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Joy Denalane ist eine der bekanntesten Soul-Sängerinnen Deutschlands. Gerade ist ihr neues Album „Gleisdreieck“ erschienen.

© Gregor Fischer/dpa

Sängerin Joy Denalane: Meine Helden - von Nelson Mandela bis Carolin Emcke

Joy Denalane schulte ihre Stimme mit Aretha Franklin. Der große Kämpfer gegen die Rassentrennung besuchte ihren Opa, heute hört ihre Familie Frank Ocean.

ARETHA FRANKLIN

Mein Vater besaß eine riesige Plattensammlung. In unserem Kreuzberger Wohnzimmer stand ein etwa vier Meter langes Regal an der Wand voller Musik. Mein Vater ging sehr großzügig mit den Platten um. Sie dienten ihm nicht als Sammlerobjekte, die keiner anfassen durfte, sondern uns sechs Kindern war es erlaubt, seine Musik aufzulegen, auch wenn er nicht zu Hause war. Das Vinyl war dementsprechend zerkratzt, einige Hüllen zierten Eselsohren – oder es steckten die falschen Platten darin. Schon als Vorschülerin haben mich die Cover angezogen, so entdeckte ich eines Tages Aretha Franklin.

Sie trug auf dem Bild afrikanische Kleidung, hatte ein Kopftuch und einen braunen Kaftan an. Ich habe sie aufgelegt und war von ihrem Gesang beeindruckt: laut, stark und eindrücklich. Die Stimme konnte in einem Moment ganz weich, in einem anderen schmetternd sein. Über die Jahre wurde Aretha Franklin eine meiner Gesangslehrerinnen, obwohl sie nie körperlich anwesend war. Ihre Hits wie „Respect“ oder „You Sent Me“ habe ich nachgesungen, auch wenn mich manchmal ihre Stimme eingeschüchtert hat.

NELSON MANDELA

Da mein Vater aus einem relativ wohlhabenden Elternhaus in Johannesburg kam, konnten sein Bruder und er in Deutschland studieren. Mein Onkel ging zurück und wurde der erste schwarze Zahnarzt in Südafrika, mein Vater lernte meine Mutter kennen und blieb. Natürlich war Nelson Mandela ein Riesenthema bei uns zu Hause, eine Figur des Widerstands gegen die Rassentrennung. Vor seiner Verhaftung 1962 verkehrte er bei meinen Großeltern im Haus, ich hörte Geschichten, wie er als junger Mann boxte und später ein geschickter Anwalt wurde.

Meine Eltern durften wegen der Apartheidspolitik nicht zusammen nach Johannesburg reisen, weil interkulturelle Ehen verboten waren. Mich haben die Erzählungen vom Schüleraufstand in Soweto 1977 erschüttert. Ich begann zu weinen, wenn ich an die Kinder dachte, die vom Apartheidsregime brutal niedergeschossen worden waren. Nelson Mandela war die Galionsfigur gegen diese Ungerechtigkeit, das Vorbild für Selbstaufgabe: 27 Jahre saß er im Gefängnis, und es hat ihn nicht gebrochen. Im Gegenteil: Er wurde nach der Entlassung der erste schwarze Präsident des Landes. Ich sehe ihn vor mir, wie er als grauhaariger betagter Mann die rechte Faust hebt und den Kampfspruch „Amandla“ ausruft.

NICOLETTE KREBITZ

Coco – seit ich sie mit 15 Jahren kennengelernt habe, rief sie jeder mit diesem Spitznamen. Sie war eine Freundin von Freunden und so begegneten wir uns manchmal durch Zufall auf der Straße. Die Treffen mit ihr waren herzlich. Überhaupt war sie ein freundlicher Mensch. Sie unterhielt sich gern mit Leuten, war neugierig, stellte Fragen und machte anderen – das weiß ich noch – gerne Komplimente. Dann kam der „Dschungel“ ins Spiel, ein Club in der Nürnberger Straße, quasi the place to be. Wir begegneten uns jetzt öfter, abgesehen von ihrer Art und Schönheit bewunderte ich sie für den Fokus, mit dem sie sich auf ihre Schauspiel- und Tanzausbildung konzentrierte. Allein mit dieser beruflichen Ausrichtung stach sie aus der Menge hervor.

Man muss bedenken, dass wir in dem Alter noch planloser Teenager waren. Aber Coco hatte ihren Traum. Als junge Frau ging sie eine Zeit lang nach London und lebte dort, und als sie dann Mitte der 90er Jahre eine erfolgreiche Filmschauspielerin wurde, sogar mit dem Filmprojekt „Bandits“ Musik aufnahm und eine Goldene Schallplatte erhielt, dachte ich nur: Unglaublich, she did it. Eine aus unseren Reihen. Klar wurde sie damit zur ultimativen Heldin. Eine wirklich begabte und coole Frau. Schauspielerin, Produzentin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Mutter.

MAY AYIM

Mit 14 Jahren fing ich an, Hip-Hop zu hören. Die Musik bedeutete mir auch viel, weil ihre Protagonisten so aussahen wie ich. Etwa zeitgleich hörte ich zum ersten Mal vom IDS, der „Initiative Schwarzer Deutscher“. Ich habe mich dieser Gruppe nicht aktiv angeschlossen, aber aus der Ferne verfolgt, was sie tat und wofür sie stand. May Ayim hat für mich mit ihren Büchern „Farbe bekennen“ und „Grenzenlos und unverschämt“ die Bewegung repräsentiert, ihre Gedichte berühren mich auch heute noch. „Ich werde trotzdem afrikanisch sein, auch wenn ihr mich gerne deutsch haben wollt/Und werde trotzdem deutsch sein, auch wenn euch meine Schwärze nicht passt.“

Ich erkenne darin den Schmerz, den inneren Kampf und die Suche nach Zugehörigkeit wieder. Das ist meine Geschichte. May Ayim hat die Erlebnisse mit Rassismus so zu verbalisieren verstanden, wie viele Afrodeutsche ihn hier erfahren. Ich habe über die Jahre den Eindruck gewonnen, dass viele Leute glauben, ich sei zu sensibel oder übertreibe, wenn ich über unangenehme Begegnungen spreche, die damit zu tun haben, wie ich aussehe. Da ist es wunderbar, jemanden wie Ayim zu lesen, die uns eine Stimme gegeben hat.

Frank Ocean sprengt alle Genregrenzen

Frank Ocean bricht mit dem klassischen Stereotyp des schwarzen Musikers als Ladylover.
Frank Ocean bricht mit dem klassischen Stereotyp des schwarzen Musikers als Ladylover.

© imago/Stefan M Prager

ELENA FERRANTE

Ich gehe gern in Buchläden. Als ich im vergangenen Jahr bei Hugendubel in Charlottenburg stöberte, sah ich „Meine geniale Freundin“, bin aber daran vorbeigelaufen, denn mir gefiel die Illustration auf dem Cover nicht. Ein paar Wochen später las ich eine Kritik über das „Epos der Moderne“, wie es hieß, und ich änderte meine Meinung. Ich habe das Buch fast in einem Schwung durchgelesen, in jeder freien Minute nahm ich es zur Hand. Eine tolle Geschichte zweier Frauen aus einem armen Bezirk im patriarchalischen Neapel der 1950er Jahre.

Wie ihre Frauenfreundschaft beschrieben wird, ist schonungslos ehrlich. Es geht um das Verhältnis zwischen Liebe, Loyalität, Verrat, Neid und Selbstzerstörung. Frauenfreundschaften können sehr kompliziert werden. Und das hat viel mit Erziehung und Selbstwahrnehmung zu tun. Wie Gesellschaften die Rolle der Frauen bewerten. Die Beschreibung der Freundinnen Lenu und Lina ist so glaubhaft, dass hinter dem Pseudonym Elena Ferrante bestimmt eine Frau steckt. Es ist mir jedoch total unwichtig, den richtigen Namen zu erfahren. Ich fand es unmöglich, als ein Journalist kürzlich versucht hat, das Geheimnis zu lüften, indem er Abrechnungen des Verlags verglichen hat. Das empfinde ich als Verletzung der Privatsphäre.

FRANK OCEAN

Ihn halte ich für den interessantesten Musiker unserer Zeit. Er sprengt alle Genregrenzen, dringt vom R&B ausgehend in die elektronische Musik und sogar in den Indie-Rock vor. Und dann hat er, der sich als Teil der Welt von Hip-Hop und Soul versteht, sich als Homo- oder Bisexueller geoutet. Das ist ein Bruch mit dem klassischen Stereotyp des schwarzen Musikers als Ladylover. Das muss in seinem Umfeld ein Erdbeben ausgelöst haben. Er bricht mit den Konventionen des Musikgeschäfts. Als sein letztes Album „Blonde“ auf der Vorschlagsliste für die Grammys auftauchte, hat er seinen Namen streichen lassen und ist auch nicht zur Verleihung gegangen. Trotzdem erreicht er flächendeckend Menschen.

Wir hören seine Musik zu Hause, die ganze Familie. Mein damals neunjähriger Sohn hat im Musikunterricht ein Referat über Frank Ocean gehalten und an seinem Beispiel erklärt, wie man als Musiker im Zeitalter des Internets phänomenale Möglichkeiten hat, den eigenen Weg zu bahnen. Die anderen Kinder haben das komplett verstanden – und am Ende hat mein Sohn dafür eine glatte Eins bekommen.

CAROLIN EMCKE

Im Buchladen bin ich vergangenes Jahr auf ihr Buch „Gegen den Hass“ aufmerksam geworden. Da war der Sticker „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ drauf. Ich konnte mich nicht erinnern, eine Frau gelesen zu haben, die den Preis gewonnen hat. Deshalb habe ich das Buch blind gekauft. Ich fand sehr gut, wie Emcke darin ein uraltes Phänomen, den Hass gegen das Unbekannte, auf eine anschauliche Weise beschreibt. Emcke analysiert unter anderem den Angriff auf einen Bus mit Flüchtlingen in Clausnitz, erklärt, wie Menschen in solche Situationen geraten, Scheibe für Scheibe.

Ich hatte den Eindruck, sie ist eine Frau, die weiß, wie es ist, ausgeschlossen zu sein. Erst im Nachhinein habe ich über sie gelesen, dass sie in einer lesbischen Beziehung lebt. Ich würde sie sehr gern einmal treffen oder einen Vortrag von ihr besuchen. Ich habe mir auch ihre Rede anlässlich des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels angeguckt. Was für eine kluge Frau! Obwohl mich etwas gestört hat, was gar nichts mit Carolin Emcke zu tun hat. Im Publikum saßen fast nur die üblichen Verdächtigen: Akademiker, Literaten und Politiker. Ich hätte mir eine buntere Mischung gewünscht.

AUGUST WILSON

Er ist der berühmteste schwarze Dramatiker überhaupt, hat zweimal den Pulitzer-Preis gewonnen, der Film „Fences“ beruht auf einem seiner Stücke, und hierzulande ist er unbekannt. Von ihm habe ich erst vor ein paar Monaten über meine Schwägerin erfahren.

Wilson beschreibt in einer Serie mehrerer Theaterstücke die afroamerikanische Geschichte in unterschiedlichen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, wie seine Protagonisten das Erbe der Sklaverei verarbeiten, wie es zwischen den Generationen zu Konflikten kommt, sie auf der Suche nach sich selbst und dem eigenen neuen Platz in der Gesellschaft sind, und wie sie am systemimmanenten Rassismus scheitern. Er nimmt uns mit in die Häuser und Gedanken seiner Protagonisten. Eine abgeschlossene Welt, von der man sonst kaum hört, nicht viel weiß.

Aufgezeichnet von Ulf Lippitz.

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