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Spielplatz Piazzetta. Im Altstadtviertel Ortigia von Syrakus zeigt sich Sizilien wie erträumt. Touristen finden hier smarte, kleine Hotels.

© Andrea Pistolesi/picture-alliance

Sizilien: Eine ganze Welt für sich

Wer auf eine Rundreise durch Sizilien geht, begegnet fulminanten Spuren der Antike, jungen Winzern – und Souvenirs der Cosa Nostra.

Die große Insel liegt die meiste Zeit des Jahres im gleißenden Licht, aber verbirgt dem Reisenden gerne ihrer Geheimnisse. Einst gab es das „Königreich beider Sizilien“. Es reichte übers Tyrrhenische Meer bis nach Süditalien, mit den beiden Hauptstädten Palermo und Neapel. Italiens neuere Geschichte begann, als der Freischärler Giuseppe Garibaldi im Sommer 1860 in einem Volksaufstand Sizilien eroberte und danach das südliche Festland, um von dort die Einheit der italienischen Nation zu erkämpfen.

Das erscheint heute fern, obwohl Garibaldi auch in Sizilien mit zahllosen Denkmälern und Erinnerungstafeln verewigt wird. Doch für viele Mailänder, Römer und selbst Neapolitaner gilt Sizilien bereits als – Afrika. Italien, noch immer weniger eine Nation als ein Land der Regionen, hört vor Sizilien gewiss nicht auf. Aber Sizilien ist mehr als andere Inseln des Mittelmeers auch eine Welt für sich.

Zum Kennenlernen empfehlen sich da vor allem Frühjahr und Herbst. Der Vorteil von April bis Mitte Mai: Die Insel ist grün wie England und zeigt zugleich ein goldgelbes Meer von Mimosen, neben dem Rot und Rosa der Oleander, Mandelbäume und Kaktusblüten. Außerdem findet man, meist auch ohne Vorbestellung, Hotelzimmer jeder Kategorie, die Reise- tage sind lang, nur die Abende zum Draußensitzen oft zu kühl, und das Meer ist überraschend kalt. Baden kann man dagegen bis Ende Oktober, die sonnenverbrannte Insel wirkt nun südlicher, karger und karstiger auch. Doch die Weinfelder leuchten in allen Tönen. Sie werden mit großem, auch kommerziellem Erfolg von ambitionierten jungen, oft aus Norditalien zugewanderten Winzern bewirtschaftet. Wein hat vielfach den traditionellen Getreideanbau abgelöst.

Eine individuelle Sizilienrundfahrt – für die wir wenigstens zehn Tage vorschlagen – sollte in der Inselhauptstadt Palermo beginnen, doch wegen der Flugverbindungen ab Deutschland wird der Ausgangsort meist Catania sein. Als Erstes begrüßt einen dort das von seiner ewigen Rauchfahne und dem Schneegipfel gekrönte Vulkanmassiv des Ätna. In Richtung Palermo folgen gut 150 Kilometer Autostrada, und man durchquert das gebirgige Inselinnere von Osten gen Nordwesten: ohne viel Verkehr und mit grandiosen Ausblicken in die wilde Weite Siziliens.

An der Nordküste, am Tyrrhenischen Meer angelangt, biegen wir 40 Kilometer vor Palermo erst mal ab nach Cefalù. Der hübsch anzusehende Fischerort mit Hotels am Badestrand und seiner prächtigen, auf einem Felskap gelegenen Altstadt ist vor der trubeligen Inselmetropole ideal zum Ankommen. Cefalùs wunderbarer romanischer Dom bedeutet mitsamt palmenbestandener, von kleinen Cafés und Restaurants gesäumter Piazza vor einer wuchtigen Felswand die denkbar beste Ouvertüre.

Der Besucher ist hier unmittelbar auf den Spuren der Griechen (Cefalù ist eine Abwandlung des griechischen „kephalos“ = Kopf), der Karthager, Römer, Byzantiner, Araber, Normannen und später auch Spanier. Die wechselnden Eroberer und Kolonisatoren Siziliens haben in Cefalù ihre Zeugnisse hinterlassen, vor allem im Duomo San Salvatore, der ersten Prachtkirche Rogers II.

Über die Cosa Nostra schweigt man lieber

Der Normanne Roger II. (1095–1154) herrschte in Sizilien und von Süditalien bis Nordafrika einst als mächtigster König des zentralen Mittelmeers und baute im normannisch-byzantinischen Stil fast zeitgleich die mit ihren Goldmosaiken prunkenden, Orient und Okzident vereinenden Dome von Cefalù und Monreale bei Palermo, dazu auch die atemberaubende Capella Palatina, die Schlosskapelle im Königspalast von Palermo.

Also am nächsten Tag auf der Autostrada am Meer nach Palermo. Kurz vor der Hauptstadt ist noch ein Abstecher in den Küstenvorort Bagheria empfehlenswert. Heute ist das eine verbaute, zersiedelte Vorstadt, die kaum mehr ahnen lässt, dass hier einst der palermitanische Adel in seinen Villen mit parkartigen Gärten lebte. Ein paar letzte Zeugnisse aber gibt es noch: Zum Beispiel die verrückte Villa Palagonia mit ihren grotesken Steinfiguren auf Mauern und über Portalen, die schon Goethe als „Palagonische Raserei“ entsetzte und faszinierte.

Hierzu passt von Dacia Maraini der Roman „Die stumme Herzogin“, der in Bagheria und Palermo spielt und sinnlich und detailreich von einer emanzipativen jungen Frau im 18. Jahrhundert erzählt. Dacia Maraini, die in Bagheria aufgewachsen und kommende Woche Ehrengast des Berliner Literaturfestivals ist, entwirft mit heutigem Bewusstsein ein so lebendiges Bild des alten Sizilien wie sonst nur Giuseppe Tomasi di Lampedusa in seinem zur Zeit von Garibaldi handelnden „Gattopardo“, in dem es einmal heißt, dass sich alles ändern müsse, damit es bleibt, wie es ist.

Nichtsizilianer werden nur schwer in die tieferen Schichten der sizilianischen Seele dringen. An nahezu jedem Souvenirstand hängen, angefangen von der kleinsten Kindergröße, T-Shirts mit dem Konterfei Marlon Brandos alias Don Corleone, der Pate. Trotz solcher Selbstironie schweigt man lieber über die Cosa Nostra, die sizilianische Mafia. Dafür gibt es überall Postkarten vom realen Städtchen Corleone. In den 60 Kilometer südlich von Palermo im Inselinneren gelegenen Ort fährt freilich kaum ein Reisender, außer er möchte dort ein kleines Anti-Mafia-Dokumentationszentrum besuchen.

In Palermo war vor zwei Jahrzehnten auch für Touristen das Thema noch allgegenwärtig. Die Innenstadt teilweise im Verfall, schwarz rußig, Schützenpanzer vorm Gefängnis am Hafen, durch Sprengsätze verwüstete Geschäfte, deren Inhaber den „pizzo“ nicht zahlen wollten: das Erpressergeld für die Cosa Nostra. Seit den Morden an den Mafia-Jägern Paolo Borsellino und Giovanni Falcone Anfang der 1990er Jahre – nach den beiden ist heute der Flughafen Palermos benannt –, seit dem wachsenden Widerstand unter dem Bürgermeister Leoluca Orlando hat sich manches geändert in Palermo.

Die Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten vom Palazzo Reale, dem normannischen Königspalast, bis zu den Mumien der Kapuzinergruft ist heller, freundlicher, offener geworden, und mit EU-Geldern wurden große Teile der barocken Altstadt restauriert. Nur das bedeutende Archäologische Museum ist wegen Renovierung auf noch unabsehbare Zeit geschlossen.

Unser sizilianisches Lieblingsziel

Cefalù, mit seiner dramatisch auf einem Felskap gelegenen Altstadt.
Cefalù, mit seiner dramatisch auf einem Felskap gelegenen Altstadt.

© picture alliance

Von Palermo geht es in die Berge, weiter zur schon erwähnten Domstadt Monreale und dann südwestlich zum einsam in den Bergen gelegenen dorischen Tempel von Segesta, einem der schönsten Exempel der griechischen Antike auf Sizilien. Alle Reiseführer preisen danach auf dem Weg zum Meer das spektakuläre Bergstädtchen Erice. Mit oder ohne Erice sollte eine weitere Station indes im Südwesten, dort, wo auch die süßen Weine von Marsalla herstammen, der eher unscheinbare Küstenort Mazara del Vallo sein.

Für Kenner ist Mazara ein Wallfahrtsort, seit man dort in einer aufgelassenen Kirche der Altstadt den „Tanzenden Satyr“ sehen kann. Diese lebensgroße, von einem Fischer vor 15 Jahren vom Meeresgrund geborgene Bronzestatue eines ekstatisch beschwingten Jünglings mit wehendem Haar ist vermutlich ein schon in der Antike berühmtes Werk des griechischen Meisterbildhauers Praxiteles. Grazie und Rausch. Nach über 2300 Jahren noch immer eine Wucht. Als Italiens Beitrag zur Weltausstellung 2005 in Tokio war der Tänzer aus dem Gefolge des Weingotts Dionysos bereits eine Sensation, jetzt ist er die Reise hierher wert.

Auf den in Sizilien so fulminanten Spuren der Antike, die selbst in Athen, Delphi, der Türkei oder südlich von Neapel in Paestum nicht viel ihresgleichen haben, geht es über sanfte Hügel am Meer ins idyllisch verstreute Ausgrabungsgebiet von Selinunt, wo man in den nahen Fischerdörfern kleine Hotels, gute Restaurants und viele Sandstrände findet. Und weiter: zum „Tal der Tempel“ von Agrigent. Während das moderne Agrigent hässlich im Hintergrund wacht, entfalten die griechischen Ruinen, vor allem der glänzend erhaltene Tempel der Concordia und das nahe gelegene erstklassige kleine Museum, einen großen Reiz.

Wichtig hier: Die Stadt Agrigent meiden, im eleganten, direkt beim Ausgrabungsgebiet gelegenen Hotel Villa Athena vorab ein Zimmer mit Tempelblick reservieren – und später einfach und gut in einem der Hafenrestaurants im benachbarten Fischerort Porto Ercole essen. Agrigent und Porto Ercole sind übrigens unter fiktiven Namen die Schauplätze der Commissario-Montalbano-Krimis von Andrea Camillieri, der hier geborenen wurde.

Unterwegs von Agrigent zu unserem favorisierten Ziel Syrakus, auf der großen Straße entlang der Südküste, sollte wenigstens ein Zwischenstop eingelegt werden. Am besten in Noto, der wohl schönsten reinen Barockstadt Siziliens, voller Paläste und Kirchen im cremefarbenen Sandstein, wiedererstanden nach dem verwüstenden Erdbeben von 1693. Durch die unverkennbar spanischen und mitunter arabischen Einflüsse auch einer der Orte, an denen man sich zwischen Afrika, Andalusien und Mexiko wähnt.

Unser sizilianisches Lieblingsziel jedoch ist südlich von Catania die Hafenstadt Syrakus. Angeblich als einzige Stadt Siziliens ohne Cosa Nostra, was mangels Baumafia den schlechten Straßenzustand erklären könnte. Unbedingt empfehlenswert: in dem auf einer Halbinsel gelegenen Altstadtteil Ortigia Quartier beziehen, in einem der kleinen Hotels an den Kais, wo das Mittelmeer auch mal wie der Atlantik oder die Nordsee gegen die Felsen braust – während im autofreien Ortskern stiller Zauber herrscht.

Der Dom an der Piazza bietet Einzigartiges

Syrakus, vor 12 000 Jahren schon von den Phöniziern besiedelt, hatte im 5. Jahrhundert vor Christus eine halbe Million Einwohner, viermal mehr als heute. Von der einstigen Metropole zeugen am Stadtrand nur ein antikes Theater und die Steinbrüche, in denen sich Tausende gefangene Athener nach einem gescheiterten Eroberungsversuch als Kriegssklaven zu Tode schufteten. Eine Attraktion ist dort das „Ohr des Dionysios“, eine riesige Felshöhle, aus welcher der Tyrann Dionys, den Schiller in seiner Ballade „Die Bürgschaft“ verewigte, die Gespräche der Gefangenen abgehört haben soll.

Nach Syrakus kamen einst der Dramatiker Aischylos, der Poet Pindar, Platon lehrte hier Philosophie, und der Mathematiker Archimedes sagte zu einem römischen Soldaten „Störe meine Kreise nicht“ – worauf der ihn erschlug. Das alles gehört hier zur inneren Vorstellung. In Ortigia mit seinen Altstadtgassen wie aus dem Bilderbuch öffnet sich auf einmal einer der prächtigsten Plätze ganz Italiens. Und der Dom an der Piazza bietet etwas ganz Einzigartiges. Die opulente barocke Marmorfassade von Andrea Palma ist einer normannischen Kathedrale vorgeblendet, die ihrerseits auf einer frühchristlichen Kirche fußt, die sich die 20 dorischen Säulen eines darin erhaltenen griechischen Tempels des 5. Jahrhunderts vor Christus einverleibt hat. Ein so direkt noch mit Händen zu greifendes Zusammenspiel über die Epochen, Religionen und Kulturen hinweg ist ein Ereignis. Wer von hier dann im Stadtinneren oder an der Seepromenade bis zur Spitze der Halbinsel weitergeht, gerät zu einer nach Architektur und Zweck bis heute rätselhaften Festung, dem Castello Maniace, das der Staufferkaiser Friedrich II. weiter ausbauen ließ.

Dort hängt in einem leicht zu übersehenden Seitenraum Caravaggios grandios gruselige „Enthauptung der Johanna“. Es ist nur die Kopie des in einer Museumskapelle am Domplatz ausgestellten Originals. Aber das falsche echte Gemälde wirkt in der unheimlichen Festung noch faszinierender. Und nur wenige Besucher entdecken es.

Ziemlich überlaufen, wenn man nicht im Winter kommt, ist natürlich Taormina, das, auf der felsigen Anhöhe überm Meer thronend, jeder Sizilien-Reisende allemal gesehen haben muss. Wir wählen Taormina, eine Fahrstunde nördlich vom Abflugsort Catania, als Finale.

Die zentrale Altstadtgasse mit ihren Boutiquen ist etwas für Liebhaber der Hautnähe zum russisch-japanisch-französisch- amerikanisch-deutschen Mitmenschen. Halbwegs entfliehen kann man dem nur im spektakulär gelegenen griechischen Theater mit dem berühmten Ätna-Blick: am besten kurz vor Schließung bei Sonnenuntergang. Und danach ein Drink auf der exquisit ruhigen, auch für Besucher von außen geöffneten Terrasse des benachbarten Grandhotels Timeo, mit ebenfalls formidabler Ätna-Sicht. Die späte Sonne und den Vulkan durch ein Glas Campari betrachtet, erscheint die Welt hier zur Feier als himmlisches Feuer.

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