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Nähen für die Selbstständigkeit.

© Sandra Weiss

Suizide in Guyana: Dem Leben eine Chance

Guyana hatte die höchste Selbstmordrate der Welt. Neue Kampagnen in dem südamerikanischen Land helfen vor allem Frauen - sie sind offener für Hilfe.

Nähmaschinen surren wie zufriedene Katzen. Bunte Vorhänge filtern die Sonne und malen Regenbogen auf die Fliesen des Sunrise-Center. Zugleich verhindern sie neugierige Blicke von draußen. Es ist ein friedliches, familiäres Ambiente.

Rund ein Dutzend Frauen und wenige Männer haben sich eingefunden in dem hellen Haus am Ortseingang von Zorg-En-Vliet, einem winzigen Nest an der Nordküste von Guyana.

Unter ihnen befindet sich auch Natiefah John, eine 20-Jährige mit Brille und adretter Zopffrisur. Während sie sich mit einer Freundin unterhält, schläft ihre drei Monate alte Tochter tief und fest auf ihrem Schoß. Es hat lange gebraucht, bis sich John so entspannen konnte.

Wie alle anderen im Raum ist sie nach einem Selbstmordversuch hierher gekommen. Skeptisch und misstrauisch. Es war die letzte Chance, die sie ihrem jungen Leben noch geben wollte, das gezeichnet war von Missbrauch und Gewalt.

Guyana, das 780 000 Einwohner zählende Land an der Nordküste Südamerikas, hatte einst die höchste Selbstmordraten der Welt. 44 von 100 000 Menschen haben sich dort laut einer Statistik der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2014 das Leben genommen. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 16.

Es gibt sieben Psychologen im Land

„Alkohol- und Drogenmissbrauch, intrafamiliäre Gewalt, Armut, wenig soziale Kohäsion einer rassisch polarisierten Gesellschaft, kriminalisierte Homosexualität, Stigmatisierung psychisch Kranker als Idioten und fehlende Behandlungs-infrastruktur vor allem im Innern des Landes“, zählt Caitlin Vieira die Hauptgründe auf. Sie ist eine von sieben Psychologen des Landes – alle leben in der Hauptstadt Georgetown.

Ein Viertel der Bewohner des Landes, schätzt ihr Kollege Anthony Autar, leidet unter nicht diagnostiziertem post-traumatischem Stress, der zu Gewalttätigkeit und hohen Selbstmordraten führt.

Starre gesellschaftliche Strukturen, Patriarchat und Machismo, eine hohe Abwanderungsrate gut ausgebildeter Guyaner und ein notorisch unterfinanzierter Staat tragen nach Meinung von Autar dazu bei, dass das Problem totgeschwiegen wurde und im öffentlichen Bewusstsein gar nicht verankert war.

Betroffen ist vor allem die von der Landwirtschaft lebende indo-guyanische Bevölkerung, in der 75 Prozent der Fälle auftreten. Konservative Familienwerte der Indo-Guyaner, arrangierte Ehen und wenig Privatsphäre gehören laut Vieira zu den sozio-kulturellen Hintergründen.

eues Glück. Natiefah John war schon mit 13 verzweifelt, nun geht es ihr besser.
eues Glück. Natiefah John war schon mit 13 verzweifelt, nun geht es ihr besser.

© Sandra Weiss

Als das Problem durch die Statistik der WHO publik wurde, rüttelte das eine ganze Nation wach. Die Presse begann, darüber zu berichten – allerdings hatte das auch Nebeneffekte, wie die Journalistin Reema Natram sagt. „Anfangs schilderten wir, wie sich die Menschen umbrachten, was dann zu Nachahmereffekten führte.“ Auch die Namen der Opfer wurden genannt, was ganze Familien stigmatisierte und weitere Mitglieder in den Tod trieb.

Die Regierung griff ein und organisierte einen Workshop für die Medien. Sie richtete außerdem eine Selbstmord- Hotline ein, die Vieira koordiniert hat.

Doch schon die Einrichtung von Therapiezentren scheiterte an parteipolitischen Querelen und Haushaltsengpässen. Die von wohlhabenden Exilguyanern gegründete gemeinnützige Guyana Foundation sprang ein und eröffnete im Jahr 2016 das Sunrise-Center, das erste von zwei Therapiezentren für Selbstmordgefährdete überhaupt im Land.

Mit 13 zum ersten Mal missbraucht

Vor drei Jahren stand John dort vor der Tür: Mit 13 zum ersten Mal sexuell missbraucht, ihre Mutter war aus der Hauptstadt geflohen vor einem prügelnden Ehemann, der große Bruder war drogenabhängig, das Geld reichte hinten und vorne nicht.

Kurz davor hatte die Afro-Guyanerin einen Selbstmordversuch überlebt. „Ich hörte im Radio von diesem Zentrum“, erzählt sie. „Und da dachte ich, ich sollte dem Leben vielleicht noch einmal eine Chance geben.“

Empfangen wurde sie von Meena, der Direktorin des Zentrums. „Zum ersten Mal konnte ich über meine Erfahrungen reden, das war eine unglaubliche Erleichterung“, erzählt John. Offiziell nahm sie an einem Kosmetikkurs teil, auch nach außen hin präsentiert sich das Gebäude vor allem als Zentrum von Kleinunternehmen.

Die Kurse machen die Frauen unabhängiger

Yoga, Näh- Koch- und Kosmetikkurse stehen auf dem Programm, das sich vor allem an Frauen richtet. „Frauen sind offener für Hilfe“, sagt Meena.

Die Kurse helfen nebenbei dabei, die Frauen unabhängiger zu machen. John ist sehr dankbar dafür. Die junge Mutter hat einen Kosmetikkurs absolviert und spart ihr Geld, um Zuhause einen Schönheitssalon einzurichten.

Die Arbeit der Zentren, die Hotline und die Öffentlichkeitsarbeit der Psychologen zeigt sichtbare Erfolge: Im vergangenen Jahr gab es in Guyana in wesentlich weniger Selbstmorde.

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