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Nichts zu meckern auf dem Windjammer. Die „Lewis R. French“ unterwegs zwischen den malerischen Inseln der Penobscot Bay.

© promo

Segeltörn vor Maine: Bei Sonnenuntergang ist das Glück vollkommen

Schoner wird’s nicht: Die „Lewis R. French“ kreuzt vor der US-Ostküste – mit Touristen an Bord.

Wo die „Lewis R. French“ an diesem Abend ankern wird? Garth Wells, genannt Captain Garth, dieser schlaksige, wettergegerbte und humorvolle Inbegriff eines Segelschiff-Kapitäns, zuckt mit den Schultern und grinst. „Mal schauen, wohin der Wind uns treibt.“ Wenn er denn treibt. Denn an der Küste von Maine herrscht öfter Windstille – die vielen Urlauber in dem beliebten US-Ostküstenstaat genießen deswegen auch mal Temperaturen von mehr als 25 Grad. Segler dagegen könnten es ein bisschen träge finden.

Für die 21 Gäste an Bord der „ French“ wiederum – eine bunte Truppe aus Rentnern, jungen Lehrern, Künstlern, auch ein Fischer ist dabei – heißt es vor allem: noch mehr Ruhe. Und das ist vielleicht das größte Geschenk auf dieser Reise.

De und Jan Herman, die in einem Vorort der amerikanischen Hauptstadt Washington leben, fahren bereits zum fünften Mal auf diesem Schiff mit. „Es ist einfach so entspannend hier, wo sonst kann man so gut abschalten?“, sagt De. „Die Verpflegung ist fantastisch, und es ist toll, so viele interessante Leute kennenzulernen“, ergänzt ihr Mann, ein Historiker, der in den kommenden Tagen eine Anekdote nach der anderen mit seinen Mitseglern teilen wird. De dagegen genießt es, einfach nur zu lesen. Sie hat die letzten Jahre mit Hospizarbeit verbracht und versucht gerade herauszufinden, welche Aufgabe als nächstes auf sie wartet. Die Tage auf See kommen ihr da gerade recht.

Kopfüber in den eiskalten Atlantik

Es lässt sich herrlich faulenzen auf den polierten Holzplanken des historischen Zweimasters – mit Baujahr 1871 einer der beiden ältesten noch im Dienst befindlichen Windjammer Amerikas und seit 1991 unter Denkmalschutz. Handytelefonate sind untersagt – auch wenn es Netz gibt –, ab 21 Uhr heißt es in den 13 Kabinen im Unterdeck: Bettruhe! Dann sollte nur noch geflüstert werden.

Die Tagesordnung des viertägigen Segeltörns durch die Insellandschaft der Penobscot Bay vor Maine ist an windarmen Tagen besonders überschaubar: Bücher verschlingen, mit den Mitreisenden über Gott und die Welt (und wohl oder übel auch über Donald Trump) plaudern, durchs Fernglas Schweinswale, Möwen und Robben beobachten. Oder einfach nur auf den bequemen Sitzkissen fläzen, sich sonnen und die weißen Segel vor blauem Himmel bewundern. Zur Abkühlung lockt der Sprung in den eiskalten Atlantik, kopfüber, wer sich traut. Das tun erstaunlich viele Gäste.

Damit die „Lewis R. French“ an diesem Abend doch noch eine geschützte Bucht erreicht, kommt das Beiboot „Greyhound“ ins Spiel, das den einzigen Motor des Segelschiffs besitzt: An Flaute-Tagen schiebt die „Greyhound“ die alte Dame wacker vor sich her. Dieses Mal bis vor das Fort Point, das auf einer bewaldeten Halbinsel liegt. Der 1857 erbaute Leuchtturm, strahlend weiß wie für Maine typisch, schmiegt sich an ein Ensemble aus ebenso weißen Wächterhäuschen. Ziel erreicht, der Anker fällt auf Grund.

Schlafen an Deck – bei Vollmond ein Muss

Gestartet ist das Schiff zwei Tage zuvor im Hafen von Camden. Das 5000-Einwohner-Städtchen mit seinen bunten Holzhäusern, historischen Schonern und so manch spektakulärer Jacht ist einer der Touristen-Hotspots von Neuengland – dreieinhalb Autostunden von Boston entfernt. Die erste Nacht verbringen die Gäste bereits an Bord des Windjammers, wenn auch noch im Hafen. Zeit, sich im schummrigen Licht der Laternen und bei selbst mitgebrachtem Bier und Wein schon mal ein bisschen kennenzulernen. Immerhin verbringt man die nächsten Tage zusammen auf engstem Raum.

Die Enge beginnt auf den Stufen der schmalen, steilen Holzleitern, die nach unten zu den spartanischen Kabinen führen, in die kaum ein Koffer passt – gut, wenn man an den weichen Seesack gedacht hat. Nachts ungestört schlafen lässt sich nur mit Ohrstöpseln. Die Wände sind papierdünn, man hört die Nachbarn in der nächsten Koje atmen – und die Wasserspülung der Toiletten an Deck. Zum Waschen und Zähneputzen gibt es in der Kabine nur ein kleines Becken, in das auf Knopfdruck kaltes Wasser tröpfelt. Geduscht wird mit einem Schlauch in einer der Toiletten, nach Anmeldung bei der Crew steht hier zwischen 9 Uhr morgens und 21 Uhr Warmwasser zur Verfügung. Das klappt besser als gedacht, eine Schlange gibt es eigentlich nie.

Die Laune an Bord trübt all das ohnehin nicht, die meiste Zeit verbringt man oben an der frischen Luft. Wer Lust und an seinen Schlafsack gedacht hat, kann sogar auf dem knapp 20 Meter langen Deck übernachten, vor allem bei Vollmond ist das fast ein Muss.

Der kulinarische Höhepunkt der Reise: Hummer vom Lagerfeuer

Der Tag an Bord beginnt früh. Ab halb sieben gibt es Kaffee und Muffins, um 8 Uhr 30 dann das „richtige“ Frühstück, gerne mit den beliebten Blaubeer-Pfannkuchen. Schon ab halb fünf rumort es geschäftig in der Küche. Dort vollbringt die 24-jährige Katharine Keller wahre Wunder. Auf einem alten Holzofen zaubert sie die herrlichsten Mahlzeiten: von selbstgebackenem Brot, Quiches und Brownies über Suppen, Salate bis zu Huhn und Rinder-Stew.

Der kulinarische Höhepunkt der Reise wiederum fordert die Schweizerin, die von Zürich nach Kalifornien gezogen ist und nach ihrem Studium eine Auszeit auf See nimmt, am wenigsten: Dutzende Hummer für das Dinner am ersten Abend auf einer einsamen Insel kochen in einem riesigen Alutopf über dem Lagerfeuer am Strand vor sich hin. Warm gehalten werden sie anschließend von einer Decke aus Seegras, mindestens so lange, bis August, mit neun Jahren der ältere der beiden Kapitänssöhne, auch seinen fünften Lobster verspeist hat. Sein Rekord? Acht ganze Hummer. Die erwachsenen Mitreisenden staunen, kaum einer traut sich, da mitzuhalten. Außerdem gibt es ja noch Gemüse, Hamburger und sehr rote Hotdogs – eine Spezialität, die man Kapitän Wells zufolge unbedingt probieren müsse, genauso wie „Moxie“, ein kräuteriges, colaartiges Getränk, angeblich der offizielle Softdrink des Bundesstaates. Die meisten ziehen Wasser vor.

Am nächsten Tag steht ein Landgang an, gerade rechtzeitig, bevor das lange Stillsitzen lästig werden könnte. Das Ziel: die „Wooden Boat School“ im Küstenort Brooklin auf der anderen Seite der Bucht. Hier können Interessierte in mehrtägigen Kursen alles rund um die traditionellen Holzboote lernen. Oder sich gleich ein eigenes Kanu bauen.

„Ich würde am liebsten immer hier an Bord sein“

Kapitän Wells hat auf diese Reise ausnahmsweise seine Familie mitgenommen. Seine Frau Jenny Tobin, 45 Jahre alt wie ihr Mann, ist ebenfalls Kapitänin – „ihr Patent hat sogar eine höhere Stufe als meins“, gibt Wells lachend zu. Sie kümmert sich allerdings normalerweise im Büro an Land um das Geschäftliche. Doch ab und zu kommt sie mit, und dann natürlich samt der beiden Jungs. Noch sind Schulferien, außerdem fühlen sich August und der fünfjährige Sanden auf See ohnehin wohler als an Land. „Ich würde am liebsten immer hier an Bord sein“, sagt August, der nebenbei erwähnt, dass er „natürlich“ schon auf den einschüchternden rund 25 Meter hohen Mast geklettert ist. Genauso eigenständig bugsiert der Lockenkopf das Motor- sowie das Ruderboot über den Atlantik.

Auch die Gäste dürfen mal rudern, genauso wie ihre Mitarbeit beim Ankerlichten und Segelhissen und -einholen gefragt ist. Und bei der Herstellung von Vanilleeis, ein langwieriger Vorgang, an dem alle teilhaben – „sonst gibt’s kein Dessert heute“, mahnt der Kapitän. Während er höchstpersönlich auf der „Eismaschine“, einem runden Holztrog, hockt, um sie ruhig zu halten, wechseln sich die Gäste dabei ab, die Kurbel zu drehen, so lange, bis die milchige Masse dank der untergerührten Eiswürfel gefriert.

Kommt man im richtigen Moment vorbei, darf man „Captain Garth“ auch mal das hölzerne Steuer aus der Hand nehmen und den Schoner unter seinen Anweisungen durch die Wogen geleiten. Geht die Reise nach Westen und dabei noch die Sonne unter, ist das Seglerglück vollkommen. Und ein tiefer Stolz stellt sich wohl bei jedem ein, der dieses Prachtschiff lenken darf.

Die Crew besteht nur aus Frauen

Die „French“ ist Bewunderung gewohnt: Gleitet sie durch die an die schwedischen Schären erinnernde Insellandschaft, vorbei an riesigen, vom Meer glattgeschliffenen Felsen, dichten Nadelwäldern, Holzhäusern und anderen Segelbooten, zücken Passanten immer wieder ihre Handys, um den historischen Windjammer zu fotografieren. Er ist ja auch ein Anblick! Wells und seine Frau, die den Schoner vor 16 Jahren gekauft haben, verbringen die Hälfte des Jahres damit, das Schiff instandzuhalten und herauszuputzen.

An Bord ist es die Aufgabe der Crew, die vielen Details zu pflegen: die schwere Messingglocke, mit der die Gäste zum Essen an Deck gerufen werden, die alten Piniendielen, die eingravierten Inschriften. Alles an ihr soll so aussehen wie immer in ihrer 148-jährigen Geschichte, in deren längster Zeit die „French“ Fracht von einem Ostküstenhafen zum anderen transportiert hat: Holz, Fisch, Granit, Kalk- und Ziegelsteine. Erst seit 1974 befördert sie Passagiere, nachdem sie zuvor drei Jahre lang aufwändig umgebaut und restauriert wurde.

Mit zur Crew gehört bei diesem Trip neben Katharine Keller noch die 25-jährige „First Mate“ Darcy Cogswell aus Connecticut, die das Schiff steuert, wenn Wells anderweitig beschäftigt ist. Und dann ist da noch „Messmate“ McKenzie Kimball. Die 26-Jährige aus Colorado packt überall mit an, ihr herzhaftes Lachen ist bis in den letzten Winkel des Schiffes zu hören. Dass er eine reine Frauen-Crew beschäftigt, findet der Käptn nicht weiter bemerkenswert. „Diese Frage wurde mir bei Männern nie gestellt“, sagt er.

Ready on the throat? Ready on the peak?

Ein bisschen dauert es, bis Segel-Laien – und das sind die meisten Gäste – verstanden haben, was die Befehle an Bord bedeuten. Um das Hauptsegel zu setzen, fragt die Steuerfrau die zwei aufgereihten Gruppen: „Ready on the throat? Ready on the peak? Haul away peak and throat!“ Bei der Erklärung hilft das Internet. Zum Setzen des Großsegels müssen bei der Gaffeltakelung das Klaufall („throat“) und das Piekfall („Peak“) bedient werden. Mit Gaffel ist ein verschiebbares, an einem Mast befestigtes und schräg nach oben ragendes Rundholz gemeint. Dieses wird angehoben, indem Crew und Gäste an den Fallen ziehen, das sind Taue, mit denen die Segel hoch- und runtergelassen werden.

Nach dieser anstrengenden Übung freut man sich wieder aufs Nichtstun. So geht das tagelang. Bis zu dem Moment, als Captain Garth seine letzte Ansprache an Bord hält: „Wir sind so dankbar, dass ihr uns dabei helft, die ,French‘ weiter betreiben zu können. Ihr wart ein tolles Team!“ Dann läuft der schönste Schoner der Ostküste wieder in seinen Heimathafen ein.

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