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Bloß nicht nach unten schauen! Wer sich diese Hangelei im sogenannten Outdoorpark „Area 47“ in Tirol zutraut, ist schon sehr nah am Abenteuer.

© area 47

Urlaub extrem?: Mut braucht Ausrüstung

Sogenannte Abenteuerreisen sind gefragt. Doch der Kunde wünscht Komfort und doppelten Boden.

Fatu Hiva = Thor Heyerdahl. Im aktuellen „Kon-Tiki“-Film träumt der junge Norweger davon, dass sein Name mit dem polynesischen Inselchen ähnlich eng verbunden sein werde wie Galapagos mit Charles Darwin. Der Film zeigt die Reise Heyerdahls und einiger Gefährten mit einem Floß aus Balsaholz von Peru nach Polynesien. Heyerdahl wollte 1947 so den Beweis antreten, die Südsee könne auch auf diesem Weg, von Osten her, besiedelt worden sein. Geltungsdrang, Entdeckerfreude und Abenteuerlust waren dafür nötig. Zu dieser Art Aufbruch gehört zudem eine gewaltige Portion Egomanie, sei es, um den Seeweg nach Indien oder in die Südsee zu entdecken oder auf einem 8000er zu stehen.

Thors Tour war eine abenteuerliche Reise mit ungewissem Ausgang. Das Scheitern wurde sogar in Kauf genommen. Einen doppelten Boden für das wackelige Floß lehnte der von seinem Plan Besessene ab. Die fixe Idee hatte sich in sein Hirn gefressen. Frau und Kinder waren ihm herzlich egal. Heyerdahl benahm sich, man kann es nicht anders sagen, wie ein Kotzbrocken.

Nichts von alldem hat wohl im Sinn, wer für seinen Urlaub eine sogenannte Abenteuerreise plant. Im Internet, in Katalogen, auf Reisemessen gibt es dazu eine große Auswahl. Auf der jüngsten ITB stand gar eine ganze Halle dafür zur Verfügung. Abenteuer- und Erlebnisreisen seien ein rasch wachsendes Segment der Reiseindustrie, das immer mehr Menschen anziehe, ganz unabhängig von Alter, Geschlecht und Status.

Aber was genau ist ein Abenteuer? In der mittelhochdeutschen Literatur bezeichnet die Âventiure eine ritterliche Bewährungsprobe. Wird das Wort heute im Englischen benutzt, darf man getrost skeptisch sein. Gemeint sind nämlich überwiegend Unternehmungen, für die weniger Mut oder Entdeckergeist, sondern vor allem Geld nötig ist. „Interlaken-Adventure“ nennen sich etwa einige Anbieter für Sportaktivitäten. Wie Fabian von Moos von Outdoor-Interlaken zusammenfasst: „Alles buchbar, alles geführt.“ Die Prospekte zeigen Menschen mit Helmen, die an Seilen baumeln, in Gummibooten durch Stromschnellen schießen, mit Fallschirmen vom Himmel plumpsen. Und auf den Fotos sehen alle immer glücklich und strahlend aus. Nie dreckig, verschwitzt oder gar verzweifelt. Abenteuer mit Netz und doppeltem Boden.

Wer moderne Abenteuer-Ausrüstungen kaufen will, kann das beim entsprechenden Ausstatter tun, etwa bei Globetrotter. Wobei der Name an sich auch etwas aus der Mode gekommen ist, verdrängt vom englischen Traveller. Die hauseigene Zeitschrift „4 seasons“ porträtiert eine Landsmännin Heyerdahls: Cecilie Skog stand auf den Seven Summits, also den jeweils höchsten Bergen aller Kontinente, war an beiden Polen, und sagt doch von sich selbst, sie sei nur „ein Mädchen, das gerne draußen unterwegs ist“.

„Mit dem Wort Abenteuer werben wir nicht“, sagt Petra Leutner-Wittmann von Hauser Exkursionen, einem Anbieter für Trekkingreisen rund um den Globus. Wobei vieles, „was wir anbieten, für viele schon das Höchste der Gefühle ist“. Es sei eben Definitionssache, erklärt Leutner-Wittmann. Für manche sei es schon ein Abenteuer, alleine in einem europäischen Nachbarland Bus zu fahren. In Grönland oder in einer Wüste zu trekken, das habe natürlich schon „einen großen Abenteuer-Aspekt. Wir machen ja die Kameltour nicht mal hinter der nächsten Düne.“ Ausdrücklich als Expedition werden bei Hauser solche Trips ausgeschrieben, die eine deutlich längere Vorbereitungszeit, körperliche Fitness und mentale Stärke erforderten.

Auch du kannst ein Abenteurer sein, wenn du unsere Jacke anziehst!

Auch das Forum Anders Reisen, zu dem Hauser Exkursionen gehört, bietet Reisen in alle Welt. Im Forum haben sich mehr als 130 Veranstalter zusammengeschlossen, die sich dem nachhaltigen Tourismus verpflichtet fühlen. Der gemeinsame Katalog „Reiseperlen“ preist unter anderem „weltweit Erlebnis, Abenteuer, Begegnung“ an. Als Glanzstück für 2013 wird das „Abenteuer Panamericana“ angeboten – eine Gruppenreise im Bus (!) von Alaska bis nach Feuerland. Die Website abenteuerreisen.com bietet von der Mietwagenrundreise so allerlei bis zu einer „vielfältigen Expedition“ nach Westgrönland. Die umfasst hauptsächlich Schiffsfahrten, Hundeschlittentouren, Wandern und Übernachten in Zelten. Man könnte auch sagen: Die Reise ist vor allem etwas unkomfortabel.

Abenteuer und Produktwerbung gingen von Anfang an Hand in Hand: Der Abenteurer zieht in die Welt und tut Mutiges. Wieder zu Hause, erzählt er davon. Sei es, um nach einer Odyssee die Geliebte zurückzugewinnen oder um für sich, seine Ausrüstung, sein Buch Werbung zu machen und so die nächste Tour zu finanzieren; und schließlich werben Ausrüster mit den Taten von Mutigen, um potenziellen Käufern zu suggerieren: Auch du kannst ein Abenteurer sein, wenn du unsere Jacke (Schuhe, Unterwäsche etc.) anziehst!

Moderne Extremsportler wie die Huber-Brüder oder Stefan Glowacz vollbringen Tollkühnes und berichten anschließend in Managerseminaren darüber. Was sich dann wieder auf das Reiseverhalten jener Menschen auswirkt, die die meiste Zeit des Jahres mehr Kontakt mit ihrem Bürostuhl als mit Baumstämmen oder Felsblöcken haben. Sie streben in die Ferne, suchen im Urlaub den Kick, allerdings ohne auf Komfort und Exklusivität zu verzichten – die abgesicherte Herausforderung.

Um markige Worte auch nicht verlegen ist Christian Schnöller, beim Tiroler Freizeitpark Area 47 fürs Marketing zuständig. Er spricht vom „weltweit größten Abenteuerspielplatz“. Sowohl Familien als auch Manager können im Ötztal das volle Programm bekommen: „Rafting, Canyoning, Hochseilgarten, Flying Fox, Mega Swing, Caving, Enduro Park, MTB Downhill und Freeriden sowie Climbing“. Alles klar? Klingt das nicht nach Abenteuer pur? Wer nun glaubt, Haiming und Roppen seien auch neue Abenteuerspäße, liegt falsch. Es sind lediglich die Ötztaler Dörfer nahe der 15 Millionen Euro teuren Anlage.

Schnöller, der jahrelang als Rafting-Experte gearbeitet hat, sagt, den Anstoß habe die Frage der Gäste gegeben, was man denn nach dem Schlauchbootfahren am Vormittag „noch so machen kann“. In die Berge rundum wollte man die Kunden wohl nicht schicken. Schnöller sagt, die Area 47 habe den angestaubten Sommertourismus belebt. Womit das Ötztal auf dem besten Weg sein dürfte, seinen belebten Wintertourismus in die Sommersaison zu transferieren. „Hotspot der Alpen“ wie sich Sölden nennt.

Ist es also ein Abenteuer, sich – in neuzeitlicher Ritterrüstung mit Helm und Goretex – in möblierten Landschaften inszenierten Freizeitvergnügen hinzugeben? Oder vielleicht doch eher eine Reise, die Burkhard Vorländer in seinem, auf der ITB prämierten Film „Im Dschungel von West-Papua“ dokumentiert? Dieser zeigt, wie sich eine Handvoll Europäer auf den Spuren Heinrich Harrers zum sagenumwobenen „Felsen der Steinäxte“ aufmacht. Zwei Wochen lang kämpfen sie sich durch den Bergregenwald in West Papua. In einer Szene ist der Expeditionsleiter zu sehen. Mit nervös zuckenden Mundwinkeln steht er vor einer Phalanx Einheimischer, mit mehr als Steinäxten bewaffnet. Man sei in einen Stammeskrieg geraten, sagt er. Die Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er sieht so ganz anders aus als die Menschen auf all den Prospekten der „Adventure“-Veranstalter. Möglicherweise wie ein richtiger Abenteurer.

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