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Spazieren. Im Viertel Kazimierz trifft man auf Spuren der jüdischen Gemeinde. Foto: Imago, iStock

© imago/ZUMA Press

Reisen mit kleinem Budget: Reichen 100 Euro für ein Wochenende in Krakau?

Wer ganz genau aufs Budget schauen muss, reist anders. Milchbars und Kirchen sind die Rettung.

Ein bisschen Bammel

Die Fünf-Zloty-Münze wiegt nur 6,5 Gramm, trotzdem liegt sie schwer in meiner Hand. Mein letztes Geld, es muss reichen für die Stunden, die mir in Krakau noch bleiben. In meinem Rucksack liegen eine Flasche Wasser, ein Corny-Riegel und ein Ticket zum Flughafen. Schaffe ich es, mit Geld in der Tasche zurück nach Berlin zu kommen?

Damen ohne Pardon

Zwei Tage zuvor. Ich steige am Hauptbahnhof aus und stehe nach 20 Schritten in einem Einkaufszentrum. Geht ja gut los. Überall kleine Fressstände mit lokalen Spezialitäten, mein Magen knurrt, im Ryanair-Flieger gab es natürlich nichts, was ich mir hätte leisten können.

Ich bedanke mich innerlich kurz bei der Europäischen Kommission dafür, dass die Roaming-Gebühren abgeschafft wurden. Dank Google Maps weiß ich, wo meine Unterkunft ist. Erste Erkenntnis: Wer keine Kohle hat, muss in fremden Städten sehr viel laufen. Tram, Bus, Leihfahrrad – alles zu teuer. Eine knappe Stunde in Krakau, und schon habe ich einige Kalorien verbrannt.

Das Gepäck abgelegt, dann trippele ich Richtung Altstadt. Ich suche eine Bar mleczny, eine Milchbar. Im kommunistischen Polen waren diese preiswerten Restaurants beliebt, heute essen hier ärmere Menschen. Die Gerichte sind nach wie vor günstig, zum Beispiel in der „Milkbar Tomasza“ (Swietego Tomasza 24). Der Laden ist voll, Touristen, Einheimische, Schulkinder und Rentner drücken sich an den wenigen Tischen aneinander.

Zuerst muss ich das System dieses Orts verstehen. Man belegt einen Platz mit der Jacke, bestellt an der Theke, setzt sich hin und wartet – als Neuling habe ich keine Chance. In der Schlange drängelt sich eine Gruppe älterer Damen vor. Ihre Rädelsführerin, drei Köpfe kleiner als ich, gischtweiße Haare, belegt den letzten freien Platz mit ihrer Handtasche. Kassiere ich stellvertretend die Retourkutsche für alle Deutschen, die ihr am Pool mal die Liege wegreserviert haben?

Es ist ein Teufelskreis, ohne Platz kann ich nicht bestellen, ohne Essen lässt mich keiner sitzen. Dann: Neben einem spanischen Pärchen wird ein Stuhl frei. Ich drängle mich durch, bin schneller als die anderen polnischen Omas. Mein Platz! Stolz stelle ich mich zurück in die Schlange und bestelle Tomatensuppe, Schweineschnitzel mit Pellkartoffeln und Kraut, für umgerechnet vier Euro.

Beim Verdauungsspaziergang gehe ich am Slowacki-Theater vorbei, einem riesigen Barockbau. Ich hänge mich an eine amerikanische Touristengruppe an, will mehr über diesen Ort erfahren. Dieser Trick wird mir in den nächsten Tagen das Geld für Tourguides ersparen. Allerdings muss ich lernen, unauffälliger zu sein: Ich bekomme noch mit, dass während des Zweiten Weltkrieges eine deutsche Truppe hier auftrat und sechs Jahre lang kein Pole das Theater betrat, da fliege ich schon auf. Schnell weiter.

In Kazimierz, dem alten jüdischen Viertel der Stadt, komme ich an einem Biergarten vorbei. Ich setze mich hin, ohne zu überlegen. Urlaubsgewohnheit. Als Kind guckte ich auf Reisen immer auf die Preise, meist war ich geschockt von der Touri-Ausbeutung. Meine Eltern sagten dann: „Im Urlaub schauen wir nicht aufs Geld!“ Heute muss ich es. Selbst die neun Zloty, zwei Euro, die das Bier in Krakau kostet, tun weh. Ich kriege ein schlechtes Gewissen, mein kühles Zywiec schmeckt mir nicht mehr ganz so gut.

Pumpernickel und Freibier

Ein Blick in den Geldbeutel offenbart die unschöne Wahrheit. Ich besitze noch knapp 110 Zloty, etwa 30 Euro. Dabei hatte meine Planung für den Trip gut angefangen: 24 Euro für den Hin- und Rückflug von Berlin nach Krakau. Auch ich habe im Sommer die „Spiegel“-Titelgeschichte und das „Zeit“-Dossier gelesen, ich weiß, dass wir Billigflug-Touristen Mitschuld an Klimawandel, Ausbeutung, Umweltverschmutzung tragen. Diesen Flug zu buchen war nicht schön. Angesichts meiner Situation ist es mir egal: Eine Mitfahrgelegenheit wäre doppelt so teuer, der Zug acht Stunden gefahren. Mein Airbnb-Zimmer kostet 34 Euro für zwei Nächte, der Flughafen-Transport insgesamt knapp zehn Euro.

Am ersten Abend gibt es also Pumpernickel mit Scheibenkäse. Lecker. Der Plan für den Rest der Nacht steht: Zufällig spielen die Fußballmannschaften von Spanien und England gegeneinander – in einer Stadt, in der hunderte britische Anfangdreißiger ihre Junggesellenabschiede feiern. Ich steuere den „English Football Club“ an, eine Fußballkneipe, steige in den Keller und bingo: Zwei angesäuselte Briten stehen in Superwoman-Kostümen vor mir. Bei denen springen ein paar Freigetränke für mich heraus.

Die 100-Dollar-Chance

Krakau ist sogar für das erzkatholische Polen eine Stadt mit sehr vielen Kirchen. Immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich die Glaubenshäuser ansteuere. Waren ja schon immer Anlaufstelle für die Armen und Hungrigen. Erst in die Marienkirche, zu viele Touristen. Dann in die Franziskanerkirche, wunderbar. Kurz vor dem Eingang zum jüdischen Viertel steht die Kirche der Heiligen Peter und Paul. Eine große Plakette am Eingang verrät: Hier ließen sich einst die Eltern von Papst Johannes Paul II. trauen.

Ich nehme in einer der hinteren Reihen Platz. Seltsam viele Leute da. Bevor ich verstehe, was um mich herum passiert, beginnt die Hochzeit. Nachzügler setzen sich links und rechts von mir auf die Kirchenbank, ich bin eingeklemmt, komme nicht mehr weg. Also erhebe ich mich, wenn es die anderen tun, bekreuzige mich, wenn es die anderen tun, die junge Dame neben mir lächelt mich an. Mit Händen und Füßen versuche ich ihr klarzumachen, dass ich nicht dazugehöre. Sie deutet auf den Bräutigam, na gut, dann gehöre ich zu dem.

Die Zeremonie von Magdalena und Filip dauert ein halbes Stündchen, dann versammelt sich die Hochzeitsgesellschaft vor der Kirche. Freunde werfen Blumen, Reis und Dollarscheine in die Luft, Braut und Bräutigam sammeln sie freudig auf. Ein Hunderter landet vor meinen Füßen, es kribbelt in den Fingern. Doppeltes Budget! Ich hätte keine Sorgen mehr, keinen Hunger, kein schlechtes Gewissen im Biergarten. Ich bücke mich, hebe den Schein hoch und drücke ihn der strahlenden Magda in die Hand. Sie sagt etwas, ich verstehe kein Wort.

Magdas Freundlichkeit gibt mir Mut. Kann ich einfach wie Vince Vaughn im Film eine Hochzeit crashen? Ich dackele den Leuten hinterher, von der Kirche laufen sie einige Meter zum Restaurant. Ich sehe schon das Buffet, Türme von Essen, Suppentöpfe, ein Schokobrunnen, da tippt mir ein grimmig blickender Typ an die Schulter, er trägt einen weinroten Anzug über seiner imposanten Rückenmuskulatur. Er sagt etwas, ich verstehe kein Wort. Aber diesmal weiß ich genau, was gemeint ist. Im Abhauen bin ich geübt.

Auschwitz: Diesen Ort soll jeder sehen können

Eingangstor zur Gedenkstätte des ehemaligen KZ Auschwitz.
Eingangstor zur Gedenkstätte des ehemaligen KZ Auschwitz.

© imago/Ulli Winkler

Platz in der ersten Reihe

Ich stehe auf einem Parkplatz, zwei Stunden von Krakau entfernt. Für die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau hatte ich extra einen Teil meines Budgets eingeplant. Drei Euro kostete mein Zugticket aus Krakau, der Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers ist kostenlos – diesen Ort soll jeder sehen können.

Danach laufe ich zum kleinen Buchladen, in dem Touristen Postkarten kaufen. Finde ich jemanden, der mich mit zurück nach Krakau nimmt? Scheinheilig gehe ich zur Kasse. Ob man den Zugplan hätte. „Die Züge fahren nach 19 Uhr nur noch alle zwei Stunden“, antwortet die Verkäuferin, dunkle Haare, Ferienjob. Was für ein Pech, antworte ich. Ob man denn hier ein Busticket bekomme? „Ich habe noch Platz im Bus“, sagt plötzlich jemand hinter mir, es ist eine Reiseleiterin. „Du kannst bei mir mitfahren.“ Jackpot.

Wie ein Erstklässler laufe ich ihr hinterher und steige in ein goldgelbes Monstrum voller kanadischer Rentner ein. Ich muss nichts zahlen, nur in der ersten Reihe sitzen. Fairer Deal. Nach 90 Minuten Fahrt stehe ich wieder in der Krakauer Altstadt. Es lohnt sich, dreist zu sein, sich zu überwinden.

Da ich heute nicht viel Geld ausgegeben habe (Pumpernickelreste, Corny-Riegel, Bahnhof-Sandwich), entscheide ich, auf den Putz zu hauen. Am Vorabend hatte ich Tbilisuri entdeckt, ein Restaurant mit georgischen und Balkan-Spezialitäten. Ich sprinte quer durch Krakau, mittlerweile schon mit Muskelkater. Einmal die berühmten Dumplings, bitte, und ein großes Bier. Leider sind die Dumplings schon aus. Ich tröste mich damit, dass das Essen dann wenigstens frisch sein muss und mampfe Cevapcici mit gedünstetem Kohl.

Was in Berlin für den geldknappen Studenten der Späti ist, heißt in Krakau „Alkohole“. Schon eine ehrliche Bezeichnung, es gibt aber auch Kekse. Auf dem Weg nach Hause kaufe ich mir bei Alkohole Corleone ein Bier für einen knappen Euro.

Eine schlechte, eine gute Tat

Um neun Uhr muss ich auschecken. Umständlich für mich. Mein Flieger hebt erst in 13 Stunden ab, ich habe noch 40 Zloty, von denen knapp zehn gleich fürs Frühstück draufgehen. Ich könnte weiter durch Krakau rennen, aber habe das Gefühl, alles doppelt gesehen zu haben. Von außen, wohlgemerkt. Ich beschließe, das zu ändern.

Mitten auf dem Rynek Glowny, dem Hauptplatz der Stadt, steht der Krakauer Rathausturm, ein 70 Meter hoher Backsteinbau. Von hier soll man auf die ganze Stadt blicken können, dementsprechend viel muss man zahlen. Eigentlich. Ich drücke mich an einer Touri-Truppe vorbei, steuere statt der Kasse gleich die Treppen an und verschwinde. Mir wird ein bisschen schwindelig, vielleicht vom Adrenalin, vielleicht aufgrund der Tatsache, dass der Wieza Ratuszowa seit einem Sturm im Jahr 1703 einen halben Meter zur Seite neigt.

Mein Essen bezahle ich wieder wie ein anständiger Mensch. Das Prinzip „Mittagsmenü“ ist in Krakau sehr populär und bietet ein wunderbares Preis-Leistungsverhältnis. Nach solchen Angeboten halte ich in Zukunft die Augen offen. Im „Kolanko No. 6“ (Józefa 17), einem Café-Restaurant mit sonnengeküsstem Innenhof, esse ich für 30 Zloty ein Lauchsüppchen, Schweinekotelett in Champignon-Rahmsoße und Obstkompott.

Den Rest des Tages lungere ich mit der Krakauer Jugend im Planty Park rum, der grünen Lunge der Stadt, die sich um die ganze Altstadt schlängelt. Ich würde eigentlich gerne in den botanischen Garten, doch Eintritt und Hinweg kann ich mir nicht mehr leisten. Also liege ich auf einer Parkbank und lese. Ich zähle die Wolken. Die Zeit bleibt stehen, das ist sehr schön, mit üppigem Budget hätte ich jetzt vermutlich noch eine überfüllte Attraktion besucht. Ich atme mal durch, fühle mich wie ein Einheimischer, eigentlich das beste Gefühl, das man als Tourist haben kann.

Meine letzte Fünf-Zloty-Münze liegt mir schwer in der Hand. Ich habe es fast geschafft, knapp 1,25 Euro hätte ich übrig, wenn ich jetzt ins Flugzeug steigen würde. Aber ich bin unzufrieden. Irgendetwas fehlt. Kurz bevor ich in den Flughafen-Expressbus steige, treffe ich eine Entscheidung.

Ich gehe in einen kleinen Zeitungskiosk am Fuße der Marienkirche, zücke meine Kreditkarte – meine Notfallreserve – und zahle 20 Zloty. Ich habe mehr Geld ausgegeben als geplant, aber es hat sich gelohnt. In meinem Rucksack liegen zwei Postkarten und zwei Briefmarken. Eine für Opa, und eine für Oma.

Reisetipps für Krakau

Hinkommen

Von Berlin-Schönefeld fliegt Ryanair direkt nach Krakau, für günstige 24 Euro.

Unterkommen

In der Stadt gibt es einige Übernachtungsmöglichkeiten im Niedrigpreissegment: Fortuna Hotel, drei Sterne, ab 45 Euro pro Nacht im Doppelzimmer, hotel-fortuna.com.pl

Hotel Wyspianski, drei Sterne, ab 46 Euro im Doppelzimmer, hotel-wyspianski.pl

Info

Das polnische Fremdenverkehrsamt ist unter polen.travel zu finden.

Matthias Kirsch

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