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Historische Stadtansicht mit Krantor (rechts) entlang der Mottlau.

© Shutterstock / Tomasz Guzowski

Tipp für ein Wochenendtrip nach Danzig: Auferstanden mit Turbinen

Die Ostseestadt steht nicht nur für Werft und Hanse. Foodtrucks und schummrige Bars öffnen hinter kunstvollen Fassaden. Man muss sie nur finden

Am Flussufer der Mottlau zeigt Krzysztof Kosela auf die Gaststätte Gdanski Bowke. „Danziger Jung“ bedeutet das im Slang, erklärt der Stadtführer. Früher tranken Hafenarbeiter nach Feierabend in solchen Wirtshäusern Machandel, das hochprozentige Lokalgetränk aus Wacholderbeeren. Besonders ist dabei die Trinkzeremonie: Mit einem Zahnstocher nimmt man eine getrocknete Pflaume in den Mund, prostet, trinkt den Schnaps, isst dann die Pflaume, zerbricht den Zahnstocher und wirft ihn ins Glas. „Um sich an die Leute zu erinnern, die auf See ertrunken sind“, erklärt Kosela.

Noch mehr Alkohol mit Geschichte gefällig? Das sogenannte Danziger Goldwasser war einst der Lieblingslikör von Katharina der Großen. Der würzig-süße Kräuterlikör mit Blattgoldflocken gilt damals wie heute als nobles Gesellschaftsgetränk. Bodenständiger ist hingegen das Danziger Bier, das oft in Mikrobrauereien hergestellt wird.

Piroggen und Glühbier

Wie in der Brovarnia Gdansk, gleich gegenüber der Speicherinsel. Hier lässt sich das würzige Glühbier „grzane piwo“, das eigenwilligste Getränk Danzigs, probieren. Im heiß-erwärmten Bier finden sich Orangensaft, Zimt, Nelken und Honig. Dazu passen Piroggen, gefüllte Teigtaschen mit saurer Sahne und garniert mit gerösteten Zwiebeln. Perfekt zum Aufwärmen an einem windigen Wintertag.

Stürmisch hat der Tag begonnnen, oben auf dem Turm der Marienkirche, Europas größtem Sakralbau aus Backstein. Eine Wetterfahne dreht sich im Wind. Die Sonne leuchtet auf das historische Rathaus und die Altstadthäuser mit den Staffelgiebeln, über die Fabriktürme auf der anderen Seite spannt sich ein Regenbogen.

Danzig liegt in seiner historischen, industriellen Pracht vor dem Besucher. Was hat die polnische Hansestadt nicht erlebt? Mehrere Male wechselte sie ihre Besitzer: Vom deutschen Ritterorden zum polnischen König zu den Preußen, zur freien Stadt, die im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurde und als Teil des sozialistischen Polens wiederauferstand. Protestierende Werftarbeiter riefen hier die friedliche Revolution aus und stritten für eine demokratisch-kämpferische Gegenwart.

Der Blick vom Turm der Marienkirche auf Danzig.
Der Blick vom Turm der Marienkirche auf Danzig.

© Alexander Kauschanski

Mehr als 400 Treppenstufen unter dem Kirchturm wartet Kosela, 67 Jahre und gebürtiger Danziger. „Ich kenne die Kirche auswendig, mit meiner Höhenangst würde ich da aber nie hochklettern.“ Stattdessen lädt der kräftige Mann, dick eingepackt in einer Winterjacke, auf einen Spaziergang durch die historische Innenstadt.

Er erzählt, wie in den 1950er Jahren das Zentrum wieder aufgebaut wurde. Der Krieg hatte die Altstadt fast gänzlich zerstört. „Jahrelang setzten sich die Danziger dafür ein, dass aus den Ruinen keine sozialistische Planstadt, sondern das historische Danzig aufgebaut wird“, sagt er.

Mehr als 300 Speicher

Kosela führt zum Langen Markt, Herzstück Danzigs, an dem früher reiche Kaufleute lebten. Die kunstvollen Fassaden erinnern ans Goldene Zeitalter, als Danzig im 16. Jahrhundert zum wichtigsten Handelszentrum und zur größten Stadt Polens aufstieg. Internationale Händler zogen damals her, ihre Waren lagerten in mehr als 300 Speichern. Einige wurden restauriert, daneben stehen moderne, von ihrem Stil inspirierte Geschwister.

Ein paar Straßen weiter, in der Frauengasse, ergießt sich aus den Mündern steinerner Fabelwesen Regenwasser auf die Straße. Drumherum überall Stände mit Bernsteinen aus der Ostsee. „An dunklen Wintertagen komme ich gern hierher, da ist alles leer, nur die Laternen leuchten. Hier verliebt man sich nicht in eine Frau, sondern in die Straßen der Stadt“, sagt Kosela.

Der Beginn der Revolution

Seine Mutter, die im deutsch-polnischen Vorkriegsdanzig groß wurde, habe ihm erzählt, wie friedlich damals die verschiedenen Nationen zusammenwohnten. Dass die Stadt lange von der deutschen Bevölkerung geprägt war, hielte man in Erinnerung. Als Kind habe ihm seine Mutter Deutsch beigebracht, sagt Kosela. Bevor er vor sechs Jahren zum Stadtführer wurde, habe er kaum gesprochen, nur zugehört. „Seit 30 Jahren hängt eine Satellitenschüssel auf meinem Dach, ich schaue viel deutsches Fernsehen.“

Am liebsten besucht Krzysztof Kosela die alte Werft, Polens Wiege der friedlichen Revolution. 1980 wird eine Kranführerin nach mehr als 30 Jahren im Dienst und wenige Tage vor ihrer Rente entlassen, weil sie sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt. Als kurz darauf ihre Kollegen mit einem Streik die Lenin-Werft lahmlegen, erfasst der Protest das ganze Land.

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Die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc ist geboren. Erst fordert sie Arbeiterrechte, dann Freiheit und schließlich Demokratie in Polen. 1989 läutet sie mit das Ende des Kommunismus im Ostblock ein und besiegelt die demokratische Wende in Polen.

Kosela leitete zu jener Zeit die Bewegung bei der Danziger Post. „Nach einem vertraulichen Gespräch über einen Streik nahm man mich 1981 fest“, erzählt er. Tagelang habe ihn der Geheimdienst verhört und nur freigelassen, weil man ihm nichts nachweisen konnte. „Mir ist das Werftgelände wichtig, weil die Museen und Denkmäler dort zeigen, dass man sich Freiheit erkämpfen muss.“

Wichtig für Europa

Über den historischen Ort des Protests blickt Basil Kerski aus seinem Büro. Der 52-Jährige leitet das Europäische Solidarnosc-Zentrum. „Die Geschichte kennen, über die Zukunft entscheiden“, ist das Ziel des 2014 eröffneten Museums. Die interaktive Ausstellung erzählt die Geschichte der polnischen Freiheitsbewegung.

„Für unsere deutschen Besucher wollen wir den Mauerfall durch die Demokratiebewegung Polens erklären. Wir möchten zeigen, wie wichtig wir füreinander in Europa sind“, so Kerski. Das Gebäude erinnert an einen Schiffsrumpf, nach außen massiv, nach innen offen.

Das Museum des Zweiten Weltkriegs wurde erst vor fünf Jahren eröffnet.
Das Museum des Zweiten Weltkriegs wurde erst vor fünf Jahren eröffnet.

© M. Bujak

Der nationalistischen PiS-Regierung in Warschau missfällt die Ausrichtung des Zentrums. 2019 sollte sie ihr Geschichtsverständnis umgestalten, sonst würden die Budgets gekürzt. „Da gab es massiven Zuspruch von Bürgern, die Geld spendeten, von einem bis 10 000 Zloty war alles dabei“, sagt Kerski – also bis umgerechnet 2500 Euro. Die Finanzierung war gerettet, das Zentrum blieb ein Raum für Bürgerengagement und Demokratie.

Auch das 2017 eröffnete Museum des Zweiten Weltkrieges entfachte politische Kontroversen. Wie durch einen Krater fällt Licht von weit oben in die Dauerausstellung im dritten Untergeschoss des modernen Baus. Er dokumentiert das Leiden der Polen, den Holocaust und den polnischen Widerstand aus Perspektive der Menschen, nicht des Militärs. Kurz nach Eröffnung wechselte die Regierung den Museumsdirektor aus, was bisher wenig am Konzept änderte. Nur ein nationalistisches Heldenvideo in Computerspieloptik, ganz am Ende der Ausstellung, verrät, welche Geschichte die Regierung lieber erzählen würde.

In Kneipen wie das Josef K. trifft sich das junge Danzig.
In Kneipen wie das Josef K. trifft sich das junge Danzig.

© Alexander Kauschanski

Danzig schaut nicht nur auf seine Geschichte, es arbeitet auch unermüdlich an seiner Zukunft. Hinter historischen Fassaden warten heute magische Cafés, urige Bars und ausgefallene Restaurants. Eines der schönsten heißt Josef K. Ampullen mit rätselhaften Flüssigkeiten, kryptische Maschinen, von der Decke hängende Bücherregale, bequeme Retro-Couches: In dem schummrigen Labyrinth könnte sich auch Indie-Regisseur Jim Jarmusch wohlfühlen. „Wer herkommt, soll das Gefühl haben, in einen seltsamen Traum zu sein“, erklärt die Kellnerin.

Ein paar Straßen weiter, vorbei an Sexshops und einer Markthalle, befindet sich das Avocado. Das kleine Restaurant spezialisiert sich auf veganes Street-Food. Olivia, 21, ist hier Kellnerin, arbeitet sonst in einem Tattoo-Studio. Eingepackt in einem übergroßen Vintage-Pullover streicht sie mit ihren schwarz lackierten Nägeln über das Piercing unter ihrer Nase. Veganes Essen sei in Polen seit einigen Jahren ziemlich angesagt. „Die junge Generation achtet hier mehr auf den Planeten.“

Beat der Freiheit

Am Wochenende fährt Olivia in die Ulica Elektryków – die Straße der Elektriker. Inmitten des verfallenen Werftgeländes leuchten hier Clubs, Bars und Streetfood-Container im Neonlicht. Wo vor mehr als 40 Jahren die friedliche Revolution ihren Lauf nahm, wummert nun nachts Techno, der Beat der Freiheit.

„Danzig ist meine Lieblingsstadt“, sagt Olivia. Sie habe schon in Krakau und Warschau gelebt, doch nirgends seien die Leute so offen wie in ihrer Geburtsstadt. „Ständig habe ich die verrücktesten Begegnungen.“ Eben beispielsweise habe sie gedacht, ein älterer Mann wolle ein draußen sitzendes Pärchen belästigen. „Dann merkte ich, dass er ihnen nur ein Ständchen von ABBA gesungen hat.“

Reisetipps: Am besten fährt man mit dem Zug nach Danzig. Vom Berliner Hauptbahnhof gibt es einen durchgehenden Eurocity. Für die fünfeinhalbstündige Fahrt gibt es Sparpreistickets ab 35 Euro pro Strecke. Übernachten kann man beispielsweise im Hotel Sadova, ein Viersternehaus im Zentrum, Doppelzimmer ab 55 Euro pro Nacht, mehr unter hotelsadova.pl. Diese Reise wurde unterstützt vom Polnischen Fremdenverkehrsamt.

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