zum Hauptinhalt
Fisch von der Stange. Tobias Bredow, der letzte Fischer von Vitt, packt die gefangenen Schuppentiere erst mal in den Räucherofen.

© Bahra

Frischer Wind im Norden: Ein Moor kann viel erzählen

Wandern auf Rügen macht Spaß – und ist sicher. Gefährliche Pfade an der Kreideküste wurden 20 Meter landeinwärts verlegt.

Papierkörbe gibt es im Nationalpark nicht. „Wir sind Ranger und keine Müllabfuhr“, erklärt Karsten Klaene den Naturtouristen, die sich jeden Tag um elf Uhr zur Führung durch den Nationalpark Jasmund auf dem Parkplatz Hagen einfinden. Näher kommt man mit dem Auto nicht an die geschützte Landschaft heran. Und wer die Natur liebt, trägt auch seine Picknickreste selbst wieder aus dem Wald heraus, der pflückt weder Blüten noch Beeren, sammelt keine Pilze. Und wer sich selbst liebt, tritt auch nicht zu dicht an die brüchigen Kliffkanten der Kreideküste heran.

Dann gibt der Ranger, Fernglas vor dem Bauch unter khakifarbener Weste, an der großen Landkarte einen ersten Überblick über die Entstehung dieser nun zu erwandernden Landschaft. Mit einem Holzstöckchen zeigt er den Verlauf des Wanderweges. Drei Kilometer in zwei Stunden. Zeit, um Landschaft zu verstehen. Auf die immer wiederkehrende Frage, wo denn nun die berühmten Kreidefelsen seien, gibt er immer dieselbe Antwort: „Es gibt hier keinen Kreidefelsen, sondern eine Kreideküste, acht Kilometer lang, zwischen Sassnitz und Stubbenkammer.“

Querwaldein geht es Richtung Königsstuhl zum Hochuferweg, dem Zubringer zum Europawanderweg E 10 und einem der schönsten Wanderwege des Nordens. Im alten Torfmoor erzählt Karsten Klaene vom Sonnentau, den seltenen fleischfressenden Pflanzen und vom Schluckloch, das überschüssiges Wasser des Moores in die Hohlschichten der Kreideschollen saugt, um es erst wieder an den Kreidewänden über den Strand in das Meer laufen zu lassen. In den Stubbenwiesen fliegt noch ein Kranich auf, über den Resten der slawischen Hertaburg krächzen Kolkraben – alles Stoff für spannende Nationalparkgeschichten, die Karsten Klaene erzählt, als habe er nie etwas anderes gemacht.

Dabei hat er viel lernen müssen bei der Umschulung vom Waldarbeiter zum geprüften Natur- und Landschaftspfleger. Noch bis 1989 baute er als Rohrschlosser auf der Stralsunder Werft Atlantic-Super-Trawler für die damalige Sowjetunion. Dann zog es ihn wieder auf die Insel. Schon als Knabe streifte der 1960 in der Inselhauptstadt Bergen geborene Ranger durch die umliegenden Wälder. Inzwischen ist der mit gut 2000 Hektar größte zusammenhängende Buchenwald der Ostseeküste Unesco-Weltnaturerbe.

Es dauerte lange, bis eine dünne Humusschicht den Kreidegrund überzog. Doch die Buche ist zäh und kann sich mit den unterschiedlichsten Gegebenheiten arrangieren. Nirgendwo gab es einst so viele Rotbuchen wie in Deutschland. Von Natur aus wäre die etwa 34 Millionen Hektar große Landfläche zu 66 Prozent von Buchenwald bedeckt. Doch nur rund sieben Prozent blieben erhalten. Aus Bucheckern zum Nutzwald gezogen, wird dort der Baum, der eigentlich älter als 300 Jahre werden kann, zumeist im besten Alter von höchstens 160 Jahren gefällt.

"In hundert Jahren ist der Burgwall verschwunden"

Ranger Karsten Klaene erklärt Besuchern die Natur.
Ranger Karsten Klaene erklärt Besuchern die Natur.

© Bahra

Gewohnt, so die Natur der menschlichen Ordnung zu unterwerfen, kann Karsten Klaene heute beim Anblick eines pilzüberwucherten Totholzes über das Wunder Natur ins Schwärmen geraten. Ehret das Alter und feiert die Greise als Helden der Wiedergeburt! Bataillonen von Käfern, Schnecken, Raupen und Würmern sind sie gefundenes Fressen. Faulendes Holz verwandelt sich in hochwertige Biomasse. Dieser Vorrang der Natur vor jedem Nützlichkeitsdenken war für ihn neu und spannend. Vom Saulus zum Paulus, doch das Umdenken fiel Karsten Klaene nicht schwer. Mehr Mut brauchte er dazu, über Natur zu reden. „Als Waldarbeiter stand ich allein mit der Säge bei den Bäumen, nun sollte ich plötzlich mit Menschen durch den Wald gehen“, erinnert sich der 52-Jährige.

Und es kommen immer mehr. Mecklenburg-Vorpommern wird zum Wanderland, verkündet der Landestourismusverband. Mehr als zwei Millionen Besucher machen hier jährlich ihren Wanderurlaub. Jeder dritte Urlauber wandert „gelegentlich oder häufig“. 21 Wanderwege und zahlreiche Rundtouren durchziehen das Land. Der E 10 von Spanien nach Finnland führt 80 Kilometer quer über Rügen bis Kap Arkona. Die Halbinsel Wittow, flach wie eine Flunder, fast baumlos, ist ideales Wandergebiet, auch wenn der Wind oft von vorn weht. Hinter Juliusruh führt der von hier aus noch acht Kilometer lange Weg hoch über dem Meer durch wilde Vogelhecken, in denen der Sprosser, die norddeutsche Nachtigall, singt. Bald hinter dem Riesenberg mit jungsteinzeitlichem Großsteingrab liegt das Kap Arkona.

In Vitt lässt Tobias Bredow, der letzte hiesige Fischer, den Schornstein des Räucherofens würzig duftend qualmen. Das Dorf, das sich mit 13 rohrgedeckten Häusern in die Hochuferbucht kuschelt, ist im Sommer viel zu klein für die vielen Besucher. 700 000 Menschen pilgern jährlich zum Kap. „Dafür haben wir auch einiges getan“, sagt stolz Bürgermeister Ernst Heinemann. Im Wildfruchtpark kann man Früchte und Beeren selber pflücken. Gotlandschafe weiden auf den Überresten der legendären Tempelburg Arkona, eines der größten archäologischen Flächendenkmale an der Ostseeküste. Drei Leuchttürme und über vier Meter hohe, bis zu 30 Meter lange neuzeitliche Bunker sind zu besichtigen.

Für Heinemann ist Arkona das Kap der guten Hoffnung. Auch wenn seit dem schrecklichen Unglück im vergangenen Winter, bei dem Tonnen von Steinen, Schlamm, Kreide und Mergel abbrachen, an den Kliffrändern vor Abbruchgefahr gewarnt wird. Inzwischen wurde das Sicherheitskonzept für die Insel überarbeitet. Faltblätter klären auf, dass infolge des ständigen Küstenrückgangs und Küstenzerfalls immer die Gefahr von Kliffabbrüchen und Hangrutschungen besteht. „Das ist ein normaler Prozess. Auch unser Kliff hat sich noch immer nicht beruhigt“, warnt Heinemann. „Am alten Burgwall brechen jedes Jahr bis zu 10 000 Kubikmeter runter. In hundert Jahren hat die Abbruchkante den Peilturm erreicht und der Burgwall ist verschwunden.“

Die gemeinsam mit dem Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie erarbeiteten Infotafeln zur Küstendynamik an der Königstreppe, am Schinkelleuchtturm und an der Nebelstation sind von Besuchern umlagert. Der Weg zum Gellort, dem nördlichsten Zipfel Rügens, wurde um 20 Meter landeinwärts verlegt. Der Strandabschnitt unterhalb der Abbruchstelle ist gesperrt. „Wir planen aber wieder Strandwanderungen“, sagt Heinemann. Geführte Wanderungen. Zum Schutz der Menschen und auch der Kegelrobben, die sich inzwischen am Nordstrand wieder angesiedelt haben.

Tourismuszentrale Rügen, Bergen auf Rügen, Telefon: 0 38 38/80 77 0, www.ruegen.de/aktivitaeten/wandern

Zur Startseite