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Taurina

© AFP

Spanien: Magie Madrid

Tapas, und sonst nichts? Wie die spanische Metropole Gourmets das Staunen lehrt.

Das Gewühl ist unglaublich. Wer die Madrider Altstadt am Wochenende besucht, zweifelt nicht daran, dass es sich um die fressverrückteste Metropole Europas handeln muss. Ein ganzes Viertel ist gesäumt von Bars und Restaurants in allen Varianten, und die Gäste stehen zur Hauptzeit gegen elf Uhr nachts Schulter an Schulter. Doch trotz dieses Andrangs gilt die spanische Hauptstadt immer noch ein wenig als Mauerblümchen der neuen spanischen Küche, die vor allem in Katalonien und im Baskenland blüht. Insider spotten, ohne Entwicklungshilfe der im Norden berühmt gewordenen Stars wie Santi Santamaria und Sergi Arola wäre Madrids Edelgastronomie immer noch weitgehend von der Küche des „Horcher“ bestimmt: Das legendäre Restaurant, das Gustav Horcher 1904 in Berlin gründete und 1934 nach Madrid mitnahm, serviert noch heute deutsch-französische Küche wie aus Kaisers Zeiten.

Doch der Aufschwung aus der Tapas-Ebene hat begonnen, und er orientiert sich klar am internationalen Trend der Spitzenküche: High-Tech plus globale Würze plus regionale Inspiration. Wer allerdings die Exaltationen der Jünger Ferran Adriàs erwartet, die mit ihren dekonstruktivistischen Experimenten das Bild der spanischen Küche im Ausland dominieren, wird enttäuscht sein: Dieses Thema spielt in Madrid keine große Rolle. Paco Roncero, einst rechte Hand des Meisters, setzt die Tricks der „Molekularküche in seinem Restaurant „La Terraza del Casino“ um, andere Köche wissen Bescheid, nutzen die Techniken aber unaufdringlicher.

Am meisten wird gegenwärtig über David Munoz diskutiert, den jungen Küchenchef des „Diverxo“. Die unscheinbare, mit wenig Aufwand umgemodelte ehemalige Sushi-Bar im nördlichen Stadtviertel Tetuan ist an den Wochenenden auf Monate ausgebucht, kein Wunder angesichts einer Küche, die die Idee der weltumspannenden Fusionsküche herzerfrischend dreist angeht. Einzige Regel: Es muss schmecken. Und das schafft Munoz mit traumwandlerischer Sicherheit, wenn er galizisches Rind mit einer kanarisch-japanischen Sauce, Quinoa-Risotto, baskischem Käse und Blumenkohlpüree umgibt, knusprigen Schweinebauch „im Dong-Po-Stil“ mit Selleriepüree serviert oder Tintenfisch-Dim-Sum mit Mark gratiniert und dazu einen Pfefferminztee reicht.

Weniger international und für den Nicht-Madrileño gewöhnungsbedürftig ist die stilistisch hochmoderne Regionalküche, die Mario Sandoval, der einst jüngste spanische Sternekoch, im „Coque“ am Stadtrand zeigt – eine Melange dunkler Aromen, die seltsam kontrastarm wirken und den mitteleuropäischen Besucher eher an Volkshochschule als an Genuss denken lassen: Zu den vier Meerestieren in Gelee, die mit streng schmeckenden Algenzubereitungen und -konzentraten dargeboten werden, gehören auch die raren Entenmuscheln (Percebes). In der transparenten, sehr intensiven Pilzbouillon gehen Schnipsel von Hasenrücken und Taubenbrust unter, ohne nennenswerten Eindruck zu hinterlassen. Ein Tipp für jene, die alles andere schon gegessen haben und auch das Unverständliche verstehen wollen.

Zur Erholung empfiehlt sich das großzügige „Casa Maria“ in der Altstadt, wo eine gradlinige, modern mediterrane Küche geboten wird, eine Rarität in der riesigen Lücke zwischen den Traditionswahrern und den prononcierten Modernisten. Unumstrittener Küchenstar der Stadt ist freilich Sergi Arola, der sich aus dem zweibesternten „La Broche“ ebenso verabschiedet hat wie von verschiedenen anderen Projekten. Nun macht er unverzettelt sein Ding, das schlicht „Sergi Arola Gastro“ heißt und im neuen Michelin 2009 vom Fleck weg mit zwei Sternen bedacht wird – wohlverdiente Auszeichnung für eine makellose, perfekt ausbalancierte Autorenküche mit regionalen Wurzeln: Bohneneintopf mit Seeigelzungen und Apfelwein-Emulsion, Rotbarbe mit Gurken, Pilzen und Seetang, katalanische Seegurke auf gebratenem Spargel.

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