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Mit dem neuen Gesetz sind Facebook & Co. verpflichtet, Hasskommentare im Netz innerhalb von 24 Stunden zu löschen.

© imago/photothek

Sebastian Leber schaltet nie ab: Das bisschen Hetze

Herziehen über Dunkelhäutige und Juden: Kein Verstoß. Selbst die Forderung, Angela Merkel zu erschießen, stört Twitter offenbar nicht. Was das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wirklich taugt.

Eine Politikerweisheit lautet: Wird eine Reform von allen Seiten gleichermaßen kritisiert, kann sie so falsch nicht sein. Weil sie dann ja ausgewogen ist und also gerecht. Ein aktuelles Beispiel für die Quatschigkeit dieser These heißt Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG. Wer es nicht mitbekam: Um Hetze in sozialen Netzwerken zu reduzieren, müssen veröffentlichte Beiträge, die von anderen Nutzern gemeldet wurden, nun innerhalb von 24 Stunden vom Betreiber der jeweiligen Plattform überprüft und gegebenenfalls gelöscht werden.

Kritik am Gesetz kommt einerseits, na klar, von den Wutbürgern. Begründung: Zensur!!!1!!l1!1!! Andererseits fürchten auch ernst zu nehmende Digitalexperten, dass zunehmend legale Inhalte gelöscht werden, weil die Betreiber ja Strafen vermeiden wollen und daher im Zweifel lieber ein paarmal zu viel als einmal zu wenig einschreiten. Wieder andere kritisieren, systematisches Löschen behindere die Strafverfolgung, da es Beweise vernichte. Einen volksverhetzenden, aber bereits entfernten Tweet bringt schließlich niemand zur Anzeige, das Veröffentlichen bleibt folgenlos. Das ist so, als zeigte jemand auf der Straße den Hitlergruß, und die Polizei wiese ihn lediglich an, den Arm runterzunehmen.

Zeit für einen Test

So weit die Theorie. Wie aber wirkt sich das NetzDG tatsächlich aus? Zeit für einen Test.

Samstagabend schreibt ein gewisser „Onkel Marcus“ auf Twitter: „Egal, welches Business Deutsche anpacken, es wird krass und zu Gold. Egal, was Niggers anpacken – es stinkt nur, infiziert sich direkt und stirbt einen langsamen Tod.“ Acht Klicks und meine Meldung ist abgeschickt. Twitter reagiert schnell, nach fünf Stunden die Antwort: „Wir haben den gemeldeten Inhalt untersucht und konnten keine Verletzung der Twitter-Regeln feststellen.“ Der Spruch bleibe so stehen. Zum besseren Verständnis, was Hetze überhaupt ist, fügt Twitter gleich noch einen Link zu seinem Regelwerk bei. Da erfährt man viel über demokratische Werte und Toleranz, und tatsächlich: Nirgends steht explizit, man dürfe nicht über Nigger herziehen. Sorry, mein Fehler.

Prüfen da wirklich Menschen?

Vier Tage später gibt Nutzer @am0reborn eine Verbraucherwarnung heraus: „Niemals ein Babyphone kaufen, die Juden haben das so programmiert, dass nachts geheime Ultraschallwellen aus dem Gerät euer Baby beeinflussen und versklaven .“ Wieder gemeldet. Antwort von Twitter: kein Verstoß feststellbar.

So geht’s weiter. Die Forderung, Angela Merkel zu erschießen, stört Twitter nicht. Dass der Nutzer „Germanenschlachter88“ einen Text über Juden verbreitet, garniert mit dem Satz: „Keiner von ihnen starb im Holocaust, obwohl sie es definitiv verdient gehabt hätten“, hält Twitter für harmlos. Prüfen da wirklich Menschen? Oder hat jemand Homer Simpsons wippenden Specht vor die Tastatur gestellt, der nun ständig mit dem Schnabel auf die Harmlos-Taste klopft?

Dann doch ein kurzer Hoffnungsschimmer. Nutzer @Schmitt19870019, laut Selbstbeschreibung „nicht pigmentgestörter Europäer“, hatte mehrfach zu körperlicher Gewalt gegen Schwule und Nichtdeutsche aufgerufen. Auf die Meldung antwortet Twitter tatsächlich: „Bei unseren Nachforschungen haben wir festgestellt, dass dieser Account gegen die Twitter-Regeln verstößt.“ Anschließend passiert genau nichts. @Schmitt19870019 darf weitermachen wie bisher. Gerade schreibt er, in Deutschland habe jetzt das erste muslimische Bordell eröffnet. Dazu postet er das Bild eines Eselstalls.

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