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Rückblick: Zwölf Weine, ein Jahr

Fehlende Saisonkräfte, abgesagte Messen, geschlossene Restaurants: Ein Rückblick auf das Weinjahr 2020 - mit zwölf tröstenden Empfehlungen.

Die Insel suchen

Die Prowein ist die größte und wichtigste Weinmesse der Welt für Profis. Sie strömen jedes Jahr im März nach Düsseldorf für drei Tage und Nächte, die ganz dem Wein und dem Geschäft gehören. Danach hat man viel zu viele Entdeckungen auf dem Zettel und ist immer mindestens ein bisschen krank. Doch dieses Jahr wurde die Messe mit Zehntausenden spuckenden Weinreisenden abgesagt. Sie wäre das ideale Superspreader-Event gewesen. Die Branche war geschockt. Wein muss man probieren können und darüber reden, sonst wird er nicht gekauft. Außerdem bringt die Prowein die ganze Weinwelt zueinander, hier trifft man Winzer, die man unmöglich jedes Jahr am anderen Ende der Welt besuchen kann. Inzwischen steht fest: Auch 2021 fällt die Prowein aus. Da braucht es zarten Trost wie diesen kühlwürzigen Insel-Roten von Teneriffa.

2018 Taganan, Envinate, Teneriffa, 19,95 Euro. pinard-de-picard.de

Geduld lernen

In diesem Jahr kann man jeden Tag einen neuen Plan machen und ihn danach in den Papierkorb werfen, wo all die anderen schon liegen. Manchmal kann Wein helfen, sich in Geduld zu üben. Als besonders gute Partnerin erweist sich dabei Xinomavro. Diese Königin der nordgriechischen Rebsorten heißt übersetzt nicht ohne Grund „die schwarze Saure“. Es braucht Zeit, bis sie sich von ihrer zugänglichen Seite zeigt, doch das Warten lohnt sich. Würde die Wein trinkende Menschheit mit Xinomavro ebenso ehrfurchtsvoll geduldig sein wie mit Barolo, die Welt wäre wieder ein kleines Stück gerechter. Kein Wunder, dass Griechenlandspezialist Christos Tziolis in sein Paket „Weine für die Wintertage“ gleich zwei Interpretationen von Xinomavro aufgenommen hat. Ich habe zum Glück noch 2011er Ramnista im Keller.

Weine für die Wintertage, 6 Fl., 60 Euro. cava-griechischerwein.de

Altes beleben

Die Art und Weise, wie der Mensch mit seiner Umwelt umspringt, lässt nicht nur viele Tierarten aussterben. Auch im Weinberg hat die Biodiversität abgenommen, viele alte Rebsorten sind für immer verschwunden. Sie könnten aber starke Verbündete für einen nachhaltigen Weinbau sein, der weniger Schutz durch Chemie braucht. Dem Weingut Sander aus Rheinhessen, einem Biowein-Pionier, ist es gelungen, die seit knapp 200 Jahren nicht mehr angebaute weiße Rebsorte Grünfränkisch wieder im Weinberg heimisch zu machen. 2018 ist der erste abgefüllte Jahrgang, nach der Gärung reifte er in der Ton-Amphore. Das Ergebnis ist wunderbar saftig und entspannt duftig.

2018 Zeitsprung, Weingut Sander, 15 Euro, shop.historische-rebsorten.de

Frost fliehen

Die Eisheiligen hielten sich in diesem Jahr präzise an den Kalender und hinterließen besonders in Franken sowie an Saale und Unstrut vom Spätfrost gezeichnete Reben. Die Lese ist dort deutlich geringer ausgefallen. Ein Handicap vor allem für die Winzerinnen und Winzer im nördlichsten deutschen Weinbaugebiet, das sich gerade im Aufwind befindet. Hier gibt es ohnehin schon zu wenig Trauben. Wie gut Weine aus Saale-Unstrut sein können, zeigt Hendrik Canis im „Rutz Zollhaus“. Bis es wieder öffnet, lindert ein kleiner Berliner Online-Handel die Neugier. Apropos Frost: Am 30. November war er mal willkommen zur Stelle und sorgt so für Eiswein 2020.

2019 Weißburgunder, Weingut Proppe, 12,50 Euro. wannseewein.de

Winzer treffen

Ein Leben ganz ohne Weinmessen, wo man Dutzende Winzer und Hunderte Weine kennenlernen kann, ist möglich aber sinnlos. Ein außergewöhnlicher Versuch, allem zum Trotz eine sichere Weinprobe zu ermöglichen, fand im Oktober im Hotel Ellington statt. Generation Riesling, die Nachwuchsplattform des Deutschen Weininstituts, belegte hier gleich eine ganze Etage. In jedem Zimmer warteten Jungwinzer*innen mit ihren Flaschen, mit Abstand und geöffneten Fenstern. Eintritt nur bei freiem Stehtisch. Viel Mühe, die sich aber lohnte, etwa für Weine von David Siegloch aus Württemberg. Frische Klassiker in der Basis- und Charakterstücke in der Vogelfrei-Linie. Muss ich noch bestellen.

2018 Lemberger, Siegloch, 7,60 Euro, weingut-siegloch.de

Rhein sehen

Es war ein heißer Sommertag, als ich unangekündigt in der Probierstube des Weinguts Dr. Corvers-Kauter in Oestrich-Winkel auftauchte. Der Buschenschank brummte noch einmal unter freiem Himmel, gezähmt von Visieren, Plexiglas und Meldelisten. Dass ich eigentlich noch etwas essen wollte, habe ich komplett vergessen, denn mit den Rieslingen, die Matthias Corvers einschenkte, öffnete sich der ganze Rheingau. Durch die Übernahme der Lagen des Traditionsguts Langwerth von Simmern verfügt der Winzer über schier endlose Möglichkeiten der Differenzierung. Und nutzt sie konsequent. Die wunderbare Welt des Rieslings, umrissen mit feiner Rheingauer Klinge.

2019 Rauenthal Baiken, 12,50 Euro, corvers-kauter.de oder bei Wein & Glas

Wurzeln spüren

Solidarität ist ein zentrales Thema dieses Weinjahrs. Wer hilft im Weinberg, wenn Saisonkräfte nicht einreisen können, wer kauft Flaschen, wenn die Gastronomie geschlossen ist? Winzer und Händler haben viele flüssige Hilfspakete gepackt, für Frauenhäuser, Tafeln und Kultureinrichtungen. Bei der Weinhandlung Suff steht die SO36-Soli-Box bereit, die das geschlossene Kulturzentrum nebenan großzügig unterstützt. Zoltan Kovacs-Gokieli ist als Musiker, Orchesterwart und Weinimporteur mehrfach geschlagen. Doch weil er rare Flaschen vom Ursprung der Weinkultur nach Berlin bringt, gibt es zum Glück ein Antidot gegen Verzweiflung – wie diesen zarten roten Georgier aus der Amphore.

2019 Shavkapito, Alapiani, 23,80 Euro, naturwein-georgien.de

Höhe erleben

Es war schon ein seltsames Gefühl, dass mich der schon halb aufgegebene Sommerurlaub an einen Flecken führt, dessen italienischer Name Corona lautet. Er liegt hoch über Kurtatsch, wo sich die Weinberge vom Tal bis zu einer der höchsten Lagen in Europa winden. Die Kellerei Kurtatsch, eine der auf hohem Niveau arbeitenden Südtiroler Genossenschaften, kann über Weinberge zwischen 220 und 900 Metern über dem Meeresspiegel verfügen. Das ist gerade in Zeiten des Klimawandels ein unschätzbaren Vorteil, denn mit der Höhe sinken die Temperaturen. Vor Ort kann man sich dieses Terroirwissen erwandern, auf Wunsch auch geführt und mit den passenden Weinen im Rucksack. Auch in der neuen Kellerei kann man dem Einfluss der Höhenlagen auf die Spur kommen und natürlich verkosten. Weintourismus – mit Erkenntnisgewinn. Mein Favorit: der Vernatsch Sonntaler Alte Reben.

2019 Vernatsch Sonntaler, Kurtatsch, 12,90 Euro. kellerei-kurtatsch.it

Nähe schätzen

Statt, wie ersehnt, nach Frankreich geht es im Herbst überraschend nach Brandenburg, Bauern und Winzer besuchen. Die Rebzeilen am Großräschener See sind fast so schön wie die entlang der Loire, und vom Wolkenberg kann man bis zu den letzten Abraumbaggern des Lausitzer Braunkohlereviers schauen. Und überhaupt: Die Brandenburger Sonnenstunden machen längst Baden Konkurrenz, die Qualität der Weine steigt. Neuentdeckung dieses Jahres ist das Weingut Patke. Zuerst schmeckten Johanniter und Regent Rosé im Schweizerhaus am Ufer des Schwarzen Sees. Die Weinberge liegen auf dem Pillgramer Jacob und auf dem Langen Rücken in Grano. Beherzter Winzer, Hofladen mit Gutsschenke und Brennerei: Der Pillgramer Trester ist ein feiner Brandenburg-Grappa.

Pillgramer Trester, Patke, 25,50 Euro. shop.weingut-patke.de

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Neues Wagen

Wir lieben klassische Rebsorten wie Riesling oder Spätburgunder, doch im Weinberg benötigen sie Schutz vor Pilzerkrankungen. Deshalb müssen Winzer spritzen. Pilzwiderstandsfähige Neuzüchtungen (Piwis) können Gift und Traktorsprit sparen helfen und fördern so die Biodiversität im Weinberg. Wie Piwis schmecken und welche Vorteile sie haben, diskutierte ich mit Experten bei der Online-Verkostung „Wine for Future“ des Netzwerks Terra Madre von Slow Food. 800 Menschen hörten zu, probierten und diskutierten mit. „Wenn ich neue Reben pflanze, dann nur noch Piwis“, sagt Demeter-Winzerin Hanneke Schönhals. Wer ihren Cabernet Blanc probiert, versteht warum.

2019 Cabernet Blanc, Schönhals, 6,50 Euro, weingut-schoenhals.de

Zusammen trinken

Bei unserer ersten Tagesspiegel-Online-Verkostung im November waren zwar noch keine 800 Mittrinker dabei, Spaß gemacht hat sie trotzdem. Eigentlich hätte es ja wieder eine große Weinprobe im Verlagsgebäude geben sollen wie 2019. Als kleinen Ersatz habe ich mit Sommelier Johannes Lüddens von „Rindchen’s Weinkontor“ ein Rotweinpaket gepackt und vor der Kamera verkostet. Wer nicht live dabei war: Paket und Link zum Nachverkosten stehen bereit. Besonders berührt hat mich dabei „The Cab“ von Muratie, weil ich Cabernet Franc liebe und der Blick vom Weingut Richtung Kapstadt ein wiederkehrendes Traumbild ist. Nächstes Tagesspiegel-Verkostungsziel wird Italien sein, Paket folgt.

Weinpaket „Rote Schätze“, 6 Fl., 69,95 Euro

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