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Alle an Deck bei der "Sail Away Party" in Southampton.

© Hella Kaiser

Transatlantikfahrt mit der "Queen Mary 2": Miles and Meer

Eine Woche lang nur Wasser rundherum. Wie hält man das aus? Mit der "Queen Mary 2" über den Atlantik

Einen Cocktail, gern auch ein Glas Champagner in der Hand, drängeln sich die Passagiere an Deck. Die Stimmung ist ausgelassen, eine Reggae-Combo spielt. „Sail away“ heißt das Spektakel. So oder ähnlich funktioniert es auf jedem Kreuzfahrtschiff, wenn es den Hafen verlässt. Dieser liegt in Southampton, einer Stadt, der man nicht lange hinterherwinken mag. So wenig hat sie offenbar zu bieten, dass das Britische Tourismusamt dort nicht mal einen Aufenthalt empfiehlt. „Kreuzfahrer schauen sich lieber London an“, heißt es. Die Metropole ist zwei Autostunden von ihrem wichtigen Seehafen entfernt.

Das Schiff verlässt den Hafen. Da ist ein Glas Champagner fast Pflicht.
Das Schiff verlässt den Hafen. Da ist ein Glas Champagner fast Pflicht.

© Hella Kaiser

Die hier aber ist keine Kreuzfahrt. Der eine, wie beiläufig gesprochene Satz aus dem Bordlautsprecher, macht den Unterschied: „Next Stop New York“.  Die „Queen Mary 2“ startet zur Atlantiküberquerung.  Wie wird das werden? Eine Woche nur Wasser rundherum? Man sieht sich lesend im Liegestuhl, sinnend auf die Wellen schauen und hoffentlich endlich innere Ruhe finden. Aber dieses Schiff tut  viel dafür, dass es dazu nichtrecht kommen will. Es hat einfach zu viel zu bieten. Keine enervierende Animation an den Pools, die ohnehin von bescheidener Größe sind. Dafür aber  ein durchgetaktetes Programmangebot, das ständig ablenken will.

Drei (!) Galaabende in einer Woche

Passagiere, meist mittleren, auch hohen Alters haben große Koffer mitgebracht. Sie wissen, warum. Die Queen ist nicht irgendein Schiff, man achtet auf Etikette. An normalen Abenden gilt der Dresscode „Smart Attire“ (abends Jackett für den Herren, Cocktailkleid oder Kostüm/Hosenanzug für die Dame). An Galaabenden mögen die Herren bitte ein Dinnerjacket oder einen dunklen Anzug mit Krawatte tragen, die Damen Abend- oder Cocktailkleid. Manche freilich hatten übersehen, dass in den kommenden sechs Tagen drei (!) Galaabende stattfinden werden. Einige Passagierinnen bemühen sich aufgeregt,  ihre Garderobe im Bordshop nachzubessern. Ein Glitzertuch vielleicht, um das kleine Schwarze aufzupeppen, oder soll man etwa das paillettenbestickte 280-Dollar-Abendkleid erwerben, das nicht mal perfekt sitzt und nach der Reise wohl im Schrank verstauben wird?  Möglicherweise tut es auch das für New York mitgenommene lange geblümte Sommerkleid.

Marlene Dietrich kam nie zum Frühstück

Wie wichtig der abendliche Auftritt an Bord ist, lernt man von Marlene Dietrich. Mehrmals war sie auf dem legendären Vorgängerschiff „Queen Mary“ unterwegs. Die Dietrich war berühmt dafür, nie zum Frühstück aufzutauchen und nur gelegentlich beim Lunch. Abends aber trumpfte sie groß auf. „Always be seen, darling, always be seen“,  hatte ihr ein guter Freund geraten. Derlei Anekdoten prangen, gepaart mit alten Schwarz-Weiß-Fotografien von Clark Gable bis Elizabeth Taylor, an den Wänden von Deck 3.    

Stilvoll. Das Britannia-Restaurant erfordert angemessene Garderobe. Die Passagiere halten sich gern daran.
Stilvoll. Das Britannia-Restaurant erfordert angemessene Garderobe. Die Passagiere halten sich gern daran.

© Cunard Reederei

Elegant ist die „Queen Mary 2“ mit ihren 345 Metern Länge und 41 Metern Breite . Das Interieur der dreizehn Decks ist gespickt mit Art-Deco-Elementen, 300 Gemälde sind an den Wänden verteilt, ihr Wert: fünf Millionen Euro. Und die 18 Meter hohe Grand Lobby mit ihren breiten geschwungenen Treppen würde in jedem Hollywood-Streifen Furore machen. Schreiten da nicht gerade Humphrey Bogart und Lauren Bacall die Stufen hinunter? Ach nein, es ist ein Ehepaar aus Virginia, auf dem Weg zum Galadinner.   

Süße Köstlichkeit. Leider enthält dieses Dessert reichlich Kalorien. .
Süße Köstlichkeit. Leider enthält dieses Dessert reichlich Kalorien. .

© Hella Kaiser

Da das Schiff von England aus gestartet ist – manche Atlantiküberquerungen beginnen auch in Hamburg – sind nur knapp 250 Deutsche an Bord. Die übrigen Passagiere, rund 2300,  kommen vor allem aus den USA und Großbritannien. Nadine Fickert, Ansprechpartnerin für deutsche Gäste, ist wahrscheinlich froh darüber. So hört sie nicht ein ums andere Mal, warum denn keine europäischen Stecker in der Kabine seien. Nur amerikanische. „Die Leute verstehen nicht, dass wir nicht Aberhunderte von Adaptern mitführen können.“   

Wem seine Kabine nicht behagt oder wer vielleicht in eine teurere  Kategorie wechseln möchte, hat auf dieser Reise Pech. Am Tresen der Rezeption steht auf einem goldfarbenen Schild: „Queen Mary 2 is sailing full.“ Kabinentausch oder ein Upgrade sind nicht möglich.

Stretch and Relax im Ballsaal

Das Programm für den kommenden Tag ist auf vier Din-A-4-Seiten gedruckt. „Stretch and Relax“ steht darin als erstes, um sieben Uhr früh. Herrjeh, nein. Andere schreckt das nicht ab. Matte an Matte recken sie in der Früh ihre Glieder im Queens Room, wo, kaum ist die  Zumbagruppe verschwunden, zur Tea Time geladen wird. Spät abends verwandelt sich der  golden schimmernde Saal zum Ballroom.

Wenn der Gentleman ausspannen will, steuert er den „Golden Lion Pub“ an - mit Bleiglasfenstern. Selbstverständlich werden hier alle Spiele der Premier League übertragen. Im Churchill’s kann man Zigarren rauchen, Zigaretten sind natürlich verpönt. Entlang der schmalen Gänge auf Deck 2 wird gespielt. Hier scrabbeln zwei, dort legt jemand ein Puzzle, zwei brüten über einem Schachbrett, eine Familie würfelt fürs Monopoly. Keiner schaut mal aus den runden Fenstern, denn dort ist ja immer nur das Meer.

Das Schiff wurde in knapp zwei Jahren gebaut und 2004 getauft. 328 Mal hat es diese Passage seither bewältigt. Eine alte Dame? Ach, was. Die Lebensdauer dieser Queen ist auf 40 Jahre ausgelegt.  Der höchste Oceanliner der Welt sollte es sein, der den Atlantik schnell überqueren konnte, bei jedem Wetter.

Der Schiffsrumpf wurde in sieben Schichten lackiert

2004 war „Queen Mary 2“ das größte, längste und teuerste Passagierschiff der Welt. Zwei Jahre später allerdings schickte bereits Royal Carribbean die viel größere „The Freedom oft the Seas“ aufs Wasser. Auf dem Atlantik hätte dieser und nachfolgende Riesen keine Chance. Die Queen härten viele Tonnen extra dicker Stahl, ihr Rumpf wurde Schicht für Schicht sieben Mal lackiert. Ihre besonderen Stabilisatoren lassen das Schiff selbst bei hohem Wellengang einigermaßen stabil durch den Ozean pflügen. Das wird diesmal nicht zu prüfen sein, denn die Wetterprognosen sind gut.  

Jogging auf Deck 7. Eine Runde ums Schiff sind 1100 Meter.
Jogging auf Deck 7. Eine Runde ums Schiff sind 1100 Meter.

© Curnard Reederei

Kapitän Aseem A. Hashmi hat moderaten Wellengang angekündigt, und natürlich glaubt man ihm. Der Mann hat eine Stimme, mit der er Hörbücher einlesen könnte. Täglich mittags um zwölf, nachdem ein Offizier die blitzende Schiffsglocke in der Grand Lobby angeschlagen hat, meldet sich der Kapitän über die Bordlautsprecher. Am 2. Seetag klingt das so: „Good afternoon, Ladies and Gentlemen. It is 12 o‘ clock noon. We are now 930 nautical miles from Southampton, 2220 nautical miles to go to New York.“ An einem späteren Tag wird er sich für den Lärm des Nebelhorns entschuldigen. Draußen sieht man kaum die Hand vor Augen. Und auf hoher See ist das Tuten alle zwei Minuten Pflicht, erfahren die Passagiere.

Das Wrack der "Titanic" ist grün markiert auf den Seekarten

Manchmal liegt der Meeresgrund ein paar hundert Meter unter uns, dann wieder fast 4000 Meter. Am fünften Tag sagt Hashmi in seiner Mittagsansprache: „Heute um 19 Uhr sind wir auf gleicher Höhe mit dem Wrack der „Titanic“, die 300 Seemeilen südöstlich von St. John’s in Neufundland gesunken ist. Wir passieren die Stelle allerdings 280 Seemeilen weiter nördlich.“ Beim Besuch auf der Brücke zeigt der Kapitän die Seekarte, worauf das Wrack grün markiert ist.   

Es gibt sogar ein Planetarium an Bord. Für den Einlass im „Illuminations“ muss man ein Ticket vorweisen, denn zu viele interessieren sich für die Indoor-Sterne. Das Ticket ist gratis, aber morgens muss man sich schon für die elf Uhr Vorstellung anstellen. Kurz vor neun Uhr windet sich die Schlange der Wartenden gefühlt rund ums Schiff. Während die Briten geduldig vorrücken, brechen viele Deutsche und Franzosen unwillig kopfschüttelnd aus der Schlange aus. Deutliches Zeichen dafür, dass sie noch nicht entspannt sind.  

Auf dem Schiff ist genug Platz für einen gut bestückten Fitnessraum, aber man kann auch draußen joggen. Eine Runde auf Deck 7 entspricht 1100 Metern. Es ist eine Art Slalomlauf, weil man dabei Spaziergänger umkurven muss. Rechts wogt das Meer, links kann man den Gästen im Büfettrestaurant King’s Court auf die Teller schauen, zum Frühstück, zum Mittag, zur Kaffeezeit. Abends nehmen die Passagiere an vornehm eingedeckten Tischen Platz im „Britannia“. Mit rund 1300 Plätzen über zwei Etagen ist es das größte Restaurant auf See. In zwei Schichten wird hier gespeist, um 18 Uhr und 20.30 Uhr. Die Menüs sind exquisit, aber noch mehr staunt man darüber, wie Köche und Kellner es schaffen, alle Gäste gleichzeitig zu bedienen.  

Am dritten Tag ist der Lieblingsplatz gefunden: die Bibliothek! 10 000 Bücher finden sich dort. „Manchmal kommen Gäste mit ihrem Buch auf dem iPad und fragen, ob wir das „in echt“ haben, erzählt Bibliothekarin Victorya. Diese Stille, herrlich! Niemand spricht, höchstens hört man mal eine Seite rascheln.

Hoch oben auf Deck zwölf schaut ein britisches Ehepaar mit dem Fernglas übers Meer. „Gibt’s was zu sehen?“ – „Wir halten Ausschau nach Vögeln, aber es sind keine da. Das Wasser ist wohl zu tief.“ – Wie, bitte? – „Na, wenn das Wasser zu tief ist,  finden die Vögel doch nichts zu fressen.“ Wieder was gelernt. Für die Wale am Nachmittag hingegen braucht man kein Fernglas. Wie nah sie sind! 

Am Tisch mit einem Ehepaar aus Florida im Boardwalk-Café. Sie haben die Überfahrt gebucht, um von einer dreiwöchigen Europareise auszuruhen. Die ganze Zeit haben sie einen Koffer mit Kostümen und Requisiten mitgeschleppt. Gestern war nun der Galaabend unter dem Motto „Roaring Twenties“. „Wir haben den ersten Platz gemacht“, sagt der Mann zufrieden. Zum Glück, denn der zweite sei nichts wert. „In Deutschland sieht man das wohl anders, aber wir sind Amerikaner“.

New York kommt viel zu schnell

New York naht – viel zu schnell und viel zu früh. Fast hätte man um 5 Uhr 15 die Unterquerung der Verrazano-Brücke verpasst. Es ist noch dunkel, als backbord die Freiheitsstatue auftaucht. Alle Fotos sind verschwommen, die Selfies misslingen.  „Stell Dir vor, es gibt Leute, die bleiben den Tag in New York und fahren abends mit dem Schiff wieder zurück“, sagt eine Deutsche, „wie schrecklich!“ Wieso? Dann würde man gemütlich auf dem Liegestuhl ruhen und aufs Wasser gucken. Und hätte Zeit für die skurrile „Knitting and needling“-Runde, einen Drink in der tollen Commodore Bar und würde keine Show auslassen.    

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