zum Hauptinhalt
Die Zügel immer locker in der Hand des Kutschers, dann zieht Kaltblüter Mathilde das rollende Ferienhäuschen unbeirrbar durch Feld und Flur der Uckermark.

© Helge Bendl

Uckermark: Aufs richtige Pferd gesetzt

Wenn Urlauber im Planwagen durch die Uckermark zuckeln, haben sie keine Wahl: Sie erholen sich.

Der Weg ist das Ziel. Und der Urlaubsstress möge, bitte, zu Hause bleiben. Diese Vorsätze, auf Reisen schon eintausendundein Mal fallen gelassen, verdrängt und vergessen, sollen endlich in die Tat umgesetzt werden. „Komm besser nicht mit dem Auto“, warnen also Freunde, die sich in der Region auskennen. Man werde sich, sagen sie, nämlich zuerst darüber ärgern, dass die schönsten Wege durch Feld und Flur natürlich gesperrt sind für den motorisierten Verkehr.

Dann über die Geschwindigkeitsbegrenzungen in den kleinen Dörfern. Und schließlich über Kopfsteinpflasterstraßen, die einen durchschütteln und die Stoßdämpfer des Wagens strapazieren. Man solle, raten die Freunde, die Uckermark doch lieber erleben, wie sie sich gibt. Also langsam, mit Muße, und ganz nah an der Natur.

Deswegen sitzen wir nun zum ersten Mal im Leben auf einem Kutschbock und fühlen uns als ungekrönte Könige auf einem schaukelnden Thron. Die Zügel liegen locker in der Hand, die Achsen quietschen. So rumpeln wir im Schneckentempo über alte Pfade und kaum befahrene Sträßchen. Es geht auf Alleen vorbei an Herrensitzen und Backsteinkirchen, angetrieben von nur einer Pferdestärke, die auf den Namen Mathilde hört (oder manchmal eben auch nicht, schließlich sind wir alles andere als Pferdeflüsterer).

Mit dem Fahrrad wäre man deutlich schneller, und geübte Wanderer schaffen locker ein paar Kilometer mehr am Tag. Doch es geht – die guten Vorsätze! – eben ums genussvolle Reisen und darum, nachhaltig zu entspannen. Wer Lust hat auf Tage der Entschleunigung und ein Rendezvous mit der Einsamkeit, entdeckt die Uckermark also mit Pferd und Planwagen.

Alles Wichtige ist im Wagen

Die Nervosität reist allerdings mit – glücklicherweise aber nur am ersten Tag. „Keine Angst: Sie brauchen null Erfahrung mit Pferden“, hatte Katrin van Zwoll, Chefin von Celine Caravan, am Telefon die letzten Bedenken zerstreut – oder zumindest hatte sie den Versuch unternommen. Denn wir nehmen unser neues Heim auf Zeit samt Zugtier mit einer großen Portion Unsicherheit in Empfang.

Der Planwagen ist etwa so groß wie ein klassisches Campmobil und bietet mit einem Stockbett und dem Tisch samt zwei Bänken, die sich zu einem Doppelbett umbauen lassen, Platz für eine kleine Familie. Nun gut, bei vier Erwachsenen kann es dann schon recht eng werden. Gasherd, Kochgeschirr, Licht von einer Zwölf-Volt-Batterie, Bettwäsche, Decken und ein Wassertank: Die Organisatoren haben an alles Wichtige gedacht. Nur Lebensmittel sollten die Urlauber mitbringen – oder am Weg in den Dorfläden kaufen.

Mit exakter Routenbeschreibung, Karte und Satellitenbildern hat Katrin van Zwoll eine „Sieben-Seen-Tour“ ausgearbeitet, die für uns am interessantesten klingt. Auch eine kulturhistorische Reise und eine naturkundliche Strecke sind im Angebot. Doch wo übernachten das Pferd und die Passagiere im Planwagen? „Öffentliche Campingplätze gibt es hier nur wenige. Doch wir haben an vielen Stellen in der Region Grundstücke gepachtet oder Arrangements mit anderen Eigentümern getroffen“, sagt die Besitzerin des Caravanverleihs.

Die Pferde sind Kaltblüter

So sind die Schlafplätze – am Waldrand oder auf einer Wiese, auf einer Lichtung oder direkt am See – genau beschrieben. Die Idylle ist meist perfekt, die Zivilisation weit weg. Allerdings auch die Toiletten. „Natur pur“, heißt es bei der Einweisung mit einem Augenzwinkern, „ein Klappspaten ist im Wagen.“ Na dann.

Entschleunigung. Mit einer Pferdstärke hält sich das Tempo in Grenzen.
Entschleunigung. Mit einer Pferdstärke hält sich das Tempo in Grenzen.

© Helge Bendl

Schließlich führt uns Katrins Kollegin Nadine (in der Uckermark ist man schnell per Du) in den Stall. „Unsere Pferde sind Kaltblüter. Diese Tiere sind gutmütig und nicht aus der Ruhe zu bringen. Aber auch gelehrig und clever: Mathilde hat Eure Tour schon oft gemacht und wird den Weg fast alleine finden.“ Mathilde wird uns also die kommenden sieben Tage begleiten. Ein Pferd von imposanter Größe und mächtigem Gewicht, aber angeblich doch recht zartem Gemüt: „Wenn man sie mit einem halben Eimer Kraftfutter besticht, lässt sie sich ohne Murren vor den Planwagen spannen.“

Wie das geht, kann man als Laie tatsächlich lernen – erst in der Theorie, dann in der Praxis. Nadine bringt einem mit viel Geduld auch bei, wie man das Seil zum Anbinden richtig knotet, und wie man Mathilde striegelt und ihre Hufe säubert.

Der erste echte Test ist die Fahrt zum Rastplatz Nummer Eins, einer Wiese direkt an einem See mit kleiner Badestelle. Netterweise kommt Nadine mit uns Novizen mit. Und verspricht: „Ich schaue jeden Tag mal nach euch und dem Pferd. Doch für Notfälle gebe ich euch auch noch meine Handynummer. Gute Nacht!“

Nach schnellen Spaghetti mit Tomatensoße kuschelt man sich dann rasch ins Bett. Mathilde funktioniert derweil, das stellt sich am nächsten Morgen heraus, nicht nur als vor Kraft strotzender Antrieb, sondern auch als verlässlicher Wecker: Weil sich Planwagen und Pferd die Koppel teilen, klopft sie schon früh am Morgen an die Wagentür und mahnt die Langschläfer: Zeit fürs Frühstück!

Menschen trifft in der Uckermark nur, wer es darauf anlegt

Entspannung. Jemand hat sie gezählt: Die Uckermark weist 590 Seen auf.
Entspannung. Jemand hat sie gezählt: Die Uckermark weist 590 Seen auf.

© Helge Bendl

Mit aufgestellten Ohren (Mathildes Signal, dass für sie alles in Ordnung ist, auch wenn sie nicht immer den saftigen Löwenzahn fressen darf, der am Wegesrand wächst) zieht unser Brauner den Planwagen munter durch eine Landschaft ohne Gegenverkehr. Das Tempo wird auf ein natürliches Maß zurückgedreht, und so sehen wir plötzlich all die Details, die sonst im Rausch der modernen Geschwindigkeit verloren gegangen wären.

In einem Pappelwäldchen sprießt eine Kolonie Schirmpilze – das perfekte Essen, während Mathilde ihren Hafer mampft. In den Seen, vor bunten Bootshäuschen, springen im Abendlicht die Fische. Und wenn wir die Wasserburg von Gerswalde ansteuern oder unter Hufgeklapper von Mathilde die Kastanienallee zu Schloss Kröchlendorff hinauffahren, fühlen wir uns wie die Herren von Arnim, die hier einst hoch zu Ross unterwegs waren.

Fundstücke am Weg
Fundstücke am Weg

© Helge Bendl

Gerade einmal 80 Kilometer vom Norden Berlins sind es bis hierher, doch Menschen trifft in der Uckermark dennoch nur, wer es darauf anlegt. Einige Einheimische und ein paar Zugereiste aus den Metropolen, die hier mitten im abgeschiedenen Nirgendwo zwischen Oder und Havel ihren Platz an der Sonne gefunden haben, verteilen sich auf winzige Dörfer. Die liegen so versteckt, dass auch von einem anderenorts allfälligen Renovierungswahn bisher nicht zu sehen ist.

Und einer der größten Landkreise Deutschlands liegt im vergessenen Norden Brandenburgs zwischen Polen und Mecklenburg-Vorpommern. Er misst mehr als 3000 Quadratkilometer – und ist mit etwas mehr als 120 000 Einwohnern einer der am dünnsten besiedelten Landstriche. Wenn dann aber plötzlich einige auffällig-unauffällige Kleinbusse mit getönten Scheiben am Wegesrand stehen und auf dem Feldweg nur noch junge Männer auf- und abspazieren und einen mit professioneller Aufmerksamkeit abschätzen, weiß man: Um die Ecke muss das Haus der Bundeskanzlerin liegen. Ab und an genießt auch Angela Merkel einen freien Sommertag in ihrer alten Heimat.

So lässt es sich leben!

Mathilde zieht derweil den Planwagen weiter. Die Hufe klappern, der Wagen ächzt, und am Ende eines langen Tages riecht alles wunderbar nach Pferd. Der Rhythmus der Reise ist Tag für Tag der gleiche: Zugtier anspannen, Schritt für Schritt die Natur in sich aufnehmen, ein paar Walderdbeeren sammeln oder am Wegesrand wildwachsende Pflaumen pflücken, Zugtier ausspannen, striegeln und putzen, dann den Nachmittag vertrödeln: So lässt es sich leben!

Der Alltag ist schnell vergessen in der Uckermark – angesichts ihrer scheinbar unbegrenzten Weite wirkt die Region auch wie eine Landschaft von einem anderen Stern. Wiesen, Wälder und bis zum Horizont wogender Weizen bestimmen die Szenerie. Dazwischen liegen mehr als 400 von Schilf gerahmte Eiszeitseen und unzählige Moore und Heiden – alles, auch die riesigen Findlinge, Hinterlassenschaften der vor vielen tausend Jahren zurückgewichenen Gletscher. Große Teile der Region sind heute durch den Nationalpark Unteres Odertal, das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin und den Naturpark Uckermärkische Seen geschützt.

Weit, weit weg vom Rest der Welt scheint deswegen dieser Flecken Land, auch wenn die Städte nah sind. Und so ist eine Entschleunigungswoche mit Pferd und Planwagen viel zu schnell wieder vorbei. Wer will, kann seine Tour verlängern. So viel Zeit darf sein für eine Zeitreise in die Uckermark.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false