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Nicht mehr krumm. 2006 ebnete eine Baufirma das alte Pflaster.

© dapd

Relikt alter Wegebaukunst: Die Linden der Preußen

In der Uckermark steht die „Allee des Jahres 2012“. Doch eine Teerdecke versiegelt ihr Kopfsteinpflaster.

Zum ersten Mal nach bald einem Jahrzehnt biegt der Urlauber wieder von der Landstraße zwischen Lychen und Templin in der Uckermark in das schmale Sträßchen zur Hundert-Seelen-Gemeinde Annenwalde ein. Offensichtlich hat sich in diesen Jahren in der hügeligen Seenlandschaft rund sechzig Kilometer nördlich von Berlin wenig geändert. In der Abenddämmerung des Herbsttages taucht eine herrliche Allee aus alten Linden auf, die schon lange als typisches Postkartenmotiv dient.

Offensichtlich hat dieses Relikt preußischer Wegebaukunst aus dem 18. und 19. Jahrhundert auch das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts überstanden. Allerdings nicht unverändert, das früher übliche Geholpere beim Fahren fehlt inzwischen. Das alte Kopfsteinpflaster aus jenem Granit, den einst die Gletscher der Eiszeit hierhergetragen hatten, ist einer glatt-schwarzen Asphaltdecke gewichen. Das nimmt der Allee einiges von ihrem Reiz. Immerhin: Die alten Bäume stehen noch.

Am Anfang und am Ende der Allee verkündet jeweils eine offensichtlich erst kürzlich aufgestellte Tafel: „Allee des Jahres 2012“. Von den rund 20 000 Kilometern deutscher Straßen, die von Baumreihen flankiert werden, soll also dieser eine Kilometer zwischen Densow und Annenwalde der schönste im Lande sein. So hat es jedenfalls eine Jury des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in diesem Herbst beschlossen.

Die Lindenallee hat diesen Titel sicher verdient, allerdings kommt die Auszeichnung viel zu spät. Denn die Allee nach Annenwalde war bis zum Jahr 2006 noch eine der letzten im Nordosten Deutschlands, die fast unbeschadet die vergangenen Jahrhunderte als öffentliche Straße überstanden hatte. Wie auf praktisch allen preußischen Landstraßen gab es unmittelbar aneinandergrenzend einen Sommerpfad und einen Winterweg: Vielleicht zwei Drittel der Straßenbreite war gepflastert, hier konnte man auch nach Wolkenbrüchen und im Winter gut fahren. Der Rest war je nach Wetterlage staub- oder schlammbedeckt, so dass auch nicht beschlagene Hufe von Pferden und Eseln darauf gut zurechtkamen.

Schwerlastverkehr aber zerstört mit der Zeit solche aneinandergrenzenden Sommer- und Winterwege. Meist ersetzt dann eine Decke aus Asphalt oder Beton Kopfsteinpflaster und märkischen Sand. Nicht so in Annenwalde, vermutlich war ein neuer Asphaltweg in die Hundert-Seelen-Gemeinde einfach zu teuer. Und weil sich der Schwerlastverkehr in das abgelegene Annenwalde in Grenzen hielt, blieben Sommerweg und Winterstraße in gutem Zustand, bald mit dem Siegel des Denkmalschutzes.

Mittlerweile hatten sich auch viele Künstler im Dorf angesiedelt: Werner Kothe hat dort die einstige Glashütte wieder auferstehen lassen, der Maler, Grafiker und Bildhauer Peter Westphal und einige andere arbeiten in diesem Dorf mit seinen hübschen kleinen Fachwerkhäusern. Diese oft noch in DDR-Zeiten Zugezogenen hätten die alte Straße wohl gerne behalten. Eine andere Fraktion aber wollte das Hoppelpflaster lieber heute als morgen mit einer Asphaltdecke überziehen. Auch die Klage des BUND konnte diese Entwicklung nicht mehr verhindern, 2006 verschwand nicht nur das denkmalgeschützte Kopfsteinpflaster, sondern auch eins der letzten intakten Relikte aus der Zeit des Preußenreichs.

Die Auszeichnung zur „Allee des Jahres“ kommt also eigentlich sechs Jahre zu spät. Aber vielleicht hilft der Ehrentitel zumindest, die prächtigen Linden zu erhalten.

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