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Museum in Teltow: Spur der Schweine

In Teltow bei Berlin erfahren Besucher in einem Museum Wissenswertes über Eber, Sauen und Ferkel.

Eigentlich ist es ja eine eine Riesensauerei: Unser gutes altes Hausschwein wird täglich tausendfach missbraucht. Einmal abgesehenen von den verschiedenen Varianten, in welchen das Tier auf unseren Tellern landet, ist auch sein Name ständig in aller Munde. Ob an der Arbeitsstelle, daheim, hinter dem Lenkrad und – natürlich – am Stammtisch: Immer und überall ist von Schweinerei, dummer oder gar dreckiger Sau die Rede, je nach Situation. Wer herausfinden möchte, was es tatsächlich mit dem Schwein auf sich hat, sollte nach Teltow fahren, ins Schweinemuseum.

Warme, trockene und gesunde Luft sollte die Tiere umgeben, die Auslaufmöglichkeiten wären großzügig zu bemessen, die Wände aus Derbstangen dachte er sich transparent. Luft, Licht und Bewegung: Fast schon philantropisch mutet an, was für Ferdinand von Lochow in den 1920er Jahren einen gesunden Zuchtschweinestall ausmachte. Ein Musterexemplar ließ sich noch bis 2007 in Teltow-Ruhlsdorf besichtigen, wo die Versuchswirtschaft für Schweinehaltung seit 1918 die industrielle Schweinefleischerzeugung in Deutschland begründete. Dann schlug der Blitz ein und der Prototyp brannte ab.

Auch diese Geschichte erzählt das Deutsche Schweinemuseum, das auf dem weitläufigen Gelände seit 1993 ansässig ist. Das Nutz-, nicht das Kuscheltier bestimmt die Botschaft des Museums mit seinen mehr als 2000 Exponaten, die in mühsamer Kleinarbeit zusammengetragen worden sind. Entsprechend schonungslos das Credo: „Die Tiere sind auch Waren in einem Wirtschaftskreislauf. Als solche werden sie transportiert, geschlachtet und ihr Körper umfassend verwertet. Bewahren durch Aufessen, so ist das.“

Thomas Paulke vom Förderverein des Museums geht es um die „fachlich richtige Darstellung“, das Schwein zu verzärteln ist seine Sache nicht. Schließlich ist er hauptberuflich beim Landesamt für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung für das Thema Schweinezucht und -haltung zuständig. In acht Abschnitte unterteilt ist die Dauerausstellung, Hinweisschilder an den Deckenbalken markieren den Weg. Zum Einstieg erfährt der Besucher, wie aus dem domestizierten eurasischen Wildschwein über mehr als 10 000 Jahre das Hausschwein hervorging, sich seine Körpergröße und Silhouette wandelten.

Ein Stück Geschichte

Ja, Schweine werden auch geschlachtet. Damals wie heute.
Ja, Schweine werden auch geschlachtet. Damals wie heute.

© Sören Stache, pa

Programmatisch über Jahrhunderte beständig gekreuzt, entstanden mit dem Weißen Edelschwein und dem Veredelten Landschwein vor etwa 150 Jahren die wichtigsten beiden Kulturschweinerassen hierzulande, das eine mit Stehohren, das andere schlappohrig; vor bald 50 Jahren entstand daraus durch Züchtung die „Deutsche Landrasse“. Verloren gegangen auf diesem Weg von Kreuzung und Züchtung sind indessen das keltisch-germanisch großohrige oder auch das halbrote bayerische Landschwein.

Und wer, außer Eingeweihten, wusste schon, dass es, im Bemühen um schnellwüchsige Schweine, auch dem Baldinger Tigerschwein dabei kaum besser erging. „Der Fleischfülle der Schlachtkörper“, heißt es im Museumskatalog des Schweinemuseums, ordnete sich insbesondere in den vergangenen 50 Jahren alles unter, namentlich Züchtung, Haltung, Fütterung. Nichts ist mehr dem Zufall überlassen: Über die Fortpflanzung entscheidet nicht mehr allein der „Natursprung“, sondern der Besamungstechniker.

Gut vorstellbar, dass der Berufsstand, für dessen Ausbildung in der DDR am Standort Teltow-Ruhlsdorf eigens eine Schule errichtet wurde, auch bei der bayerischen Rekordsau „Isar“ seine Hand im Spiel hatte, die in den 14 Jahren ihres Lebens 27 Mal warf und dabei 130 Ferkel zur Welt brachte. In einer anderen Ausstellungsecke geht es um die „Leistungsprüfung“. Spätestens seit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stand Züchtung im Zeichen der Leistung. Form und Farbe waren nachrangig.

Messbänder oder Tastzirkel hatten ausgedient, mit Videotechnik oder mit Ultraschall-Echolot-Geräten ließ sich schon am lebenden Objekt etwa die Speckdicke ermitteln – eine für den Verkaufspreis nicht unerhebliche Kennziffer. Und mit dem Robotron A 5120 zog der Computer in die „Primärdokumentation“ ein. Elektronisch, nicht mehr handschriftlich wurde das Schweineleistungsbuch fortan geführt. Die Ausstellung erzählt so auch ein Stück DDR-Geschichte.

Es geht mehr um den Inhalt denn die Verpackung

Gunther Nitzsche, Mitbegründer und langjähriger Leiter des Schweinemuseums.
Gunther Nitzsche, Mitbegründer und langjähriger Leiter des Schweinemuseums.

© Sören Stache, pa

Nachgerade anrührend fossil präsentiert das Deutsche Schweinemuseum sich und seinen Gegenstand. Es dominieren Schautafeln, Text- und Bilddokumente; Vitrinen bergen Werkzeuge und Utensilien, die in der Lehr- und Versuchsanstalt für Tierzucht in Ruhlsdorf zum Einsatz kamen. Zu sehen sind Skelette und Dermoplastiken, es gibt Gipsmodelle, Trophäen und Präparate. Nach interaktiven Elementen, wie sie Museen neuerer Generation bieten, wird der Besucher hier vergeblich fahnden.

Computeranimation, Klangteppich, Videoinstallationen sind für ein Museum, das ausschließlich ehrenamtlich geführt wird und von Spenden sowie Eintrittskarten lebt, unerschwinglich. Weil gewiss schweineteuer. Es ist ein ehrliches Museum, unprätentiös, es geht mehr um den Inhalt denn die Verpackung.

600 Besucher, schätzt Paulke, finden alljährlich den Weg in die Dorfstraße1, darunter Schulklassen, angehende Veterinärmediziner, auch solche aus fern und nah, die allein die Skurrilität des Gedankens, dem Schwein ein Museum zu widmen, neugierig gemacht hat. Sie können sich hier berichten lassen vom Charme der Tiere, ihrer Klugheit, Spielfreude und ihrer Kraft; sie sehen das Schwein als Glücksbringer oder Sparschwein, als Salzstreuer, auf Münzen und auf Briefmarken.

Gestreift werden auch Umweltbelastung, Tierschutz und Ernährungsfragen, die sich mehr denn je mit der industriellen Fleischproduktion verbinden. Sie dürften vom einen oder anderen interessierten Museumsgänger aber als durchaus ausbaufähig erachtet werden.

Ob sich die Erweiterungspläne, die der Museumsverein in Ruhlsdorf hegt, in diese Richtung bewegen oder doch stärker kulturhistorisch orientiert sind, ist noch unentschieden. Wem etwa an fundierten Antworten gelegen ist, warum das Schwein in der nah- und fernöstlichen Welt früher verehrt, heute verachtet wird, und wer etwa dahinter steigen möchte, weshalb mit dem Schwein gleichermaßen die Drecksau wie das Glücksschwein verbunden wird, die Sau selten gut, der Eber aber umso besser wegkommt, der wird einstweilen nach Stuttgart fahren müssen. Denn dort gibt es auch ein Schweinemuseum. Das ist gewiss, bei allen Unterschieden, auch saugut.

Stefan Woll

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