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Finnegans Autobiografie "Barbarentage" wurde mit dem Puliltzerpreis ausgezeichnet.

© Kai-Uwe Heinrich

Surfer William Finnegan: „Der Ozean wird mich niemals lieben“

Perfekte Wellen gibt es nicht, sagt William Finnegan. Der Reporter und Autor spricht im Interview über Hautkrebs und seinen Sport als Beziehungskiller.

Herr Finnegan, Sie arbeiten beim „New Yorker“, einem der berühmtesten Magazine der Welt. Dass Sie Surfer sind, haben Sie Ihren Arbeitskollegen lange verheimlicht. Warum?

Kennen Sie die Highschool-Komödie „Fast Times at Ridgemond High“ mit Sean Penn? Er spielt darin einen Surfer, ist ständig bekifft, sagt dauernd: „Dude, what’s up, Dude?“ Ein kompletter Versager. Einmal bestellt er Pizza in den Matheunterricht. Ich hatte als politischer Kommentator schlicht Angst um meine Glaubwürdigkeit. Wenn ich surfte, erzählte ich akzeptablere Ausreden.

„Ich habe Proust gelesen“ …

… ja, das hätte geholfen.

Für den „New Yorker“ schrieben Sie über den Drogenschmuggel in Mexiko, über Bandenkriminalität, berichteten aus Kriegsgebieten. Auch als Surfer sind Sie mehrmals nur knapp am Tod vorbeigeschrammt. Wovor haben Sie mehr Angst: Maschinengewehrsalven oder Monsterwellen?

Das sind sehr unterschiedliche Arten von Angst. Menschliche Gewalt ist eine deprimierende Erfahrung. Du fürchtest dich so sehr, dass du kaum noch denken kannst. Du spürst nur den Willen zu überleben. Gleichzeitig fällt die Achtung, die du vor der Menschheit hast, ins Bodenlose. Es ist eine sehr bittere Erfahrung. Im Ozean denkt man nur, wenn es einen umhaut: Oh, das könnte mein letzter Moment sein.

Im Surfklassiker „Point Break“ stirbt Patrick Swayzes Figur am Ende in einer gigantischen Welle. Eine gute Art zu sterben?

Der Held ertrinkt in seinem Element. Nein, das ist nicht die perfekte Art zu sterben. Ich versuche alles, um das zu vermeiden. Gerade jetzt, in meinem Alter, habe ich Tage, an denen ich entscheiden muss: Gehe ich raus? Sind die Wellen zu groß?

Wann sind sie zu groß?

Wellen sind komplizierte Explosionen der Natur, das gewaltsame Zusammenprallen des Ozeans mit der Küste. Du musst deine eigene Fähigkeit ins Verhältnis zu deinem Selbstvertrauen setzen, die Wellen lesen, dein Equipment beurteilen, ein Verständnis von Ort und Moment entwickeln.

Und was heißt das jetzt in Metern?

Wir Hawaiianer reden ungern über Größe. Und wenn, dann untertreiben wir. Eine Welle so hoch wie das Bücherregal hier an der Wand, mehr als vier Meter, wäre an der Nordküste von O’ahu nur zwei Meter hoch. Sagst du, dass sie drei Meter groß ist, gehörst du nicht mehr zum Club. Ich kannte einen Typen aus der Stadt, der nicht uns Surfer anrief, wenn er die Höhe wissen wollte, sondern eine Frau, die an der Küste wohnte und keine Ahnung vom Surfen hatte. Also fragte er: „Wie viele Kühlschränke sind die Wellen hoch?“ Sie antwortete: „Ungefähr sechs!“ Ein hawaiianischer Surfer hätte drei gesagt.

Sie selbst haben Wellen schon unterschätzt. Auf Madeira …

... oh Gott, ja. Da wäre beinahe alles vorbei gewesen. Eine Riesenwelle spülte mich auf einen Fels. Ich stand dort und sah die nächste heranrollen, die mich auf dem Stein zerschmettert hätte. Ich handelte instinktiv. Warf mich in diese Art Loch in der Welle und hoffte, dass das Wasser mich unterspülen und ein Kissen zwischen mir und dem Gestein bilden würde. Ich hatte Glück.

Geht es Ihnen um die Gefahr?

Manche Leute surfen nur kleine Wellen. Ich verstehe das nicht. Was soll das heißen, du fühlst dich sonst nicht wohl? Da fängt es doch erst an, spannend zu werden! Aber so ticke ich halt. Das Großartigste, was du erreichen kannst im Wasser, ist Intimität, gesättigte Erfahrung. Du suchst nach dem Limit. Und das Limit ist beim Surfen immer nur einen Fingerbreit entfernt vom Desaster.

Je näher Sie dem Tod sind, desto schöner wird es?

In gewisser Weise ja. Die größte Freude des Surfers sind Barrels, Hohlwellen, die über einem zusammenstürzen. Man surft durch den Tunnel, der sich bildet. Barrels entstehen, wenn große Wassermengen aus der Tiefsee mit Wucht auf flaches Ufer treffen. Je perfekter der Tunnel, desto gefährlicher wird es, weil die Welle einen jederzeit auf den Boden schleudern kann. Aber mich reizt nicht die Gefahr, sondern die Schönheit.

"Mit der Flucht in die Einsamkeit konnte ich nie etwas anfangen"

"Ich war 13, als mir klar wurde, dass dort draußen niemand auf mich aufpasst. Auch kein Gott."
"Ich war 13, als mir klar wurde, dass dort draußen niemand auf mich aufpasst. Auch kein Gott."

© promo

Eine Schönheit, die man fühlen muss. Im Buch „Barbarentage“ schreiben Sie: „Was im Wasser passiert, lässt sich nicht in Worte übertragen, Sprache hilft nicht weiter.“

Egal, wie gut jemand sich ausdrücken kann, es bedeutet nichts im Trubel des Meeres. Wellen sind nicht-sprachliche Erfahrungen. Für jemanden wie mich, der sein Leben damit verbringt, Sätze zusammenzufügen, ist es ein Geschenk, mal eine Auszeit davon zu haben. Normalerweise rede oder schreibe ich mich aus Situationen heraus. Im Wasser unmöglich. Dort muss man versuchen, die Monster allein mit seinem Können zu bezwingen. Eine manchmal sehr demütigende Erfahrung. Vor Lanikea auf Hawaii bin ich mal mit einem viel zu kleinen Brett in viel zu große Wellen. Mein Board brach durch, ich trieb in einem tosenden Moloch, marineblau, viel Gischt. Doch als ich erschöpft den Strand erreichte, fühlte ich nichts als tiefe Dankbarkeit.

„Der Ozean war wie ein gleichgültiger Gott“, schreiben Sie in Ihrem Buch. Hat Surfen etwas Religiöses?

Ich würde es nicht so betrachten. Aber es hat zu einer Zeit in meinem Leben mal den Platz der Religion eingenommen. Ich wuchs auf Hawaii auf, meine Eltern gingen jeden Sonntag in die Kirche. Als Teenager wollte ich nicht mehr mit. Stattdessen ging ich ins Wasser, aber die Fragen nach dem Leben, dem Tod, dem Leben nach dem Tod nahm ich mit. Wenn ich eine Welle bekam, war ich erfüllt von Liebe. Gleichzeitig verstand ich: Egal wie sehr ich den Ozean liebe, der Ozean wird mich niemals lieben. Ich bin ihm egal. Ich war 13, als mir klar wurde, dass dort draußen niemand auf mich aufpasst. Auch kein Gott.

Ihre Eltern haben Ihnen damals große Freiheiten gelassen.

Ja, das war der Zeitgeist. Wir waren stundenlang unbeobachtet im Meer. Rückblickend kann man sicher fragen, ob das Vernachlässigung oder Freiheit war. Es hat mich sehr schnell erwachsen werden lassen. Ich bin ausgezogen, da war ich 16. Ich flog nach Europa, trampte nach Indien, meine 20er waren eine einzige lange Suche nach Wellen in der südlichen Hemisphäre. Ich habe von nichts gelebt, bin gesurft und wollte schreiben, Mädchen kennenlernen. Ich musste allein klarkommen.

Ihre Reise um die Welt wurde mit dem Buch „Into the Wild“ verglichen. Die Hauptfigur darin entflieht der Zivilisation auf der Suche nach Echtheit. Am Ende, kurz vor dem Hungertod, notiert er: „Happiness is only real when shared.“ Verstehen Sie ihn?

Mit der Flucht in die Einsamkeit konnte ich nie was anfangen. Allein surfen ist schön. Aber wenn ich neue Surfspots zusammen mit einem Freund entdeckte, ein Geheimnis mit ihm teilen konnte, ihn anschaute und erkannte, dass er das Gleiche spürte wie ich, dann verdoppelte sich die Intensität der Erfahrung und die Freude. Wissen Sie, was meine Lektorin über mein Buch denkt?

Sagen Sie es.

Dass es nicht vom Surfen erzählt, sondern davon, wie ein junger Mensch immer bewusster Freundschaften führt. Da war zum Beispiel Bryan, mit ihm war ich lange unterwegs. Wir teilten die Liebe zum Surfen und zur Literatur. Meine Freundin damals war oft neidisch und sagte, ich interessiere mich mehr für Bryan als für sie. Sie hatte nicht Unrecht.

Heute sind Sie verheiratet. Ihre Frau surft nicht.

Sie verdreht die Augen, wenn ich nur anfange davon zu erzählen.

Hat Sie nie versucht, Ihnen Ihr gefährliches Hobby auszureden?

Nein. Als ich vor Madeira beinahe starb, war sie gerade zu Besuch. Eigentlich arbeitet sie als Anwältin in New York. Sie flog am nächsten Tag zurück, und weil ich nach meinem Unfall so verängstigt war, bettelte ich: Kann ich mitkommen? Wir hatten ein langes Gespräch, und ich fragte, warum sie nie verlangt hat, dass ich aufhöre.

Was hat sie geantwortet?

Dass sie sich selbstverständlich um mich sorge, aber wenn es hart auf hart komme, träfe ich die richtigen Entscheidungen. Das Kompliment hatte sie mir noch nie gemacht, ich war wirklich gerührt. Viele Surfer haben Probleme, Beziehungen oder Ehen aufrechtzuerhalten. Der Sport frisst so viel Zeit und ist so unberechenbar. Ständig bist du nicht da, weil du den Wellen hinterherjagst. Ich habe da Glück. Wenn ich meiner Frau sage, dass ich surfen gehe, sagt sie: Prima, ich will hier eh noch ein paar Bücher lesen.

Haben Sie, als Sie Vater wurden, mal drüber nachgedacht, das Surfen aufzugeben?

Nein, aber ich bin dankbar, dass meine Tochter keine Surferin geworden ist. Nicht so sehr wegen der Furcht um sie, sondern wegen dem, was das Leben als Surfer mit sich bringt. Den Schaden, den man nimmt. An allem, was mit mir nicht stimmt, trägt das Surfen Schuld: Hautkrebs, schlechte Augen …

Sie haben Hautkrebs?

Wie die meisten Surfer. Man kann seinen Körper nicht so lange den Elementen aussetzen, ohne dass es Folgen hat.

"Ich wünschte Wellenreiten wäre so uncool wie Inlineskaten"

Finnegans Autobiografie "Barbarentage" wurde mit dem Puliltzerpreis ausgezeichnet.
Finnegans Autobiografie "Barbarentage" wurde mit dem Puliltzerpreis ausgezeichnet.

© Kai-Uwe Heinrich

Ihre Tochter wächst in einer wesentlich reglementierteren Welt auf als Sie. Bedauern Sie das?

Ihr Alltag ist fraglos strukturierter. Ihre Schule ist besser, sie wohnt in New York City. Tut sie mir deswegen leid? Vielleicht, wenn sie anfällig wäre für die Auswüchse unserer Zeit, für Social Media, wenn sie den ganzen Tag Computerspiele spielen würde. Aber so ist sie nicht. Sie ist nicht bei Facebook, klettert gern, liest, macht mit alten Hippies bei uns um die Ecke Yoga. Sie will Umweltwissenschaften studieren. Wahrscheinlich ist der Klimawandel das einzige, wofür sie mir leidtut.

Herr Finnegan, 2020 wird Surfen olympische Disziplin. Kann man Wellenreiten mit Noten bewerten?

Es gibt natürlich eine sportlich organisierte Seite des Surfens, mit Wettbewerben und Punktrichtern. Am Ende geht es um das Ergebnis, so wie beim Fußball, 1:0. Kelly Slater, der beste Surfer der Welt, wissen Sie, was der besser macht als andere?

Er ist fitter?

Nein. Er kann die Bewegungen des Meeres vorhersagen. Der Mann ist ein gottverdammtes Genie. Aber ist er Sportler? Mir und vielen Surfern geht es um anderes. Surfen hat eher etwas von Showtanzen mit dem Unterschied, dass die Performance dem Zuschauer verborgen bleibt. Wenn du in der Welle fährst, sieht dich keiner. Ein Tor ist ein Tor. Die Frage aber, welche Performance schöner war, ist eine ästhetische. Den Leuten, die dafür gesorgt haben, dass Surfen olympische Disziplin wird, sind solche Gedanken völlig gleichgültig. Ich habe einen Artikel geschrieben über den Typen, der das vorangetrieben hat. Ein Kerl aus der Industrie, der früher Surfsandalen verkauft hat. Der will Wachstum, Geld verdienen.

Kelly Slater hat gerade eine künstliche Welle vorgestellt, die durch einen Pool läuft. Er kann sie anknipsen. Die Zuschauer stehen direkt daneben und trinken Bier.

Als Kelly der Welt seine Erfindung zeigte, sagte ein Freund von mir: Wir haben eine neue Zeitrechnung. Vor Kellys Welle und nach Kellys Welle. Er sagte, sie sei perfekt. Bullshit, wenn man mich fragt, es gibt keine perfekte Welle. Aber hat mein Freund unrecht? Wahrscheinlich nicht. Im September findet der erste Wettkampf in dem Becken statt. Kelly wird seine Idee verkaufen, an die World Surf Tour, auf der ganzen Welt werden diese Pools entstehen, wahrscheinlich kann man bald auch hier in Deutschland surfen.

Der Spirit geht verloren.

Oh Gott, ja. Pfffffffft, weg. Manchmal wünschte ich, Surfen wäre so uncool wie Inlineskaten. Die Wellen sind jetzt schon voll genug.

Und nun haben Sie es mit dem Erfolg Ihres Buches noch schlimmer gemacht.

Stopp. Ich habe so viele Leser getroffen, die sagten: Ich wollte immer mal Surfen, aber jetzt hab’ ich mir das aus dem Kopf geschlagen. Das klingt gefährlich, hart, oftmals kalt. Mein Buch erzählt, wie Surfen wirklich ist, kein weiteres Märchen vom endlosen Sommer. Die besten Wellen gibt es übrigens im Winter.

Hat Ihnen der Ruhm wenigstens eine Pole Position beschert, wenn es darum geht, wer eine Welle nehmen darf?

Kurz nach der Veröffentlichung des Buchs war ich draußen vor Long Island, perfekte Bedingungen, wenig Leute, da rollte ein Set von sechs Wellen heran. Ich paddelte, wollte die schönste erwischen. Ein Typ lag knapp vor mir im Wasser. Er war jünger, schneller, hängte mich ab, er würde sie nehmen und für mich würde kein Platz mehr sein. Kurz bevor die Welle da war, drehte er sich um, schaute mir ins Gesicht und rief: Wenn du der Typ bist, der ich glaube, der du bist – super Buch! Dann sprang er auf sein Brett und raste davon. No mercy.

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