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Touristen in der Ruinenstadt Bhangarh.

© Daniel Fernandez Campos

Spuk in Rajasthan: Indische Geisterstunde

Böse Kräfte und Exorzisten: Eine Expedition zu Rajasthans verfluchtestem Ort.

Der Jeep quält sich eine staubige Straße in der Ebene entlang. Schlaglöcher behindern die Fahrt, manchmal liegt eine Kuh auf dem Weg. Seelenruhig, als wüsste sie, dass niemand es wagen würde, sie mit Gewalt zu vertreiben. Das einzige Verkehrsgebot, das jeder Inder befolgt: Die heiligen Tiere haben Vorfahrt.

Hinter dem Vieh steigt schroff das Aravalligebirge auf, Kalksteinfelsen verdunkeln den Horizont, gespenstisch nackte Trockenwälder ziehen sich die Hänge hinauf, nur die Nachmittagssonne taucht die verlassen wirkende Landschaft in ein gnädiges goldfarbenes Licht.

An einem Schlagbaum hocken ein paar Männer. Sie gucken auf ihre Armbanduhren, beraten sich, sagen etwas auf Hindi. „Wir müssen bei Sonnenuntergang wieder draußen sein“, übersetzt Sajta Ram, ein 48-jähriger Inder, der im Amanbagh Hotel Fahrer, Reiseführer und Fährtenleser in einer Person ist.

Er trägt Turban, Bart und eine Art Safari-Uniform. Eine Stunde Zeit, dann schließt die Festung Bhangarh für Besucher – und wenn man einschlägigen Blogs glaubt, kommen in der Dämmerung die Geister der Ruinenstadt heraus. Sie schreien, kreischen, flüstern, natürlich unsichtbar. Welches Spukgespenst, das etwas auf sich hält, lässt sich schon erwischen?

Bhangarh gilt in Rajasthan als verfluchtester Ort des Bundesstaats. Und genau deshalb wollen Tausende Touristen jeden Tag davon hören und die „Indian Horror Story“ hautnah erleben. Wobei es sich vor allem um eine Liebesgeschichte handelt.

Aber liegen Liebe und Tod nicht nahe beieinander? Was wäre „Romeo und Julia“ ohne die Unfähigkeit zweier Teenager, die Gebrauchsanweisung des Apothekers richtig zu verstehen und auf das Nachlassen des Gifts zu warten?

Rechts auf dem Berg steht eine Ruine. „Das war das Haus des Zauberers“, sagt Ram und meint es völlig ernst. Der Glauben an übersinnliche Kräfte ist in Indien weitverbreitet, sie anzuzweifeln gilt als einigermaßen verrückt. Deshalb sei es auch nicht gelungen, bewaffnete Nachtpatrouillen für die Ruinen zu finden. Niemand wollte sich für diesen potenziell gefährlichen Job melden.

Auf den ersten Blick sieht die Stätte harmlos aus, lauter meterdicke Felsmauern, beeindruckend ja, furchteinflößend nein. Besucher durchqueren zuerst einen Markt- und Wohnbezirk, daraufhin folgen die ehemalige Tempelanlage und schließlich die an den Berg gebauten Paläste. Vier sind noch übrig, zwei seien inzwischen zerstört, erklärt Ram.

Bhangarh muss einmal eine blühende Stadt gewesen sein. Die Ausmaße erzählen von Reichtum und Wohlstand. Bis Besucher zum Palast vordringen, müssen sie eine Viertelstunde auf dem Weg zurücklegen. Vorbei an schattigen Banyanbäumen, die sich mit mehreren Wurzeln im Boden abstützen und deshalb wie hölzerne Figuren mit Rückenleiden ausssehen.

Dutzende Affen lauern auf den Mauern, immer bereit, unvorsichtigen Touristen ihren Proviant abzujagen. Die einzige Gefahr, die nachts auf die Störenfriede lauert, ist der Leopard, der bei Dunkelheit aus dem bewaldeten Tal Jagd auf sie macht.

Vor 300 Jahren etwa bewohnten noch Tausende Menschen die Ebene. Doch dann kam es zu jenem Zwischenfall, der das Schicksal der Stadt besiegeln sollte. Jener Zauberer, der auf dem Hügel seiner schwarzen Magie nachging, verliebte sich in eine hübsche Prinzessin unten in Bhangarh.

Ratnavati hatte damals den Beinamen „Perle von Rajasthan“ und bereits viele Brautwerber aus reichen Häusern abgelehnt. Der Magier war Realist und sich seiner aussichtslosen Lage bewusst. Er beobachtete, wie eine Magd für die Prinzessin Parfüm kaufte, und belegte die Flüssigkeit daraufhin mit einem Liebeszauber.

Geplättet und trotzdem geistesgegenwärtig

Aus Gründen, die auch Ram nicht erläutern kann, durchschaute Ratnavati die fiesen Absichten und ließ die Flasche am Boden zerschellen. Angeblich verwandelte sie sich daraufhin in einen Felsbrocken und zermalmte den Zauberer.

Bevor der Mann völlig geplättet war, besaß er noch genug Geistesgegenwart, die Prinzessin, ihre Familie und den gesamten Ort zu verfluchen. Angesichts der Länge der Zauberformel muss dies ein qualvoller Tod gewesen sein. Im Jahr darauf verlor die Armee eine wichtige Schlacht, die Prinzessin und viele Stadtbewohner starben – und seitdem sei es niemandem mehr gelungen, wiedergeboren zu werden, der damals in Bhangarh lebte.

Es ist eine lange Geschichte, auch eine komplizierte, und doch zieht sie Besucher an. Schwarze Magie hat noch heute ihre Fans. Das beweist eine Zeremonie am Fuße des ersten Palastes. Auf einem steinernen Podest sitzen einige Männer im Schneidersitz, Frauen und Hunde dürften nicht in diesen heiligen Kreis, wie der Guide erklärt.

Ein Mann aus der Gruppe schreit sich in Rage, er bewegt sich in Trance um die Sitzenden und grunzt gelegentlich. „Das ist ein Exorzismusritual“, sagt Ram ganz wertfrei. Einer der dabeisitzenden Männer soll von einem bösen Fluch befreit werden. Was soll man tun, wenn sonst nichts hilft?

Langsam wird es dunkel, die Sonne ist hinter den Bergen verschwunden, aber ihre Strahlen reichen noch in die Ebene hinab. Die letzten Gruppen begeben sich auf das Dach des Palasts, um auf das gesamte Ruinenfeld, die Tempel mit ihren verzierten Türmen und bauchigen Kuppeln zu blicken.

Man hat von oben eine gute Übersicht auf die wehrhafte Verteidigungsanlage, die Mauern, die sich die Hügel hinaufziehen, und fragt sich plötzlich, wie dieser Ort nur fallen konnte. Da müssen böse Mächte im Spiel gewesen sein.

Auf dem Rückweg zum Auto wird es empfindlich kühl, die Sonne ist nun fast nicht mehr zu sehen. Ein Schauer jagt über den Rücken. War das eben der grelle Schrei eines Untoten? Aus dem Baum heraus kreischt ein Affenbaby.

Reisetipps für Bhangarh:

HINKOMMEN
Nach Delhi fliegt die Lufthansa ab 585 Euro. Von dort ein Auto mit Fahrer buchen, der Verkehr ist chaotisch, am besten unter gozocabs.com.

UNTERKOMMEN
Einziges Hotel der Gegend ist das Luxusresort Amanbagh. Im Preis sind alle Mahlzeiten sowie ein Ausflug nach Bhangarh inklusive.

Ab 400 Euro im Doppelzimmer, aman.com.

RUMKOMMEN
Von Jaipur gibt es auch Tagestouren, unter viator.com findet man Angebote. Diese Reise wurde teilweise von Aman Hotels unterstützt.

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