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Roland Emmerich dreht seit 1989 in Hollywood.

© dpa

Starregisseur Roland Emmerich im Interview: „Das fühlt sich für mich fake an“

Mit Spezialeffekten lässt er die Welt untergehen. Blockbuster-Regisseur Roland Emmerich erklärt das System Hollywood und warum er Superhelden hasst.

Emmerich zählt zu den erfolgreichsten Regisseuren in Hollywood. Er hat Blockbuster wie „Independence Day“, „Godzilla“ und „2012“ inszeniert. Am 7. November startet sein Kriegsfilm „Midway“ in den deutschen Kinos. Darin erzählt er von einer Schlacht zwischen Japanern und Amerikanern im Pazifik.

Gelernt hat der gebürtige Schwabe sein Handwerk an der Filmhochschule München. In den 80er Jahren drehte er Science- Fiction-Filme in Deutschland, die von den Kritikern oft zerrissen wurden. Allerdings kamen die Filme international recht gut an, so dass er schließlich nach Amerika gerufen wurde. Seit 1989 lebt er in Los Angeles.

Zum Interview im Hotel de Rome erscheint Emmerich mit T-Shirt und Sakko. Nach wenigen Minuten legt er das Jackett ab, wirkt weniger offiziell und plaudert in einem Singsang zwischen Schwäbisch und amerikanischem Slang.

Er wirkt tiefenentspannt, ohne Allüren, und erzählt fassungslos von seinen früheren schlechten Gewohnheiten: Wie er ständig geraucht habe, sogar Zigarre, am Set. „Oh Gott, meine Zigarrenphase, was habe ich mir nur gedacht?“

Herr Emmerich, arbeiten Sie gern mit Motorsägen?
Gar nicht, ich habe Angst davor!

Die Sägen sind ein Verkaufsschlager der Familienfirma Solo Kleinmotoren, die Ihr Vater mitgegründet hat. Wurde in Sindelfingen der Grundstein für Ihre Zerstörungsfilme wie „Independence Day“ oder „2012“ gelegt?
Na, das ist ein bisschen komplizierter. Ich finde, Desaster-Filme vermitteln einen guten Eindruck von der Gesellschaft: wer sich wie zu einer Gefahr verhält, wer zum Helden wird, wer zum Versager. Für „Independence Day“ habe ich das Genre mit einem klassischen Science-Fiction-Stoff kombiniert. Aliens landen auf der Erde. Wir haben großartige Szenen gedreht, das Weiße Haus zerstört …

1996 wurde „Independence Day“ der erfolgreichste Film des Jahres – und Sie plötzlich Hollywood-Adel.
Seitdem zieht sich die Zerstörung durch meine Filme. Doch ich mag es nicht, wenn die Leute mich als „Master of Desaster“ bezeichnen.

Der Begriff klingt zu gut, als dass Sie ihn je wieder loswerden.
Das befürchte ich auch. Dabei ist mir „Anonymous“ mein liebstes Werk.

Den kleinen Film über Shakespeare haben Sie 2011 in Potsdam gedreht.
Darin geht es um das Schreiben, darum, dass der Stift mächtiger als das Schwert ist. Mir war es wichtig, das Globe-Theatre im Studio Babelsberg originalgetreu aufzubauen. Dort standen die Schauspieler ganz dicht an den Rängen – nicht so wie in diesem verwässerten Flachbau, der in London an der Themse steht. Das hat mich gereizt. Ich wollte schließlich Filmausstatter werden.

Ursprünglich sollten Sie in die Familienfirma einsteigen. Was ist schief gelaufen?
Nichts. Mir war die Arbeit im Betrieb zu technisch. Ich habe mich für Architektur interessiert, habe lange überlegt, ob ich Kunst studieren soll. Das war mir dann zu esoterisch.

Warum?
Ich konnte mir in den 70er Jahren nicht vorstellen, irgendetwas zur Kunstwelt beizutragen, was damals als Avantgarde galt. Meine Cousine Renate war damals Assistentin im Textildesign an der Kunstakademie in Stuttgart. Mit ihr bin ich drei Mal in den Unterricht gegangen, habe mich aber nicht wohl gefühlt, mit den Studenten konnte ich auch nichts anfangen. Über eine Connection meiner Eltern habe ich schließlich ein Praktikum beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart bekommen. Die Moderatorin vom „Abendjournal“ hat mir dann von der Filmhochschule in München erzählt. Allerdings meinte sie, dass ich auf Regie umschwenken sollte, um angenommen zu werden.

Das war Ende der 70er Jahre. Ihre Kommilitonen verehrten Autorenfilmer wie Wim Wenders.
Den fand ich langweilig. Bei Wenders passiert nicht genug für mich, auch heute noch nicht. Ich bin inzwischen befreundet mit ihm, sage ihm das auch ins Gesicht. Aber schauen Sie sich zum Beispiel „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ von Steven Spielberg an. Da geschieht ständig etwas Unerwartetes! Mit Science-Fiction-Stoffen habe ich auch an der Hochschule begonnen und versucht, einen bestimmten Stil einzuführen: Ich erzeugte Rauch, setzte diffuses Licht ein, beleuchtete ein bisschen von hinten. Ich fragte mich, warum ich die Kamera nicht an einen anderen Punkt stelle, damit es besser aussieht. Ganz automatisch wurde ich so zum Filmemacher.

Ihren ersten Film „Das Arche-Noah-Prinzip“ haben Sie noch als Student gedreht.
Sogar mit Fördergeldern! Und er lief 1984 auf der Berlinale. Meinen zweiten Film „Joey“ konzipierte ich dann gleich so, dass er in der ganzen Welt vermarktet werden musste, weil er für Deutschland zu teuer und die Geschichte zu kommerziell war.

Größenwahnsinnig waren Sie schon damals?
Ach Gott, das war nackte Kalkulation. Damals habe ich übrigens tatsächlich Sprühgeräte aus unserer Firma eingesetzt.

Als Product Placement?
Nein, damit konnte ich irre gut Nebel erzeugen. Oder ich erinnere mich an die Gartenspritzen, die eigneten sich, um Sachen zu befeuchten.

Emmerich (3.vr.) und seine Darsteller bei der Premiere des neuen Films "Midway".
Emmerich (3.vr.) und seine Darsteller bei der Premiere des neuen Films "Midway".

© Imago

Mitte der 80er Jahre hieß Ihr Fernziel bereits Hollywood?
Das habe ich mir erst nicht vorstellen können. Ich hatte in den 80er Jahren viel in Amerika zu tun, weil mein Filmverkäufer für den internationalen Vertrieb in Kalifornien saß. Eines Tages hörte er von einem Produzenten, der einen Regisseur für einen Actionfilm suchte – und hat mich empfohlen. Plötzlich klingelte das Telefon: „Can you come over and talk to me and Sylvester Stallone?“

Wie war es, gleich auf die großen Egos zu treffen?
Mein erstes Jahr in Amerika war nicht schön. Ich musste 1989 mit Joel Silver arbeiten, einem der wichtigsten Action-Produzenten. Wir haben uns überhaupt nicht verstanden. Nach Blockbustern wie „Stirb langsam“ hielt er sich für unfehlbar. Ist durch die Stadt gelaufen, mit mehreren Assistenten im Schlepptau, jeder von ihnen hatte ein tragbares Telefon am Ohr, und laut schreiend hat Silver dann drei Gespräche gleichzeitig geführt. Das hat jeder auf dem Bürgersteig mitbekommen.

Und mit dem haben Sie sich gezofft?
Ja. Das Buch handelte von der Jungfernfahrt eines futuristischen Zugs. Der düst zwischen zwei Kontinenten durch eine Röhre, und gleichzeitig übernimmt eine menschenfressende Pflanze die Kontrolle – ein schiefgelaufenes wissenschaftliches Experiment. Ich glaube, ich bin der einzige Regisseur, der jemals „nein“ zu Silver gesagt und sich geweigert hat, einen Film zu drehen. Sechs Wochen vor Drehbeginn habe ich Joel Silver gesagt: „Das Buch ist Mist.“ Am Ende hat er mich angeschrien.

Redet Stallone noch mit Ihnen?
Ich habe mit ihm nichts zu tun, sehe ihn manchmal auf einer Party, aber wir grüßen einander nicht. Er ist ohnehin nicht mein Typ gewesen. Da muss ich meinem Vater im Nachhinein danken.

Was hat Ihr Vater damit zu tun?
Er hat sich immer alles angehört, wenn ich aus Amerika angerufen habe. Er hat mir geraten: „Denk überhaupt nicht darüber nach, was die anderen dazu sagen werden. Folge deinem Gefühl. Manchmal ist es wichtiger, zu welchen Sachen du nein sagst.“ Diesen Rat habe ich einige Jahre radikal beherzigt.

Und ein Projekt nach dem anderen abgesagt?
Hollywood hat schon nach dem ersten Mal gekreischt: „Oh my God!“ Ich war the biggest news in town. Drei Wochen später wurde mir wieder ein blödes Skript angeboten. „Schreib’s halt um“, sagte der Produzent. Daraus wurde „Universal Soldier“, mein erster Hit. Danach erhielt ich alle möglichen Angebote – und sagte alle ab.

Welche Perlen waren darunter?
„Beverly Hills Cop III“ mit Eddie Murphy. Ein Ausbruchsfilm mit Harrison Ford, der am Ende nie gedreht wurde. Ich mache lieber Filme, die ich selbst entwickle, als mich einspannen zu lassen.

Ihr neuer Film „Midway“ über eine Schlacht im Zweiten Weltkrieg ist so entstanden. Wie immer ohne große Namen. Kommt die Aversion gegen Stars aus Ihrer Anfangszeit in Los Angeles?
Na ja, wir hatten einfach kein Geld mehr übrig, die Spezialeffekte waren teuer genug. Andererseits gefällt mir ein Kriegsfilm wie „Die Brücke“ von Bernhard Wicki deshalb so gut, weil normale Kids die Rollen spielten. Manchmal funktionieren Superstars nicht. Tarantino hat einen Film gedreht mit den zwei größten männlichen Stars derzeit, Leonardo DiCaprio und Brad Pitt. Der Film hat nicht so viel Geld gemacht.

„Once Upon a Time in Hollywood“ hat bei Kosten von 90 Millionen US-Dollar bisher 360 Millionen weltweit eingespielt.
Wenn es stimmt, dass Stars einen Film nach vorne bringen, hätte er viel mehr einfahren müssen.

Die Marvel-Filme spielen dafür Milliarden ein. Sie haben einmal gesagt: „Ich versteh die Hälfte gar nicht, weil das so ein Effekte-Durcheinander ist.“
Mein Ehemann hat mich letztes Jahr in „Black Panther“ geschleppt. Ich gucke mir den an und sehe schwarze Superhelden, die zwar die Technologie der Zukunft auf ihrer Seite haben, sich aber damit mitten in Afrika verstecken. Ich frage mich: Wo waren die denn in der Biafra-Krise? Warum ist dann der Genozid in Ruanda geschehen?

Es ist doch nur ein Märchen.
Das ergibt für mich keinen Sinn whatsoever. Die können die buntesten Kostüme anhaben, es fühlt sich für mich fake an. Sorry.

Dwayne Johnson ist der am besten bezahlte Schauspieler Hollywoods, aber nicht erste Wahl für Emmerich.
Dwayne Johnson ist der am besten bezahlte Schauspieler Hollywoods, aber nicht erste Wahl für Emmerich.

© dpa

Die bekanntesten Darsteller gelten in Hollywood als A-List …
Diese Zeiten sind vorbei. In den späten 90er Jahren haben die Zuschauer gemerkt, sie können einen guten Film haben ohne zwei Stars, deren Chemie auf der Leinwand vielleicht nicht stimmt. Denken Sie an „The Tourist“.

Der Regisseur Florian Henkel von Donnersmarck drehte den Film mit Angelina Jolie und Johnny Depp. Er wurde von der Kritik zerrissen und floppte. Warum ist Donnersmarck auf die Nase gefallen?
Wenn du einen guten Film wie „Das Leben der Anderen“ gemacht hast, wollen Stars unbedingt mit dir arbeiten. Dann verfällst du vielleicht einem Skript, das so ein Star gerne machen will. Und erst wenn du tief im Projekt steckst, wird dir klar, dass deine zwei Hauptdarsteller vielleicht keine Chemie haben. Der Donnersmarck hat Pech gehabt.

Kann er je wieder in Hollywood Fuß fassen?
Er hat doch gerade einen guten Film gemacht.

In Deutschland hielt sich die Begeisterung für „Werk ohne Autor“ in Grenzen.
Der ist in Amerika gut angekommen. Ich fand ihn interessant, wann sieht man schon mal einen Film über einen Künstler, der drei Stunden läuft?

Dieser Film hat Sie – anders als die Werke von Wender – nicht gelangweilt?
Er ist von einem Freund.

Jedes Jahr ermittelt „Forbes“, wie viel Schauspieler verdienen. Mit 89 Millionen US-Dollar Jahreseinkommen führt Actionstar Dwayne Johnson die Liste an. Würden Sie ihn gern besetzen?
Nein.

Mit Scarlett Johansson hat Roland Emmerich gute Erfahrungen gesammelt.
Mit Scarlett Johansson hat Roland Emmerich gute Erfahrungen gesammelt.

© AFP

Bei den Frauen steht Scarlett Johansson mit 58 Millionen ganz oben ...
... die ist super. Mit der habe ich mal einen Film produziert, „Arac Attack“ ...

... sie verdient 31 Millionen weniger. Wie ehrlich ist Hollywood in Sachen Geschlechtergerechtigkeit?
Überhaupt nicht. Das dauert noch.

Hat die Oscar-Rede von Patricia Arquette, in der sie 2014 gleiche Bezahlung forderte, gar nichts bewirkt?
Sie war der Nährboden für die #MeToo-Debatte. Da wurden Leute aussortiert, bei denen man sich gefragt hat: Wie kommen die so lange damit durch?

Haben Frauen hinter der Kamera bessere Chancen?
Ich saß vor zwei Tagen mit Regisseurinnen zusammen. Die haben sich bitterlich beklagt, wie irre schwierig es ist, als Frau ernst genommen zu werden. Ich sehe das auch: Die Studios sind gewohnt, dass da ein Typ auf dem Stuhl sitzt.

Sie glauben, die Schlechterstellung von Frauen in der Filmindustrie sei eine reine Gewohnheit und nicht strukturell bedingt?
Ich glaube nicht, dass Chauvinismus etwas damit zu tun hat.

Das ist doch naiv. Könnte es sein, dass die weißen Studiobosse um ihre Macht bangen?
Viele Studiobosse sind Frauen. Bei Universal regiert eine Frau, bei Sony war es lange Zeit so, bei Fox auch. Mit denen konnte ich besser reden. Mit Männern ist es ein Ego-Kampf. Die haben ein anderes Gehabe.

Auch Homosexuelle sind Teil der Debatte. Dem Regisseur Bryan Singer, einem Freund von Ihnen, warf man sexuelle Übergriffe vor.
Furchtbar, was ihm passiert ist.

Das Magazin „Atlantic“ hat von mehreren Fällen berichtet. Unter anderem haben Minderjährige gegen ihn Anzeige erstattet.
Ich glaube, er hat nie geschafft, den richtigen Umgang zu pflegen. Er umgab sich mit Menschen, bei denen ich mich gewundert habe: Warum hängt er jetzt mit denen ab? Hinzu kommt, dass er sich bei viel Stress mit Drogen und Alkohol betäuben muss – ein double whammy.

Sie halten es bloß für doppeltes Pech?
Er ist ungerecht beschuldigt worden. Weil die Kläger wissen, wie viel Geld er hat. Die Presse nennt ihn einen „sexual predator“, ein Raubtier ist er wirklich nicht. Die Studios haben ihn fallen gelassen, trotz erfolgreicher Filme wie „X-Men“.

Harvey Weinstein wurde nach Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe sehr rasch geächtet.
Schnell und gut – so sollten sie es auch mit Trump machen. Der hat in Hollywood einen schlechten Stand. Nur wenige Schauspieler unterstützen ihn, wie der Vater von Angelina Jolie: Jon Voight. Der gilt als Außenseiter und kriegt keinen Job mehr.

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