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Gut gedacht, schlecht gemacht? Die National-Elf eim Auftaktspiel der WM-Qualifikation am Samstag.

© imago images/ActionPictures

Solidaritätsbekundung oder Tugendprotzerei?: Seht her, ich habe eine gute Botschaft!

Nach der "Human Rights"-Trikot-Aktion wird wieder gestritten: Was nützt es, symbolisch Flagge zu zeigen, wenn man nicht handelt? Das ist ein Denkfehler. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Max Tholl

Fußball-Bundestrainer Joachim Löw musste seine Mannschaft in letzter Zeit häufiger in Schutz nehmen. Am Samstag standen jedoch nicht ausbleibende Siege, sondern eine Menschenrechtsaktion seiner DFB-Kicker im Fokus. Beim Auftaktspiel der WM-Qualifikation hatten sich die Spieler vor dem Anstoß in selbstbeschrifteten Trikots präsentiert, auf denen eine medienwirksame Botschaft in Richtung WM-Gastgeber Katar zu lesen war: „Human Rights“.

Neben Lob hagelte es danach auch reichlich Kritik, denn von einem Boykott der WM wegen Menschenrechtsverletzungen im Emirat will der DFB nichts wissen. Dient die Aktion also am Ende dem eigenen Image mehr als der Sache? Löw konterte am Samstag den Vorwurf der Scheinheiligkeit und betonte, seine Spieler ließen sich nicht zu Marketingzwecken vor irgendeinen Karren spannen. Die Kritik an der Aktion ist angesichts der Auswüchse des modernen Fußballgeschäfts nachvollziehbar. Sie offenbart aber auch eine Tendenz, die besonders in den sozialen Medien zunimmt: Solidaritätsgesten reflexartig mit Tugendprotzerei gleichzusetzen.

Die sozialen Medien haben es leicht gemacht, sich durch Zurschaustellung gesellschaftlicher Anteilnahme vorteilhaft zu inszenieren: per Hashtag, Retweet oder Profilbild mit thematischem Filter. Aber reicht es, als heterosexuelle weiße Person am CSD die Regenbogenfahne zu posten oder eine schwarze Kachel gegen Rassismus? Die meisten Solidaritätsgesten sind rein repräsentativ, während konkretere Maßnahmen wie Demonstrationen oder Boykotte Randerscheinungen bleiben.

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Was Kritiker der DFB-Aktion übersehen, ist der Übertragungseffekt, den auch halbherzige oder performative Solidarität haben kann. Selbst wenn jemand Anteilnahme zur Selbsterhöhung nutzt, inspiriert dies vielleicht andere zum Handeln. Damit es bei einem Thema konkrete Fortschritte geben kann, braucht es zunächst Sichtbarkeit. Diese kann in den sozialen Medien hergestellt werden, und Protestbewegungen wie Black Lives Matter oder MeToo haben gezeigt, dass es nicht bei digitalen Lippenbekenntnissen bleiben muss. Wichtig ist eher, dass der eigene Aktivismus nicht die Stimmen von betroffenen Personen übertönt.

Der Vorwurf Narzissmus zielt auf Person - und Anliegen

Natürlich bringt jede Solidaritätsbekundung auch eine gewisse Zurschaustellung der eigenen Person und Ansichten mit sich. Dies apodiktisch als narzisstisch abzutun, zielt aber oftmals nicht nur darauf, die bekundende Person zu diskreditieren, sondern das betreffende Anliegen gleich mit. Es ist ein Ablenkungsmanöver, das nicht selten von rechten Trollen benutzt wird. Das vermeintliche Entlarven der Scheinheiligkeit anderer dient dann wiederum zur eigenen Selbsterhöhung.

Die aktuelle Debatte vermittelt ein falsches Verständnis von moralischer Reinheit. Denn ob Superreiche, die gegen Armut anposten, Vielflieger:innen, die sich ums Klima sorgen, oder eben das Fußballgeschäft, das Menschenrechtsverletzungen kritisiert: Menschliches Handeln ist selten vollkommen ideal und wertekongruent. Eine Prise Bigotterie ist vielleicht eine unvermeidbare Begleiterscheinung der Selbstdarstellung und deshalb auch nur schwer von Solidaritätsbekundungen zu trennen. Vielleicht fängt wahre Solidarität ja damit an, dies zu erkennen und daran zu arbeiten. Und sei es eben mit selbstbemalten Trikots.

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