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Turm 70. Auch diese Bohranlage für Erdgas steht auf dem Museumsgelände.

© dpa

Südheide: Verzockt mit schwarzem Gold

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in der Heide erstmals nach Öl gebohrt. Doch es sprudelte wenig. Was blieb, zeigt ein Museum.

„Es steht ein schwarzes Gespenst im Moor, das ragt über Büsche und Bäume empor. Es steht da groß und steif und stumm....“ So beschrieb der Heidedichter Hermann Löns um 1910 in seiner Ballade „Der Bohrturm“ die Gegend um Wietze in der Lüneburger Heide.

Dass es unterm Wüstensand ölig ist und die schwarze Masse vielen Scheichs zu immensem Reichtum verhalf, ist bekannt. Aber dass auch unter niedersächsischem Heidekraut einst das schwarze Gold sprudelte, verwundert doch so manchen Besucher des Deutschen Erdölmuseums. Bereits 1652 haben Bauern in der Südheide um Wietze Ölsand abgebaut. Sie wuschen das Öl aus und schmierten damit Achsen und Deichseln.

„Als der Hamburger Jungfernstieg 1838 als erste deutsche Straße asphaltiert wurde, kam der Teer dafür aus der Heide“, erzählt Museumsleiter Martin Salesch. Zwanzig Jahre später führte der Naturwissenschaftler Georg Christian Konrad Hunäus im Auftrag des damaligen Königreichs Hannover Erkundungen nach Rohstoffen durch. Er suchte nach Braunkohle und fand Erdöl. Die erste Bohrung in Wietze erfolgte ein Jahr früher als in Titusville in Pennsylvania, auch wenn die Bohrung von Edwin L. Drake am 27. August 1859 als Beginn des Erdölzeitalters gilt.

Die industrielle Erdölförderung begann zunächst nicht in Wietze, sondern nördlich von Peine. In „Ölheim“, heute ein Ortsteil der Gemeinde Edemissen, entwickelte sich in der Hoffnung auf das große Geld eine wilde Bohrtätigkeit. Etwa 50 Firmen versuchten ihr Glück. Doch schlechte Maschinen und Geräte führten zu einer schnellen Verwässerung und Versalzung der Region. Die Arbeiten mussten größtenteils eingestellt werden. Für viele Geldanleger folgte die Aussicht auf Traumgewinne dem Ruin. Besorgt berichtete auch Hermann Löns über die Umweltschäden, die durch zum Teil ungezügelte Bohraktivitäten entstanden. „Fettlöcher“ nannte er die Teerkuhlen, in denen sich das Öl als bunt schillernde Schicht sammelte.

In Kunststoff, Pillen und in vielen Kosmetika steckt Erdöl

„In Wietze war die produktivste Phase von 1900 bis 1920“, erzählt Martin Salesch: „Die Jahresproduktion lag damals zwischen 20 000 und 100 000 Tonnen. 1918 erschloss die Deutsche Erdöl Aktiengesellschaft (DEA) mit einem Schachtbetrieb sogar die bergmännische Förderung von Ölsand und Sickeröl aus einer Tiefe von 300 Metern.“ Die Strecke unter Tage maß rund 95 Meter. Das Bauerndorf in der Heide entwickelte sich zu einem Industriestandort.

Gebildet haben sich Erdöl und Erdgas während der letzten Eiszeit, als die heutige Heideregion noch ein Meer war. „Das Erdöl entstand aus Plankton, das sehr reich an Kohlenstoff war, da es viele Millionen Jahre unter hohem Druck und hoher Temperatur in mehr als 1000 Metern Tiefe lagerte", erklärt der Museumsleiter: „Ein völliger Sauerstoffabschluss hat ein Verwesen der organischen Substanz verhindert und eine Umwandlung des Faulschlamms in die Kohlenwasserstoffbestandteile des Erdöls ermöglicht.“

Erdöldestillate wurden schon früh in der Medizin gegen offene Wunden, Glieder- und Zahnschmerzen eingesetzt. „75 Prozent des Öls verarbeitete man im 19. Jahrhundert zu Petroleum. Es löste die Waltran-Funzel ab, da es eine wesentlich stärkere Leuchtkraft besaß“, sagt Salesch. Im 20. Jahrhundert ging eine verstärkte Erdölproduktion mit der stetigen Zunahme von Fahrzeugen, Straßenbau, Zentralheizungen und schließlich Kunststoff-, Pharma- und Kosmetikprodukten einher. Unzählige Medikamente und Kosmetika sind heute Derivate aus Erdöl oder Erdgas. Einige können ihre Herkunft nicht verhehlen. Sie riechen sogar nach Teer.

Ein Geruch von Teer liegt immer noch in der Luft

Die Erdölgewinnung in Wietze wurde 1963 eingestellt. Die Schutzzölle für einheimische Mineralöle entfielen. Die Förderung wurde zu kostenintensiv. Seit 1970 können Besucher nun auf dem ehemaligen Gelände Original-Kehrradantriebe, Tiefpumpen und Fördertürme von 1905 bestaunen und größtenteils per Knopfdruck in Bewegung setzen, so dass es rattert und surrt, die Ölpumpen wieder vor sich hin nicken. 1200 Pumpen gab es zu Spitzenzeiten auf dem Terrain. Jede förderte durchschnittlich 200 Liter Öl am Tag. Ein Geruch von Teer liegt selbst 50 Jahre nach Schließung der Anlage noch in der Luft.

Das Wahrzeichen des zwei Hektar großen Außengeländes ist ein 54 Meter hoher Bohrturm, der von 1961 bis 1986 bei der Firma Wintershall für Bohrungen bis 6000 Meter Tiefe im Einsatz war. Auch Vibrator-Fahrzeuge für seismische Untersuchungen, Leiterwagen mit Holzfässern aus der frühen Zeit der Förderung, Wachströge zum Auswaschen von Öl aus Sand, Öltanks oder ein Turbolift, der zum Druckausgleich dient, sind faszinierende Gegenstände aus der Welt des schwarzen Goldes. In der Ausstellungshalle kann man seine verblassten Chemiekenntnisse auffrischen. Hier werden die Entstehung, der Abbau und die Raffination von Erdöl und Erdgas an Schautafeln und Modellen erklärt. Wie es einst begann und im 21. Jahrhundert ist.

Mehr als 2000 Bohrungen erfolgten in Wietze. Bis zur Schließung wurden insgesamt 3,2 Millionen Tonnen Erdöl gefördert. Im Vergleich zur derzeitigen Weltproduktion, die bei 4000 Millionen Tonnen jährlich liegt, lächerlich wenig. Ganz erschöpft ist die Ausbeutung in Deutschland allerdings auch heute noch nicht. Die meisten Erdölfelder befinden sich in Niedersachsen und Schleswig-Holstein.

Die schwarzen Gespenster der Heide hingegen sind längst verschwunden. „In Rosenrot prangt das Heideland“, könnte Hermann Löns wieder dichten.

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