Reiseverband ermittelt hat. Wie kann das sein?

Wer heute ein Reisebüro betritt, ist gut informiert

Marlies Kochs Schreibtisch befindet sich im Reisebüro Passat, Gneisenaustraße in Kreuzberg, vor einer Wand mit bunten Klappdeckeln. Afrika steht auf einem, Karibik, oder Magic Life auf anderen. Hinter den Deckeln liegen die Kataloge. Im Moment sind einige Fächer leer, die Saison ist weit fortgeschritten, und Kataloge spielen in diesem Geschäft nur noch eine untergeordnete Rolle. Längst haben sie ihre Bedeutung an den Bildschirm abgetreten.

Die Kundin, die Marlies Koch gegenübersitzt, erinnert sich an die Reisen in den frühen 90er Jahren. Sie war per Anhalter unterwegs. Oder fuhr in einem klapprigen Auto wochenlang durch Marokko, bis an den Rand der Sahara. Sie gehörte nicht zu denen, die geduldig in der Schlange standen. Ein Reisebüro betrat sie nur, um vielleicht einen Flug zu buchen oder ein Bahnticket zu kaufen. Jetzt ist sie hier, weil sie nach Thailand möchte, mit allem drum und dran.

Sie will nur Julia genannt werden, ist Ende 50, trägt Jeans, die Haare sind im Nacken zusammengebunden. Sie hat konkrete Vorstellungen. Kao Lak soll es sein, sie kennt das Hotel, den Termin, weiß, wie sie dorthin kommt. Wer heute ein Reisebüro betritt, sagt Marlies Koch, ist oft gut informiert, auch über die Preise. Wenn nicht, dann überprüft er die hinterher. Die Zeit hat er, denn wer hier bucht, muss sich nicht sofort festlegen, bis zu vier Tage zum Stornieren sind in der Regel drin. Und manch einer schaut auch noch schnell bei Tripadvisor, wie andere Reisende das fragliche Hotel bewertet haben.

Die Erfüllung von Urlaubsträumen ist komplizierter geworden

Marlies Koch erklärt dann den Kunden, wie solche Bewertungen manchmal zu interpretieren sind, vor allem wenn ihre Zahl nur im zweistelligen Bereich liegt. Da streitet sich ein Ehepaar am Urlaubsort, und schon gibt es für das Hotel schlechte Noten. Zu laut, urteilen andere, zu leise jemand, der eigentlich Action wollte. Unerwartet schlechtes Wetter zieht schnell ein negatives Votum nach sich, gutes wird vorausgesetzt. Kochs Aufgabe ist es, erst einmal rauszukriegen, wo der Kunde schon war, was er wirklich mag und was nicht. Grundsätzlich aber gilt, die Erfüllung von Urlaubsträumen ist sehr viel komplizierter geworden.

„Sie glauben ja gar nicht, was es heute alles gibt“, sagt sie, immer noch lächelnd. Kreuzfahrten zum Beispiel, lukrativstes Segment im Reisebürogeschäft, hätten sie früher so gut wie nie verkauft, das war eine ganz kleine Zielgruppe. Heute gibt es sogar Kreuzfahrten für Heavy-Metal-Fans. Nicht zu reden von dem, was bei der Buchung schiefgehen kann, wenn die Leute die Kabine mit Panoramafenster oder gar Balkon mieten und dann hängt ein Rettungsboot in der Aussicht. All das muss Marlies Koch möglichst verhindern. Und sie weiß, dass „Premium“ freie Sicht verspricht, „Vario“ hingegen für die Kunden Glück oder Pech bedeuten kann bei der großen Kabinenlotterie.

„Der schlimmste Einbruch kam 2001“, erinnert sich Martin Schmidt-Hussinger, Kochs Chef, in seinem Büro eine Etage höher, an die dunkelsten Jahre der Branche. „Nach 9/11“, nach den Anschlägen auf die Türme des New Yorker World Trade Centers, „verloren wir 30 Prozent. Das war brutal.“ Es folgten die Kriege in Afghanistan und Irak. Niemand wollte fliegen. Und anders als zuvor, als es nach jeder Krise wieder aufwärts ging, blieb der Knick in der Bilanz.

Schmidt-Hussinger betreibt Passat-Reisen seit 1994. Fünf Filialen besaß er, zwei musste er in den 2000er Jahren aufgeben. Das, sagt er, hatte weniger mit dem zunehmenden Onlinehandel zu tun, als vielmehr mit dem Standort. „Wedding und Moabit liefen seinerzeit nicht gut“.

Warum buchen die Kunden nicht im Internet?

Wohin in den Urlaub? Im Reisebüro werden Kunden individuell beraten.
Wohin in den Urlaub? Im Reisebüro werden Kunden individuell beraten.

© Illustration: Christine Rösch

Auch das Kreuzberger Hauptgeschäft zog in den 1990er Jahren einen ganz anderen Kundenkreis an. Pauschalreisen konnte er dem kaum verkaufen, er schickte Backpacker auf Wanderschaft. Heute studiert seine Klientel aus dem Kreuzberger Kiez längst nicht mehr, sondern wurde Anwalt, Architekt, Lehrer oder arbeitet wie die Thailand-Reisende Julia in einem großen Verlagshaus. Mit ihnen hat sich die Pauschalreise verändert, die Angebote sind flexibler geworden. „Sie können heute den Mietwagen mit täglich wechselndem Hotel kombinieren, früher undenkbar“, sagt Schmidt-Hussinger.

Marlies Koch kämpft derweil mit einem Dilemma. Ihre Kundin kennt das gewünschte Hotel besser als sie, war schon häufig dort, aber den Meerblick kriegt sie nicht gebucht. Jedenfalls nicht zusammen mit dem Shuttle, den Julia unbedingt will. Koch telefoniert nun die verschiedenen Veranstalter ab, ob sich da nicht doch was machen lasse.

Am Schreibtisch neben ihr hat Schmidt-Hussingers Frau Sylvia mit einer Kundin zu tun, die nach Südafrika will und eigentlich nur einen Flug benötigt. Der gestaltet sich kompliziert, weil ihr Partner an einem anderen Flughafen startet und beide sich unterwegs treffen wollen. Günstig soll es natürlich auch sein. Warum bucht sie nicht im Internet? „Mache ich sonst“, sagt die Kundin, „war aber so schwierig, wegen der unterschiedlichen Abflugorte.“

Zeit ist ein wichtiger Faktor für den Besuch im Reisebüro

Komplizierte Fälle für eine Kundschaft, die es gern bequem hat, das ist die Lücke, auf die sie hier setzen. Zeit sei ein wichtiger Faktor für den Besuch im Reisebüro, ermittelte die Stiftung Warentest im Jahr 2015 in einer Untersuchung zum Thema. Weil das Angebot schnell unübersichtlich werde, müsse man schon einige Geduld mitbringen, wenn man sich sein Paket im Onlinehandel selbst zusammenstellt.

20 Minuten ist Marlies Koch nun schon am Telefon. Derweil ist eine weitere Kundin eingetroffen, nimmt Platz, wartet geduldig. Sie will nach Mallorca. Das klingt einfach. Ob sie schon einmal auf eigene Faust im Internet gebucht hat? Sie bejaht, sei eine Katastrophe gewesen, sagt sie, das Essen, die anderen Gäste, die Unterkunft. Nie wieder.

Vor der dritten Kollegin hier im Büro sitzt niemand. Sie ist die Agenturleiterin, betreibt Kundenpflege. Solche, die schon mal irgendein Problem auf Reisen hatten, sind ihr die liebsten, „die wissen unsere Dienstleistung erst zu schätzen.“

So wie der Mann, der gerade angerufen hat. Er sei vier Wochen in Alaska gewesen, gefallen hat es ihm nur so mittelgut. Ja, er habe Natur gewollt. Nur sei er dann ein bisschen erschrocken darüber gewesen, wie natürlich Alaska ist, und wie teuer ein Restaurant sein kann, wenn es das einzige in abgelegener Wildnis ist. Lässt sich jetzt nicht mehr ändern, man könne ihm wenigstens das Gefühl vermitteln, ihn zu verstehen.

„Wenn ich ein Rumpsteak will, gehe ich ja auch zum Fleischer“

Eine harmlose Geschichte. Die Agenturleiterin kann leicht ein paar dramatischere Vorfälle aufzählen, in denen sie ihren Klienten helfen musste. Den vielleicht dramatischsten erlebte jener Kunde, der eine Florida-Rundreise im Mietwagen buchte und in einen schweren Unfall verwickelt wurde, bei dem sowohl er als auch sein Unfallgegner verletzt wurden. Sofort ausreisen, lautete der Rat, den sie ihm nach Rücksprache mit diversen Versicherungen geben konnten. Ein Anwalt kann den Sachverhalt auch in Abwesenheit klären. Andernfalls droht möglicherweise die vorläufige Festnahme.

Und dann sind da noch Kunden wie jene, die von der Air-Berlin-Pleite getroffen wurden. Tatsächlich sind es vor allem spektakuläre Insolvenzen, die den Reisebüros Auftrieb gegeben haben. Denn deren Hauptgeschäft ist die Pauschalreise, und der Pauschalreisende genießt deutlich besseren Schutz als jener, der sich seine Reise individuell bucht. Sicherheit ist neben Zeit das zweite wichtige Kriterium, mit dem die Agenturen werben.

Die Zimmer mit Meerblick blockiert ein Veranstalter im gewünschten Hotel komplett, hat Marlies Koch inzwischen herausgefunden. Ihre Kundin Julia ist enttäuscht, weil ihr nun womöglich der Shuttle entgeht. Sie will sich erst einmal mit ihren Reisepartnern beraten und am nächsten Tag wiederkommen. Die Frage, ob sie dann nicht vielleicht doch auf eigene Faust im Internet recherchiert, weist sie zurück. Nein, sie sei Stammkundin. „Wenn ich ein Rumpsteak will, gehe ich ja auch zum Fleischer.“

Dabei ist das Reisebüro eher einem Restaurant vergleichbar, das dem Kunden den Braten zubereitet. Eine Dienstleistung, die vor allem ältere Kunden gern nachfragen. Schmidt-Hussinger, der Bürochef, spricht von der Generation 40 plus. An diesem Tag, darf man durchaus noch zehn Jahre aufschlagen. Nicht zuletzt deshalb hat Schmidt-Hussinger zwei Auszubildende in seinen Laden geholt. Vielleicht ziehen sie eine jüngere Klientel an.

Das Geschäft mit Flugtickets allein rechnet sich nicht mehr

Marlies Koch fertigt schnell die Mallorca-Reisende ab. Kein Problem. Am Nebentisch ist die Kundin mit dem Gabelflug nach Südafrika inzwischen ohne Buchung gegangen. 20 Minuten hat das Gespräch mit ihr gedauert, Zeit, die sich auch dann nicht gelohnt hätte, wenn die Buchung erfolgreich gewesen wäre. Das Geschäft mit Flugtickets allein, es rechnet sich längst nicht mehr. „Bei so weiten Reisen aber kommt vielleicht noch ein Folgeauftrag, der den Aufwand rechtfertigt“, hofft Marlies Kochs Büronachbarin.

Martin Schmidt-Hussinger hat drei Kinder, die älteste Tochter ist 17. Ob sie wohl später mal in die Branche einsteigt? „Ich würde ihr nicht dazu raten“, sagt er. Mag sein, dass die Umsätze gestiegen sind, die Margen sind es nicht. Allein wochenlange Kreuzfahrten mit ihrem vergleichsweise hohen Endpreis sind für den Verkäufer so etwas wie ein Jackpot.

Zwar profitieren die Büros von der sogenannten Katalogpreisbindung, kein Anbieter im Internet darf die unterbieten, weshalb sich die Preise kaum unterscheiden. Doch weil Onlineplattformen keinen Standort bezahlen müssen, sehr viel weniger bis gar keinen Beratungsaufwand haben, werde im Reisebüro eigentlich zu wenig verdient.

Im Erdgeschoss hat Marlies Koch inzwischen Erfolg gehabt, Meerblick und Shuttle in ein Paket geschnürt. Nur nicht zu dem Preis, den sich ihre Kundin Julia vorgestellt hatte.

Tatsächlich, klagt Frau Koch, komme es immer wieder vor, und dieses eine Mal lächelt sie nicht, dass Kunden sich ausführlich beraten lassen, um dann nicht wiederaufzutauchen. Bei Julia ist sie optimistisch.

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