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Diese ganz neu errichtete Häuserzeile am Alten Rathaus lässt erahnen, wie sich die Untere Altstadt Stettins einst präsentierte.

© gws

"Tall Ship Races" in Stettin: Noch Platz auf der Promenade

Stettin erwacht aus seinem Aschenputteldasein und macht sich schön. Nicht nur für die „Tall Ships Races“ Anfang August.

Eine Armada bewegt sich auf Stettin zu. Derzeit sind mehr als 100 Großsegler und Segeljachten noch in der Ostsee unterwegs, kämpfen um die Krone in den „Tall Ships Races“ (TSR). Erst am 2. August laufen sie in den Zielhafen an der Odermündung ein, wo sie ein großes Stadtfest erwartet, das bis zum 6. August dauert. Dann verabschieden sich die Schiffe aus 16 Ländern mit ihren Crews wieder. Stettin, das Mauerblümchen unter den großen polnischen Ostseehäfen, bereitet sich seit geraumer Zeit auf mehr als zwei Millionen Besucher vor, die auch aus dem nahen Berlin erhofft werden. Die im 2. Weltkrieg stark zerstörte 400 000-Einwohner- Stadt will nicht nur ein besonderes Spektakel zum Treffen der Großsegler bieten, sondern auch zeigen, dass ihre scheinbar ewig dauernde Agonie vorbei ist, in der sie auch in Nachwendezeiten noch lange verharrte.

Bei unserem Besuch der Oderstadt vor zwei Jahren waren wir noch hin- und hergerissen: Donnerwetter, was für ein Potenzial hat diese Stadt mit ihren Prachtboulevards, die von Gründerzeit- und Jugendstilbauten gesäumt sind, deren einstige Herrlichkeit trotz Kriegsfolgen und kommunistischer Misswirtschaft noch unschwer zu erkennen war. Doch: Liebe Güte, muss es gut 20 Jahre nach der Wende und fast 10 Jahre nach dem EU-Beitritt des Landes noch immer so unaufgeräumt aussehen? Ungebremst dem Verfall preisgegebene Fassaden der alten Bausubstanz, furchtbare Nachkriegsbauten, völlig verwahrloste Anlagen am innerstädtischen Oderufer. Vom vor sich hinrottenden Hafen ganz zu schweigen.

Nun kann sich eine über Jahrzehnte geschundene, nach allem was man hört auch von Warschau lange Zeit vernachlässigte Stadt kaum aus eigener Kraft neu erfinden. Und doch versucht es die mehr als 700 Jahre alte Hansestadt. Zwar warten die meisten Prachtbauten aus deutscher Zeit weiterhin auf private Investoren, doch zumindest der Verfall ist allem Anschein nach gestoppt. Neue Einkaufszentren entstehen in der Innenstadt, wobei der Besucher sich schon fragt, wo das Geld verdient wird, das hier ausgegeben wird.

Denn seit die Werften und andere staatliche Betriebe mit einst vielen Arbeitnehmern geschlossen wurden, haben sich keine nennenswerten Dienstleister oder Industrie angesiedelt. Der Stadt fehlt offenbar eine Art Masterplan für die Zukunft. Das propagierte Projekt „Floating Garden 2050“ erscheint doch sehr weit weg. Die Vision: Die grüne Umgebung und vor allem die zahlreichen Inseln in der Oder samt Kanälen und Überschwemmungsgebieten sollen städtebaulich zu einem Wohnviertel und „Freizeitparadies“ zusammenwachsen.

Realistischer und naheliegender ist da tatsächliche Stadterhaltung. Frische Farbe und alter Glanz rund um das geschichtsträchtige Rathaus belegen, wie das Stadtbild einst ausgesehen hat und wie ansehnlich es wieder hergerichtet werden kann. Schon ist viel öffentliches Geld geflossen, nicht zuletzt aus Brüssel, um die offensichtlichsten Narben der Stadt zu glätten. Etwa im Uferbereich der Oder, wo auf Höhe der imposanten Bebauung der Hakenterrassen bereits ansehnliche Flaniermeilen beiderseits des Flusses für Bürger und ihre Gäste entstanden sind. An einem angemessenen Gastronomiekonzept über das Seglerwochenende hinaus wird allerdings noch gefeilt.

Neuer Schwung in der Kulturszene

Beste Aussicht. Blick von der Oderinsel Lasztowina auf das Pommern-Schloss.
Beste Aussicht. Blick von der Oderinsel Lasztowina auf das Pommern-Schloss.

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Von der östlichen Seite des Oderarms aus, auf der Insel Lasztowina, kann der Spaziergänger einen wunderbaren Blick auf die Silhouette der Altstadt genießen, mit den vielen Kirchtürmen und der wiedererrichteten ehemaligen Residenz der Herzöge von Pommern. Auf der Insel entsteht auch ein komplett neuer Stadtteil für Wohnen, Arbeit und Freizeit. Anleger für kleine Segelschiffe, inklusive Strom- und Wasseranschluss sowie einer Hafenmeisterei, wo Sanitäranlagen zur Verfügung stehen, gibt es bereits. Während der Tage des Seglertreffens sollen zwei Einbahn- Pontonbrücken für Fußgänger das Pendeln über die Oder erleichtern.

Tatsächlich zukunftsweisend und eine Art hoffnungsfroher Leuchtturm ist die neue Philharmonie, von Architekten des Studios Barozzi Veiga aus Barcelona entworfen. Der 25 Millionen Euro teure Bau (zur Hälfte aus EU-Mitteln finanziert) mit zwei Konzertsälen für insgesamt 1200 Musikliebhaber, Café und diversen Probe- und Veranstaltungsräumen soll „im ersten Quartal 2014“ eröffnet werden. Beim Betrachter entsteht zunächst der Eindruck, die Außenhülle aus Aluminium könne niemals mit den benachbarten Backsteinbauten der Kaiserzeit korrespondieren. Doch mit etwas räumlichem Abstand betrachtet – es hat was.

Glänzend mit Aluminiumfassade: Die neue Philharmonie ist ein Solitär in der Stadt.
Glänzend mit Aluminiumfassade: Die neue Philharmonie ist ein Solitär in der Stadt.

© gws

Neuen Schwung in die Kulturszene der Stadt wird aller Voraussicht nach auch das Zentrum für zeitgenössische Kunst bringen. Die privat finanzierte Einrichtung „Trafo“ ist in einem historischen, entkernten und modern restaurierten Transformatorengebäude in der Innenstadt untergebracht. Die deutsche Kulturmanagerin Constanze Kleiner ist Berlinern als Initiatorin des Ausstellungsprojekts „White Cube“ und Geschäftsführerin der Temporären Kunsthalle bekannt. Sie ist zuversichtlich, dass der Eröffnungstermin 2. August auch Besucher ins „Trafo“ spült. In der ersten Ausstellung werden Werke des polnischen Künstlers Ryszard Wasko zu sehen sein.

Viel Geld aus öffentlichen Kassen ist für das bevorstehende Großereignis nötig. Um das Finale der Tall Ships Races auszurichten, wurde die Kämmererschatulle vermutlich bis auf den Grund ausgeschöpft. Etwa 20 Millionen Zloty (umgerechnet fünf Millionen Euro) fließen in die Veranstaltung, wobei vier Millionen Zloty von Sponsoren kommen, wie Krzysztof Soska, der stellvertretende Stadtpräsident, berichtet. „Wir hoffen, wir sind besser vorbereitet als 2007“, sagt Soska.

Vor fünf Jahren war Stettin bereits schon einmal Ziel des Schiffsrennens. Damals wurde die Stadt überrascht vom Zuschauerstrom. Zwei Millionen Menschen, vor allem schiffsverrückte Polen, kamen nach Stettin – und ein Chaos brach aus: Der Verkehr kam völlig zum Erliegen, es fehlten Hotelbetten, und die Vorräte der Gastronomie waren rasch erschöpft, so dass Nachschub aus anderen Städten herbeigeschafft werden musste. „Das ist jetzt wesentlich besser organisiert“, versichert Soska. Und Jan Pytka, der stellvertretende Polizeikommandant der Woiwodschaft Westpommern, verweist darauf, dass nicht nur 250 zusätzliche Verkehrspolizisten eingesetzt, sondern außerhalb der Stadt Parkflächen ausgewiesen und Gratis-Shuttlebusse in die Innenstadt organisiert werden, denn die wird am Festwochenende für den Autoverkehr gesperrt.

Wer also entspannt anreist, wird in der Armada der Großsegler neben bekannten Namen wie „Mir“, „Kruzenshtern“. „Alexander von Humboldt II“ oder der Dreimastbark „Cuauhtemoc“, einem Segelschulschiff der mexikanischen Marine, auch die „Shabab Oman“ entdecken, die als eines der größten aus Holz gebauten Segelschiffe der Welt gilt. Und das Schönste: Die Veranstalter versichern, dass die meisten Schiffe während ihrer Liegezeit im Hafen auch betreten werden dürfen.

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