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Auf Wellen reiten, Volkssport an der Westküste der USA. Das bringt Spaß und erzielt auch einen gewissen Show-Effekt an den Stränden unweit von Hollywood.

© Stuart Palley, pa

Kalifornien: Muskelspiele mit Meerblick

Bei einer Strand-Tour im kalifornischen Santa Monica erlebt man eine Schau der Freizeitvergnügen.

Eric Kinderman schnauft. Tom Hanks ist schuld daran. Nur wegen dessen Film „Forrest Gump“ steht nun auf dem Santa Monica Pier diese Fastfood-Bude: „Bubba Gump Shrimp“. In einem Lokal gleichen Namens hat der Einfaltspinsel Forrest in dem Film von 1994 gearbeitet, nun ist die daraufhin gegründete Kette in ganz USA verbreitet. Einmal hat Eric Kinderman die frittierten Meeresfrüchte probiert, er hat es bereut und meckert nun. Das ist etwas verwunderlich, denn eigentlich findet Kinderman alles „beautiful“ in dem kalifornischen Strandort.

Die Schönheiten jenseits von Fastfood und Frittierfett zeigt der 62-Jährige auch den Gästen der Stadt. Seit einigen Monaten führt der pensionierte Friseur Touristen über die ausgebaute Promenade, vom historischen Pier in Santa Monica bis hinunter nach Venice Beach, und zwar: auf dem Fahrrad.

Das Verkehrsmittel ist für Durchschnittsamerikaner nach wie vor so exotisch wie für Berliner ein Cadillac. Nur wenige Fahrradwege führen durch Los Angeles. Im nahe gelegenen Santa Monica sind es einige mehr, denn der Stadtrat versucht seit Monaten, die Bürger dazu zu bewegen, auf das Rad umzusteigen. Am Ende der Fußgängerzone, an der Second Avenue, wurde beispielsweise das „Bike Center“ eingerichtet. Wer Mitglied ist, kann dort sein Rad parken, warten oder nach einer Tour in den Räumlichkeiten duschen.

Die Palmen kamen erst nach dem Krieg

Für Touristen gibt es mehrere Angebote, Stadttouren per Drahtesel zu erleben. Die meisten beginnen am Pier – so wie die Fahrt mit Eric Kinderman. Der Santa Monica Pier ist unübersehbar das Wahrzeichen der Stadt. Die Silhouette mit Achterbahn und Riesenrad sieht man selbst aus ein paar Kilometern Entfernung noch. Nachts ist der kleine Vergnügungspark beleuchtet. Er strahlt, blinkt und glitzert wie eine verrückt gewordene Lichtmaschine.

Santa Monica, 85 000 Einwohner, ist Teil von Los Angeles County und gesegnet mit einem breiten hellen Sandstrand. Am Wochenende treffen dort Familien aus der Millionenmetropole auf Wochenendausflügler aus dem Hinterland und Reisende aus aller Welt. Es ist eine junge Stadt, gerade mal 130 Jahre alt.

Eine Tour entlang des Strandes ist auch eine Zeitreise durch die jüngere Freizeitgeschichte der gesamten USA: Surfer, Skater, Bodybuilder, sie alle haben ihre Spuren in der amerikanischen Populärkultur hinterlassen, in der Musik, in der Mode, in der Literatur. Sie haben ihre ersten Schritte oft in Santa Monica gewagt.

Aus einer Mappe holt Kinderman nun ein Schwarz-Weiß-Foto aus den frühen 50er Jahren hervor. Man blickt vom Pier südwärts die Küste hinunter. Mehrgeschossige Häuser so weit das Auge reicht, allerdings keine Wolkenkratzer. Am Horizont steigen Düsenjets vom internationalen Flughafen in Los Angeles auf. „Was sehen Sie am Strand, was Sie auf diesem Bild nicht sehen?“ Es ist so offensichtlich, dass man zwei Mal hinschauen muss. Die Palmen! „Genau“, sagt Eric. „Die sind alle erst nach dem Krieg gekommen, aus Hawaii wahrscheinlich. Und zum Glück! Das sieht doch so viel schöner aus.“

Riesenrad, Achterbahn, Zuckerwatte

Dazu dieses Pazifikblau. Daran kann man sich gar nicht sattsehen, ein Versprechen auf ewige Sorglosigkeit. Das lockte bereits die ersten Siedler hierher, die Sommerfrischler aus dem heißen Los Angeles und später die Millionäre aus der Filmindustrie. Im frühen 20. Jahrhundert wurde für diese Erholungssuchenden der Santa Monica Pier ausgebaut: Neben der Seebrücke, an der Abwasserrohre ins Meer führten, errichtete Charles I.D. Looff 1916 den „Pleasure Pier“  – eine Landungsbrücke fürs Vergnügen.

Karussells, eine hölzerne Achterbahn, Wurlitzerorgeln und Rummelstände befanden sich auf dem Steg. Ein Tanzsaal mit mehr als 1500 Quadratmetern Fläche, der „La Monica Ballrom“, fasste mehr als 5000 Menschen. Allerdings fand die Stadt 1963 den riesigen Bau mit der pseudospanischen Fassade für nicht mehr zeitgemäß – und ließ ihn abreißen.

Riesenrad, Achterbahn, Zuckerwatte, es gibt heute jede erdenkliche Ablenkung, die in Überdosen zu Magenproblemen führt. Aus der Anfangszeit hat nur das Hippodrom im Original überlebt, ein zweigeschossiger Holzbau, in dem ein historisches Karussell Kinder anlockt. In der oberen Etage, erklärt Eric Kinderman, wurden 1973 Szenen des Films „Der Clou“ mit Robert Redford und Paul Newman gedreht.

Wir fahren eine breite Rampe hinunter. Langsam, denn die Beach Cruiser, auf denen wir sitzen, sind Zuckelräder. Selbst wer schnell in die Pedale tritt, kann kaum mehr als ein Kaffeekränzchen-Tempo herausholen. „Ich habe gehört, Radfahren in Berlin soll eine größere Herausforderung sein“, sagt Kinderman. Wie wahr!

So sahen sie aus, die ersten Bodybuilder

Schön schräg. Bodybuilderin Lauren Powers zeigt’s allen am Strand.
Schön schräg. Bodybuilderin Lauren Powers zeigt’s allen am Strand.

© pa

Am Fuß des Piers halten wir. Vor uns erheben sich Klettergerüste, Reckstangen. Einige Frauen und Männer schwitzen bereits an den Geräten. Die nicht immer sportlich aussehenden Touristen schauen, als gäbe es Aliens zu bestaunen. Fasziniert davon, wie jemand seinen Körper so unter Kontrolle hat, dass er wie Spider-Man durch einen Parcour hangeln kann. Willkommen in Muscle Beach!

An dieser Stelle begann in den 30er Jahren die Fitnessbewegung, die mittlerweile mit Fitnessstudios, Muskelaufbaupräparaten und Trainingsprogrammen eine ganze Industrie hervorgebracht hat. Eric Kinderman holt wieder Fotos aus seiner Mappe hervor. Diesmal von Männern, die schwarze, unförmige Badehosen tragen, sich wie Artisten aufeinanderstellen oder an Gewichten abrackern. So sahen sie aus, die ersten Bodybuilder.

Ihnen war nur ein kurzes Glück in Santa Monica vergönnt. Der den Gewichthebern vorbehaltene Strandabschnitt wurde 1959 geschlossen. Eric Kinderman glaubt, es habe Anzeigen wegen sexueller Übergriffe auf Minderjährige gegeben, die Sportler hätten den „sauberen Ruf der Stadt beschmutzt“ und mussten ins angrenzende Venice Beach umziehen. Erst 30 Jahre später baute Santa Monica den „Original Muscle Beach“ wieder auf.

Gegenüber den Sportlern, die ihre Körper stählen, sitzen die Männer, die ihren Geist trainieren: die Schachspieler vom Santa Monica Chess Park. Ein Schild warnt Besucher, weder zu fluchen noch zu rauchen, noch Alkohol zu trinken. Bobby Fischer, der wohl größte Schachspieler des 20. Jahrhunderts, wie manche meinen auch der verrückteste, soll an diesen Tischen vor einem der fest montierten Bretter gesessen und geübt haben.

Eric Kinderman radelt weiter den gewundenen breiten Weg entlang. Er weicht den Familien und ihren prall gefüllten Taschen aus, klingelt einige Jugendliche zur Räson, die auf der Radspur gehen, und hält hinter einem großen Backsteinbau in U-Form an. Das „Casa del Mar“ wurde 1926 im Stil des italienischen Rinascimento entworfen. Es war einmal ein exklusiver Strandclub, eine Unterkunft für die US-Army im Zweiten Weltkrieg, ein Drogenrehabilationszentrum, und seit einigen Jahren ist es ein Luxushotel.

Am Inkwell Beach lernte Nick Gabaldon surfen

All das erwähnt Eric Kinderman, doch eigentlich hält er an diesem Teil der Promenade, am Ende der Bay Street, weil an dieser Stelle der Inkwell Beach lag – der Strandabschnitt, der früher Schwarzen vorbehalten war. Der befand sich vor 80 Jahren so weit weg vom beliebten Pier, damit sich Menschen verschiedener Hautfarben bloß nicht mischten.

Am Inkwell Beach lernte Nick Gabaldon in den 1940er Jahren seine Fertigkeiten auf dem Surfboard und wurde als erster schwarzer Surfer bekannt. Um zu den besseren Surfstellen am Malibu Beach zu gelangen, paddelte er auf dem Brett die beinahe 20 Kilometer nordwärts an der Küste entlang und wieder zurück. Andere Surfer trampten, aber niemand hätte damals einen Schwarzen mitgenommen. Nick Gabaldon starb 1951, als er mit seinem Surfbrett gegen den Malibu Pier knallte. Ein kleines Denkmal am Inkwell Beach erinnert heute an ihn.

Nur eine Ecke weiter führt eine steile Stichstraße zum Strand hinunter, es ist das Ende der Bicknell Avenue. An dieser Stelle übten die ersten Skateboarder in den 1970er Jahren ihre Kunststücke. Unter dem Namen Z-Boys erlangten sie als Kollektiv landesweite Popularität. Auch weil sie in den Sommern durch Santa Monica fuhren, nach Grundstücken Ausschau hielten, deren Besitzer im Urlaub waren und in ihren Pools das Wasser abgelassen hatten – so dass die Skater in den kurvigen Betonverschalungen üben konnten.

In Venice Beach waren die Partys besser

Aussicht für Biker am Pier von Santa Monica
Aussicht für Biker am Pier von Santa Monica

© imago/Kai Koehler

Elegante Hotels und Apartmentblocks links, Menschenmassen und Pazifik rechts. Langsam füllt sich der Strand an diesem Vormittag – und auch der Fahrradweg. Dass Eric Kinderman nach einer knappen Stunde die Grenze zu Venice Beach überfährt, erkennt man vor allem daran, dass plötzlich mehr Menschen die Straße kreuzen – und ein ganz anderer Schlag als die manchmal doch sehr feinen Urlauber in Santa Monica.

Beide Orte gehen ineinander über, nur in Venice Beach sieht es in Strandnähe wie in einer Hippie-Hochburg aus. Auf einem kleinen Markt nahe des Ocean View Parks bieten ergraute Straßenverkäufer Ketten an, braungebrannte Aussteiger verkaufen Tand wie Armbänder oder Amulette. Ein Ensemble von bunt gestrichenen Zwei- bis Viergeschössern säumt nun die Straße, es sind nicht mehr die weißen Hotelburgen wie in Santa Monica – und in den Erdgeschossen warten Cafés und Bars auf Besucher.

Eric Kinderman erzählt, wie er in den 1960er Jahren nach Venice zog, weil es einfach günstiger war – und, nun ja, die Partys besser waren. „Aber fragen Sie mich nicht, welche Substanzen wir genommen haben!“ Er weist lieber auf eine Marihuana-Apotheke hin, gleich am Ocean Front Walk.

Am Muscle Beach wurde Schwarzenegger groß

Vor der Apotheke verteilen junge Menschen in hellgrünen Anzügen Flugblätter. Schilder weisen auf den „Medical Marijuana Doctor“ hin. Die Droge ist in Kalifornien unter bestimmten Voraussetzungen legal. „Wenn Sie Kopfschmerzen haben, können Sie hineingehen und sich eine Behandlung gönnen“, sagt Kinderman. Dem Geruch auf dem Bürgersteig nach zu urteilen, leiden überdurchschnittlich viele Menschen an diesem Tag unter Kopfweh.

Was dazu wohl die jungen Männer vom Muscle Beach sagen würden? Die trainieren in einem hübsch eingezäunten Parcour mit schweren Hanteln oder an Fitnessgeräten. Alles natürlich unter freiem Himmel, damit auch die Besucher etwas davon haben. Der Muscle Beach, der Ende der 1950er Jahre aus Santa Monica an den Ocean Front Walk zog, errang eine noch größere Popularität als sein Vorgäger. Das lag an einem Jungen mit heftigem Seitenscheitel und starkem Akzent. Arnold Schwarzenegger trainierte lange in Venice Beach, bevor der Ruhm allen öffentlichen Auftritten ein Ende bereitete. Ein großes Wandgemälde erinnert in Strandnähe an den berühmten Muskelhelden.

Am Ende der Tour steht Eric Kinderman auf dem Venice Pier, schaut hinüber zu den Bergen hinter Malibu und zum Santa Monica Pier. Im Meer trainieren junge Surfer. „Kennen Sie Magnum?“ Eric Kinderman sagt, so wie der Fernseh-Detektiv in den frühen 80er Jahren, so habe er damals ausgesehen. Schnauzbart, offene Blumenhemden, kurze Hosen. Und so ein Lotterleben habe er geführt. „Heute bin ich für die Frauen einfach unsichtbar.“ Er lächelt schwach. Nicht jeder Sport verliert seine Faszination mit dem Alter.

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