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Künstlerdorf Worpswede: Bei den Malern im Teufelsmoor

Worpswedes Wandlung vom Dorf des Torfs zum Hort der "alten Meister“. Das Örtchen ist auch 120 Jahre nach Eintreffen der ersten Maler noch ein Zentrum der Kunst.

Fast geräuschlos gleitet die schwarze „Moorhexe“ an Moorteufel und Moorgeist vorbei. Eine halbe Drehung, dann nimmt das Schiff Kurs auf den Hafenkanal Osterholz-Scharmbeck, um nach wenigen Kilometern in die Hamme abzuzweigen. Ihr Ziel: das Künstlerdorf Worpswede. „Anfang des 20. Jahrhunderts waren diese schmalen, schwarzen Holzschiffe mit ihren braunen Segeln das dominierende Verkehrsmittel im Teufelsmoor“, erklärt Gästeführer Eberhard Ginz. Seit einigen Jahren gehören sie von Frühjahr bis Herbst wieder zum Landschaftsbild. Nur Torf für die nahe Großstadt Bremen befördern sie keinen mehr. Heute sind die Besucher des Teufelsmoores ihre Fracht.

Nachdem die „Moorhexe“ die erste Brücke unterquert hat, kommt Bewegung in die Fahrgäste. „Ein paar von euch müssen mir beim Mastsetzen helfen“, ruft Schiffer Henning in die Runde. Flinke Händen haken das braune Segel ein und rollen es auseinander.

Vor 250 Jahren war das Teufelsmoor zwischen Bremen und Bremerhaven noch eine ebene, sumpfige Landschaft. „Moorvater Jürgen Christian Findorff war als ,königlicher Moorkommissar‘ eingesetzt“, berichtet Eberhard Ginz. „Ab 1751 ließ er ein System von Entwässerungsgräben durch die Landschaft ziehen.“ Entlang den Gräben entstanden erste Dörfer. Auf den Moorflächen stachen die Bauern Torf. Er diente vor der Steinkohle als Brennmaterial. „Auf den Flüssen Hamme, Wümme und Lesum schafften die Torfbauern mit ihren knapp zehn Meter langen Eichenholzkähnen mühsam den Torf nach Bremen“, erläutert der Gästeführer. „Dort wurde er auf Pferdewagen umgeladen und in der Stadt als Heizmaterial verkauft.“ In der Torfschiffswerft in Worpswede wurden 600 Torfschiffe gebaut. Das letzte 1957. Seit 1977 ist die Werft Museum, wo die schwere Arbeit des Torfstechens anschaulich dargestellt wird.

Gelbe Lilien säumen das Ufer. Drei Angler versuchen ihr Glück. Zwei Fischreiher sind erfolgreicher. Erlen und Eschen spiegeln sich im Wasser. Auf den trockengelegten Moorflächen weiden Kühe. Ausflugslokale wie „Melchers Hütte“, „Hamme Hütte“ oder „Schamaika“ waren zu Torfschifferzeiten Raststätten oder Zollstellen. Heute gibt es hier Spezialitäten wie Knipp (Eintopf aus Graupen und Schweinefleisch), „Moorbraten“ und Buchweizenpfannkuchen.

Kurz hinter der Ziehbrücke im Hafen Worpswede-Neuhelgoland entlässt die „Moorhexe“ ihre Gäste. An der 1838 erbauten Erdholländer-Windmühle – beliebtes Motiv der Gründermaler – entlang geht es in den alten Ortskern.

1884 besuchte Fritz Mackensen, Student der Düsseldorfer und Münchner Kunstakademie, zum ersten Mal das bis dahin unbekannte Dorf im Teufelsmoor. Stille, Einsamkeit, Weite, Wind und Wolken: Diese Landschaft begeisterte ihn. 1889 kam er mit seinen Studienfreunden Otto Modersohn und Hans am Ende zurück. Sie gründeten die Worpsweder Künstler-Vereinigung, die sich wenige Jahre später noch um Fritz Overbeck und Heinrich Vogeler erweiterte. „Nach einer erfolgreichen Ausstellung im Münchner Glaspalast im Jahre 1895 kamen immer mehr Künstler nach Worpswede“, erläutert Wolfgang Kaufmann, Leiter des Museums am Modersohn-Haus. So auch Otto Modersohns spätere zweite Frau, Paula Becker.

Im „Museum am Modersohn-Haus“, in dem Paula und Otto Modersohn lebten, hängen sowohl Werke der „Alten Worpsweder Meister“ als auch Arbeiten späterer Künstler. Das Gleiche gilt für das „Roselius-Museum“ und die „Worpsweder Kunsthalle“. Das „Haus im Schluh“ und der „Barkenhoff“ widmen sich hauptsächlich dem Schaffen Heinrich Vogelers. „Ein spezielles Otto-Modersohn-Museum gibt es noch im 20 Kilometer entfernten Fischerhude“, sagt Wolfgang Kaufmann. Dorthin war der Maler 1908 nach dem frühen Tod seiner Frau Paula im November 1907 gezogen.

Worpswede ist auch 120 Jahre nach Eintreffen der ersten Maler noch ein Ort der Kunst. Zum einen ist es ein musealer Ort der „Alten Meister“. Zum anderen leben mehr als 130 Künstler und Kunsthandwerker im Umkreis Worpswedes: Maler, Bildhauer, Fotografen, Gold- und Silberschmiede, Keramiker, Literaten. Malkurse und andere Kreativseminare für Kinder und Erwachsene sind im Angebot.

Vom „Haus im Schluh“ geht es weiter zum Worpsweder Bahnhof. Heinrich Vogeler war nicht nur Maler, sondern auch Grafiker, Landschaftsgestalter, Architekt und Möbeldesigner. „1920 entwarf er eine Reihe von Jugendstil-Bahnhöfen entlang der Bahnlinie Bremervörde – Bremen“, erklärt Eberhard Ginz. „Der Worpsweder Bahnhof blieb als einziger erhalten.“ Nicht nur das Gebäude, sondern die gesamte Inneneinrichtung stammt von dem Künstler. 1978 wurde der Zugverkehr auf der Strecke eingestellt, der Bahnhof restauriert und als Jugendstil-Restaurant eingerichtet. Um seine Möbel in Serienproduktion herzustellen, hatte Heinrich Vogeler 1908 die „Worpsweder Werkstätten“ gegründet. Seit 1980 betreibt sein Enkel Hans Georg Müller am „Haus im Schluh“ eine Tischlerei. Nach alten Vorlagen fertigt er die Möbel seines Großvaters.

Seit sechs Jahren zuckelt auch der „Moorexpress“ mit historischen Triebwagen wieder durchs Teufelsmoor. Der Worpsweder Bahnhof ist wieder Haltepunkt. Durchs Zugfenster sind in der Ferne die braunen Segel der Torfkähne zu erkennen, die mit ihrer Gästefracht über die Hamme schippern.

Dagmar Krappe

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