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Kurt Raveh hat wieder etwas gefunden.

© Sebastian Leber

Urlaub an antiken Ausgrabungsstätten in Israel: Der Schichtenerzähler von Tel Dor

Kibbuz, Sandstrand, alte Schätze: Im Norden Israels gewährt ein kleiner Ort Einblicke in 3000 Jahre Geschichte.

Es ist kurz nach neun Uhr abends, als Maje Meiri die Laternen austeilt. Jeder darf sich eine Farbe auswählen, pastellgrün, pastellrot, pastellblau, dazu ein elektrisches Teelicht zum Reinschieben

Manche in der Gruppe fragen sich, ob das hier eine altersgemäße Abendveranstaltung ist: eine Nachtwanderung für Erwachsene? Eine halbe Stunde später sind alle Zweifel beseitigt.

Maje Meiri führt die Gruppe über die große Wiese des Kibbuz direkt rüber an den Strand. Es ist angenehm kühl inzwischen, die Badegäste sind längst nach Hause, nur das Wellenrauschen ist geblieben. „Besser, ihr zieht eure Schuhe aus.“

Barfuß geht es die Bucht entlang ein paar hundert Meter nordwärts, geradewegs auf eine Anhöhe zu. „Dieser Hügel ist nicht natürlich“, sagt Maje Meiri, „sondern über Jahrtausende angehäuft worden.“ In ihm verbergen sich die Überreste mehrerer Zivilisationen. Eine Schicht über der anderen. Denn sobald ein Volk vertrieben und die Siedlung zerstört wurde, bauten die neuen Bewohner ihre Häuser einfach auf die Trümmer der alten.

Vor 3000 Jahren errichteten die Kanaaniter hier einen Handelsstützpunkt, nutzten die Bucht als natürliches Hafenbecken, wurden jedoch von kleineren Stämmen vertrieben. Als Nächstes kamen die Israeliten. Danach siedelten die Phönizier, dann die Assyrer, die Perser, die Griechen unter Alexander dem Großen, danach die Römer. Im zwölften Jahrhundert setzten Franzosen noch eine Kreuzfahrerburg obendrauf. Zwischendurch gab es Erdbeben, die ebenfalls Neubauten erforderten. Insgesamt wurden so 17 Städte errichtet, jeweils auf den Trümmern der vorherigen, sagt Maje Meiri.

Oben hocken sich alle auf ein Stück Fels, löschen das Licht ihrer Laternen, warten, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben und der Sternenhimmel leuchtet. Ach was, er knallt! „Und jetzt wagen wir noch etwas Extremeres“, sagt Maje Meiri, „jetzt schweigen wir für ein paar Minuten.“ Einfach oben die Sterne und unten das Getose der Brandung anschauen und wirken lassen. Es ist wunderbar.

Blick von Tel Dor nordwärts bei Tag.
Blick von Tel Dor nordwärts bei Tag.

© Reuters

Der Hügel Tel Dor, 60 Kilometer nördlich von Tel Aviv, ist ein besonderer Ort. Eine Schnittstelle zwischen zwei Landschaften. In der Bucht südlich langgezogener Sandstrand, unter den Einheimischen zählt er zu den beliebtesten des Landes, weil er so abgelegen ist und sein Sand so fein. Der Kibbuz bietet für Touristen kleine Bungalows direkt am Strand an. Auf der anderen Seite des Hügels, nach Norden, beginnt ein 13 Kilometer langes, felsiges Naturschutzgebiet, tagsüber dürfen Touristen dort wandern.

Auf dem Weg zurück verrät Maje Meiri noch, was die vielen Völker in den vielen Jahrhunderten alle in der Region wollten. Warum sie sich gegenseitig vertrieben und ihre Städte übereinanderschichteten. Hexaplex trunculus, die Purpurschnecke, ist hier heimisch. Zur Verteidigung und Beutejagd produziert sie eine farblose Flüssigkeit. Zerquetscht man die Drüsen der Schnecke und trocknet das Sekret an der Luft, wird es bald purpurrot.

Die Farbe galt als die wertvollste des Altertums. Noch heute sieht man unten am Wasser in den Fels geschlagene Becken, sie sehen aus wie Aquarien. In denen haben die Menschen früher ihre Purpurschnecken gesammelt, sagt Meiri. Heute hausen nur noch ein paar kleine Krabben in den Becken, aber wenn Meiri seine Laterne hinhält und die Krabben mit dem Finger aufscheucht, sieht das bei Nacht ziemlich abenteuerlich aus.

Die Nachtwanderung endet wieder im Kibbuz vor der Rezeption. Ein älterer Mann steht dort und kaut Nüsse. Er sagt, er heiße Kurt Raveh. Als Mitglied des Kibbuz müsse er hier einmal pro Woche die Nachtschicht übernehmen. Raveh sagt, er sei Holländer und eigentlich bloß für fünf Wochen nach Israel gekommen, um mit einem Freund durch die Natur zu reisen. Aber dann seien aus diesen fünf Wochen irgendwie 46 Jahre geworden.

Es stellt sich heraus, dass Kurt Raveh Archäologe ist. Genau genommen: Israels bedeutendster Unterwasser-Archäologe. Seit Jahrzehnten taucht er vor der Küste Dors und fördert Sensationelles zutage: Denn jede Zivilisation, die diese natürliche Bucht als Handelshafen nutzte, verlor bei Unwettern auch Schiffe. Der Meeresboden ist übersät mit Wracks, sagt Raveh. Allein 30 Boote hat er hier in unmittelbarer Umgebung gehoben – plus deren Ladungen.

Er hat sogar ein eigenes Museum. Und na klar, sagt er, gern gebe er eine kleine Führung. Aber tagsüber.

Das Museum ist ein altes Steingebäude in der Mitte des Kibbuz, in zig Räumen stellt Raveh seine Schätze aus: Vasen, Töpfe und Münzen. 4000 Jahre alte Steinanker. Ritterschwerter, kleine Tonfiguren, ein zerbrochenes Elfenbeinzepter, eine Kanone samt Kugeln, die einst Napoleons Armee gehörte. Neben den Exponaten stehen kleine Erklärtafeln, die verraten, zu welcher Zeit und unter welcher Herrschaft der jeweilige Gegenstand einst im Meer versank.

Eines der Mosaike im Museum des Kibbuz.
Eines der Mosaike im Museum des Kibbuz.

© Reuters/Amir Cohen

Hier erfährt man auch, wie Unterwasser-Archäologen vorgehen: In den Wintermonaten ist die Brandung stärker als sonst, das Wasser wirbelt Teile des Bodens auf und gibt manchmal Zipfel von Objekten frei, die jahrhundertelang verborgen waren. Die Taucher rücken dann mit langen Schläuchen an und saugen vorsichtig den umliegenden Sand weg.

Eigentlich, sagt Raveh, habe er sein Museum nur gegründet, weil ihn die anderen Bewohner im Kibbuz nicht ernst nahmen. Die hätten damals, in den 1980er Jahren, nicht verstanden, was er ständig mit seinen Tonscherben wolle, manche hätten ihn hinter seinem Rücken „meschugge“ genannt. „Ich denke auch, es ist kein Zufall, dass erst ein Holländer herkommen musste, um die Schätze zu bergen.“

Der Kibbuz wurde 1948 gegründet, im selben Jahr wie der Staat Israel. Die erste Bewohnergeneration, hauptsächlich Holocaust-Überlebende aus Polen, hätten andere Ziele gehabt: sich eine Existenz aufbauen, eine neue Heimat.

Heute nennt ihn keiner mehr meschugge. Das liegt auch an seinem bekanntesten Fund. 70 Kilometer nordöstlich, im Landesinneren, hat Raveh ein acht Meter langes Holzboot aus dem See Genezareth gehoben, 2000 Jahre lang hatte es im Boden überdauert, der Schlamm schützte das Holz vor Sauerstoff und zersetzenden Mikroorganismus. Wegen des Alters des Schiffs und seines Fundorts wird es „Jesus Boat“ genannt, auch wenn nichts dafür spricht, dass Christus tatsächlich einmal darin saß.

Eine alte Aufnahme von Kurt Raveh beim Schatzsuchen.
Eine alte Aufnahme von Kurt Raveh beim Schatzsuchen.

© privat

Wer mit Kurt Raveh durch den Kibbuz spaziert, erfährt wunderbare Geschichten. Zum Beispiel, wie dem Holländer einmal die Ehre zuteil wurde, Königin Beatrix bei ihrem Staatsbesuch durchs Land zu führen. Wie entzückt sie bei der Bootstour auf dem See Genezareth war, nur anmerkte, hier fehlten doch Schwäne. Wie sie später 42 Tiere als Geschenk per Flugzeug nach Israel bringen ließ, die auf dem See ausgesetzt wurden. Und wie diese dann aber leider von Fischern bei Grillabenden verspeist wurden.

Raveh erzählt auch, wie er Freunden einmal sagen musste, sie müssten heute bitteschön ohne ihn tauchen, er sei mit seinen Kindern unterwegs. Und dass seine Freunde ausgerechnet bei diesem Tauchgang, nur 20 Meter von der Küste entfernt, mehr als 2000 Goldmünzen aus dem elften Jahrhundert fanden. Der bisher größte Goldschatz der israelischen Geschichte, und er fehlte.

Genug gequatscht, sagt er. Jetzt will Raveh noch zeigen, wo heute an Land gebuddelt wird. Sie haben dort unter anderem eine Kirche und ein Amphitheater gefunden. Also wieder den Hügel hinauf, dorthin, wo Maje Meiris Nachtwanderung hinführte. Bei Tag sieht das Areal noch weitläufiger aus. Seit den 1980er Jahren rückt jeden Sommer ein internationales Grabungsteam an, alle beteiligten Nationen haben ihren eigenen Abschnitt, und das Ganze, sagt Raveh, sei eine lustige soziologische Studie. Die Amerikaner etwa kleideten sich wie Indiana Jones, hätten jedoch ständig Panik, dass die Vitamin-Tabletten ausgehen. Die Israelis nebenan fingen morgens grundsätzlich zu spät an und hätten bizarre Ausreden dafür. Und die Deutschen? Die sehe man praktisch nie außerhalb ihres abgesteckten Bereichs, weil sie keine Pausen machten. Man höre nur ihre Arbeitsgeräusche.

Solche Scherben liegen hier überall. Kurt Raveh sagt: byzantinisch, nicht römisch.
Solche Scherben liegen hier überall. Kurt Raveh sagt: byzantinisch, nicht römisch.

© Sebastian Leber

Dann zeigt Raveh die Reste des Poseidon-Tempels, daneben die der Stadtmauern aus römischer Zeit. Diese Tonscherbe da am Boden sei allerdings nicht römischen, sondern byzantinischen Ursprungs, weil die Rillen außen viel flacher verliefen. „Das hier ist mein Garten“, sagt Raveh. Aber einer, durch den Touristen laufen und selbst nach Scherben suchen dürfen.

Am Ende verrät Kurt Raveh noch ein Geheimnis. Oben auf dem Hügel, genau dort, wo man nachts so gut den Sternenhimmel und die Brandung auf sich wirken lassen kann, exakt an diesem Ort also habe er vor Jahren die Asche seiner Mutter vergraben. Sie war Opernsängerin und liebte es, bei Besuchen dort zu stehen, die Arme auszubreiten und Adagio in g-Moll zu singen. „Verständlich, dass sie da ruhen wollte“, sagt er.

Nur sei es schwierig gewesen, ihre Überreste im Handgepäck durch die Flughafenkontrolle zu bekommen. Sein Bruder hatte ihm versichert, das Röntgengerät werde die Asche nicht anzeigen. Hat es aber doch, und die Security schlug Alarm und glaubte an Drogen oder Sprengstoff. Aber das sei schon wieder eine andere Geschichte, sagt Raveh.

Sonnenbaden neben Ruinen.
Sonnenbaden neben Ruinen.

© Sebastian Leber

Reisetipps für Tel Dor

Hinkommen: El-Al fliegt täglich außer Samstag ab Berlin zum Flughafen Ben Gurion nahe Tel Aviv. Dor liegt am Küstenhighway 2 und ist auch mit Zug und Bus zu erreichen.

Die Bungalows in Strandnähe sowie Hotelzimmer sind auf der Homepage des Kibbuz buchbar: www.nahsholim.co.il.

Kurt Raveh führt einen zu den Ausgrabungsstätten und durch den Kibbuz sowie das Museum (25 Euro pro Stunde, mindestens drei Stunden), Kontakt und Buchung unter www.northern-wind.co.il oder per Mail: raveh.k007@gmail.com. Auf Facebook hier. Northern Wind bietet in Dor auch Tauchen, Kayak, Reiten am Strand und allerhand weiteren Wassersport an.

Nachtwanderungen am Strand bietet Maje Meiri an: www.carmelim.org.il oder b52maje@gmail.com. Die Reise geschah auf Einladung des israelischen Tourismusministeriums.

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