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Täglich grüßt ein anderer Pinguin. Auf der Halbmondinsel brüten Tausende Zügelpinguine.

© Hella Kaiser

Kreuzfahrt in die Antarktis: Im Reich der Pinguine

Auf den Spuren des Entdeckers Ernest Shackleton: Mit der „Fram“ zu verlassenen Walfangstationen in Südgeorgien mit Kurs in die Antarktis.

Über Nacht ist Schnee gefallen über der Fortuna Bucht im Norden von Südgeorgien. Ausgerechnet. Dabei ist die „Fram“, zehn Tage zuvor in Montevideo gestartet, doch eigentlich auf dem Weg in den arktischen Frühling. „Zu viel Schnee“, sagt Ina, die Leiterin des Expeditionsteams an Bord. Die Folge: „Die Shackleton-Wanderung ist aus Sicherheitsgründen abgesagt.“ 14 Passagiere hatten sich für dieses Abenteuer angemeldet. Wollten in rund dreieinhalb Stunden den Berg zur Nachbarbucht in Strømness überwinden. Genau so, wie der Entdecker Sir Ernest Shackleton am 20. Mai 1916. „Wir könnten es doch einfach probieren“, sagt Sean aus New York. Ina schüttelt den Kopf. „Zu gefährlich!“ Jane aus Manchester hat Verständnis. „Denkt mal dran, dass wir die Strecke in Gummistiefeln bewältigen müssen“, erinnert sie die Enttäuschten.

Gummistiefel sind Pflicht, um in Südgeorgien an Land gehen zu können. Und natürlich haben alle, wie es Vorschrift ist, ihre Rucksäcke am Vortag ordentlich ausgesaugt. So steril wie möglich sollen wir an Land. Es kann losgehen. Die beiden Zodiacs pendeln hin und her, um die 182 Passagiere von Bord zu holen und in der Fortuna Bucht abzusetzen.

Wir haben Glück, dass die See nicht zu rau ist an diesem Morgen. Die Gischt ist mächtig und versprüht ihren Regen. Aber unsere blau-gelben Anoraks, alle an Bord ausgegeben, sind wasserdicht.

Vorsicht, ein Seeelefant

An Land pfeift ein eisiger Wind. Einige Königspinguine stehen wie fröstelnd da und schauen griesgrämig. Uns beachten sie nicht. Rasch zücken wir unsere Kameras. Auch Manuela aus Berlin hat ihre in der Hand, geht ein paar Schritte zurück, um ein Pinguinpärchen abzulichten. Noch ein Schrittchen zurück, da schreit ihr Freund: „Vorsicht, hinter Dir!“ Fast wäre sie auf eine schwarzbraune Masse getreten, die am Steinstrand liegt. Das undefinierbare Etwas hebt den Kopf und zeigt ein wulstiges Maul. Es ist ein Seeelefant. „Bitte halten Sie von diesen Tieren besonders großen Abstand“, hatte Geologe Steffen vom Expeditionsteam am Vortag gewarnt. „Sie sind sehr gefährlich und beißen schnell.“

Dass sich Seeelefanten ihrer Umgebung hervorragend anpassen, hatte Steffen in seinem Vortrag erwähnt. Aber so gut? Wir entdecken immer mehr, dazwischen Hunderte schläfrige Pelzrobben, manche eng aneinander gekuschelt. Ob sie vor mehr als hundert Jahren auch so arglos waren? Als sie gnadenlos abgeschlachtet wurden? Seit Thomas Cook 1775 von den vielen Tieren, die er bei seiner Entdeckungsfahrt gesehen hatte, berichtete, machten sich die Robbenschlächter auf den Weg. Als zu Beginn des 20.Jahrhunderts kaum noch Tiere übrig waren, nahm man die Wale ins Visier.

1912 bauten die Walfänger ihre Station in Strømness. Am Nachmittag ankert die „Fram“ in der Bucht davor, wieder sind wir mit den Zodiacs an Land gekommen. Halb verfallene Bauten stehen dort, kaum noch gedeckt von zerrupften Blechdächern, dazwischen liegen rostige Tonnen und schwere Ketten. Nähern darf man sich den Ruinen nicht. Große rote Schilder warnen: „Asbest“. Tim, Ornithologe im Expeditionsteam, hatte auch sonst zur Vorsicht gemahnt. „Bitte, treten Sie nicht auf die Moose und Flechten, sie brauchen Jahrzehnte, um sich wieder zu erholen.“

Gemeinsam mit dem Team hat er einen Weg abgesteckt – bis zum Wasserfall. Hier ist Shackleton mit seinen fünf Begleitern heruntergekommen, nach mehrtägigem Irrweg über die Insel. Hier wäre auch unsere Shackleton-Wandergruppe abgestiegen. „Ein Glück, dass wir’s nicht versucht haben“, sagt Sean angesichts der dicken Schneedecke am Gipfel. Um sieben Uhr morgens hatte Shackleton dort oben gewusst, dass er es mit seinen Männern schaffen würde. Deutlich hörten sie die Glocke, die die Walfänger zur Arbeit rief.

An Shackletons Grab in Grytviken

Zahlreiche Bücher über Shackletons Abenteuer stehen in der umfangreichen Bordbibliothek. Die gemütlichen Sessel der Panoramalounge, mit bestem Leselicht ausgestattet, sind wie geschaffen für die spannende Lektüre.

Shackleton hatte alles daran gesetzt, die Rettung seiner auf der Elefanteninsel gestrandeten Männer zu organisieren. 22 hatte er in der Nähe der vom Packeis zermalmten „Endurance“ zurücklassen müssen, nun, nach viereinhalb Monaten, konnte er sie holen. „Shackleton war ein wunderbarer Mensch“, sagt Steven aus Aberdeen. „Scott, Amundsen und die anderen Entdecker waren doch nur auf ihren eigenen Ruhm aus“, fügt er hinzu. Shackleton aber sei ein echter Teamleader gewesen, der sich stets um seine Mannschaft gekümmert habe. Steven freut sich auf den nächsten Morgen. Dann werden wir in Grytviken an Land gehen. Dort ist Shackletons Grab. „Ich bin froh, ihm an Ort und Stelle meinen Respekt zollen zu können“, sagt Steven voller Pathos.

Alle Passagiere wollen zu Shackleton. Wie es Brauch ist, hat Lisa vom Expeditionsteam eine große Flasche Whisky von Bord mitgebracht. Nun steht sie neben dem Grab des Entdeckers und füllt die goldgelbe Flüssigkeit in kleine Becher.

Grytviken, 1904 von dem Norweger Carl Anton Larsen gegründet, ist erheblich besser erhalten als Strømness. Larsens Villa wurde restauriert, es gibt ein kleines Museum, sogar eine Kirche. Per Annonce in einer norwegischen Zeitung hatte Larsen einen Pastor gesucht. „Es muss ein Mann mit einer optimistischen Sicht aufs Leben sein, und er sollte es schaffen, die Männer aufzuheitern.“ Larsen lockte mit bezahlter Überfahrt, freier Kost und Logis und bestem Gehalt. So wie der erste Pastor hielten es auch seine Nachfolger höchstens zwei Jahre aus.

"Zum Glück war alles in Schwarz-Weiß"

Grytviken. Die Walfangstation wurde 1904 von dem Norweger Carl Anton Larsen gegründet.
Grytviken. Die Walfangstation wurde 1904 von dem Norweger Carl Anton Larsen gegründet.

© Hella Kaiser

Grytviken war ein einziges riesiges Schlachthaus. Bis zur Schließung der Station im Jahre 1965 wurden hier knapp 55 000 Wale zerlegt und rund 460 000 Tonnen Walöl gewonnen. Die riesigen Tanks dafür stehen noch, auch die Hallen, in denen Speck und Tran gesiedet wurden. Das Wrack des Walfängerschiffs „Petrol“ liegt halb versunken im Meer.

An Bord hatten wir einen Dokumentarfilm über die Walfängerzeit in Grytviken gesehen. Was für ein Gemetzel! Zuerst wurde nur der Blubber, die dicke Fettschicht der Wale, genutzt, die riesigen Kadaver verrotteten stinkend in der Bucht. Später wurden auch das Fleisch und die Knochen verarbeitet. Einigen von uns verging der Appetit aufs Lunchbüfett. „Zum Glück war alles in Schwarz-Weiß“, sagt eine Frau. „In Farbe hätte ich diese Schlächterei nicht ausgehalten.“

Während der Fangsaison im Sommer muss sich die Bucht rot gefärbt haben. Rund 400 Männer arbeiteten in Grytviken, rund um die Uhr in zwei Schichten. Es gab einen Lebensmittelladen, einen Bäcker, einen Schuster. Die Tore auf dem Fußballplatz stehen noch.

Als die Station geschlossen wurde, gab es kaum noch Wale. Der riesige, bis zu 200 Tonnen schwere Blauwal, war nahezu ausgerottet. Heute wird die weltweite Population auf knapp 20 000 geschätzt.

Auf unserer Fahrt in Richtung Antarktische Halbinsel sehen wir kaum Wale. Wann immer in der Ferne Blas, die von Walen ausgestoßene Atemluft, zu entdecken ist, wird das von der Brücke gemeldet. Viele Passagiere eilen dann an Deck. „Da, die Flosse“ ruft einer aufgeregt. Doch dann ist das Tier schon auf und davon. „Für die Wale ist es Anfang November noch zu früh im Jahr“, glaubt Steffen. Sie kämen erst in ein, zwei Monaten zum Fressen in diese Gewässer.

Eisberge spiegeln sich in tiefblauem Wasser

Noch zwei Tage auf See bis zur Landung auf der Antarktischen Halbinsel. Es wird stürmisch, die Wellen türmen sich. „Bitte gut festhalten“, sagt Ina über die Bordlautsprecher. Etlichen Passagieren hilft das gegen Seekrankheit geklebte Pflaster jetzt auch nicht mehr. Das Schiff scheint fast verwaist, die meisten Passagiere liegen in ihren Kabinen. Als sich die See wieder beruhigt, macht ein Blick aus dem Fenster alles Leiden vergessen. Was für eine Wunderwelt. Ein Eisberg, ganz nah. Und noch einer. Eine riesengroße Eisscholle treibt herbei. Die „Fram“ gleitet durchs tintenblaue Wasser, die Sonne strahlt vom Himmel. Frank Hurley, Shackletons Fotograf, konnte sich wohl so wenig sattsehen wie wir: „Die Eisberge und Schollen spiegelten sich im tiefblauen Wasser, während das feste Eis im Sonnenschein schimmerte und blaue Schatten warf. (...) Das Eis sah aus wie die Zähne eines Sägeblatts ...“ Genauso ist es.

Wir durchqueren den Antarktischen Sund. In Brown Bluff, an der Nordspitze der Antarktischen Halbinsel, gehen wir an Land. „Die Antarktis ist nicht nur ein Kontinent, es ist ein anderer Planet“, sagt Steffen mit leuchtenden Augen. Brown Bluff ist die Heimat der Adeliepinguine. Typisch sind der schwarze Kopf und der weiße Ring um die Augen. Rund 20 000 Brutpaare gibt es hier. Am nächsten Tag in der Halbmondbucht warten die Zügelpinguine. Wie lustige Clowns sehen sie aus. Und sind emsig dabei, ihre Nester zu bauen. „Der Mensch steht, der Pinguin geht“, hatte Steffen uns eingeschärft. Wir dürfen ihnen nicht in die Quere kommen, wenn sie das am Strand aufgenommene Steinchen den Hügel hinauf zum Nest transportieren. Wie die kleinen Kerle schuften. Kaum haben sie den Stein am Brutplatz abgelegt, watscheln sie schon wieder zurück, um Nachschub zu holen.

Wir schauen einer Komödie zu

Wir sind versucht, die Raubmöwen zu vertreiben. Sie fliegen bedrohlich nah über die Nester der Pinguine hinweg, wollen ihre Eier stehlen. „Das ist die Natur“, sagt Steffen. „Die Raubmöwen müssen ihre Brut auch ernähren.“ Also tun wir nichts. Hoffen nur, dass der Pinguin unerschrocken auf dem Ei sitzen bleibt.

Wir laufen nicht mehr nervös mit der Kamera herum. „Am besten ist es, sich einfach still hinzusetzen und die Tiere zu beobachten“, hatte Steffen empfohlen. Toller Tipp. Wir sind Zuschauer einer Komödie. Hier hüpft ein Pinguin flott über eine Erdspalte, dort rutscht einer aus und rappelt sich gleich wieder auf. Keiner rastet, keiner ruht.

Die Zodiacs holen uns zurück an Bord. „Jetzt habe ich wirklich genug Pinguine fotografiert“, sagt Sean beim Dinner. Die übrigen am Tisch lächeln. Und alle werden sie morgen doch wieder welche knipsen, auf der Teufelsinsel im Wedellmeer.

An Bord sind wir zu einer gut gelaunten Gesellschaft zusammengewachsen. Wir bewundern die emsig strickenden Norwegerinnen und die Geduld vieler konzentriert puzzelnder Passagiere und sind begeistert darüber, was die schwedische Köchin täglich am Herd gezaubert hat.

Beim Abschiedsabend haben sich alle Passagiere in der Panoramalounge versammelt. Kapitän Andreassen bedankt sich für die schöne Reise, es wird herzlich geklatscht. Marina aus Mannheim tupft sich ein paar Tränen weg. Andreassen trägt eine schmucke Uniform. Man kennt ihn eher im Norwegerpullover. Einige davon gibt’s noch im Bordshop. Die Plüschpinguine sind ausverkauft.

Tipps für die Kreuzfahrt

Die in Teilen beschriebene Expeditionsfahrt mit der „Fram“ ist so ähnlich wieder zu buchen an drei Terminen in der Wintersaison 2018/19. Die 23-tägige Tour beginnt und endet in Buenos Aires. Eine Doppelkabine innen kostet ab 10 6 31 Euro pro Person (Frühbucherpreis). Außenkabine ab 12 039 Euro mit Rabatt. Enthalten sind neben der Vollpension an Bord und zahlreichen Exkursionen die Transferflüge von Buenos Aires zum Liegeplatz des Schiffes in Ushuaia und zurück. Internationale Flüge kommen zum Preis hinzu.

AUSKUNFT

Hurtigruten-Telefon: 040/8740 85 88 sowie im Internet: hurtigruten.de

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