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Search and Rescue, SAR. Suchen und Bergen ist auch die Aufgabe des Seenotkreuzers „Hermann Rudolf Meyer“, der von Bremerhaven aus operiert.

© Axel Baumann

Seeretter: Rette mit, wer kann

Vor allem Freiwillige helfen bei großer Not auf See. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger wird 150 Jahre alt.

„Zwei Schwerverletzte nach Bootsunfall vor Kühlungsborn, Seenotretter im Nachteinsatz.“ „Angler bei Fehmarn aus Seenot gerettet.“ So und ähnlich lauten die Schlagzeilen, wenn die Männer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) mal wieder ausrücken mussten. Es sind keineswegs immer spektakuläre Einsätze auf hoher See, bei Havarien von Frachtern oder Fischkuttern, die das Auslaufen der modernen Rettungsschiffe notwendig machen.

Am häufigsten müssen sich die Seeretter um in Not geratene Surfer, kleine Segelboote, große Segelboote und Motorboote kümmern, oft genug mit Landratten besetzt, die die Gefahr auf dem Meer unterschätzen oder sich schlicht dumm verhalten. Seit nunmehr 150 Jahren riskieren die Helfer Kopf und Kragen, nicht selten auch ihr Leben. Unsere Autorin hat die Retter in Bremerhaven besucht.

Frisch ist es an diesem frühen Morgen. Als ob er sich wärmen wollte, hat sich der Himmel über Norddeutschland noch mal in einen dicken, schmuddelweißen Nebelmantel gehüllt. Der einzige Farbtupfer ist die weithin leuchtende rote Signalfarbe des Seenotkreuzers „Hermann Rudolf Meyer“. Am Alten Vorhafen zwischen Geeste und Weser warten Mannschaft und Schiff auf ihren Einsatz.

Die DGzRS wurde vor 150 Jahren in Kiel gegründet

„In unserer Region sind viele Freizeitskipper unterwegs. Deshalb geht es überwiegend von Ostern bis Oktober rund. 2000 Quadratkilometer beträgt unser Revier. Von Brake an der Unterweser, Richtung Vogelinsel Mellum, Leuchtturm Roter Sand bis zur Westkante der Insel Neuwerk“, sagt Klaus-Dieter Muth, während er in der kleinen Kombüse frischen Tee aufbrüht. Er ist einer von 25 aktiven Freiwilligen der Bremerhavener Station der DGzRS. 30 bis 40 Einsätze fährt die „Hermann Rudolf Meyer“ pro Jahr. Insgesamt sind die 60 Schiffe, die sich auf 54 Stationen zwischen Borkum in der Nordsee bis Ueckermünde an der Ostsee verteilen, im vergangenen Jahr knapp 2200 Mal ausgelaufen. 768 Menschen konnten gerettet werden.

Am 29. Mai ist es genau 150 Jahre her, dass die DGzRS in Kiel gegründet wurde. Auslöser sind Mitte des 19. Jahrhunderts tragische Schiffsunglücke mit zahlreichen Toten vor allem in der Nordsee vor den Ostfriesischen Inseln. Doch für die Wegbereiter ist es zunächst nicht einfach, Menschen an der Küste zu motivieren, ihr Leben freiwillig zur Rettung Fremder einzusetzen. Nach und nach bilden sich kleine Rettungseinheiten an Nord- und Ostsee.

Sie schließen sich 1865 zur „Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ mit Sitz in Bremen zusammen. Offene Ruderboote aus Eisenblech, Raketenapparate, um Taue zu den Schiffbrüchigen zu schießen und diese mittels „Hosenbojen“ an Bord zu hieven, sind die ersten Ausstattungsmaterialien. Die Retter tragen Ölzeug und Korkschwimmwesten. Ab 1911 erleichtern Motorboote die riskante Arbeit. Bundespräsident Theodor Heuss tauft 1957 den ersten modernen Seenotkreuzer auf seinen Namen. Heute verfügt die DGzRS über eine der modernsten Flotten der Welt. Durchschnittlich 30 Jahre bleiben die Schiffe in Dienst.

Engagieren kann sich jeder

Mut und Muskelkraft waren bei den Rettern im 19. Jahrhundert gefragt.
Mut und Muskelkraft waren bei den Rettern im 19. Jahrhundert gefragt.

© DGzRS

Von Anfang an setzte die Gesellschaft auf Freiwilligkeit und Unabhängigkeit. Die DGzRS ist ein rechtsfähiger Verein, der jedoch keinerlei Unterstützung aus Steuergeldern erhält, sondern sich allein aus freiwilligen Zuwendungen wie Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Nachlässen oder Bußgeldern finanziert. Bereits 1875 werden die ersten Sammelschiffchen, das Symbol der Seenotretter, aufgestellt. 15 000 sind es immer noch, die zwischen Sylt und Oberstdorf vornehmlich auf Theken in Gaststätten und Hotels auf die Arbeit der DGzRS aufmerksam machen. 180 fest angestellte Mitarbeiter und 800 Freiwillige sind derzeit für die Seenotrettung tätig.

Engagieren kann sich jeder: mit kleinen Spenden oder, wenn der Geldbeutel etwas größer ist, als Namenspate für einen der 20 Seenotkreuzer und eines von 40 Rettungsbooten. Mäzene oder Orte, aus denen besonders viele Spenden kommen, werden so geehrt. So gab es mal eine „Hamburg“ und eine „Minden“. Die „Berlin“ ist heute in Kiel-Laboe stationiert. „Der Name ,Hermann Rudolf Meyer‘ geht auf den 1979 verstorbenen Verleger des Bremer ,Weser-Kuriers‘ zurück“, erzählt Vormann Ulrich Fader.

„Das sieben Meter lange Tochterboot in der Heckwanne wurde nach dessen Enkel Christian benannt.“ Auch Prominente setzen sich gern für die Retter ein. Wie etwa der Schauspieler Otto Sander, der sich 2004 als „Bootschafter“ in den Dienst der Retter stellte. „Es ist für mich als alten Marine-Mann und passionierten Freizeitskipper eine Ehrensache, die DGzRS zu unterstützen. Ich nehme das Ehrenamt gern an“, versicherte der 2013 verstorbene Sander damals. Ihm folgten andere Promis wie Tim Mälzer, Klaus Lage, Thomas Schaaf, Frank Schätzing, Jan Fedder oder Birgit Fischer.

Die aktiven Retter müssen jedoch nicht nur um das Leben von Schiffbrüchigen kämpfen, sondern auch immer wieder um das eigene. So kamen seit Gründung der DGzRS 45 Retter ums Leben. Die bisher letzten Todesfälle unter den Rettern ereigneten sich 1967 vor Helgoland und 1995 vor Borkum. Wobei nicht die Schiffe das Problem waren. Sie sind seit Jahrzehnten im sogenannten Netzspantensystem komplett aus Aluminium gebaut und als Selbstaufrichter konstruiert. „Das bedeutet, sie richten sich nach einem Durchkentern in schwerster See von alleine wieder auf“, erläutert Fader. Vielmehr waren unglückliche Umstände und menschliches Versagen die Ursache der Dramen auf See.

14 Tage rund um die Uhr vor Ort

„Seenotrettung ist eine der letzten Männerdomänen“, stellt Ulrich Fader fest. „Es liegt in erster Linie daran, dass es noch immer nur wenige Frauen mit Kapitänspatent gibt.“ Zur Stammbesatzung der „Hermann Rudolf Meyer“ zählen neun fest angestellte und 25 aktive freiwillige Mitarbeiter. Vier Personen arbeiten im zweiwöchigen Schichtdienst. „Das bedeutet, wir sind 14 Tage rund um die Uhr vor Ort und haben danach zwei Wochen frei“, sagt der 52-Jährige.

„Neben mindestens zwei Nautikern muss auch ein Maschinist an Bord und einer von uns als sogenannter Ersthelfer See ausgebildet sein. Wenn erforderlich, fährt auch ein Arzt mit.“ Um die medizinische Versorgung zu intensivieren, ist mittelfristig eine Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Charité und dem Unfallkrankenhaus Berlin beabsichtigt. Dazu sollen die Seenotkreuzer mit einem auch für Nichtmediziner einfach zu bedienenden telemedizinischen System ausgerüstet werden. In den Berliner Kliniken können Notärzte am Bildschirm analysieren, Diagnosen stellen, den Ersthelfern Anweisungen geben und diese überwachen.

Seit zwölf Jahren ist Ulrich Fader Vormann des 23,1 Meter langen Seenotkreuzers. Der gebürtige Schwabe liebte schon immer das Meer und ließ sich bei der Reederei Hamburg Süd als Matrose ausbilden. Die DGzRS rettete ihn vor der Arbeitslosigkeit. Das ist mehr als 30 Jahre her. „Seetauglichkeit, Teamfähigkeit und dass man menschlich zueinander passt, sind die Grundvoraussetzungen, wenn man auf so engem Raum zusammenarbeitet“, erklärt er. „Deshalb hat jeder, der neu zu uns kommt, ein Jahr Probezeit.“

Die ,Hermann Rudolf Meyer‘ ist bekannt für gute Küche

Ölzeug und Korkwesten: Aus der Sonderausstellung "150 Jahre Seenotretter" im Bremer Rathaus.
Ölzeug und Korkwesten: Aus der Sonderausstellung "150 Jahre Seenotretter" im Bremer Rathaus.

© DGzRS

Im Unterdeck hat jeder ein bisschen Privatsphäre, die eigene Kabine. Unter Deck befindet sich auch Stev Klöckners Reich: der Maschinenraum mit den beiden Dieselmotoren, die den Aluminium- Kreuzer durch die aufgepeitschte Nordsee treiben, wenn es drauf ankommt. 500 Liter Kraftstoff werden pro Stunde bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 22 Knoten (40 Kilometern) verbraucht.

„Neben vielen dramatischen Einsätzen gibt es auch immer mal erinnerungswürdige Erlebnisse“, berichtet Fader. „In den 1980er Jahren habe ich einen verendeten Pottwal mit eingefangen, dessen Skelett im Deutschen Schifffahrtsmuseum hier in Bremerhaven hängt. Auch Seehundbabys zu retten, ist ein bewegender Moment.“ Über der Kombüse prangen fünf Sterne. „Die ,Hermann Rudolf Meyer‘ ist eben bekannt für sehr gute Küche“, meint Torsten Möllenberg (54). Gegessen wird am halb runden Tisch in der Messe. Der allerdings auch dazu dient, Verletzte zu versorgen, wenn es drauf ankommt.

Das Oberdeck ist das Revier der beiden Nautiker Fader und Möllenberg. Die Brücke ist mit modernsten Navigations-, Kommunikations- und Peilanlagen ausgestattet. Koordiniert werden alle Einsätze über die Seenotleitung Bremen, das MRCC (Maritime Rescue Coordination Centre).

Rund um die Uhr arbeiten hier Funker und Nautiker im Drei-Schicht-Dienst. Sie unterstützen auch deutsche Schiffe oder Seeleute im Ausland. Von Bremen aus werden im Notfall ärztliche Beratung, Such- und Rettungsbemühungen bis in die entlegendsten Winkel der Weltmeere koordiniert.

Während die Crew in Bremerhaven einen ruhigen Tag verlebt, geht am späten Nachmittag bei der Seenotleitung Bremen ein Hilferuf aus der Ostsee ein. Im dicksten Nebel hat sich ein Mann im kleinen Schlauchboot südlich von Fehmarn zum Angeln aufgemacht und die Orientierung verloren. Als die Kollegen des Seenotkreuzers „Bremen“ von der Station Großenbrode den leichtsinnigen Petrijünger nach mehrstündiger Suche am frühen Abend wieder sicher an Land bringen, köchelt in der Gourmet-Kombüse der „Hermann Rudolf Meyer“ in Bremerhaven bereits eine kräftige Kartoffel-Lauch-Suppe. In jeder Hinsicht – fünf Sterne für die Seenotretter!

Wer die Seenotretter unterstützen möchte, kann spenden. Sowohl online (unter seenotretter.de) als auch per Überweisung auf das Spendenkonto der DGzRS: Sparkasse Bremen, IBAN-Nummer: DE 36 2905 0101 00 01 07 20 16

Ausstellung zum Jubiläum

Zum 150-jährigen Bestehen der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ist jetzt eine Ausstellung im Bremer Rathaus eröffnet worden. Die Schau vermittelt bis zum 21. Juni in Filmbeiträgen, alten Dokumenten, Dioramen und mit Schiffsmodellen Einblicke in die Arbeit der Seenotretter.

So ist in der Ausstellung beispielsweise ein historischer „Raketenapparat“ samt Hosenboje und Leinenkiste zu sehen, mit dem im 19. Jahrhundert Schiffbrüchige gerettet wurden. Damals schossen die Retter mittels einer Rakete eine Leine zu einem Schiff, das in Küstennähe etwa in der Brandung verunglückt war. Über die Leine wurden dann Schiffbrüchige an Land gebracht.

Sitz der Seenot-Leitzentrale ist heute Bremen. Seit Gründung der Gesellschaft wurden etwa 82 000 Menschen an Nord- und Ostsee gerettet und aus Gefahren befreit, im vergangenen Jahr waren es alleine 768.

Ort der Ausstellung: Untere Rathaushalle Bremen, täglich von 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei

(epd)

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