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Hat sich durchgebissen. Natalya Nepomnyashcha.

©  Inka Junge

Sozialer Aufstieg: Wie Benachteiligte es nach oben schaffen

Aufsteiger sind motiviert – fallen aber oft durchs Raster. Das „Netzwerk Chancen“ unterstützt Menschen aus nicht-akademischen Familien.

Es war ein kleines Wort, das sie verriet. „Geil!“, sagte Natalya Nepomnyashcha, und sie sagte es ausgerechnet im Bewerbungsgespräch bei einer Unternehmensberatung. Was unter Freunden nicht aufgefallen wäre, verhagelte ihr den Job.

Einer der Momente, in denen sie das Gefühl hatte: Irgendwie kenne ich die Regeln nicht, irgendwas mache ich falsch – mir fehlt die Selbstverständlichkeit, der Stallgeruch. Vielleicht weil ich aus einer Hartz-IV-Familie komme?

Es gab noch andere Momente im Leben der gebürtigen Kiewerin und Gründerin des „Netzwerks Chancen“, die ihr klarmachten, wie wichtig die soziale Herkunft ist. Ihre Eltern kamen als jüdische Kontingentflüchtlinge 2001 aus der Ukraine nach Deutschland, da hatten sie, bedingt durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch nach dem Ende der Sowjetunion, schon lange ihre Fabrikjobs verloren und fanden hier auch keine neuen.

Also Hartz IV, Abkapselung, viel russisches Fernsehen, man lernt kein Deutsch, die 11-jährige Tochter muss alleine sehen, wie sie sich durchs Schulsystem schlägt. Hilfe bei den Schularbeiten oder gute Tipps sind nicht zu erwarten.

Nicht allen steht nach der Uni die Welt offen

Nepomnyashcha besucht die Realschule. „Als ich versuchte aufs Gymnasium zu wechseln, wurde ich ausgelacht“, erzählt sie. Also schließt sie als Schulbeste die Realschule ab, macht Ausbildungen zur Fremdsprachenkorrespondentin und zur Übersetzerin/Dolmetscherin. Und kommt ohne Abitur doch noch an die Universität: Da ihre Ausbildungen in Großbritannien mit dem Bachelor gleichgesetzt werden, kann sie dort einen Master in internationaler Politik machen. „Danach dachte ich: Jetzt steht mir die Welt offen!“

Aber so war es nicht. Ihr fehlten die Netzwerke, die Verbindungen, die anderen Absolventen den Weg in Praktika und Jobs ebneten, und sie glaubt: „Das hatte mit meiner sozialen Herkunft zu tun. Es ist sehr viel schwieriger, beruflich Fuß zu fassen, wenn man diesen Hintergrund hat.“

Nach mehreren Stationen unter anderem bei einer NGO in Westafrika und bei einer deutsch-russischen Young-Leaders-Konferenz ist sie jetzt in einer PR-Agentur angestellt. Aber ihre anfänglichen Probleme hat sie nicht vergessen. Deswegen hat sie das „Netzwerk Chancen“ gegründet, das jungen Menschen aus schwierigen Verhältnissen den Aufstieg erleichtern soll.

Die vergessene Dimension bei Diversität

Ihr Netzwerk steht allen Menschen zwischen 18 und 39 Jahren offen, die aus finanzschwachen oder nicht-akademischen Familien kommen. Im Moment sind es rund 400 junge Menschen, die durch das Netzwerk Gelegenheit erhalten, an Workshops teilzunehmen, Arbeitgeberkontakte zu knüpfen, sich in geschützten Räumen auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen.

[Mehr unter www.netzwerk-chancen.de]

Man trifft sich etwa bei den „inspirational talks“, die prominente Aufsteiger geben: „Beim nächsten Mal wird Pinar Atalay sprechen“, freut sich Nepomnyashcha.

Als Gründerin leitet sie das Netzwerk ehrenamtlich zusammen mit ebenfalls ehrenamtlichen Teams in Berlin und Frankfurt am Main. Es gibt lediglich eine Mitarbeiterin in Teilzeit, die von einer kleinen Stiftung finanziert wird.

Wenn der Stallgeruch fehlt

„Wir wünschen uns Unterstützung durch Unternehmenspartner“, sagt Nepomnyashcha. „Aber die Unternehmen haben das Thema soziale Aufsteiger nicht auf dem Schirm. Sie sagen: Wir fördern Frauen. Ja, das ist wichtig! Aber es gibt auch weiße deutsche Männer, die aus prekären Verhältnissen kommen und Förderung brauchen. Die fallen durchs Raster.“

Den Blick auf Menschen zu lenken, die sich aus schwierigen sozialen Verhältnissen hocharbeiten, sei im Übrigen kein Gnadenbeweis, sondern für die Unternehmen selbst vorteilhaft.

„Bisher wird der Wert der sozialen Aufsteiger zu wenig erkannt“, sagt Nepomnyashcha. „Es klingt offenbar irgendwie nach Gosse. Dabei sind das Menschen, die schon bewiesen haben, wie durchsetzungsstark und motiviert sie sind. Sonst hätten sie ihr soziales Milieu ja gar nicht verlassen!“

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