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Spektakuläre Ansicht. Der Wasserfall im neuen Terminal des Flughafens von Singapur.

© AFP

Reisebeschränkung in Coronazeiten: Warum ich Flughäfen vermisse

Ein Himmel ohne Kondensstreifen, die Terminals auf der ganzen Welt sind verlassen. Von der Sehnsucht nach Flughäfen

Es beginnt mit einem Blick nach oben. Wo sonst weiße Linien kreuzen, manche blasser werdend, andere wie ferngesteuert sich selbst fortschreibend, glänzt nun bloßes Blau. Ein Himmel ohne Kondensstreifen – ist das noch ein richtiger Himmel? Flughäfen, ich vermisse euch.

Nein, damit meine ich nicht das Fliegen als Reiseart, nicht das Sitzen auf dem Mittelplatz in Reihe 24, nicht das aufgewärmte Croissant in der Pappverpackung und auch nicht das Unwohlsein, das einen beim Gedanken an die Ökobilanz befällt. Oh Graus!

Ich will keine Umweltsau sein. Mir fehlt jedoch das Kribbeln, wenn ich einen Flughafen betrete, diese Sekunde voller Vorfreude, wenn ich mich in ein Architektur gewordenes Freiheitsversprechen hineinbegebe, mich ein kleiner Fernwehrausch packt und dieser mit jedem neuen Reiseziel an der Anzeigetafel sanft befeuert wird.

Die Tafel klackert, raschelt und kombiniert Buchstaben plötzlich zu neuen Städtenamen. Ein Glücksrad, das Urlaubsorte im Minutentakt vorschlägt. Aber bitte nicht Friedrichshafen, Stuttgart oder Münster/Osnabrück. Für solche Erlebnisse kann ich mich an den Hauptbahnhof stellen. Nein, da sollen Rio, Paris und Tokio stehen. Kapstadt, Dubai und Barcelona. Je weiter weg von meiner Homeofficequarantäne, umso aufregender.

Denn mit einem Flughafen verbinde ich das zackige Überqueren von Gebirgen, Ozeanen und Zeitzonen, das plötzliche Entfernen von einem Ort hin zu einem anderen, an dem man nicht mehr so leicht zu erreichen ist, nicht mehr so schnell zu orten. Auch wenn das in Zeiten von GPS und Wifi-Netzen natürlich ein hohles Vorhaben ist.

Es geht um das Gefühl, wenn man an den Gates vorbeigeht und den Ballast des Alltags hinter sich lässt, die Planungskonferenz im Büro, den Streit übers Geschirrspülerausräumen zu Hause.

Gut zum Spannen: Der Flughafen in München.
Gut zum Spannen: Der Flughafen in München.

© Imago

Ein Tipp: schon am Flughafen den Flugmodus des Handys anstellen, um eine Vorahnung der Entschleunigung zu bekommen, und auf Kopfhörer Massive Attack oder Troye Sivan hören. Hat den angenehmen Nebeneffekt, dass man dadurch die nervigen Ansagen ausblendet. Reine Selbsttäuschung, völlig klar, aber ich gehe auch in Fitnessstudios, ohne je Leistungsturner zu werden.

Carolin Emcke, weit gereiste Autorin und ebenfalls erklärte Airport-Liebhaberin, erzählte einmal, dass sie an bestimmten Flughäfen gewisse Rituale an sich bemerkt habe. „In Tel Aviv brauche ich immer noch einen Dattelshake vor dem Abflug, in Berlin einen Chai und in Zürich ein Appenzeller Biber-Bärli“, sagte sie im Interview mit dem Tagesspiegel. An geliebten Orten stellt sich leichter Vertrautheit ein. In Heathrow noch rasch aus einer Pralinenschachtel bei Fortnum & Mason naschen, in Mailand-Malpensa einen letzten Espresso trinken.

Ansonsten genügt ein ruhiger Platz, am besten nahe deckenhohen Fenstern. Wo ich mich in Leder zurücklehnen kann – bitte keine Plastikschüsseln wie vom Kinderspielplatz –, während der Blick zum Himmel abheben kann. An einem guten Flughafen ist das Schauspiel vor der Panoramaverglasung wie eine Theateraufführung der Volksbühne. Ständig passiert etwas.

Eine blau-weiße Boeing der Lufthansa landet, ein rot-weißer Jet der Swiss startet, und plötzlich schiebt sich der Jumbojet einer arabischen Airline vor – besonders gut in München Terminal 2, London-Heathrow Terminal 5 oder dem neuen Glasbau des Barcelona Airports. Wer will Actionkino auf dem Smartphone gucken, wenn er das Maschinenballett auf der Landepiste verfolgen kann? Die Zeit verfliegt dabei, zwei Stunden vor der Scheibe gehen unterhaltsamer vorbei als manche Castorf-Aufführung.

Maschinenballett vor Alpenkulisse am Zürcher Airport.
Maschinenballett vor Alpenkulisse am Zürcher Airport.

© Imago

Vergangenen Sommer wurde mein Flug nach Tegel annulliert, und ich musste sechs Stunden in Zürich auf einen Platz in der nächsten freien Maschine warten. Statt wieder ins Zentrum zu fahren, was aufgrund der exzellenten Zuganbindung in 15 Minuten möglich gewesen wäre, nahm ich den Shuttle vom Hauptgebäude zum Satellitenterminal, von dem die Transatlantikflüge starten, und verbrachte träge Stunden damit, ankommende und abfliegende Maschinen zu beobachten. Hongkong, New York, Singapur. Ach, was für ein erholsamer Nachmittag mit geschenkter Zeit!

Die ständige Bewegung bedeutete getaktete Geschäftigkeit. Es hatte etwas sehr Hypnotisches, die wiederkehrenden Abläufe aus der relativen Stille des Terminals heraus mitzuverfolgen, das langsame Wegfahren der Flugzeuge, das plötzliche Beschleunigen der Maschinen und der elegante Aufstieg in die Luft.

Ein bisschen so wie eine Exkursion in Nationalparks, wo man stundenlang die Natur anstarrt, immer wieder Neues entdeckt und die Harmonie der Bewegungen von Bäumen, Vögeln und Gräsern bewundert – nur dass es hier um Luftfahrttechnik vor Alpenkulisse ging.

„Flughäfen haben etwas Magisches an sich, als stände man in einem Zimmer mit Tausenden von Türen“, schreibt der kanadische Dichter Atticus, dessen Gedichtbände „New York Times“-Bestseller geworden sind und von Stars wie Alicia Keys und Karlie Kloss gelesen werden. Jedes Gate ist ein potenzielles Tor in eine andere Welt, die Möglichkeit eines anderen Wegs. Das einzige Tor, das ich derzeit bestaunen kann, gehört zum Hinterhof unserer Wohnung und spuckt immer dieselben Leute aus.

In Tegel, Heathrow oder JFK begegnet man Menschen anderer Kulturen, jeder Passagier wird zur Fantasie eines aufregenden anderen Lebens. Es ist keine Besonderheit, Turbane, Baseballcaps und Kippas im selben Coffeeshop zu sehen. Noch im Januar saß ich im Irrgarten des neuen Istanbuler Airports, links standen Menschen für den Flug nach Sharjah an, rechts nach Tel Aviv.

Keiner dieser Passagiere kann direkt von einem der Ziele zum anderen fliegen, man hat vermutlich grundsätzlich andere Meinungen über Religion und Staatsräson, doch für eine halbe Stunde streiften sich diese zwei Welten friedlich an Gate H7.

Und für diese Zeit sei die Vorstellung gestattet, dass sich vielleicht zwei Passagiere aus diesen fremden Kulturen miteinander unterhalten haben, dass es nur an diesem Ort möglich gewesen wäre und dass daraus ein Quentchen Verständnis entsprungen sei. Es muss ja nicht so weit kommen wie für zwei Prozent aller Flughafenbesucher. Einer Studie der britischen Bank HSBC zufolge findet nämlich einer von 50 Menschen seinen Partner fürs Leben am Airport.

Großer Stern von Peking: der neue Airport Daxing.
Großer Stern von Peking: der neue Airport Daxing.

© Imago

Auch das ist zurzeit nicht möglich. Von Istanbul, eines der größten Drehkreuze der Welt, fliegen zwar noch 36 Flüge pro Tag ab, doch nur zwei davon sind für Passagiere, die übrigen befördern Fracht. Das ist immerhin doppelt so viel wie in Schönefeld. Von dort startete am Dienstag der vergangenen Woche eine einzige Passagiermaschine: nach London. Und gleichzeitig wird es immer wahrscheinlicher, dass der BER am 31. Oktober nach 14 Jahren Bauzeit in Betrieb geht. Wie viele Flüge werden dann noch abgefertigt werden?

Mein allererster Flug führte mich mit 13 Jahren von Berlin-Schönefeld nach Moskau-Scheremetjewo. Dass sich auf einer bescheidenen Fläche in Brandenburg die Welt treffen könnte, das konnte der DDR-Boy nicht fassen.

Vor ihm in der Schlange warteten Russen, Ungarn, Bulgaren, westdeutsche Studenten, die über Moskau nach Nicaragua reisen und dort der sandinistischen Regierung beim Kaffeepflücken helfen wollten, und ein genervtes West-Berliner Pärchen, das dabei zusah, wie der Zollbeamte ihre Zahnpastatube ausquetschte und nach verbotenen Substanzen durchsuchte.

Ich glaube sogar, Deutsch, Russisch und Englisch gehört zu haben – im selben Gebäude! Und es war nicht die Schule. Diesen Hauch von Internationalität hätte ich in einem Konsum in Mecklenburg doch nie erfahren. Wenn ich jetzt hinausgehe in die große weite Welt, also zum nächstgelegenen U-Bahnhof, schlägt die Anzeige höchstens Schöneberg oder Mitte als Destinationen vor.

Und die Bahnhofsarchitektur am Kottbusser Tor ist so ziemlich das Gegenteil von meiner Vorstellung von Flughafen-Grandezza (auch wenn die Gänge hinunter zu den Gleisen an den Transitbereich des Frankfurter Flughafens erinnern).

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Flughäfen sollten Kathedralen des Fortschritts sein, mit lichtdurchfluteten Hallen und weitläufigen Korridoren. Wo sich der Mensch sofort leicht und ein bisschen klein vorkommt. Wo er von Stahl, Glas und Beton überwältigt wird.

Der Flughafen Bangkok protzt mit langen Glasröhren und Bäumen, die zwischen Hauptgebäude und Terminals gedeihen. Am Airport von Singapur scheint Platz keine Rolle zu spielen. Vergangenes Jahr wurde ein neues Terminal mit einem riesigen Wasserfall eröffnet, ein Baumwipfelpfad soll auch noch kommen. In Peking wurde nach fünf Jahren Bauzeit im September ein gigantischer Betonstern eingeweiht, der Flughafen Daxing, der teils noch von Stararchitektin Zaha Hadid entworfen wurde, bevor sie 2016 verstarb.

Glotzen erwünscht: Blick auf die Rollbahn vom Terminal 5 in London-Heathrow.
Glotzen erwünscht: Blick auf die Rollbahn vom Terminal 5 in London-Heathrow.

© AFP

Mark Vanhoenacker, Autor von Büchern über das Fliegen, „Financial Times“-Kolumnist und Pilot für British Airways, nannte ihn sofort das Schönste, was er je gesehen habe. „Lange dekorative Bögen steigen und fallen wie eingefrorene Wellen gegen klare horizontale Kanten, Pfeiler ragen zum Dach empor wie das Lüftergewölbe einer Kathedrale, wo sie sich an einem gleichzeitig geometrischen wie organischen Netz aus Himmelslicht brechen.“

Natürlich fehlt mir hingegen nichts vom bisherigen Flughafen Schönefeld oder den Anbauten in Tegel, die so aussehen, als wollten sie mit Bushaltestellen in der bulgarischen Provinz konkurrieren. Ich kann auch gut ohne das Viehtransportergefühl in vielen Ryanair-Terminals Europas leben, wo bereits der Gedanke an Bewegungsfreiheit mit jeder neuen Pre-Boarding-Schlange erdrückt wird, wo Einpeitscher Passagiermassen hin und her verschieben und sie schließlich in einen Omnibus quetschen. In einen Bus! Auf einem Flughafen! Gibt es etwas Widersinnigeres?

Flughäfen sollten auf die Reise vorbereiten, sie verschönern, nicht vermasseln. Die Beklemmung des Reisesommers 2019, als nicht nur Tegel aus allen Nähten platzte, Flüge gestrichen wurden und Gepäck nie ankam, diese Unsicherheit darf sich nicht wiederholen.

Deshalb empfinden es viele Urlauber inzwischen als Zumutung, sich an einen Flughafen zu begeben. Man kann nur hoffen, dass nach der Coronakrise dieses Grauen ein Ende hat. Die Zeichen deuten darauf hin. Das Angebot der Airlines wird sich ausdünnen, manche Fluggesellschaft könnte pleitegegangen sein, die Flugzeuge sollen kleiner werden, Passagiere werden genauer überlegen, ob eine Flugreise erforderlich ist, sie werden vielleicht mehr auf Nachhaltigkeit achten – und einen besseren Service.

Auch das darf bereits ein Flughafen leisten. In diesem hyperglobalisierten Raum braucht es das Regionale, um aufzufallen. Der Vielflieger und Zeitschriftenverleger Tyler Brûlé steht nicht nur wegen der kurzen Wege auf den Flughafen Helsinki – sondern auch, weil er dort besondere finnische Messer in einem Fachgeschäft entdeckte.

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Und bitte vergessen wir nicht das Gefühl des Ankommens, wenn sich die Schleuse zu einer neuen Stadt oder dem eigenen Zuhause öffnet, wenn die frische Luft ins Terminal hineinweht. Kann man diese herzzerreißende Szene am Ende von „Love, Actually“ vergessen, in der sich Menschen in der Ankunftshalle umarmen, küssen und vor Freude weinen? Ich schaue in unseren Hinterhof und sehe zwei Katzen, die sich die Pfoten lecken.

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