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Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten müssen nun praktische Fragen beantworten. (Archivbild März 2020)

© dpa

Scheingefechte um Grenzwerte: Wenn Corona weiterherrscht, ist es Staatsversagen

Der Gipfel muss die Wende einleiten: Weg von der Detail-Regelung des Lockdowns – hin zu der Frage, wie Tag und Nacht jeder Tropfen verimpft wird. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sidney Gennies

Ist noch März oder ist schon wieder März? Die Frage kann man sich stellen, wenn an diesem Mittwoch die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten einmal mehr beraten, wie es weitergehen soll – ein gutes Jahr nach Beginn der Pandemie in Deutschland.

Der Lockdown soll verlängert werden, ein paar Lockerungen soll es geben, so viel ist vorab schon durchgesickert. Die einen – wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder – warnen vor dem Öffnungsrausch, die anderen – wie Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff – mahnen, die Menschen seien erschöpft, Politik müsse darauf schauen, ob die Bürger noch die nötige Disziplin und Motivation aufbringen.

Das eigentlich Ermüdende ist nicht der Lockdown

Alles wie immer also: Statt sich darauf zu konzentrieren, wie die Lockdown-Maßnahmen überflüssig gemacht werden können, streitet die Politik darüber, wie sie gerechtfertigt und am besten verkauft werden. Das ist das eigentlich Ermüdende.

Denn während das immer gleiche Scheingefecht geführt und um Grenzwerte gefeilscht wird, hat sich die Lage grundsätzlich verändert. Es geht nicht mehr darum, die reine Lehre der Wissenschaft gegen das politisch Zumutbare abzuwägen wie im vergangenen März. Alle Instrumente, den Krisenzustand zu beenden, liegen mittlerweile auf dem Tisch: Impfen, Testen, digitale Kontaktverfolgung. Nur von allem zu wenig, zu langsam, zu spät.

Positiv: die Regierung hat den Impfstoff nicht verhindert

Im Grunde ist es ganz einfach. Wer viel verlangt, muss auch viel leisten. Den Bürgern ist viel zugemutet worden. Kontaktbeschränkung, Reisebeschränkung, finanzieller Ruin. Am Düsseldorfer Rheinufer darf man nicht mal mehr stehen bleiben. Polizei und Ordnungsämter sind beauftragt, Verstöße zu ahnden, egal wie nachvollziehbar die Regeln sind. Und dennoch ertrugen und ertragen das nicht nur die meisten stoisch, sie sind auch in Vorleistung gegangen.

Mit Hygienekonzepten, Disziplin, Verständnis. Im gleichen Zeitraum kann die Bundesregierung – bei Lichte betrachtet – für sich nur ins Feld führen, die schnelle Entwicklung hochpotenter Impfstoffe wenigstens nicht aktiv verhindert zu haben.

Insofern ist es bemerkenswert, dass Kanzleramtsminister Helge Braun fragt: „Warum muss in Deutschland immer alles der Staat anbieten?“

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Sicher nicht alles, aber irgendetwas müsste der Staat schon anbieten. Zumal ein Staat, der erst zu wenig Impfstoff bestellt, das Wenige, das er bestellt, dann schlechtredet und den Menschen, die trotzdem noch mitmachen wollen, nicht einmal rechtzeitig ein Impfangebot machen kann. Ein Staat, der die Schulen öffnet, bevor er sicherstellt, dass es genug Tests gibt. Ein Staat, der mehr als 20 Millionen in eine Corona-App investiert, die zur Kontaktverfolgung nicht taugt. Unterdessen warten allein in Berlin 30 Prozent der Unternehmer im März noch auf ihre Novemberhilfen. So ein Staat sollte sich nicht wundern, dass „die Leute die Schnauze voll“ haben, wie Hessens Volker Bouffier formuliert, sondern froh sein, dass die Einzelhändler ihrem Unmut nur auf dem Rechtsweg Luft machen.

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Der Gipfel muss deshalb eine Wende einleiten. Weg von der Frage, mit welchen Tricks ein zumutbares Leben trotz der Gefahr des Virus ermöglicht werden kann, hin zu der Frage, wie die Gefahr effektiv und schnell beseitigt werden kann. Also zu der Frage, warum in Deutschland nicht Tag und Nacht bis zum letzten Tropfen geimpft wird. Wie jeder Arzt, jede Ärztin, jeder Bundeswehrsanitäter und jede Medizinstudentin, die eine Spritze oder ein Teststäbchen halten können, mobilisiert werden. Wie die Impfzentren mit Software ausgestattet werden, die sie bei der Terminvergabe nicht wahnsinnig macht.

Es sind ganz praktische Fragen. Die Zeit der Glaubensfragen ist vorbei. Dass die Corona-Pandemie vor einem Jahr ins Land kam, war höhere Gewalt. Darauf können sich die politisch Verantwortlichen jetzt nicht mehr berufen. Wenn die Pandemie uns nun weiter beherrscht, ist es Staatsversagen.

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