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Ganz schön flach hier: Der Neusiedler See ist wegen seiner geringen Tiefe gut für Familienausflüge geeignet.

© imago images/Viennareport

So naturnah kann Reisen sein: Weiße Esel am Wiener Meer

Dirk Nowitzki könnte einfach durchlaufen: Der Neusiedler See im Burgenland ist nämlich nur 1,80 Meter tief. Auf Safari mit Uferschnepfen und weißen Eseln.

Von Jonas Bickelmann

Elke Schmelzer steuert den Jeep durch das blühende Grasland. Die Sonne verschwindet orange glühend hinter Quellwolken, während die Rangerin auf einen Turm am Horizont zeigt. Ein ehemaliger Wachposten, ein historisches Relikt im Burgenland. Von dort oben überwachten ungarische Soldaten in den 80er Jahren die Grenze zu Österreich, die einen Abschnitt des Eisernen Vorhangs bildete.

Seit er sich 1989 gelüftet hat, brauchten die Nachbarn den Turm nicht mehr. Er wurde auf ungarischer Seite ab-, ein paar Kilometer weiter wieder aufgebaut und dient nun Vogelkundigen als Aussichtsplattform. Viele von ihnen strömen in Österreichs Osten, in den Nationalpark Neusiedler See, um Vogelarten zu entdecken, die andernorts nicht mehr vorkommen. Löffler, Seeadler, Uferschnepfen.

Baumarme Steppe mit Wasserpfanne

Starker Wind drückt das Federgras nieder, es sind wenige Bäume zu sehen. 300 Sonnentage pro Jahr hat die Region, geringen Niederschlag und einen dichten Schilfgürtel, der ins flache Wasser hineinwuchert. Der See ist höchstens 1,80 Meter tief, ein Basketballer wie Dirk Nowitzki könnte ihn durchwaten und würde nie untertauchen.

Klima und Geografie formen aus dem 36 Kilometer langen und bis zu 14 Kilometer breiten Gewässer mitsamt angrenzendem Gelände eine Extremlandschaft: eine baumarme Steppe mit lauwarmer Wasserpfanne.

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Die selbst aus Berlin mit dem Zug in neun Stunden zu erreichen ist. „Viele haben eine Reise auf die Malediven gemacht, aber waren noch nie in einem Nationalpark Österreichs“, sagt Elke Schmelzer. Sie begleitet Touristen in den Park, „Austrian Safaris“ steht auf ihrem Polohemd.

Die Biologin arbeitet für die St. Martins Therme in Frauenkirchen, etwa acht Kilometer vom Ostufer entfernt. Das Bäderhaus mit angeschlossenem Hotel nennt sich Lodge, als stände es irgendwo in der Serengeti, die Bars sind nach Humboldt und Darwin benannt.

114 Meter über Adria

Hobbyornithologen können sich nahe der Therme auf die Lauer legen und in einer getarnten Hütte mit verspiegelten Fenstern verstecken. Zwei Bachstelzen waten direkt hinter der Scheibe durchs flache Wasser. Es ist still. Sehr still. Als man gerade aufstehen will, flattert ein Graureiher in den blauen Himmel.

Das Burgenland ist das östlichste Bundesland der Alpenrepublik und der westlichste Ausläufer der ungarischen Steppe, der Puszta. Im See findet sich der tiefste Punkt des Landes, nur 114 Meter „über Adria“, wie Schmelzer sagt – und damit an den früher zum Habsburgerreich gehörenden Meereszugang erinnert. Heute ist der Neusiedler See das Wiener Meer, die Badewanne der Hauptstädter, ihr Wassersportparadies, nur knapp 70 Kilometer entfernt.

Die Weißen Esel sind eine Besonderheit des Nationalparks am Neusiedler See.
Die Weißen Esel sind eine Besonderheit des Nationalparks am Neusiedler See.

© Sebastian Freiler

Die Weiten des Burgenlandes beherbergen zwar kein Großwild, aber mit etwas Geduld können Safarireisende Großtrappen beobachten. Der vom Aussterben bedrohte Vogel, der bis zu einem Meter hoch werden kann, fühlt sich in der Steppenlandschaft besonders wohl. In einem etwa 140 Hektar umfassenden Gebiet des Nationalparks, den Kommassantenwiesen, sagt Elke Schmelzer, haben die Trappen ihr Revier. Die Hähne ähneln großen weißen Federpuscheln. In der Balz führen sie erstaunliche Tänze auf.

Insgesamt kommen etwa 370 Vogelarten im Gebiet um den See vor, bis hin zum tropisch bunten Bienenfresser oder dem Pelikan. Aber der fällt unter „A“ wie Ausnahmeerscheinung, so steht es auf der Artenliste der Vogelbeobachter.

Der See ist so lang, dass er ein Gebiet von Potsdam bis Marzahn vollständig bedecken würde. Und dieses Jahr wegen der Trockenheit noch flacher. Seit Beginn der 90er Jahre wurden große Teile des Ufers zum Schutzgebiet erklärt. In der Kernzone greift der Mensch gar nicht mehr ein. Große Gebiete des Graslandes werden von Rinderherden beweidet, Wasserbüffeln und Graurindern mit hoch aufragenden, geschwungenen Hörnern.

Rätsel der Forschung

Fotogen sind die weißen Esel des Nationalparks. Die Tiere geben der Forschung bis heute Rätsel auf. Im Barock waren sie beliebte Haustiere adliger Familien, das weiße Fell habe man mit Licht in Verbindung gebracht, sagt Schmelzer. „Man ist sich heute sicher, dass es kein Farb-Gen ist, auch kein Albinismus. Den gibt es bei Eseln gar nicht.“ Niemand wisse, sagt die Rangerin, wie man es im Barock geschafft hat, die Tiere zu züchten.

Noch ein besonderes Säugetier hat Elke Schmelzer durch das Fernglas entdeckt. Es sieht aus wie eine Mischung aus Hamster und Wiesel. Ein Ziesel. Er, oder wie die Österreicherin sagt, „das Ziesel“, ist selten geworden. Man muss schon mit der Biologin unterwegs sein, um es so schnell zu finden.

Sie lenkt den Jeep zum Campingplatz am St. Andräer Zicksee. Die Wiese am Eingang ist für ihre Zieselkolonie bekannt. „Auch auf dem Weingut Hillinger gibt es viele dieser Tiere“, sagt die Rangerin. Die Erdhörnchen haben Geschmack, die Weine gehören zu den bekanntesten des Burgenlandes.

Elke Schmelzer ist Rangerin im Nationalpark und beobachtet mit Gästen die Tierwelt.
Elke Schmelzer ist Rangerin im Nationalpark und beobachtet mit Gästen die Tierwelt.

© Jonas Bickelmann

Nicht immer gehen Tierschutz und Weinbau zusammen. „Das sind ökologische Wüsten, die Weingärten“, sagt Michael Dvorak am Telefon. Der Vogelkundler arbeitet für die Naturschutzorganisation Birdlife und ist seit Jahren im Burgenland unterwegs. Er macht sich große Sorgen, weil der Bestand der Vogelpopulation abnimmt. „Vor 30 Jahren war die Situation noch viel besser, der jahrzehntelange Verbrauch von Pestiziden könnte eine Rolle spielen.“

Im Burgenland hatte die Natur entlang der Grenze für Jahrzehnte einen Vorteil. Als der Kalte Krieg Europa teilte, gab es wenige Eingriffe durch Menschen. Plötzlich war der Landstrich mittendrin in Europa. Der heutige Nationalpark ist ein länderübergreifendes Projekt, ein Teil liegt in Ungarn, die Grenze verläuft durch den südlichen Teil des Neusiedler Sees.

„Paar Sekunden vor zwölf“, so beschreibt Vogelschützer Dvorak auch die Situation bei einer anderen Naturskurrilität des Burgenlandes: den Lacken. So nennt man die kleinen Salzgewässer am Seewinkel, dem südöstlichen Ufer des Sees. Die Lacken entstanden in der Eiszeit. Sie sind Mulden, in denen Natriumsalze aus dem Grundwasser aufsteigen und dank der sommerlichen Hitze eine Kruste bilden. In Europa gibt es sie sonst nur noch in Ungarn, aus ihnen beziehen Tiere Nährstoffe. Im flachen Wasser fühlen sich massenweise kleine Krebse wohl, ein gedeckter Tisch für Vögel.

Manchmal riecht es nach Meer

Von ursprünglich 120 sind nur noch etwa 30 der Sodatümpel übrig. Im Nationalpark kann man tausende Vögel sehen, wie sie durch die Salzteiche waten. Die Sonne spiegelt sich im Wasser, sodass man meint, eine Fata Morgana zu sehen, einen endlos glitzernden See bis zum Horizont. Wegen des Salzgehalts riecht der Wind manchmal wie das Meer, das eigentlich so fern ist.

Viele Lacken wurden in den vergangenen Jahrzehnten bewusst trockengelegt. Man hielt sie nicht für schützenswert, und das Wasser wurde auf den Feldern dringend gebraucht. Um diese besser zu versorgen, bauten die Menschen Kanäle und zapften damit die Salztümpel an. Das ändert sich gerade, sagt Dvorak, die Bauern haben verstanden, dass die Lacken ein Teil des fragilen Ökosystems sind.

Es ist wichtig, dass die Menschen begreifen, wie einzigartig die Tier- und Pflanzenwelt ist. Selbst die einzigartige Salzflora. Diese äußerlich unscheinbaren Pflanzen, etwa die Salzmelde oder der Glasschmalz, haben eine doppelte Haut, mit der sie das Salz aus dem Wasser filtern. Mit ihrer spezialisierten Lebensweise können sie sich nur in Ökosystemen durchsetzen, die so besondere Bedingungen bieten wie die Landschaften des Burgenlandes.

Seegrund zu Ackerland

Wäre die Habsburger-Monarchie nicht untergegangen, könnte man sie nicht mehr sehen. Es gab konkrete Pläne, um den kompletten Neusiedler See trockenzulegen. Der Seegrund sollte zu Ackerland werden. Das Gebiet zwischen See und ungarischer Grenze, der Seewinkel, hätte eine bessere Anbindung nach Wien bekommen.

Die Idee ist verworfen, die Natur kehrt zu ihrem eigenen Zyklus zurück. Dass die Lacken austrocknen, ist normal. Aber eigentlich erwachen sie von allein wieder zum Leben. Im Herbstregen quellen Tonpartikel im Untergrund auf und dichten ihn ab. Regen sammelt sich dann in den flachen Becken. Allerdings war der letzte Herbst viel zu trocken.

Bienenfresser gehören zu den beliebtesten Fotomotiven der Vogelbeobachter.
Bienenfresser gehören zu den beliebtesten Fotomotiven der Vogelbeobachter.

© Hannah Assil

Unter dem See gehen die Extreme weiter. Hier gibt es die größte Mineralwasseransammlung Europas. Das unterirdische Wasser ist ein Überbleibsel urzeitlicher Ozeane. Im Kern des Örtchens Illmitz am Neusiedler See riecht es manchmal seltsam, ein wenig schwefelig.

Der Geruch kommt aus einem modernen Steinpavillon, wo das Mineralwasser an die Oberfläche dringt. Das Wasser der St. Bartholomäus-Quelle, ein „Natrium-Hydrogencarbonat-Trink-Säuerling“, kommt aus über 200 Metern Tiefe. Es soll bei Verdauungsleiden helfen. Nur an den Geschmack muss man sich gewöhnen.

Warmes Wasser aus der Quelle

Auch in der St. Martins Therme nutzen sie das unterirdische Heilwasser. Es speist aber nicht nur die Spa-Becken. Ein Teil wird in die Natur zurückgeleitet, wo sich neben der Therme eine ausgetrocknete Lacke befindet, die nun langsam aufgefüllt wird. Das begeistert auch Naturschützer Dvorak. „Eine feine Sache“, sagt er und freut sich, dass es der burgenländischen Steppenlandschaft so langsam wieder besser geht.

Elke Schmelzer steht in der Abendsonne neben der Therme. Warmes Wasser aus den unterirdischen Quellen läuft aus einem Überlaufrohr heraus. „Momentan erwacht unsere Lacke wieder“, sagte die Biologin. In zehn Jahren könne der Salztümpel aufgrund der Wasserumleitung wieder intakt sein. Und dann kommen nicht nur Bachstelzen.

HINKOMMEN
Die Bahn braucht etwa acht Stunden von Berlin nach Wien, Sparpreise ab 38 Euro. Von Wien sind es mit der Bahn 40 Minuten nach Neusiedl am See. Austrian Airlines fliegt von Tegel nach Wien, ab 140 Euro.

UNTERKOMMEN
Blick in den Nationalpark bieten die Panoramafenster im Landgasthaus Karlo, Doppelzimmer ab 135 Euro pro Nacht, landgasthaus-karlo.at. In der St. Martins Therme gibt es Doppelzimmer ab 120 Euro pro Nacht, stmartins.at.

RUMKOMMEN
Das Nationalparkzentrum befindet sich in Illmitz. Dort werden regelmäßig Touren durch den Park angeboten. Diese Reise wurde unterstützt von Burgenland Tourismus.

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