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Edin Hasanović, 28, ist ein deutsch-bosnischer Schauspieler, der in Berlin lebt.

© imago/Eibner

Schauspieler Edin Hasanović im Interview: „Durch meinen Kopf fährt ein kleiner ICE“

Er heult beim „König der Löwen“ und probte schon die Oscar-Rede. Schauspieler Edin Hasanović über einen schweren Unfall und bosnische Herzensmusik.

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Edin Hasanović, 28, ist ein Berliner Schauspieler. Bereits mit 21 war er für den Deutschen Filmpreis nominiert, als cholerischer Krimineller im Drama „Schuld sind immer die Anderen“. Fünf Jahre später moderierte er die Verleihung der „Lola“ zusammen mit Iris Berben, er war damit der jüngste Moderator in der 70-jährigen Geschichte des Preises. Am 24. April wird er erneut durch die Gala führen, diesmal allein – und wegen der Coronakrise ohne Publikum. Die ARD strahlt die Veranstaltung am selben Abend um 22.15 Uhr aus.

Herr Hasanović, wo erwischen wir Sie gerade?
In meiner Berliner Wohnung. Falls Sie im Hintergrund ein Bellen hören, ich bin seit wenigen Tagen Hunde-Papa. Kuno, Old English Bulldog, zehn Wochen alt. Deshalb lehnt auch der Teppich an der Wand. Kuno ist noch nicht stubenrein. Ich wollte immer einen Hund, jetzt habe ich genug Zeit, um mich mit einem Welpen zu beschäftigen.

Am 24. April moderieren Sie zum zweiten Mal den Deutschen Filmpreis, außerdem sind Sie derzeit auf Netflix in der Hip-Hop-Serie „Skylines“ zu sehen. Haben Sie schon einen Rap für den Abend?
Nein, rappen konnte ich nie. Ich war in der Serie ja der Typ, der die Beats macht. Und nicht mal das wirklich: Meine Hände wurden bei Nahaufnahmen von einem sechsfachen Weltmeister im DJing gedoubelt. Die Geschwindigkeit, mit der Profis auf der Bühne Beats erzeugen, konnte ich mir schwer aneignen. Ich habe mir jedoch abgeguckt, wie entgleist man dreinschaut, während man sich in seiner Kunst verliert.

Dafür haben Sie bei „Rap am Mittwoch“ recherchiert, einer Partyreihe am Schlesischen Tor.
Hip-Hop ist so gar nicht meine Welt. Ich hatte oft Probleme damit, weil ich zu genau hinhöre bei den Texten: lila Scheine, geiles Outfit – das stört mich. Sobald ich den Habitus durchschaut habe, empfinde ich Fremdscham. Wenn die mit dicken Autos, Jogginghosen und Hoodies so tun, als seien sie cool. Ich wünschte, die würden mal darüber rappen, dass es cool ist, sein Abi zu machen. Wir hatten zum Glück tolle Rapper am Set, da musste ich meine Vorurteile überdenken.

Azad und Olexesh spielen mit.
Manchen von ihnen mussten wir erst mal erklären, dass man auf einer Probe die Handys weglegt. Aber wir wollten sie auch nicht zu stark einschränken, damit sie organisch bleiben. Ich werde nie vergessen, wie Olexesh in der Studioecke über den Texten für seine Rolle brütete und mich um Rat fragte. Er hat sich so ins Zeug gelegt, das hat mich gerührt.

Was haben Sie von den Rappern gelernt?
Ich bin ein ziemlicher Kopfmensch, ich überlege zehnmal, bevor ich etwas mache oder sage. Am Set hatte ich das Gefühl, ich kann mir eine Scheibe von deren Lässigkeit abschneiden. Viele spielten uns erfahrene Schauspieler an die Wand. Weil die ohne Nachdenken loslegten. Das war mega.

Sind Sie von Natur aus angespannt?
Durch meinen Kopf fährt immer ein kleiner ICE. Und mich berühren Sachen schnell. Letztens wartete ich mit meinem Auto an der Ampel und beobachtete einen alten Mann, der die Straße überquerte, plötzlich wie in Zeitlupe hinfiel und sich danach am Kopf festhielt. Zum Glück standen sofort zehn Leute um ihn herum. Mich hat das eine Stunde lang nicht losgelassen. Ganz viele Bilder fluteten meinen Kopf. Wie hätte ich helfen können, hätte ich ihn ins Krankenhaus fahren müssen? Das hat mein System einmal durchgerüttelt.

Am 24. April moderiert Edin Hasanović den Deutschen Filmpreis.
Am 24. April moderiert Edin Hasanović den Deutschen Filmpreis.

© Jens Koch

Weinen Sie schnell bei Filmen?
Bei „König der Löwen“, wenn Mufasa stirbt, heule ich. Sobald der kleine Löwe zaghaft fragt: Papa, Papa? Ist hier jemand? Aber auch auf Melodien reagiere ich stark. Mich hat bosnische Musik geprägt, Mama hat immer alte Volkslieder gesungen. Gerade eben, vor unserem Gespräch, hat sie mir Videos geschickt, wie sie zu Hause trällert.

Sie waren drei Monate alt, als Ihre Mutter 1992 mit Ihnen aus dem Krieg in Bosnien nach Berlin geflohen ist. Was löst diese Musik in Ihnen aus?
Ich mag diese altertümliche, naive Liebe, die darin besungen wird: „Aus der Entfernung habe ich die Frau gesehen, sie hat mir den Kopf verdreht.“ Da ist niemand halbnackt, da wird nicht alles sofort ausgesprochen. In Bosnien ist das eine eigene Musikrichtung, Sevdalinka.

Wenn das in der Kneipe läuft, werden sich die Pulsadern vor Schmerz aufgeschnitten. Diese Leidenschaft feiere ich. Meine Mutter hat mir davon erzählt, wie sie mit meinem Papa damals im Dorf gelebt hat und auf fünf Meter Entfernung war klar, dass sie zusammengehören.

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Ihre Mutter ist in einem Land groß geworden, das es nicht mehr gibt: Jugoslawien. Was hat sie Ihnen von diesem untergegangenen Reich erzählt?
Nur Positives. Dass es völlig egal war, ob du Bosnier, Kroate oder Serbe bist. Das Dorfleben in den 70er und 80er Jahren war sehr unschuldig. Viel Arbeit, viel Familie. Heute denken die Menschen zurück an diese Zeit – aber niemand kann vergessen, wie sich in den 90ern plötzlich Nachbarn, die einst friedlich miteinander zur Schule gegangen waren, aus den Häusern drängten.

Kroaten oder Serben sind Sie zum ersten Mal durch Ihre Arbeit begegnet. Wie fühlte sich das an?
Komisch. Beide Seiten spüren sofort: Uns verbindet eine schlimme Vergangenheit. Ich als Bosnier habe die einfachere Position, weil der Serbe sich eher rechtfertigen muss, wo er zu Kriegszeiten war. Er gehört der Nation an, die mir meinen Vater genommen hat.

Solche Begegnungen waren immer unangenehm, bis ich im Maxim Gorki Theater das Stück „Common Ground“ gesehen habe, mit vielen Leuten aus Ex-Jugoslawien. Ein serbischer Schauspieler erzählt darin von einer Unterhaltung mit einer vergewaltigten Bosnierin, er hatte am Ende des Gesprächs das Gefühl, er müsse sich für etwas entschuldigen, womit er nichts zu tun hatte. Das hat mich nachdenklich gemacht.

Entschuldigen sich die Leute auch bei Ihnen?
Ja, oft. Als ich mit sieben Jahren zum ersten Mal in meiner Geburtsstadt Zvornik und mit meiner Mutter auf einem Amt war, da hat sich der Kindskopf in mir jeden Mann als den Mörder meines Vaters vorgestellt. Ich musste mich danach übergeben. Inzwischen weiß ich, dass ich genauso wenig dafür kann wie ein gleichaltriger Serbe oder Kroate. Deshalb erwarte ich keine Entschuldigung, uns neue Generation sehe ich in der Verpflichtung, Liebe zu verbreiten.

Für meine Familie in Bosnien ist das schwieriger. Meine Oma hat drei Söhne im Krieg verloren. Wir fahren durch Gebiete, wo sie mir erklärt: Von rechts haben die Serben geschossen, von links unsere Männer. Überall Gräber, Einschusslöcher. Ich verstehe, dass sie in ihrem Alter nicht so differenziert da drauf schauen kann.

Jedes Jahr am 1. Juni gedenken Sie Ihres Vaters, der an diesem Tag verschleppt und anschließend ermordet wurde. Wann haben Sie zum ersten Mal verstanden, was damals passiert ist?
Ich bin mit diesem Wissen aufgewachsen. Wir haben in der Familie immer darüber geredet. Aber vor zwei Jahren wurde das noch mal aufgewirbelt. Da hatte ich mit 26 einen schweren Unfall auf Gran Canaria – so alt war mein Papa, als er starb.

Was ist passiert?
Am dritten Tag meines dreiwöchigen Urlaubs hatte ich mit Freunden Golf-Buggys ausgeliehen. Eine Freundin verwechselte Gas und Bremse, wir rasten einen Berg runter, ich bin 20 Meter in die Tiefe gestürzt, und am Ende flog der Buggy auf mich drauf. Meine Beine waren offen, ich hatte tiefe Schnittwunden und durchtrennte Nerven. Als meine Freunde den Buggy anhoben, sagte ich: Ich muss meine Agentur anrufen, wir müssen Netflix sagen, dass die mich umbesetzen müssen. Das war vor dem Dreh zu „Skylines“. Wenn ich zurück gucke: Was für Prioritäten ich hatte!

Der Körper ist eben Ihr wichtigstes Instrument.
Ja, aber ich habe erst an die Arbeit gedacht und nicht an meine Gesundheit. Ich hatte 2018 durchgeackert, mir keine Zeit genommen, um zur Ruhe zu kommen. Dann fällt man auf die Schnauze – und das bin ich. Fast drei Wochen saß ich im Rollstuhl.

Haben Sie Ihr Leben danach verändert?
Erst mal habe ich beschlossen, zwischen Projekten Pausenzeiten einzubauen. Und ich habe begonnen, mich anders mit meiner Geschichte zu beschäftigen. Es kann nicht sein, dass ich in Interviews darüber rede, als wäre ich abgestumpft. Ich las die Artikel und merkte, dass der Tod meines Vaters dazu benutzt wurde, Trauer zu erzeugen. Er ist mir viel mehr wert als das. Er ist mir heilig.

Sie haben ihn nie bewusst gesehen. Kann man jemanden lieben, den man nie kennengelernt hat?
Wenn man merkt, dass man ihm unfassbar ähnlich ist, optisch und in seinem Habitus, fühlt man sich dieser Person sehr nahe. Dass einen die Oma plötzlich mit seinem Namen anspricht. Vielleicht ist durch diese Abstinenz eine Verbindung entstanden. Durch das Bewusstsein, dass sich unsere Seelen gerade so verpasst haben. Ich komme, er geht.

Man redet darüber, er ist omnipräsent. Wie eine erfundene Comicfigur. Aber es gibt nicht mehr als fünf Bilder von ihm, einen Nassrasierer, einen Ring und einen Anhänger, auf dem er für meine Mutter „Ich liebe dich“ eingraviert hat.

Saša Stanišić, der deutsch-bosnische Schriftsteller, hat für seinen Roman „Herkunft“ letztes Jahr den Buchpreis erhalten ...
... Moment, hier habe ich das Buch!

Er schreibt vom Identitätsstress. Was meint er?
Das kommt für mich von außen, den machen wir uns nicht selber. Nur andere fragen mich: Was ist Heimat für dich? Das gibt mir das Zeichen, dass ich hier nicht wirklich angekommen sei. Nach meiner Rede bei der Goldenen Kamera 2016 kamen so viele Anfragen, ich fühlte mich ghettoisiert, als gehörte ich nicht hierher.

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Die Rede wurde viel zitiert, Sie sagten ...
... wie viel Potenzial die Leute, die gerade ins Land kommen, hätten, wenn man ihnen mit offenen Herzen und Armen begegnen würde. Seitdem werde ich noch öfter gefragt, woher ich „eigentlich“ komme. Ich bin Berliner, verdammt, hier aufgewachsen. Wenn ich „wir“ sage, meine ich Deutschland – und eben auch Bosnien. Ich will mich da nicht festlegen müssen. Hey, ich habe einen Pass, füge mich dem Grundgesetz, den Regeln hier und liebe sie. Leck mich am Arsch, Deutschland ist mein Land, da bin ich froh und stolz drauf.

Sie reden sich gerade in Rage.
Nur weil mein Name mit -ić endet, wird oft versucht, aus Paul einen Boris zu machen. Ich würde mich freuen, wenn das eines Tages kein Thema mehr ist, wenn wir über Schauspielerei, meinen Hund und nicht immer über diese Identität reden. Das stresst mich. Das müssen Sie jetzt leider aushalten. Aber von Bosnien heute erzähle ich gern.

Jedes Jahr fliegen Sie runter. Was machen Sie als Erstes, wenn Sie ankommen?
Ich miete mir ein Auto und fahre zu meiner Familie. Ich kurbel die Fenster runter, esse an einer bestimmten Ecke einen Börek und überrasche Oma und Opa. Ich liebe diesen Moment, wenn ich das Haus betrete, dessen Tür nie verschlossen ist, und in ihre Gesichter schaue, die kurz einordnen müssen: Wer ist dieser bärtige Mann?

Bosnien gilt als „failed state“ und hat eine Arbeitslosenquote von etwa 20 Prozent. Fahren Sie mit schlechtem Gewissen zurück nach Berlin?
Aber so was von. Noch vor drei Jahren waren die Dörfer voll von gleichaltriger Verwandtschaft. Letztes Jahr waren sie wie leer gefegt, nur noch die Generation Ü-60 bleibt. Alle anderen arbeiten in Belgien, Österreich, Holland, Frankreich ...

Meine Cousins haben an 365 Tagen im Jahr nichts zu tun. Das ist für mich, der mit zwölf angefangen hat zu drehen, absurd. Wie wird das bloß in 20 Jahren sein, wenn die Älteren gestorben sind? Was bleibt von diesem Land, wer baut das auf, wer achtet nicht nur auf seinen eigenen Profit?

Haben Sie das Gefühl, Sie müssten helfen?
Dem Land kann ich nicht helfen, aber meinen Verwandten biete ich es an. Wenn mein Cousin gerade einen Unfall hatte, das Auto Vollschrott ist, versuche ich, unter die Arme zu greifen.

Moderiert am 24.April erneut den Deutschen Filmpreis - diesmal ohne Publikum: Edin Hasanović.
Moderiert am 24.April erneut den Deutschen Filmpreis - diesmal ohne Publikum: Edin Hasanović.

© Jens Koch

Sie wiederum dürfen Ihren Traumberuf ausüben: Schon als Siebenjähriger wollten Sie Schauspieler werden und haben eine Oscar-Dankesrede gehalten.
Ich habe mir ein Sofa als Pult hingestellt, mich verbeugt, meiner Mutter und dem lieben Gott gedankt: Danke für alles, was ihr bisher für mich getan habt! Meine Mutter war als Kind total schüchtern und hat alles daran gesetzt, dass ich anders werde. Edin singt jetzt, hieß es auf Familienfeiern.

Ich habe mich nie geziert: Yes, welches Lied darf es heute sein? Auch am Set pusht mich das total, wenn wir mit 30 Komparsen mitten am Kudamm drehen. Dann denke ich: Los jetzt! Privat kann man mich immer nachts um drei mit einer Party locken. Da habe ich totale Fomo ...

... fear of missing out.
Ich bin der Letzte auf der Party, weil ich Schiss habe, selbst todmüde etwas zu verpassen.

Sie gehen doch gar nicht gern aus.
Nein, die Partys passieren in meiner Wohnung, ein Zusammensein mit Freunden. Ich bin zu empfindlich für Clubs: diese Geräusche, diese Enge.

Wie kompensieren Sie Feiern in Zeiten von Corona?
Ich habe angefangen, nach Bob Ross zu malen. Das ist dieser Maler, dessen DIY-Videos jemand auf Youtube hochgeladen hat. Ich habe mir eine Staffelei geholt und Leinwände – und schon sieben kitschige Bilder mit Bergen und Seen fabriziert. Es ist gut, dass sich der Kopf auf was anderes fixiert. Auch wenn ich mit Kuno draußen laufe, ist das bombastisch erholsam.

Und wenn die Drehs wieder losgehen?
Bis dahin weiß er, wie er sich am Set zu verhalten hat. Seine Feuertaufe wird Kuno beim Deutschen Filmpreis haben. Da passen tolle Kollegen wie Iris Berben oder Frederick Lau auf ihn auf.

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